Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 18.04.2005
Aktenzeichen: 12 U 609/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 287
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1 n.F.
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
Hatte ein Unfallgeschädigter vor dem von einem Zweitschädiger verschuldeten Verkehrsunfall erhebliche nicht ausgeheilte Verletzungen und sind nachhaltige neue Beeinträchtigungen durch den Folgeunfall nicht feststellbar, dann entfällt die Haftung des Zweitschädigers für fortdauernde körperliche und psychische Beeinträchtigungen. Neurootologische Untersuchungen können zumindest nach erheblichem Zeitablauf für die Abgrenzung der Folgen verschiedener Unfälle keine Ergebnisse liefern, die verlässliche Rückschlüsse auf die kinkrete Ursache festgestellter Beschwerden zulassen. Eine psychiatrische Untersuchung ist nicht angezeigt, wenn der Geschädigte auf eine Sploration verzichtet.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 609/02

Verkündet am 18.04.2005,

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schadensersatzanspruches aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Wohlhage, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach

auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 22. März 2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche des Klägers aus einem Verkehrsunfall, der sich am 15. Oktober 1992 gegen 08.21 Uhr auf der Bundesstrasse . in K... ereignet hat. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig. Es geht im Berufungsrechtszug noch um die Frage, ob dem Kläger über ein vorgerichtlich gezahltes Schmerzensgeld von 7.000 DM (3.579,04 Euro) hinaus ein weiteres Schmerzensgeld zusteht und ob seine Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden gerechtfertigt ist.

Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt wegen Erwerbsunfähigkeit arbeitslos. Er bezog eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Grund dafür waren frühere Unfälle und Bandscheibenvorfälle. So war der Kläger im Jahre 1981 bei Bauarbeiten von einem Gerüst gefallen und hatte Rückenprellungen mit ausgedehnten Lumbalgien erlitten. Im Jahre 1984 hatte er bei einem Autounfall außerdem ein HWS-Schleudertrauma davongetragen. Vor diesem Hintergrund war es zu Bandscheibenvorfällen im Bereich der Wirbelkörper C4/C5 links und C6/C7 rechts gekommen. Der Kläger hatte sich deshalb im Jahre 1985 zunächst einer Nukleolyse, und dann im Jahre 1989 einer Operation zur Versteifung der Wirbelsegmente L4/L5 unterziehen müssen. Am 15. Februar 1990 war eine erneute Bandscheibenoperation erforderlich geworden, bei der weitere Versteifungen mit einem Metallblock erfolgt waren. Bei der anschließenden Röntgenaufnahme einen Tag nach der Operation zeigte der Metallblock einen Lockerungsraum. Seit den genannten Operationen klagte der Kläger über ständige Schmerzen. Dieser Schmerzbefund war auch zur Zeit des streitgegenständlichen weiteren Unfalls vom 15. Oktober 1992 bereits vorhanden, als sich der Kläger auf dem Weg zum Arztbesuch befand.

Zu diesem Zeitpunkt befuhr der Kläger die K...er E...brücke in Richtung Innenstadt/S...kreisel auf der mittleren Fahrspur. In der Mitte der Brücke musste er bedingt durch einen Verkehrsstau anhalten, wobei das Beklagtenfahrzeug aus Unachtsamkeit auffuhr. Durch den Anprall wurde das Fahrzeug des Klägers auf die Gegenfahrspur geschleudert, wo es mit einem entgegenkommenden Fahrzeug und mit der Leitplanke kollidierte. Der Kläger war dann bei der polizeilichen Unfallaufnahme anwesend (Bl. 153 GA) und wurde anschließend von einem Taxi zum Hausarzt und von dort vorsorglich ins Krankenhaus gebracht.

