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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 01.09.2003
Aktenzeichen: 12 U 716/02
Rechtsgebiete: StVO, StVG, PflichtVersG, ZPO


Vorschriften:

StVO § 1
StVO § 1 Abs. 2
StVO § 3
StVO § 3 Abs. 1
StVO § 8 Abs. 2
StVO § 8 Abs. 2 Satz 2
StVO § 11
StVO § 11 Abs. 2
StVO § 38 Abs. 3
StVO § 38 Abs. 3 Satz 1
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 17
PflichtVersG § 3
ZPO § 92
ZPO § 97
ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 716/02

Verkündet am 01.09.2003

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Wohlhage und Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 11. August 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das am 7. Mai 2002 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer -Einzelrichterin- des Landgerichts Mainz werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 37,50 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 62,50 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Ersatz seiner materiellen Schäden aus einem Verkehrsunfall, der sich am 19. Oktober 2000 gegen 19.45 Uhr bei Dunkelheit auf der Landstraße ... ausgangs einer langgezogenen Rechtskurve in einem Bereich, in dem die allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h gilt, zugetragen hat. Der Kläger war Halter eines mit Mietwagenausstattung versehenen Pkw Audi A6/Avant 2,5 TDI, mit dem er aus Richtung K................ in Richtung F....... fuhr. Am Unfall beteiligt war ferner der Beklagte zu 3. als Führer einer landwirtschaftlichen Zugmaschine Mercedes Benz, amtliches Kennzeichen ... - .. .., mit zwei Anhängern, welche mit Zuckerrüben beladen waren. Halter dieses Gespanns ist der Beklagte zu 2., sein Haftpflichtversicherer ist die Beklagte zu 1. An dem Gespann war neben der üblichen Beleuchtung von Zugmaschine und Anhängern eine gelbe Warnblinkleuchte auf der Zugmaschine angebracht und im Unfallzeitpunkt in Betrieb. Das Gespann hatte eine Gesamtlänge von 17,99 m und ein Gesamtgewicht von etwa 42 Tonnen. Der Beklagte zu 3. befuhr mit dem Gespann zunächst einen - aus der Fahrtrichtung des Klägers gesehen - rechts gelegenen Feldweg, der in die von Alleebäumen umsäumte Landstraße ... einmündet. Er fuhr nach links in die Gegenfahrspur zur Fahrtrichtung des Klägers ein. Die Zugmaschine und der erste Anhänger des Gespanns waren bereits auf diese Fahrspur eingebogen, als der Pkw des Klägers an seiner linken Vorderkante mit der Hinterachse des zweiten Anhängers des Gespanns, der sich bei Beendigung des Einbiegevorgangs noch teilweise auf seiner Fahrspur befand, kollidierte. Dieser zweite Anhänger von 18 Tonnen Gewicht wurde umgestoßen, seine Hinterachse wurde abgerissen. Der Kläger wurde schwer verletzt, sein Fahrzeug erheblich beschädigt. Der Sachschaden am Fahrzeug des Klägers ist in Höhe des Netto-Wiederbeschaffungswerts von 48.428,28 DM, Abschleppkosten von 417,01 DM und Untersuchungskosten von 30,17 DM unstreitig entstanden; weitere Schadenspositionen sind umstritten.

Der Kläger hat behauptet,

er sei mit einer Geschwindigkeit im Bereich der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren und habe sein Fahrzeug vor der Kollision abgebremst. Der Beklagte zu 3. habe sein Fahrzeug beim Einbiegen aus dem Feldweg in die Landsraße ... gesehen. Er habe nach dem Unfall für 21 Tage ein Ersatzfahrzeug zur Aufrechterhaltung seines Betriebes mieten und ein Ersatzfahrzeug beschaffen müssen, wofür 17.379 DM Mietzins für das Ersatzfahrzeug angefallen seien, ferner seien angefallen: Sachverständigenkosten in Höhe von 1.980,90 DM, Kosten der Zulassung des Ersatzfahrzeugs in Höhe von 164,41 DM, Kosten für den Umbau eines Wegstreckenzählers in Höhe von 855, 71 DM, Kosten für den Umbau eines Mobilfunkgerätes in Höhe von 2.189,50 DM und Kosten für die Reparatur eines Autotelefons in Höhe von 922 DM.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 37.010,88 € (72.386,98 DM ) nebst 13,5 % Zinsen hieraus seit dem 20. Oktober 2000 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet,

