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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 01.09.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 208/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 I
Hat der Angeklagte sein Erscheinen zum Termin zuvor ausdrücklich angekündigt, kann es die Fürsorgepflicht gebieten, bis zum Erlass eines Urteils nach § 329 I StPO länger als die übliche Wartefrist wie 15 Minuten zuzuwarten.
Geschäftsnummer: 2 Ss 208/03 2090 Js 30867/00 - 27 Ls 124/01 - 7 Ns - StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafsache

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln hier: Revision des Angeklagten

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid, den Richter am Oberlandesgericht Pott und den Richter am Landgericht Metzger

am 1. September 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 7. Januar 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Koblenz verurteilte den Angeklagten am 1. Oktober 2002 unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die Berufung des Angeklagten hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz mit Urteil vom 7. Januar 2003 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen, da er dem auf diesen Tag für 11.00 Uhr anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung unentschuldigt fern geblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Die hierfür von der Strafkammer gegebene Begründung lautet wie folgt:

"Zwar hat der Verteidiger in der Hauptverhandlung erklärt, am Morgen des Terminstages gegen 10.30 Uhr habe der Angeklagte in seinem Büro angerufen und ihm ausrichten lassen, sein Flugzeug aus R. habe Verspätung gehabt; er befinde sich derzeit auf dem Weg vom F. Flughafen nach K. und werde um 12.00 Uhr bei Gericht erscheinen. Dieser Entschuldigung trifft nicht zu. Die Kammer hat die Hauptverhandlung von 11.15 Uhr bis 12.04 Uhr unterbrochen. Gleichwohl war der Angeklagte auch um 12.04 Uhr nicht erschienen. Sodann hat die Kammer die Hauptverhandlung nochmals unterbrochen bis 12.15 Uhr. Auch zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte nicht erschienen. Daraufhin hat die Vorsitzende den Verteidiger erneut dazu befragt, ob ihm die Gründe für das Fernbleiben des Angeklagten bekannt seien, nachdem sich der vorgebrachte Entschuldigungsgrund als offensichtlich unzutreffend erwiesen habe. Der Verteidiger verneinte die Frage und erklärte, dass er von dem Angeklagten keine weitere Nachricht erhalten habe.

Da weitere Entschuldigungsgründe für das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung weder vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, noch sonst ersichtlich sind, war die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO zu verwerfen."

Gegen das Urteil hat der Angeklagte sowohl auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen sein Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung angetragen als auch Revision eingelegt. Die Wiedereinsetzung ist zwischenzeitlich rechtskräftig versagt worden.

Indes hat die Revision einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Denn unter den festgestellten Umständen hätte die Strafkammer auch um 12.15 Uhr noch nicht von einem unentschuldigten Fernbleiben des Angeklagten ausgehen und die Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO verwerfen dürfen. Erscheint ein Angeklagter in der Berufungshauptverhandlung zur festgesetzten Terminsstunde nicht, besteht eine Rechtspflicht des Gerichts, mit dem Beginn der Verhandlung zunächst eine gewisse Zeit zuzuwarten (vgl. OLG Koblenz in VRS 45, 455, 456). Zwar reichen hierfür im Regelfall etwa 15 Minuten, von der angesetzten Terminszeit an gerechnet, aus (vgl. Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 329 Rdn. 4). Nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens sowie der hieraus abzuleitenden Fürsorgepflicht kann ein noch längeres Zuwarten jedoch dann geboten sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Angeklagte erst nach Ablauf der genannten Zeitspanne noch erscheinen wird (vgl. Gössel a.a.O.; Beschluss des Senats vom 15. Mai 1997 - 2 Ss 139/97 -; BayObLG in VRS 60, 304).

So lag der Fall hier. Anders als bei einem Ausbleiben ohne jegliche Angabe von Gründen hatte der Angeklagte hier durch seinen Anruf zu erkennen gegeben, dass er sich bereits auf dem Wege zum Gerichtsort befand und damit im Begriff war, der Ladung Folge zu leisten. Zwar hatte er mitteilen lassen, um 12.00 Uhr bei Gericht zu erscheinen, was tatsächlich nicht geschah. Jedoch hätte die Strafkammer die als allgemein-kundig anzusehende Tatsache mitberücksichtigen müssen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 329 Rdn. 18), dass es auf den viel genutzten Verkehrswegen zwischen dem F. Flughafen und K., sei es auf der Straße oder sei es auf dem Schienenwege, zu nicht gänzlich unbedeutenden weiteren zeitlichen Verzögerungen kommen konnte. Angesichts dieser Umstände hätte sie über die eingehaltene Wartezeit hinaus noch länger zuwarten müssen, bis sie die Berufung wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 329 Abs. 1 StPO verwerfen durfte (vgl. OLG Hamm in VRS 54, 450, 451). Der von ihr gezogene Schluss, der vorgebrachte Entschuldigungsgrund habe sich als offensichtlich unzutreffend erwiesen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat nicht zu erkennen gegeben, dass sie bei ihrer Schlussfolgerung die oben dargelegte, nahe liegende Möglichkeit zusätzlicher zeitlicher Fahrtverzögerungen in ihre Überlegungen mit einbezogen hat. Auch der Umstand, dass der Verteidiger des Angeklagten bis 12.15 Uhr von diesem keine weitere Nachricht erhalten hatte, ließ keinen hinreichenden Schluss auf die Unrichtigkeit des geltend gemachten Entschuldigungsgrundes zu. Die Urteilsgründe lassen insoweit offen, ob dem Angeklagten eine weitere Kontaktaufnahme zu seinem Verteidiger während der Fahrt überhaupt möglich gewesen wäre.

Mit ihrer Entscheidung, nicht über 12.15 Uhr hinaus auf das ausdrücklich angekündigte Erscheinen des Angeklagten zu warten, hat die Strafkammer somit ihre ihm gegenüber bestehende Fürsorgepflicht verletzt. Auf diesem Fehler beruht das Urteil.

Gemäß § 354 Abs. 2 StPO hat der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

Ende der Entscheidung

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