Der Kläger hat in erster Instanz materielle Schäden eingeklagt, die nicht mehr Gegendstand dieses Berufungsverfahrens sind. Er hat außerdem ein Schmerzensgeld von mindestens 20.000 DM (10.225,84 Euro) abzüglich gezahlter 7.000 DM (3.579,04 Euro), also mindestens 13.000 DM (6.646,79 Euro) gegen die Beklagten - Fahrzeugführer, Halter und Haftpflichtversicherer - als Gesamtschuldner geltend gemacht sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, ihm alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die er aufgrund des genannten Unfalls erlitten hat oder noch erleiden wird. Dazu hat er vorgetragen, durch den Unfall sei es zu einem Bruch des zweiten Lendenwirbels, einer Protusion des fünften Brustwirbels und einer Instabilität der gesamten Brustwirbelsäule gekommen. Er leide deshalb - ungeachtet der Vorschäden - an erheblichen Schmerzen und Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit infolge eines Schleudertraumas im Bereich der Brust-, Lenden- und Halswirbelsäule. Es komme zu Taubheitsgefühlen am linken Bein und der linken Hand. Eine vor dem Unfall in Aussicht genommene aussichtsreiche Operation, die ihn von seinen Schmerzen wegen der früheren Verletzungen befreien sollte und die seine Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt hätte, sei wegen der weiteren Verletzungen durch den streitgegenständlichen Unfall unmöglich geworden.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und dazu auf die Vorschäden verwiesen. Sie haben eine weitere erhebliche und mit andauernden Folgen einhergehende Verletzung des Klägers durch den erneuten Unfall bestritten. Insbesondere ein Bruch des zweiten Lendenwirbels sei hierbei nicht erfolgt. Frische traumatische Verletzungen seien unmittelbar nach dem Unfall nicht festgestellt worden.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. W... nebst Ergänzungen, eines technischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. B... nebst Ergänzung sowie eines traumatomechanischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. M....

Auf dieser Grundlage hat es in der letzten mündlichen Verhandlung vom 22. März 2002, in der auch streitig verhandelt wurde, die Klage, soweit es um die hier noch relevanten Anträge geht, abgewiesen. Insoweit hat es angenommen, der Kläger habe bei dem Unfall multiple Prellungen erlitten, aber keine Verletzungen mit andauernden Folgen. Angaben des Klägers über Schmerzen seien glaubhaft. Die Annahme, dass dies die Folge des konkreten Unfalls sei, entbehre aber einer objektiven Grundlage. Ein Wirbelkörperbruch durch den erneuten Unfall sei ebenso auszuschließen wie eine strukturelle Verschlechterung der schon vorhandenen Beeinträchtigungen an der Wirbelsäule. Das gehe aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W... hervor. Die Folgen der Prellungen seien für sich genommen nach geraumer Zeit abgeklungen. Das nunmehr vorliegende Beschwerdebild sei auf die Vorschädigungen der Wirbelsäule zurückzuführen, die im Unfallzeitpunkt nicht ausgeheilt gewesen seien. Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. W... seien von dem Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme überzeugend ausgeräumt worden. Nach dem verkehrsanalytischen Sachverständigengutachten sei von einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung des klägerischen Fahrzeugs von etwa 30 km/h auszugehen. Diese Geschwindigkeitsänderung sei zwar prinzipiell dazu geeignet, Verletzungen herbeizuführen, sie habe aber tatsächlich nicht die vom Kläger geltend gemachten Folgen ausgelöst. Auch die vom Kläger angeführten Taubheitsgefühle im linken Bein und an der linken Hand seien auf die früheren Verletzungen zurückzuführen. Eine Verschlimmerung dieser Beschwerden durch den streitgegenständlichen Unfall sei theoretisch möglich, aber nicht konkret festzustellen. Auch nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M... seien die vom Kläger beschriebenen Schmerzen und sonstigen Beeinträchtigungen nicht hinreichend wahrscheinlich dem konkreten Unfallereignis zuzuordnen. Wegen der feststellbaren Unfallverletzungen in Form von Prellungen sei das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld ausreichend. Die Wahrscheinlichkeit künftiger materieller oder immaterieller Schäden gerade durch den streitgegenständlichen Unfall sei nicht nachgewiesen, so dass auch die Feststellungsklage unbegründet sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er zunächst seine bisherigen Klageanträge weiterverfolgt (Bl. 432 GA), zuletzt aber seine Schmerzensgeldvorstellung auf einen Mindestbetrag von 24.000 Euro nebst Zinsen abzüglich gezahlter 7.000 DM (3.579,04 Euro) erhöht hat (Bl. 502 GA). Der Kläger bemängelt die Würdigung der Sachverständigengutachten durch das Landgericht. Unbeachtet geblieben sei, dass er nicht vor, aber vielfach nach dem streitgegenständlichen Unfall zur Schmerzbehebung "gerenkt" worden sei. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M... sei ausschließlich "nach Aktenlage" erstellt worden und deshalb nicht aussagekräftig. Ein Bruch des zweiten Lendenwirbelkörpers sei nicht zuverlässig ausgeschlossen worden; es fehle an Bewegungsröntgenaufnahmen. Auch eine vermehrte Instabilität der Brustwirbelsäule wäre bei Verwendung von Bewegungsröntgenaufnahmen feststellbar gewesen. Die Methode der funktionsorientierten neurootologischen Begutachtung sei unbeachtet geblieben.