der Beklagte zu 3. habe den Kläger beim Einbiegen in die Landstraße ... nicht gesehen. Dieser sei mit mehr als 120 km/h gefahren und habe nicht gebremst, was auch am Fehlen einer Bremsspur zu erkennen sei. Das Vorhandensein eines Antiblockiersystems werde bestritten. Auch Sachverständigenkosten, Kosten für die Beschaffung und Zulassung eines Ersatzfahrzeugs, Kosten für den Umbau eines Wegstreckenzählers und eines Mobilfunkgeräts und der Zinsschaden würden mit Nichtwissen bestritten.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin F.......... und durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. L.....

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht mit Urteil vom 7.5.2002 die Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen dazu verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 15.926,16 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20. Oktober 2000 zu zahlen (Bl. 150 ff. GA). Es habe eine Verletzung des Vorfahrtsrechts des Klägers gemäß § 8 Abs. 2 StVO vorgelegen. Der Kläger habe gegen das Sichtfahrgebot verstoßen. Es könne sein, dass er nicht schneller als die zugelassenen 100 km/h gefahren sei. Es sei aber zu berücksichtigen, dass nach der Aussage der Zeugin F.......... zahlreiche landwirtschaftliche Fahrzeuge dabei gewesen seien, Zuckerrüben zu ernten. Auch sei auf dem Dach des Traktors ein gelbes Blinklicht gesetzt gewesen. Bei dieser Sachlage sei es erforderlich gewesen, dass der Kläger vor den Zusammenstoß seine Geschwindigkeit hätte verringern müssen. Der Sachverständige habe die Kollisionsgeschwindigkeit auf 70 bis 88 km/h eingegrenzt. Das sei bei der gegebenen Sachlage zu schnell gewesen. Mit Blick auf die hohe Betriebsgefahr des langen Rübenzuges sei eine Haftungsquote von 50 : 50 angemessen. Im Haftungsumfang sei der Schaden in Höhe des Wiederbeschaffungswerts, der Sachverständigenkosten und Abschleppkosten unstreitig. Hinzu kämen die Kosten für die Zulassung und die Untersuchung des Ersatzfahrzeuges. Aus den vorgelegten Rechnungen sei ersichtlich, dass ein Fahrzeug zugelassen worden sei. Des Weiteren könne der Kläger Mietwagenkosten ersetzt verlangen. Insoweit sei seine Forderung hinsichtlich der Zahl der Tage und der Höhe der Kosten pro Tag zu kürzen. Es sei von einer angemessenen Wiederbeschaffungszeit von 16 Arbeitstagen auszugehen, wobei ersparte Aufwendungen abzusetzen seien, was auf 15% dieser Kosten zu veranschlagen sei. Nicht erstattungsfähig seien die Kosten für den Umbau eines Wegstreckenzählers, für den Einbau des Mobilfunkgerätes und für die Reparatur des Autotelefons. Diese Kosten seien bereits in dem vom Sachverständigen festgestellten Wiederbeschaffungswert enthalten.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger erstrebt die Verurteilung der Beklagten zu einer weiteren Zahlung auf der Grundlage einer Haftungsquote von 80 : 20 zu seinen Gunsten, die Beklagten erstreben die Klageabweisung im Ganzen.

Der Kläger meint,

der Drittbeklagte habe den Unfall durch Verletzung seines Vorfahrtsrechts allein verschuldet. Dieser habe die Gegenfahrspur etwa 700 Meter weit einsehen können und sei wartepflichtig gewesen. Da sich die Kollision im Bereich der Einbiegung des Feldweges in die Landstraße ... ereignet habe, spreche schon der erste Anschein für eine Vorfahrtverletzung. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung durch ihn sei nicht bewiesen. Das Landgericht habe nicht ausgeführt, welche Geschwindigkeit angemessen gewesen wäre. Eine Verletzung des Sichtfahrgebots sei in den Gründen des angefochtenen Urteils unklar, da dort offen geblieben sei, wie weit er die Straße habe einsehen können. Nicht nachvollziehbar sei, inwieweit er nach dem Urteil "nicht richtig durch eine Bremsung auf die Gefahr reagiert" haben solle. Jedenfalls sei eine hälftige Haftungsverteilung unangemessen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten abzuweisen sowie

