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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 06.03.2006
Aktenzeichen: 12 U 97/05
Rechtsgebiete: LNRG, BGB


Vorschriften:

LNRG § 1
LNRG § 2
LNRG § 34
LNRG § 34 Abs. 4
LNRG § 35
LNRG § 35 Nr. 5
LNRG § 36
BGB § 1018
Der Anspruch auf Beseitigung einer unter Verstoß gegen § 34 Nachbarrechtsgesetz Rheinland-Pfalz zu nahe an die Grenze gebauten Terrasse steht auch dem Nachbarn zu, dessen Grundstück im Außenbereich liegt.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 97/05

Verkündet am 6. März 2006

in dem Rechtsstreit

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Wohlhage und die Richterin am Oberlandesgericht Frey auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 23. November 2004 abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, die auf ihrem Grundstück S...straße .., Grundbuch B..., Flur 10, Flurstück 1/25 errichtete Terrasse soweit zu entfernen, dass ein Abstand von 2,50 m zum angrenzenden Grundstück der Klägerin, Grundbuch B..., Flur 10, Flurstück 90/1, 90/2 und 79/7 gewahrt ist.

II. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Während jedoch das Grundstück der Klägerin im Außenbereich liegt, haben die Beklagten im Jahre 2003 auf ihrem Grundstück ein Einfamilienhaus errichtet und dabei die Terrasse so angelegt, dass diese bis an die Grenze zum Grundstück der Klägerin reicht.

Mit der vorliegenden Klage beruft sich die Klägerin auf die Vorschriften des rheinland-pfälzischen Nachbarrechtsgesetzes und verlangt die Verurteilung zur Beseitigung der Terrasse, soweit ein Abstand von 2,50 m zu ihrem Grundstück nicht eingehalten ist.

Wegen der wörtlichen Fassung der erstinstanzlichen Anträge wird auf Bl. 39, 60 und 64 GA Bezug genommen.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 23.11.2004 die Klage abgewiesen, weil nach seiner Meinung das Klagebegehren rechtsmissbräuchlich ist. Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt. Wegen der wörtlichen Fassung der Berufungsanträge wird auf Bl. 85, 92 und 119 GA verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Der Senat kann sich der Auffassung des Landgerichts, die Klägerin gehe rechtsmissbräuchlich vor, nicht anschließen. Wie der erstinstanzliche Richter richtig ausführt, sind alle im Landesnachbarrechtsgesetz Rheinland-Pfalz (im Folgenden: LNRG) aufgestellten Voraussetzungen für eine Beseitigungsklage erfüllt.

Richtig ist auch, dass § 34 LNRG den Schutz der Bewohner benachbarter Grundstücke vor unerwünschter Einblicknahme oder Beeinträchtigung des Lichteinfalls im Auge hat, während im vorliegenden Fall das Nachbargrundstück unbebaut ist und in der näheren Zukunft unstreitig auch nicht bebaut werden kann. Dennoch ist dies allein kein Umstand, der das Beseitigungsverlangen der Klägerin bereits rechtsmissbräuchlich macht.

Das Gesetz definiert nicht nur denjenigen als Nachbarn, der der Einblicknahme und dem Lichtentzug tatsächlich ausgesetzt ist oder sein könnte, weil er auf dem Nachbargrundstück ein Gebäude besitzt oder alsbald besitzen wird. Gemäß § 2 LNRG ist "Nachbar" der Eigentümer des Nachbargrundstücks. Der hier maßgebliche § 34 Abs.4 LNRG macht den Schutz des Nachbargrundstücks auch nicht von dessen Beschaffenheit oder Nutzung abhängig, wie es beispielsweise in § 35 Nr. 5 LNRG der Fall ist, der an der Grenze zu öffentlichen Verkehrsflächen, Grünflächen und Gewässern die einwilligungsfreie Errichtung von Außenwänden zulässt. Terrassen sind aber in dem die Ausnahmen zu § 34 LNRG enthaltenden §§ 35 LNRG nicht erwähnt. Auch kann einem Nachbarn in der Lage der Klägerin nicht das Recht abgesprochen werden, die Einhaltung der Vorschriften des Nachbarrechtsgesetzes zu fordern und auf diese Weise ihr Grundstück mit Blick auf derzeit noch nicht ersichtliche, aber in der Zukunft dennoch mögliche Veränderungen bezüglich der Bebaubarkeit zu schützen.

Diese Sicht des Senats wird auch durch die Normierung der (nur) zweijährigen Klagefrist in § 36 LNRG gestützt. Diese verlangt vom beeinträchtigten Nachbarn, dass er sich kurzfristig zu der Frage schlüssig wird, ob er einen Gesetzesverstoß dulden will oder nicht. Der Wille des Gesetzgebers, dass Streitigkeiten hierüber zügig zu Ende zu bringen sind, wird darin ganz deutlich. Dem steht nicht entgegen, dass die Beteiligten allerdings, wenn sie dies einvernehmlich wünschen, auf die Klagefrist verzichten können. Dies ergibt sich nicht nur aus den von den Beteiligten angestellten juristischen Gedankengängen, sondern bereits aus dem Gesetz, § 1 LNRG. Das Nachbarrecht ist demnach grundsätzlich dispositiv. Jedoch kann dem, der diese Vorschriften für seine Person nicht abändern will, daraus noch kein Vorwurf gemacht werden. Außerdem vermindert der Verzicht auf die Klagefrist die Rechtsstellung des klageberechtigten Nachbarn, denn er stellt keine Duldungspflicht dar und ist deshalb gemäß § 1018 BGB als Grunddienstbarkeit nicht eintragbar, so dass er gegen die Rechtsnachfolger des Störers nicht wirkt. Ob eine in Bezug auf ihre Durchsetzbarkeit modifizierte Beseitigungspflicht eintragbar wäre, erscheint mindestens sehr problematisch (Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., § 1018 Rn. 49 und 50).

Würde bei dieser Sachlage die vom Landgericht vorgenommene Betrachtungsweise durchgreifen, so hätte dies in der Praxis eine weitgehende Schutzlosigkeit des Außenbereichs-Nachbarn und die Bevorzugung der jeweils letzten, noch zum Baugebiet gehörenden Grundstücke zur Folge, welche durch einvernehmliche Maßnahmen, wie ausgeführt, nur zum Teil abgemildert werden könnten.

Der Senat ist deshalb abschließend der Meinung, dass die Klägerin auch bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, ihre gesetzlichen Rechte geltend machen kann.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 10.000 €.

Die Revision ist mangels der Voraussetzung des § 543 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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