Die Beklagten sind der Berufung entgegengetreten. Sie haben die Verspätung neuer Angriffsmittel gerügt und auf Widersprüche im Klägervortrag hingewiesen. Letzteres gelte u.a. auch, soweit der Kläger sich an ein vielfaches "Renken" nach dem Unfall berufe; dazu habe er seine Angaben zur Zahl der manualtherapeutischen Maßnahmen variiert. Seine Beanstandungen der Sachaufklärung gingen auch deshalb fehl, weil der Kläger in erster Instanz selbst bekundet habe, die Beweisaufnahme könne geschlossen werden. Der Antrag auf Einholung eines neurootologischen Sachverständigengutachtens sei verfehlt. Die Gefahr künftiger Folgeschäden sei vom Kläger nicht erläutert worden. Schließlich werde die Einrede der Verjährung erhoben.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. C... (Bl. 602 ff. GA), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen. Wegen der Feststellungen des Landgerichts verweist der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall Prellungen erlitten hat, die als solche ohne weitere Folgen abgeheilt sind. Den jetzt vorliegenden Schmerzbefund hat es zutreffend auf die massiven Vorschäden zurückgeführt. Eine wesentliche Veränderung dieses Befundes durch den hier in Rede stehenden Unfall "fehlt eindeutig". Dies hat der Sachverständige Dr. W... angenommen (Bl. 161 GA) und davon konnte das Landgericht ausgehen, ohne dass Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F. an der Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Feststellungen anzumelden wären.

1. Physische Beeinträchtigungen des Klägers, die sein Klagebegehren in dem hier noch zu beurteilenden Umfang rechtfertigen könnten, sind - auch nach dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu § 287 ZPO - nicht festzustellen. Außer Frage steht, dass der Kläger erheblich beeinträchtigt ist. Jedoch ist davon auszugehen, dass der nunmehr vorhandene Befund bereits durch frühere Unfälle und Bandscheibenvorfälle herbeigeführt und nicht auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen ist. Den Beklagten ist dies nicht zuzurechnen.

a) Die Vorschäden des Klägers erklären den derzeitigen Befund ausreichend. Die gerichtlichen Sachverständigen stimmen darin überein, dass das streitgegenständliche Unfallereignis zwar die Möglichkeit einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Klägers darstelle, ein konkreter Nachweis aber nicht zu führen sei, auch nicht nach dem Beweismaßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Auch nach der Überzeugung des Senats überwiegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Folgen der früheren Unfälle für den jetzt vorliegenden Schmerzbefund ursächlich sind, deutlich. Insbesondere seit den Wirbelversteifungsoperationen hatte der Kläger "ständig Schmerzen" (Bl. 13 GA). Dies hat der Orthopäde Wi... schriftlich festgehalten (Bl. 13 GA), was hier urkundenbeweislich verwertet werden kann. Der Übergang vom akuten zum chronischen Schmerzzustand war demnach schon vor dem streitgegenständlichen Unfall vollzogen. Als Sekundärfolge traten Kopfschmerzen und Schwindelgefühl auf. Auch Schlafstörungen des Klägers resultierten bereits aus diesem vorherigen Befund; sie sind nicht erst durch den streitgegenständlichen Unfall verursacht worden.