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, an ihn als Gesamtschuldner weitere 9.555,40 € mit 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 20. Oktober 2000 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen und

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Sie führen aus,

bei einer vom Kläger selbst für möglich gehaltenen Geschwindigkeit von 100 km/h hätte die Sichtweite beim Einbiegen des Drittbeklagten in die Landstraße 500 Meter betragen. Bei einer solchen Distanz könne nicht mehr von einer Vorfahrtverletzung gesprochen werden. Der Kläger habe § 3 Abs. 1 StVO verletzt. Der Sachverständige habe die Frage der Sichtweite nicht vertieft. Ihr Beweisangebot dazu sei offen geblieben. Jedenfalls sei die Verletzung des Sichtfahrgebots durch den Kläger bei der Annahme einer Haftungsquote von 50 : 50 unterbewertet. Das gelbe Blinklicht als Warnung vor Gefahren gemäß § 38 Abs. 3 StVO sei nicht berücksichtigt worden. Es habe zusammen mit dem erkennbaren landwirtschaftlichen Verkehr im Bereich des Unfallortes das Sichtfahrgebot aktualisiert. Mit Blick auf die feststellbaren Geschwindigkeiten und Sichtweiten wäre es für den Kläger möglich gewesen, bei sachgerechtem Verhalten rechtzeitig anzuhalten.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen Rechtsmittel sind unbegründet. Das angefochtene Urteil hat im Ergebnis zu Recht auf Grund einer Haftungsquote von 50 : 50 nach §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, § 3 PflichtVersG geurteilt, die nach der Bewertung des Senats aufgrund der Berufungsverhandlung weder übersetzt noch zu niedrig angesiedelt ist.

Dem Kläger fällt ein erheblicher Verstoß gegen das Sichtfahrgebot gemäß § 3 StVO und die besonderen Sorgfaltspflichten aus §§ 1 Abs. 2, 38 Abs. 3 Satz 1 StVO zur Last. Eine Verletzung der Wartepflicht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO durch den Beklagten zu 3. liegt zwar vor, fällt aber wegen der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht soweit ins Gewicht, wie der Kläger meint. Schon infolge der Erkennbarkeit des eingeleiteten Einbiegevorgangs des langsamen Rübenzuges auf große Entfernung bestand nur eine "halbe Vorfahrt" und das vom Drittbeklagten auf dem Traktor gesetzte gelbe Blinklicht begründete zusätzlich weitere Sorgfaltspflichten für den Kläger, der sich in eine unklare Verkehrslage begab.

Freilich ist eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Kläger nicht bewiesen und auch mangels aussagekräftiger Spuren nicht rekonstruierbar. Das hat der Sachverständige L...., den der Senat erneut vernommen hat, erläutert. Dafür tragen die Beklagten die Beweislast, weil dieser Umstand anspruchsmindernd wirken würde. Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass es mangels Bremsspuren und eindeutiger Hinweise aus dem Schadensbild einer Scherkollision nicht möglich sei, die Fahr- und Kollisionsgeschwindigkeit exakt zu bestimmen. Wegen des seitlichen Aufpralls auf den Anhänger bleibe unklar, welche Aufprallenergie gewirkt habe. Das Abgleiten des klägerischen Fahrzeugs an dem schräg stehenden Anhänger mache es unmöglich, die entgegenwirkende Masse als Faktor einer präzisen Berechnung der Geschwindigkeit zuverlässig zu bestimmen. Denn der Auftreffwinkel sei ebenfalls unbekannt und nicht rekonstruierbar, weil dafür aussagekräftige Unfallspuren oder andere zuverlässige Hinweise auf die genaue Lage der Fahrzeuge im Zeitpunkt der Kollision fehlen. Dieser Bewertung des Sachverständigen folgt der Senat. Aus der Aussage der Zeugin F.......... geht hervor, dass die Fahrgeschwindigkeit weder übersetzt noch auffällig gering gewesen ist. Nähere Eingrenzungen sind aber, wie die erneute Vernehmung der Zeugin durch den Senat ergeben hat, auch durch den Zeugenbeweis nicht möglich. Die Zeugin hatte auch im Berufungsverfahren keine genaue Erinnerung an die Geschwindigkeit; zudem fuhr sie in einem geschätzten Abstand von 150 Metern hinter dem Fahrzeug des Klägers, so dass Rückschlüsse auf dessen Fahrgeschwindigkeit durch den Abstand wiederum relativiert werden. Ungeklärt bleibt weiterhin, ob und wie der Kläger durch Bremsen reagiert hat. Das Fehlen von Bremsspuren besagt nicht, dass eine solche Reaktion nicht erfolgt ist. Das Antiblockiersystem des klägerischen Fahrzeugs, das der Sachverständige L.... mitgeteilt hat, kann solche Spuren verhindert haben. Die Zeugin F.......... hat auch auf Befragen in ihrer erneuten Vernehmung durch den Senat bekundet, dass sie keine Erinnerung daran habe, ob Bremsleuchten zu erkennen waren; sie hat sich auf die Beleuchtung des Traktors konzentriert und wurde dadurch geblendet. Auch ihre Aussage schließt eine Bremsreaktion weder definitiv aus noch ermöglicht sie deren positive Feststellung. Demnach bleiben die Beklagten mit ihrer Behauptung, der Kläger sei ohne jede Bremsreaktion auf den Anhänger aufgefahren, beweisfällig.

