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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 25.11.2002
Aktenzeichen: 13 UF 465/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 247
BGB §§ 1601 ff
BGB § 1603 Abs. 2 S. 1
BGB § 1603 Abs. 2. S. 3
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 13 UF 465/02

Verkündet am 25.11.2002

in der Familiensache

wegen Kindesunterhalts

Der 13. Zivilsenat - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hahn und die Richterinnen am Oberlandesgericht Wolff und Schilz-Christoffel auf die mündliche Verhandlung vom 04. November 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Lahnstein vom 30.07.2002 teilweise abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger folgenden Kindesunterhalt zu zahlen:

a. Kläger zu 1.

vom 16.04. bis zum 30.06.2002 monatlich 152,- € ab 01.07.2002 monatlich 159,- €, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB für die bis zum 04.11.2002 aufgelaufenen Rückstände,

b. Kläger zu 2. vom 16.04. bis zum 30.06.2002 monatlich 130,- € ab 01.07.2002 monatlich 136,- €, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB für die bis zum 04.11.2002 aufgelaufenen Rückstände,

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Beklagten tragen der Kläger zu 1. 22 %, der Kläger zu 2. 19 % und der Beklagte 59 %.

Von den außergerichtlichen Kosten der Kläger trägt der Beklagte jeweils 59 %; im Übrigen tragen die Kläger ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind die minderjährigen Kinder des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe mit der Kindesmutter. Sie nehmen den Beklagten für die Zeit ab 16.04.2002 auf Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe des Regelunterhalts in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass dem 65 Jahre alten Beklagten aufgrund seines Alters und des von ihm behaupteten Bronchial-Asthma-Leidens eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zugemutet werden könne. Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, mit er sie ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter verfolgen.

Das Rechtsmittel der Kläger ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; in der Sache führt es teilweise zum Erfolg. Der Beklagte schuldet den Klägern ab dem 16.04.2002 Kindesunterhalt in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang.

Den minderjährigen, unstreitig barunterhaltsbedürftigen Klägern, die im Haushalt ihrer Mutter leben und von dieser in Erfüllung ihrer Unterhaltsverpflichtung betreut werden (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), steht grundsätzlich ein Anspruch auf Kindesunterhalt nach §§ 1601 ff BGB gegen den Beklagten, ihren Vater, zu. Das Maß des geschuldeten Unterhalts (§ 1610 Abs. 1 BGB) richtet sich, da minderjährige Kinder noch keine selbständige Lebensstellung haben, grundsätzlich nach der in den Einkommensverhältnissen zum Ausdruck kommenden Lebensstellung des barunterhaltspflichtigen Beklagten, von der sich diejenige der Kläger ableitet.

Dieser hat inzwischen das 65. Lebensjahr vollendet und bezieht ab 01.05.2002, nachdem er zuvor Erwerbsunfähigkeitsrente in gleicher Höhe erhalten hatte, Regelaltersrente in Höhe von 723,37 € bzw. ab 01.07.2002 736,57 €. Diese Einkünfte liegen im Bereich des dem Beklagten zur Deckung seines eigenen notwendigen Lebensunterhalts mindestens zu belassenden Selbstbehalts von 730,- €. Bei Berücksichtigung nur des Renteneinkommens wäre der Beklagte mithin nicht bzw. nur in ganz geringem Umfang leistungsfähig.

Dem Beklagten ist vorliegend aber zuzumuten, einer Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Geringverdienertätigkeit nachzugehen, um hiermit seine Leistungsfähigkeit zu verbessern. Grundsätzlich besteht zwar nach der Vollendung des 65. Lebensjahres keine Erwerbsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen mehr, allerdings trifft den Beklagten vorliegend keine "normale" Unterhaltsverpflichtung; er ist vielmehr gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber den Klägern gesteigert unterhaltsverpflichtet. Dies beruht auf seiner besonderen familienrechtlichen Verantwortung gegenüber seinen minderjährigen Kindern, die ihren Bedarf aufgrund ihres Alters selbst nicht sicherstellen können, und zwar auch nicht über ihre Mutter, da diese Sozialhilfe bezieht und aufgrund dessen nicht als "anderer unterhaltspflichtiger Verwandter" i.S.d. § 1603 Abs. 2. S. 3 BGB zur Verfügung steht. Für den Beklagten besteht daher eine Pflicht zur gesteigerten Ausnutzung seiner Arbeitskraft; er ist verpflichtet, alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen. Ihm werden deshalb über das normale Maß hinaus gehende zusätzliche Anstrengungen zugemutet. Bei jüngeren Erwerbstätigen führt dies dazu, dass sie neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit notfalls Überstunden leisten oder Nebenbeschäftigungen aufnehmen müssen. Hieraus folgt, dass auch der Beklagte nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu zusätzlichen, über das normale Maß hinausgehenden Anstrengungen verpflichtet ist, soweit sie ihm möglich sind, jedenfalls solange der Unterhalt seiner Kinder nicht einmal in Höhe des Regelunterhalts gesichert ist. Mit dieser Rechtsauffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des 9. Senats vom 21.02.2001 - 9 UF 396/00 -, da der dortige Beklagte bereits 76 Jahre alt, mithin mehr als 10 Jahre älter als der Beklagte des vorliegenden Verfahrens, war, worauf der 9. Senat in seiner Entscheidung auch ausdrücklich hingewiesen hat ("In seinem Alter, welches das Ruhestandsalter, das üblicherweise 65 Jahre beträgt, jedenfalls - wie hier - bei weitem überschreitet, kann von dem Beklagten die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit nicht mehr erwartet werden"). Für Rentner im Alter des Beklagten, die wie dieser aufgrund ihrer geringen steuerpflichtigen Einkünfte - versteuert wird nur der Ertragsanteil der Rente - der Einkommenssteuerpflicht nicht unterliegen, werden dagegen - wie allgemein bekannt sein dürfte - Tätigkeiten im Bereich der geringfügigen Beschäftigung immer wieder angeboten und von diesen zur Aufbesserung der eigenen Renteneinkünfte auch angenommen. Schon hieraus folgt, dass eine entsprechende Tätigkeit für Rentner nicht gänzlich unüblich und damit für den Beklagten nicht grundsätzlich unzumutbar ist.