Die zu Grunde liegenden Bandscheibenvorfälle bedeuten, dass durch verschobene oder vorgefallene Bandscheiben Nerven eingeklemmt wurden. Die Nukleolyse, also eine Auflösung des Bandscheibenmaterials, um die eingeklemmten Nerven zu entlasten, war nicht erfolgreich gewesen. Bandscheibenoperationen zur Entlastung der eingeklemmten Nerven, wie sie hier zweifach vor dem streitgegenständlichen Unfall erfolgt sind, werden allgemein erst dann notwendig, wenn größere Bandscheibenvorfälle zu deutlichen Ausfällen von Nerven führen. Zu den typischen Symptomen hierfür zählen Lähmungen der Muskulatur und eine Störung der Sensibilität bis hin zur vollständigen Taubheit einzelner Hautareale. Gerade diese Symptome macht der Kläger geltend. Sie rühren aus den Bandscheibenvorfällen her.

Die Wirkungen der früheren Verletzungen und Beeinträchtigungen waren zur Zeit des streitgegenständlichen Unfalls nicht ausgeheilt. War auch die zweite Bandscheibenoperation, wie aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R... hervorgeht, nicht erfolgreich (Bl. 72 GA), so erklärt das den seither andauernden Schmerzbefund. Der Metallblock bei L4/L5 zeigte bereits am 16. Februar 1990 einen Lockerungssaum (Bl. 13 GA). Insoweit war auch diese Bandscheibenoperation ein Fehlschlag. Eine fehlgeschlagene Bandscheibenoperation führt dazu, dass der Schmerzbefund nicht beseitigt, sondern verschlimmert wird.

Die Wirbelversteifungen führten, wie der im Haftpflichtprozess gerichtlich beauftragte Sachverständige Dr. W... ergänzt hat, außerdem zu einem vorzeitigen Verschleiß der benachbarten Bandscheiben (Bl. 195 a.E.). Das ist ohne weiteres nachvollziehbar und es erklärt die Annahme eines nicht durch den streitgegenständlichen Unfall verursachten, sondern degenerativen Befundes. Auch sonst sind degenerative Veränderungen als Ursache des nunmehr beklagten Schmerzbefundes näher liegend als eine unfallbedingte Verschlechterung der Wirbelkörper- und Bandscheibensubstanz. Das hat der Sachverständige Prof. Dr. M... erläutert (Bl. 383, 387, 395 GA). Er hat zwar seine gutachterlichen Ausführungen ohne eine eigene Untersuchung des Klägers gemacht, konnte aber auf alle bisherigen Befunde zurückgreifen und sollte diese nach dem Gutachtenauftrag nur abrundend erläutern. Ein Mangel des Gutachtens, der diesem die Verwertbarkeit oder die Aussagekraft nehmen könnte, liegt insoweit nicht vor.

Die Vorschäden des Klägers, deren misslungene Therapie und die Nebenfolgen der Operation können den andauernden und auch nunmehr vorliegenden Schmerzbefund ohne weiteres erklären. Das wird auch daraus deutlich, dass zwischen der letzten Bandscheibenoperation (16. Februar 1990) und dem Unfall des Klägers - auf der Fahrt zum Arzt - (15. Oktober 1992) ein erheblicher Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahren lag, in dem der Schmerzbefund nicht geheilt wurde.

Der streitgegenständliche Unfall hat für sich genommen keine vergleichbaren Symptome ergeben und keine ebenso eingriffsintensiven Behandlungsmaßnahmen ausgelöst wie es nach den früheren Unfällen und den Bandscheibenvorfällen der Fall gewesen war. Welche weitere operative Therapie so, wie es der Kläger behauptet, Erfolg versprechend gewesen und nur durch den streitgegenständlichen Unfall verhindert worden sein soll, ist auch nach Meinung der Sachverständigen nicht ersichtlich. Dazu hat der Kläger keine Einzelheiten vorgetragen. Aus seiner bloßen Behauptung der Vereitelung einer weiteren Therapie kann daher nicht abgeleitet werden, die Beklagten seien für die Folgen der ungeheilten Vorschäden haftungsrechtlich verantwortlich.

b) Anzeichen dafür, dass der streitgegenständliche Unfall den nunmehr vorhandenen Befund nachhaltig beeinflusst hat, ohne dass dieser heute aus den Vorschäden abzuleiten wäre, liegen nicht vor.