Die Unfallursache lag darin, dass der Kläger durch die Arbeitsleuchten des Traktors so weit geblendet wurde, dass er den zweiten Anhänger übersah, er aber andererseits nicht bereits zuvor -ebenso wie die Zeugin F..........- auf das Blinklicht des Traktors durch Bremsen und Herantasten an die für ihn unklare Verkehrslage reagiert hat. Das geht aus der Aussage dieser Zeugin vor dem Senat hervor. Sie hat berichtet, dass sie schon von Weitem die Blinkleuchte und die Fahrzeugbeleuchtung des Traktors gesehen und darauf frühzeitig reagiert habe. Sie sei von den am Fahrzeugdach angebrachten Arbeitsleuchten des Traktors geblendet worden. Die Blendwirkung erklärt, warum der Kläger die nach fast abgeschlossenem Einbiegevorgang des Rübenzuges noch in seine Fahrspur hineinragende, dann schräg in seine Fahrbahn verlaufende und nicht seitlich beleuchtete Kante des zweiten Anhängers übersehen hat und damit kollidiert ist. Er hat sich bei Blendung durch die Arbeitsleuchten in eine für ihn zum Teil unklare Verkehrssituation begeben, ohne dem rechtzeitig durch eine dieser Situation angemessene Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit zu begegnen. Dazu hätte er durch das gelbe Blinklicht des Traktors besonderen Anlass gehabt. Auch der Vorfahrtberechtigte hat Pflichten nach §§ 1, 11 StVO. Langsam beweglichen Verkehrsteilnehmern muss er es ermöglichen, ein schon begonnenes Überqueren der Fahrbahn zu beenden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 8 StVO Rn. 47 a.E.). Diesen gegenüber hat er nur eine "halbe Vorfahrt". Er muss nicht nur die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit beachten, sondern auch die sonstige Verkehrslage. In eine - durch Blendwirkung einer Mehrzahl von Leuchten - unklare Verkehrslage muss er sich notfalls langsam hineintasten und darf auch dann nicht das Sichtfahrgebot verletzen. Dazu hatte er ausreichend Gelegenheit; denn der Rübenzug mitsamt seiner auffälligen und blendenden Beleuchtung war auf eine weite Strecke erkennbar. Die Sichtweite, die der Sachverständig L.... jedenfalls mit deutlich mehr als 400 Metern ermittelt hat, ermöglichte eine rechtzeitige Reaktion, wie sie die Zeugin F.......... vorgenommen hat. Die Alleebäume bildeten keine relevante Sichtbehinderung; das hat der Sachverständige L.... unwidersprochen und anhand von Lichtbildern von der Örtlichkeit nachvollziehbar mitgeteilt.