Die aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielbaren und vom Beklagten ab 17.09.2002 tatsächlich auch aus einer ab diesem Zeitpunkt aufgenommenen Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte in Höhe von bis zu 325,- € werden weder auf die Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 96 a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) noch auf die Altersrente angerechnet. Dass er zu einer Erwerbstätigkeit in diesem Umfang aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, hat der Beklagte nicht hinreichend nachvollziehbar dargetan. Nach dem von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht des Radiologen Dr. B.... vom 03.09.2002 liegt ein (Alters-)Lungenemphysem vor bei ansonsten altersentsprechendem unauffälligem Herz- und Lungenbefund. Insbesondere konnten keine Pneumonie und keine Peribronchitis nachgewiesen werden. Offensichtlich sind die hieraus folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beklagten auch eher untergeordneter Natur, da nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung in den letzten 6 Wochen kein Arztbesuch stattgefunden hat und auch für die Zeit davor besondere Krankheitsvorkommnisse und/oder die Notwendigkeit häufiger Arztbesuche nicht geschildert werden. Der Senat geht deshalb davon aus, dass der Beklagte, der bereits mit anwaltlichem Schreiben vom 05.02.2002 zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe des Regelbetrags aufgefordert worden war, von Beginn des hier maßgeblichen Unterhaltszeitraum (16.04.2002) an verpflichtet und in der Lage war, einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen und hieraus ein Einkommen in Höhe von monatlich 325,- € zu erzielen.

Höheres Erwerbseinkommen - für die Zeit ab Bezug der Regelaltersrente - kann demgegenüber im Hinblick auf das Alter des Beklagten nicht unterstellt werden, da dies auch nach der Auffassung des Senats die Erwerbsobliegenheit nach Erreichen des regulären Ruhestandsalters - er ist am 20.04.2002 65 Jahre alt geworden - übersteigen würde.

Eine Erhöhung des Selbstbehalts wegen der vom Beklagten zu zahlenden Miete (Miete 300 €, Wassergeld 15,- €, Heizung 50,- €, Strom 32,- €, insgesamt 397,- €; im Selbstbehalt ist demgegenüber nur ein Betrag von 360,- € für die Warmmiete enthalten) kommt nicht in Betracht, da der Beklagte angesichts seiner engen finanziellen Verhältnisse und der gegenüber den Klägern bestehenden gesteigerten Unterhaltsobliegenheit verpflichtet gewesen wäre, eine preisgünstigere kleinere Wohnung - die jetzige Wohnung hat nach seinen Angaben eine Wohnfläche von rund 70 m² - zu suchen.

Auf dieser Grundlage ist wie folgt zu rechnen:

26.04. bis 30.06.2002

Renteneinkommen 723,37 € fiktives Arbeitseinkommen 325,00 € abzüglich pauschale berufsbedingte Aufwendungen 16,25 € 308,75 € insgesamt rund 1.032,00 € nach Abzug des dem Beklagten zu belassenden Selbstbehalts, den der Senat aufgrund der unterstellten geringfügigen Tätigkeit maßvoll erhöht auf 750,00 € stehen zur Erfüllung der Ansprüche der Kläger insgesamt zur Verfügung 282,00 €

Da der Mindestunterhalt nach der vom Senat in ständiger Rechtsprechung als Orientierungshilfe herangezogenen Düsseldorfer Tabelle für den 12 Jahre alten Kläger zu 1. 269,- € und für den 9 Jahre alten Kläger zu 2. 228,- € beträgt, entfallen von den zur Verfügung stehenden 282,- € rund 54 % = 152,- € auf den Kläger zu 1. und rund 46 % = 130,- € auf den Kläger zu 2.

Ab 01.07.2002 Renteneinkommen jetzt 736,57 € Erwerbseinkommen (unverändert) 308,75 € insgesamt rund 1.045,00 € abzüglich Selbstbehalt (wie zuvor) 750,00 € bleiben 295,00 €

Hiervon entfallen auf den Kläger zu 1. 159,00 € und auf den Kläger zu 2. 136,00 €

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB.

Die Kostenentscheidung für die Berufungsinstanz folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.964,- € (Kläger zu 1. 3.228,- €, Kläger zu 2. 2.736,- €) festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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