"Posttraumatische Veränderungen der Lendenwirbelkörper" waren nach dem streitgegenständlichen Unfall röntgenologisch "nicht erkennbar". Das war das Ergebnis der zeitnahen Untersuchungen nach dem Unfall (Bl. 79 GA Prof. Dr. F..., Dr. N...; Bl. 161 Dr. W...; Bl. 166 GA Dr. O... vom Institut Dr. von E...). Es ist nicht anzunehmen, dass der Einsatz neuer röntgenologischer Untersuchungsmethoden mehr als zwölf Jahre nach dem Unfallereignis nun andere Erkenntnisse zum tatsächlichen Vorliegen einer Wirbelkörperverletzung gerade durch den streitgegenständlichen Unfall führen könnte. Die Tatsache, dass frische traumatische Verletzungen unmittelbar nach dem streitgegenständlichen Unfall auch sonst von den untersuchenden Ärzten ausgeschlossen wurden, spricht gegen die Möglichkeit, dass heute doch noch an einer bestimmten Stelle eine konkrete Wirbelkörperverletzung festgestellt und diese gerade dem konkreten Unfallereignis zugeordnet werden könnte. Der zuletzt vom Kläger unter dem 11. April 2005 mitgeteilte nachträgliche Mopedunfall mit der Folge umfangreicher Prellungen, den er in Thailand erlitten habe, erschwert die Ursachenbestimmung noch mehr.

Die von der Berufung vermisste Anfertigung von Bewegungsröntgenaufnahmen, die den jetzigen Zustand der Wirbelsäule abbilden könnte, kann bei dieser Sachlage auch nicht wirkungsvoll dazu beitragen, die verschiedenen möglichen Ursachen für die Schmerzbefunde zuverlässig voneinander abzugrenzen. Zudem begegnet das neue Angriffsmittel des Klägers durchgreifenden Bedenken mit Blick auf § 531 Abs. 2 ZPO. Gründe dafür, warum der Kläger es ohne Nachlässigkeit erst in der Berufungsinstanz vorgetragen hat, sind auch vor dem Gesamthintergrund der umfangreichen sonstigen Untersuchungen im Haftpflichtprozess und in den parallel gelagerten sozialgerichtlichen Verfahren nicht erkennbar. Hatte der Kläger sogar in erster Instanz bemerkt, die Beweisaufnahme könne geschlossen werden, so kann er nun nach dem Grundsatz des Ausschlusses neuer Angriffsmittel gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr eine neue Begutachtung mit anderen, damals schon existierenden Mitteln verlangen.

c) Weitere aussagekräftige Hinweise auf Verletzungen des Klägers, die auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen wären, liegen nicht vor.

aa) Ein festgestelltes "SchmorlŽsches Knötchen" war die Folge einer juvenilen Ausreifungsstörung eines Wirbelkörpers (Bl. 160 GA). Es hat mit dem Unfall nichts zu tun (Bl. 657 GA).

bb) Die vom Hausarzt Dr. F... attestierte Verschlimmerung des Schmerzbefundes infolge des streitgegenständlichen Unfalls (Bl. 34 GA) beruht auf der subjektiven Einschätzung des Klägers und ist ohne besondere Aussagekraft. Dass der Kläger durch den Unfall Prellungen erlitten hatte, die den damaligen Schmerzbefund nach dem Unfall geprägt haben können, wurde auch im angefochtenen Urteil angenommen.

cc) Die Durchführung einer manuellen Therapie ("Renken", Massagen) nach dem Unfall besagt nichts über die Ursachen des so therapierten Schmerzbefundes. Eine Ursachenermittlung ist nicht die primäre Aufgabe des chiropraktischen Therapeuten. Allgemein geht die manuelle Therapie davon aus, dass es im Rahmen von Wirbelsäulenerkrankungen zu funktionellen Bewegungsstörungen in einem Bewegungssegment mit nachfolgender Reaktion der Muskulatur kommt, die an der Entstehung von Schmerzen beteiligt sind. Ziel der manuellen Therapie an der Wirbelsäule ist daher die Beseitigung der Störungen, nicht die Erforschung und Abgrenzung der Ursachen. Das Vorbringen des Klägers dazu, dass er nach dem streitgegenständlichen Unfall vielfach "gerenkt" worden sei, trägt deshalb nicht zur Aufdeckung einer bestimmten Ursache des behandelten Schmerzbefundes bei.