Der Drittbeklagte hat andererseits die immer noch bestehende "halbe Vorfahrt" des Klägers verletzt und diesen durch die Arbeitsleuchten für die Feldarbeit geblendet. Einen von ihm rechtzeitig erkannten Wartepflichtigen, der sich in die Fahrbahn hineintastet, muss der Vorfahrtberechtigte grundsätzlich beachten. Der Drittbeklagte war mit der Zugmaschine und dem ersten Anhänger vollständig auf die Landstraße eingebogen, als der Kläger im Gegenverkehr herangekommen war. Da der "Rübenzug" von 41 - 42 Tonnen Gesamtgewicht und einer Gesamtlänge von rund 18 Metern bei einer Einbiegegeschwindigkeit von rund 5 km/h geraume Zeit - nach den Feststellungen des Sachverständigen bei einem Fahrversuch immerhin etwa 17 - 20 Sekunden - benötigte, um den Einbiegevorgang zu absolvieren, bestand eine Wartepflicht nur insoweit, als ein gefahrloses Passieren nahe herangekommener Fahrzeuge ermöglicht werden musste. Gegenüber einem Pkw, der in mehreren hundert Metern Entfernung anhand seines Abblendlichtes zu erkennen war, bestand für den Drittbeklagten objektiv keine uneingeschränkte Wartepflicht, obwohl die gelbe Blinkleuchte nach § 38 Abs. 3 StVO für sich genommen kein Sonderrecht bewirkt. Die Fahrgeschwindigkeit des Klägers war auf diese Entfernung im Dunkeln für den Beklagten zu 3. nicht zuverlässig abschätzbar. Jedenfalls trug die Warnleuchte auf dem Dach der Zugmaschine der Gefahrenlage, die durch das langsame und überlange Gespann beim Einbiegen auf die bevorrechtigte Landstraße gebildet wurde, Rechnung. Sie war, wie aus der Aussage der Zeugin F.......... hervorgeht, bereits von weitem zu sehen.

Die Zeugin F.........., die hinter dem Kläger fuhr, hat das Blinklicht zu Recht zum Anlass genommen, ihre Fahrgeschwindigkeit herabzusetzen. Der Schilderung des Ablaufs durch die Zeugin ist zu entnehmen, dass der Kläger nicht ebenso reagiert hat. Die vom Sachverständigen bei aller Vorsicht auf 70 - 88 km/h eingegrenzte Kollisionsgeschwindigkeit zeigt, dass der Kläger auf die für ihn durch Blendwirkung der Scheinwerfer, Arbeitsleuchten und des Blinklichts unklare Verkehrslage nicht angemessen reagiert hat. Beim Zusammentreffen mit Großraumfahrzeugen, die durch gelbes Blinklicht gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 StVO gesichert sind, gelten für andere Verkehrsteilnehmer besondere Sorgfaltsanforderungen gemäß § 1 Abs 2 StVO (vgl. KG VerkMitt 1993 Nr. 36). Gegebenenfalls muss solchen Großfahrzeugen gegenüber nach Maßgabe des § 11 Abs 2 StVO sogar auf einen Vorrang verzichtet werden. Dies gilt erst recht dann, wenn das Einbiegen solcher Fahrzeuge von weitem zu erkennen ist und zur Zeit der Kollision bereits im Wesentlichen abgeschlossen war. Dass der Kläger nicht so reagiert hat, beruht freilich auch auf der Blendung durch die Arbeitsleuchten auf dem Traktor, die dem Betrieb bei der Feldarbeit vorbehalten sind und beim Einbiegen auf die Landstraße abzuschalten gewesen wären.

Bei dieser Sachlage erscheint es angemessen, den Parteien jeweils den hälftigen Haftung zuzuweisen. Insoweit folgt der Senat dem angefochtenen Urteil im Ergebnis.

Zum Haftungsumfang teilt der Senat die Ansicht des Landgerichts auch in der Urteilsbegründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Die Parteien haben mit ihrer Rechtsmittelbegründung dagegen keine Beanstandungen erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren umfasst die zugesprochenen 15.926,16 Euro und weitere 9.555,40 Euro nach dem Berufungsantrag, bei beiderseitiger Rechtsmitteleinlegung also insgesamt 25.481,56 Euro. Die Beschwer des Klägers durch die Berufungsentscheidung beträgt 9.555,40 Euro, diejenige der Beklagten 15.926,16 Euro.

Ein Grund zur Revisionszulassung nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO (vgl. BGH NJW 2002, 3029; 2002, 3180 f.; 2003, 831 f.; 2003, 1943 ff.; 2003, 2319 f.) liegt nicht vor, weil sich die Entscheidung im Wesentlichen auf Tatsachenfragen des Einzelfalls bezieht.

Ende der Entscheidung

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