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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 02.09.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 184/03
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 318
StPO § 264 I
StGB § 170 I
Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn es für die abgeurteilten Zeiträume einer Unterhaltspflichtverletzung an einer Anklage fehlt bzw. die erhobene Anklage diese Zeiträume nicht mehr umfasst. Voraussetzung einer Verurteilung wegen der Dauerstraftat der Unterhaltspflichtverletzung nach § 170 StGB ist, dass mindestens eine Einzelhandlung bereits im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses begangen war.
Geschäftsnummer: 2 Ss 184/03 8006 Js 1390/01 - 3 Ds - 6 Ns - StA Trier

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafsache

wegen Verletzung der Unterhaltspflicht hier: Revision des Angeklagten

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid, den Richter am Oberlandesgericht Pott und den Richter am Landgericht Metzger

am 2. September 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Trier vom 2. April 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Trier zurückverwiesen.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Trier erhob gegen den Beschwerdeführer unter dem 17. September 2001 Anklage wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zum Nachteil seines Kindes M. Sch. in der Zeit ab Dezember 2000. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2001 ließ der Strafrichter des Amtsgerichts Wittlich die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Am 8. Januar 2003 verurteilte er den Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten. Als Tatzeitraum sah er die Zeit vom 11. September 2002 bis zur Hauptverhandlung an. Für den davor liegenden Zeitraum seit Dezember 2000 hielt er ausreichende Zahlungsfähigkeit nicht für nachweisbar. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Berufung ein, die er in der Berufungshauptverhandlung vor der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Trier mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Das Landgericht hat die Beschränkung der Berufung als zulässig angesehen, demzufolge eigene Feststellungen zum Schuldspruch nicht getroffen und das Rechtsmittel am 2. April 2003 als unbegründet verworfen. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger Revision eingelegt und diese mit der allgemeinen Sachrüge begründet.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Das Landgericht hat - was schon auf die bloße Sachrüge hin durch das Revisionsgericht von Amts wegen nachzuprüfen ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage § 318 Rdn. 33; OLG Hamm in NJW 1973, 382) - die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu Unrecht für wirksam gehalten und deshalb rechtsfehlerhaft keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des Amtsgerichts hätte der Angeklagte nicht wegen Unterhaltspflichtverletzung ab dem 11. September 2002 schuldig gesprochen werden dürfen, da dieser Zeitraum nicht von der Anklage vom 17. September 2001 erfasst war. Demzufolge war die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 17; BayObLGSt 1994, 98). Voraussetzung einer Verurteilung wegen der Dauerstraftat der Unterhaltspflichtverletzung nach § 170 StGB ist, dass mindestens eine Einzelhandlung bereits im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses begangen war. Bei der Verurteilung allein wegen einer zeitlich erst später beginnenden strafbaren Handlung liegt prozessual nicht mehr derselbe geschichtliche Vorgang i.S.d. § 264 StPO vor, wie er Gegenstand der Anklage ist (vgl. OLG Hamburg in NJW 1962, 2119; Meyer-Goßner, a.a.O., § 264 Rdn. 9; so für den vergleichbaren Fall der fortgesetzten Handlung auch BGHSt 27, 115). Da das Amtsgericht das Hauptverfahren am 30. Oktober 2001 eröffnet, als Tatzeitraum jedoch ausschließlich erst die Zeit ab dem 11. September 2002 angenommen hatte, hätte es für einen Schuldspruch hinsichtlich der nach dem Eröffnungsbeschluss liegenden Handlungen einer Nachtragsanklage bedurft, die indes nicht erhoben worden ist (vgl. BGHSt 27, 115, 117). Dass auch bei Vorliegen einer Beschränkungserklärung etwaige Verfahrenshindernisse bzw. fehlende Prozessvoraussetzungen zu berücksichtigen sind, entspricht allgemeiner Auffassung (vgl. Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 318 Rdn. 39; BayObLG in VRS 25, 448, 449 und in VRS 68, 454).