d) Es kann nach allem nur von einer vorübergehenden Verschlimmerung der Vorverletzungen durch den streitgegenständlichen Unfall ausgegangen werden (Bl. 659 GA). "Diese" zusätzlichen Beschwerden (Bl. 659 GA) sind mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen. Das hat der Sachverständige Dr. C... so angenommen. Zu psychischen Beeinträchtigungen des Klägers ist dieser orthopädische Sachverständige weder befragt worden noch für deren Beurteilung kompetent. Dass er sich dazu geäußert habe, ist seinem Gutachten nicht zu entnehmen.

2. Dem ergänzenden Beweisbegehren zur neurootologischen Begutachtung muss nicht nachgegangen werden. Insoweit ist das Vorbringen des Klägers verspätet und nicht mehr zuzulassen (§ 531 Abs. 2 ZPO).

Es wäre im Übrigen auch in der Sache nicht weiterführend. Die Neurootologie beschäftigt sich mit der Diagnostik und Behandlung von Erkrankungen des Gleichgewichtsorganes, des Gesichtsnerven sowie des Geruchs- und Geschmackssinnes. Neurootologische Untersuchungen gehören damit zum Bereich der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Sie sollen dem Nachweis von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen dienen (Schmidt/Senn/Wedig/Baltin, Schleudertrauma - neuester Stand: Medizin, Biomechanik, Recht und Case Managemant, 2004, S. 295). Solche Beschwerden stehen hier zumindest nicht im Vordergrund dessen, was der Kläger geltend macht. Die mit neurootologischen Methoden gewonnenen Ergebnisse können nur belegen, ob die von einem Patienten angegebenen Beschwerden tatsächlich vorliegen oder nicht. Neurootologische Untersuchungen können dagegen keine Ergebnisse liefern, die verlässliche Rückschlüsse auf die konkrete Ursache festgestellter Beschwerden zulassen (vgl. OLG Braunschweig VersR 2001, 653, 654).

3. Nach der Rechtsprechung erstreckt sich die Ersatzpflicht des einstandspflichtigen Schädigers grundsätzlich auf psychisch bedingte Folgewirkungen des von ihm herbeigeführten haftungsbegründenden Ereignisses (BGHZ 132, 341, 343 ff.; NJW 2004, 1945, 1946). Dies gilt auch für eine psychische Fehlverarbeitung als Folgewirkung des Unfallgeschehens, wenn eine hinreichende Gewissheit dafür besteht, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre (vgl. BGHZ 132, 341, 343 ff.; 137, 142, 145). Auch ein solcher Fall kann hier nicht festgestellt werden.

Eine psychische Beeinträchtigung durch den streitgegenständlichen Unfall ist vom Kläger zunächst nicht widerspruchsfrei geltend gemacht worden. Prof. Dr. R... hatte in seinem Gutachten vom 8. Februar 1993 zum sozialgerichtlichen Verfahren festgehalten, dass "keine psychopathologischen Auffälligkeiten" zu verzeichnen seien (Bl. 44 GA). Dies hat der Kläger im vorliegenden Haftpflichtprozess aufgegriffen, um darzutun, dass ihm keine psychische Fehlhaltung anzulasten sei (Bl. 115 GA). Daran muss er sich zunächst festhalten lassen. Wenn er nun abweichend davon behaupten will, dass er gerade durch den streitgegenständlichen Unfall doch psychische Beeinträchtigungen erlitten habe, so müsste er nähere Angaben dazu machen, wann Anzeichen hierfür aufgetreten sind und wie sich dies fortentwickelt hat. An einem solchen Vortrag fehlt es.

