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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 20.01.2004
Aktenzeichen: 12 W 35/04
Rechtsgebiete: ZPO, GKG, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 3
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 568 Abs. 1 Satz 1
GKG § 5 Abs. 4 Satz 2
GKG § 5 Abs. 4 Satz 5
GKG § 25 Abs. 1 Satz 1
GKG § 25 Abs. 2 Satz 2
GKG § 25 Abs. 3
GKG § 25 Abs. 3 Satz 3
BRAGO § 9 Abs. 2
Zwar ist für die Beschwer bei der Entscheidung über eine Schmerzensgeldklage die in der Klageschrift geäußerte Mindestangabe bestimmend. Bei der Festsetzung des Gebührenstreitwertes gilt jedoch etwas anderes. Entscheidend ist hierbei nicht, was der Verletzte gewollt hat, sondern was ihm aufgrund des klagebegründenden Sachvortrags zuzubilligen war. Dies ist jedenfalls dann, wenn keine Teil-Klageabweisung erfolgt, die im Urteil zugesprochene Summe, und zwar auch, wenn diese Summe unter dem mit der Klage benannten Mindestwert der klägerischen Vorstellung liegt.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 12 W 35/04

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schadensersatzanspruchs aus einem Verkehrsunfall,

hier: Streitwertbeschwerde gegen die Festsetzung des Wertes einer Schmerzensgeldforderung.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach als Einzelrichter des Beschwerdesenats

am 20. Januar 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Streitwertbeschluss der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 13. Oktober 2003 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 14. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Klägerin nahm die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Ersatz materieller Schäden in Höhe von 82,55 Euro in Anspruch. Das Schmerzensgeld hielt sie für "zumindest ... in der Größenordnung von EUR 2.500,-- gerechtfertigt". Nachdem die Klage gegen den Erstbeklagten zurückgenommen worden war, verurteilte das Landgericht durch Urteil vom 13. Oktober 2003 das zweitbeklagte Land zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000 Euro sowie zur Zahlung von weiteren 82,55 Euro (jeweils nebst Zinsen) an den Kläger; es erlegte ihm die Tragung der Kosten des Rechtsstreits im Ganzen auf. Den Gebührenstreitwert setzte es durch einen in die Urteilsurkunde aufgenommenen Beschluss dementsprechend auf 1.082,55 Euro fest. Diese Entscheidungen wurden dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Oktober 2003 zugestellt. Gegen den Beschluss über die Streitwertfestsetzung hat dieser mit einem am 22. Dezember 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Dabei hat er darauf abgehoben, dass hinsichtlich des unbezifferten Klageantrags die Mindestangabe ihres Wertes in der Klageschrift bestimmend sei. Das beklagte Land ist der Streitwertbeschwerde entgegengetreten. Das Landgericht hat ihr nicht abgeholfen. Es hat ausgeführt, der aus gerichtlicher Sicht angemessene Schmerzensgeldbetrag bilde den Streitwert, nicht der in der Klageschrift angegebene Mindestwert.

II.

1. Für die Entscheidung über die Beschwerde ist gemäß § 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO, §§ 5 Abs. 4 Satz 2 und 5, 25 Abs. 3 GKG der Einzelrichter des Beschwerdegerichts zuständig (vgl. OLG Celle NJW 2003, 367 f.; OLG Hamburg MDR 2003, 830).

2. Die Beschwerde ist vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin im eigenen Namen aufgrund seines eigenen Rechtsschutzinteresses eingelegt worden. Sie ist nach § 25 Abs. 3 GKG statthaft und gemäß § 9 Abs. 2 BRAGO für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus dessen eigenem Recht zulässig (vgl. OLG Hamm OLG-Report Hamm 2000, 223 f.). Sie ist zudem fristgerecht eingelegt worden. Nach § 25 Abs. 3 Satz 3 GKG muss die Beschwerde innerhalb von sechs Monaten eingelegt werden, nachdem sich das Verfahren erledigt hat. Diese Frist ist gewahrt.

3. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Bei einem unbezifferten Klageantrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes bestimmt das Gericht den Streitwert unter Berücksichtigung des gesamten Klagevorbringens nach billigem Ermessen. Zwar ist für die rechtsmittelrechtlich bedeutsame Bestimmung einer Beschwer bei der Entscheidung über eine Schmerzensgeldklage die in der Klageschrift auch zur Konkretisierung der Forderung im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geäußerte Mindestangabe maßgebend (vgl. BGHZ 140, 335, 340 f.; BGH NZV 2003, 565). Bei der Bestimmung des Gebührenstreitwertes gilt jedoch etwas anderes (PfzOLG Zweibrücken OLG-Report Zweibrücken 1998, 157 f.; Husmann VersR 1985, 715; a.M. OLG Karlsruhe Die Justiz 1985, 167; OLG Köln VersR 1991, 1430; OLG Schleswig SchlHA 1980, 118; OLG Düsseldorf - 22. Zivilsenat - OLG-Report Düsseldorf 1996, 175 f. entgegen OLG Düsseldorf - 4. Zivilsenat - Rpfleger 1981, 317 und OLG-Report Düsseldorf 1995, 45 f.). Entscheidend ist nicht, was der Verletzte gewollt hat, sondern was ihm aufgrund des klagebegründenden Sachvortrags zuzubilligen war (OLG Hamm ZfSch 1983, 142 f.). Dies ist jedenfalls dann, wenn keine teilweise Klageabweisung erfolgt, die im Urteil zugesprochene Summe, selbst wenn sie unter dem mit der Klage benannten Mindestwert der klägerischen Vorstellung liegt (vgl. OLG Frankfurt JurBüro 1953, 407; 1057, 82; OLG Stuttgart NJW 1957, 525, 529; 1961, 81; Fuchs JurBüro 1990, 559, 563; Gerlach VersR 2000, 525, 529; a.M. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 2 Rn. 104). Andernfalls wären Entscheidungsformel des Urteils und die Streitwertbestimmung im Beschluss nicht aufeinander abgestimmt; bringt man sie in Einklang, dann müssen der Urteilsausspruch und dessen Überprüfbarkeit im Rechtsmittelzug Vorrang vor dem Beschlussverfahren über die Wertfestsetzung haben. Übersetzte Anspruchsvorstellungen sind also nicht nur im Urteil, sondern auch bei der Wertbemessung für den Gebührenstreitwert zu reduzieren (vgl. OLG Frankfurt MDR 1982, 674). Ist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 GKG zu Prozessbeginn ein Streitwert "vorläufig" festgesetzt worden, so kann eine spätere Wertbestimmung davon abweichen; eine innerprozessuale Bindung besteht nicht, zumal auch § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG eine Änderungsbefugnis vorsieht. Eine strikte Bindung des Gerichts bei der endgültigen Wertfestsetzung an die Bezifferung des Mindestbetrages in der Klageschrift würde der gesetzlichen Regelung in § 3 ZPO, wonach der Streitwert nach dem freien Ermessen des Gerichts zu bestimmen ist, widersprechen. Stellt der Kläger die Entscheidung über seinen Geldanspruch der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts, so ist der Gebührenstreitwert zu schätzen. Dafür ist grundsätzlich der als Schmerzensgeld aus gerichtlicher Sicht angemessene Geldbetrag entscheidend (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 3 Rn. 16 "Unbezifferte Klageanträge" m.w.N.). Anders kann es im Einzelfall ausnahmsweise etwa dann sein, wenn sich die tatsächlichen Bemessungsgrundlagen der Schätzung im Verlauf des Rechtsstreits ändern oder wenn die Schmerzensgeldklage abgewiesen wird. Eine teilweise Klageabweisung hat das Landgericht jedoch - unangefochten - gerade nicht ausgesprochen (vgl. zur Frage der Notwendigkeit einer solchen Teilentscheidung bei Abweichung von der Schmerzensgeldvorstellung des Klägers OLG Koblenz VersR 1990, 402). Deshalb wurde im Urteil auch keine Kostenquotelung ausgesprochen, sondern die Nebenentscheidung auf § 91 ZPO gestützt. Mit diesem Ergebnis, dass das aus gerichtlicher Sicht angemessene Schmerzensgeld ohne Teil-Klageabweisung insgesamt zugesprochen wurde, steht die Bemessung des Gebührenstreitwerts sodann in Einklang. Eine Änderung der tatsächlichen Bemessungsgrundlagen der Schmerzensgeldbestimmung im Verlauf des Prozesses hat das Landgericht seinem Urteil gleichfalls nicht zugrunde gelegt (Bl. 150 d.A. a.E.); weitere Unfälle der Klägerin, die für ihre Befindlichkeit mitursächlich sein konnten, aber den Beklagten nicht zuzurechnen waren, standen nach ihrem eigenen Vorbringen im Raum. Bei dieser Sachlage liegt kein Fall vor, in dem eine Abweichung von der Streitwertbestimmung anhand des angemessenen Schmerzensgeldbetrages geboten wäre.

III.

Einer Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren bedarf es nicht (§ 25 Abs. 4 GKG).

Ende der Entscheidung

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