Da das Landgericht mithin rechtsfehlerhaft eigene Feststellungen zur Schuldfrage nicht getroffen und sich nur mit der Straffrage befasst hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben (vgl. OLG Hamm in NJW 1971, 771 und NJW 1973, 381, 382) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Für die neuerliche Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Sollte auch die Strafkammer wie zuvor das Amtsgericht Feststellungen zu einer Unterhaltspflichtverletzung des Angeklagten vor dem Datum des Eröffnungsbeschlusses nicht treffen können, wäre der Angeklagte hinsichtlich dieses Zeitraums freizusprechen. Hinsichtlich der vom Amtsgericht abgeurteilten Handlungen nach dem Eröffnungsbeschluss wäre das Verfahren - bei Zugrundelegung der Anklageschrift vom 17. September 2001 - wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Dies würde nur dann nicht gelten, wenn sich Feststellungen dazu treffen ließen, dass mindestens ein Einzelakt einer Unterhaltspflichtverletzung bereits im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses begangen worden wäre (vgl. OLG Hamburg, a.a.O.; BGHSt 27, 115). Zu dem hierfür bedeutsamen Verhältnis mehrerer Tathandlungen i.S.d. § 170 StGB zueinander ist anzumerken, dass es sich bei der Unterhaltspflichtverletzung zum Nachteil desselben Berechtigten bei entsprechendem Vorsatz in der Regel um eine Dauerstraftat handelt, die mit der Gefährdung beginnt und mit dieser oder damit endet, dass aus anderen Gründen wie etwa dem Wegfall der Leistungsfähigkeit ein tatbestandsmäßiges Handeln nicht mehr vorliegt. Dies gilt auch bei einer späteren Fortsetzung der Unterhaltspflichtverletzung nach wiedererlangter Leistungsfähigkeit, und zwar selbst bei Vorliegen eines einheitlichen Vorsatzes, da auch eine Dauerstraftat unterbrochen wird, wenn zeitweilig der objektive Tatbestand nicht vorliegt (vgl. Lenckner in Schönke-Schröder StGB, 26. Auflage, § 170 Rdn. 36 m.w.N.).

Von einer Entscheidung in der Sache selbst nach § 354 Abs. 1 StPO hat der Senat abgesehen, da nicht auszuschließen ist, dass sich bei einer künftigen Beweisaufnahme weitere den Angeklagten im Sinne des Tatvorwurfs belastende Feststellungen treffen lassen. Nach dem amtsgerichtlichen Urteil war der Angeklagte "zumindest" seit dem 11. September 2002 zahlungsfähig. Soweit er auch in davor liegender Zeit in Arbeit gestanden hatte, erscheinen die Ausführungen des Amtsgerichts zur Verneinung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit indes lückenhaft. So hat das Amtsgericht zwar festgestellt, dass der Angeklagte Anfang Juli 2001 bei einer S.-Firma in T. gearbeitet und daraus noch Lohnansprüche von insgesamt 9.800 DM habe (S. 5 UA). Die Einlassung des Angeklagten, diese hätten wegen angeblicher Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht realisiert werden können, hat es aber - jedenfalls den Urteilsgründen nach - ohne nähere Überprüfung hingenommen. Soweit das Amtsgericht des Weiteren festgestellt hat, dass der Angeklagte am 14.6.2002 eine Forderungsaufstellung an die Firma S. G. T. über 3.750 DM vorgelegt habe, deren Realisierung "bislang ausgeblieben" sei (S. 6 UA), werden weder der Zeitpunkt der Entstehung der Forderung noch die Gründe für die unterbliebene Realisierung mitgeteilt. Zwar führt das Amtsgericht an anderer Stelle (S. 7 UA) aus, dem Angeklagten könne nicht "widerlegt werden", dass diese Lohnforderung "tatsächlich besteht bzw. realisiert werden kann". Ob und welche Beweise hierzu erhoben worden sind, lässt sich dem Urteil indes nicht entnehmen. Zu Gunsten des Angeklagten hat der Strafrichter schließlich angenommen, dass die Einlassung, Lohnansprüche aus der Tätigkeit bei dem Zeugen Sch. aus den Monaten September 2000 bis Mai 2001 seien wegen Zahlungsunfähigkeit des Zeugen nicht zu realisieren gewesen, nicht widerlegt werden könne (S. 7 UA). Auch an dieser Stelle lässt das Urteil jedoch offen, ob und welche Beweise speziell zu der von dem Angeklagten behaupteten Zahlungsunfähigkeit erhoben worden sind.

Wenngleich das amtsgerichtliche Urteil nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, sind die aufgezeigten Lücken Anhalt dafür, dass weitere Feststellungen nicht ausgeschlossen erscheinen, so dass sich der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert gesehen hat.

Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

Ende der Entscheidung

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