Der Kläger hat freilich im Jahre 1998, rund sechs Jahre nach dem Unfall, eine testpsychologische Untersuchung durchführen lassen, die Hinweise auf eine cerebrale Minderung der Merkfähigkeit und seiner sonstigen Intelligenzleistung ergeben hat (Bl. 286, 288, 291 GA). Zur Ursache dieser Beeinträchtigung haben sich weder der privat beauftragte Untersucher noch der Kläger selbst näher geäußert. Die nahe liegende Möglichkeit, dass der chronische Schmerzbefund durch die Vorschäden auch die psychischen Beeinträchtigungen hervorgebracht hat, und der erhebliche Zeitablauf seit dem Unfallgeschehen hätten eine nähere Darlegung der Einzelheiten der nunmehr betonten psychischen Beeinträchtigung erfordert. Als Ursache für die möglicherweise vom Kläger "erworbene cerebrale Schädigung der Intelligenzfunktion" und psychische Beeinträchtigungen kommen nämlich mindestens ebenso gut die Vorschäden oder etwa ein deshalb schon vor dem streitgegenständlichen Unfall einsetzender übermäßiger Medikamentenkonsum des Klägers in Betracht.

Die Frage, ob das schädigende Ereignis eine psychische Reaktion des Geschädigten hervorgerufen hat, kann zwar in der Regel nicht ohne besondere Sachkunde beantwortet werden (vgl. BGH NJW 1997, 1640, 1641). Dies gebietet hier indes nicht die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, weil der Kläger, der schon in erster Instanz erklärt hatte, die Beweisaufnahme könne geschlossen werden, im Berufungsverfahren zuletzt unter dem 11. April 2005 mitgeteilt hat, er werde zu Untersuchungen durch gerichtliche Sachverständige nicht mehr erscheinen, wenn dies zu einer Unterbrechung der mehrmonatig angelegten manualtherapeutischen Behandlungen, denen er sich laufend in P... (Thailand) unterzieht, führe. Er lehne es ab, "zu irgendeinem erneuten unnützen" Sachverständigen zu gehen. Sollte das Gericht die Einholung des Gutachtens eines weiteren Sachverständigen beschließen, so "möge er nach Aktenlage" seinen Fall bewerten. Bei dieser Sachlage hat der Kläger auf eine Exploration verzichtet und diese vereitelt. Nach mehrjährigem Prozess mit umfangreichen Beweiserhebungen durch mehrere Sachverständigengutachten kann es, auch vor dem Hintergrund des widersprüchlichen Prozessverhaltens des Klägers, nicht hingenommen werden, dass dieser sich in Thailand aufhält und für eine Untersuchung nicht zur Verfügung steht, aber gleichwohl Lücken im Beweisbild bemängelt. Ohne Exploration ist ein aussagekräftiges psychiatrisches Gutachten nicht zu erstellen. Dies gilt auch deshalb, weil der Kläger zugleich - auch außerhalb einer Exploration - keine aussagekräftigen psychopathologischen Befundtatsachen dargelegt hat. Solche Befundtatsachen sind unentbehrlich, weil es auch hinsichtlich der psychischen Beeinträchtigung des Klägers darum geht festzustellen, ob dieser Befund auf den Vorschäden beruht, ob er durch den streitgegenständlichen Unfall ausgelöst wurde oder aber ob er einer gänzlich anderen Ursache zuzuschreiben ist. Für psychische Beeinträchtigungen können vielfältige biopsychosoziale Ursachen in Betracht kommen (vgl. Senat, Urteil vom 2. August 2004 - 12 U 924/03 -, NJW-RR 2004, 1318). Fehlt ein Klägervortrag zu konkreten Befundtatsachen und wird zugleich eine Exploration durch einen psychiatrischen Sachverständigen vom Kläger nicht angemessen ermöglicht, so lässt sich keine Aussage über das Vorliegen einer haftungsrechtlich bedeutsamen psychischen Beeinträchtigung, ferner gegebenenfalls über deren Ursache und über deren Gewicht treffen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709, 712 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf anfänglich 16.646,80 Euro, ab dem 25. Juni 2003 auf 30.420,96 Euro festgesetzt (zuletzt: 20.420,96 Euro für die Schmerzensgeldklage [24.000 Euro abzüglich gezahlter 3.579,04 Euro] und 10.000 Euro für die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich weiterer materieller und immaterieller Schäden).

Ende der Entscheidung

Zurück