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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 30.10.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 226/03
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 74 II
Das Amtsgericht darf eine zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung von dem Betroffenen vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht pauschal allein deshalb als zur Entschuldigung nicht ausreichend werten, weil diese nur etwas über seine Arbeitsfähigkeit, nicht aber über Reise- und/oder Verhandlungsfähigkeit aussage. Denn zur Entschuldigung reichen auch solche krankheitsbedingten Beeinträchtigungen aus, die die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zumutbar erscheinen lassen. Ggf. hat der Tatrichter im Rahmen seiner Aufklärungspflicht von Amts wegen eigene Nachforschungen, etwa durch Nachfrage bei dem behandelnden Arzt, anzustellen.
Geschäftsnummer: 2 Ss 226/03 8012 Js 2279/03.4 OWi - StA Trier

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

wegen Ordnungswidrigkeit nach der Straßenverkehrsordnung

hat der 2. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid sowie die Richter am Oberlandesgericht Pott und Mertens

am 30. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Daun vom 23. Mai 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Daun zurückverwiesen.

Gründe:

Mit Bußgeldbescheid vom 10. September 2002 verhängte die Kreisverwaltung Daun gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit beim Führen eines Kraftfahrzeugs eine Geldbuße in Höhe von 50 € sowie ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats. Gegen den ihm am 17. September 2002 zugestellten Bescheid legte der Betroffene mit am 27. September 2002 bei der Verwaltungsbehörde eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers Einspruch ein. Mit Urteil vom 23. Mai 2003 hat das Amtsgericht Daun den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem der Betroffene in der auf diesen Tag anberaumten Hauptverhandlung ausgeblieben war. Die nicht genügende Entschuldigung des Betroffenen für sein Ausbleiben hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

"Der Einspruch des Betroffenen war gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen, da er dem Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben ist. Die Übermittlung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht geeignet, das Fernbleiben hinreichend zu entschuldigen, das sie - abgesehen davon, dass die Fax-Übermittlung nicht lesbar ist - nichts darüber besagt, ob der Betroffene zur Wahrnehmung des Termins in der Lage ist oder nicht. Hierzu hätte es der Vorlage eines aussagekräftigen Attestes bedurft, aus dem hervorgeht, dass der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen entweder nicht in der Lage ist, zum Termin anzureisen oder der Hauptverhandlung zu folgen."

Gegen das am 18. Juni 2003 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit am 25. Juni 2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er das Bestehen eines Verfahrenshindernisses sowie die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht.

Das in zulässigerweise angebrachte Rechtsmittel ist in der Sache - entgegen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft - offensichtlich begründet.

Nicht durchzudringen vermag der Betroffene mit der Geltendmachung der Verjährung nach § 26 Abs. 3 StVG. Zwar lagen zwischen der Tat am 29. März 2002 und dem Bußgeldbescheid vom 10. September 2002 mehr als drei Monate. Die Verjährung war jedoch gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG mit der Anordnung der Anhörung des Betroffenen am 18. Juni 2002 unterbrochen worden (vgl. Göhler, OWiG, 13. Auflage, § 33 Rdn. 6 b).

Erfolg hat indes die der Form der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügende Rüge des Verstoßes gegen § 74 Abs. 2 OWiG, mit der der Beschwerdeführer die Verkennung des Begriffs der genügenden Entschuldigung und die Verletzung der tatrichterlichen Aufklärungspflicht geltend macht. Von grundlegender Bedeutung für den Umfang der Aufklärungspflicht ist der Umstand, dass es nicht entscheidend ist, ob sich ein Betroffener genügend entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist. Werden dem Gericht bestimmte nicht von Anfang an offensichtlich ungeeignete Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung bekannt, hat es deshalb die Pflicht, diesen im Rahmen der Amtsaufklärung nachzugehen (vgl. Göhler, a.a.O., § 74 Rdn. 31). Derartige Hinweise ergaben sich hier aus der am 22. Mai 2003 per Telefax übermittelten und dem Tatrichter am 23. Mai 2003 noch vor Verhandlungsbeginn bekannt gewordenen Erklärung des Betroffenen, an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen zu können, da er arbeitsunfähig erkrankt sei, wozu er sich zur Glaubhaftmachung auf eine mitgefaxte (allerdings nicht lesbare) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines behandelnden Arztes bezog. Dieses Vorbringen durfte das Amtsgericht nicht pauschal allein deshalb als zur Entschuldigung nicht ausreichend werten, weil der Betroffene nur eine - zudem nicht lesbare - Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe, die lediglich etwas über seine Arbeitsfähigkeit, nicht aber über Reise- oder Verhandlungsfähigkeit aussage. Das Vorliegen von Reise- oder/und Verhandlungsunfähigkeit ist nicht zwingende Voraussetzung einer genügenden Entschuldigung für das Ausbleiben im Hauptverhandlungstermin. Vielmehr reichen krankheitsbedingte Beeinträchtigungen, die eine Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zumutbar erscheinen lassen, aus (vgl. OLG Köln in VRS 83, 444, 446). Unter diesem Gesichtspunkt ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Darstellung eines Entschuldigungsgrundes nicht von vorn herein ungeeignet. Sie lässt zumindest erkennen, dass der ausstellende Arzt den Betroffenen für so krank hält, dass er nicht arbeiten kann. Wenn der Tatrichter meint, dass dem Betroffenen trotz Arbeitsunfähigkeit das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar sei, hat er von Amts wegen zu erforschen und in den Urteilsgründen darzulegen, warum er die Auswirkungen der Krankheit für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegenstehen. Der bloße Verdacht, eine als Entschuldigung ausreichende Krankheit liege nicht vor, rechtfertigt die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nicht (vgl. OLG Köln, a.a.O.; Beschluss des Senats vom 28. April 1998 - 2 Ss 108/98 -).

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hätte das Amtsgericht nicht ohne weitere Aufklärung vom Fehlen eines hinreichenden Entschuldigungsgrundes ausgehen dürfen. Vielmehr hätte es den Betroffenen oder den Verteidiger sowohl auf die Unlesbarkeit der übermittelten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als auch insbesondere auf die von ihm angenommene grundsätzliche Ungeeignetheit hinweisen und auf die unverzügliche Übermittlung eines aussagekräftigen Attestes hinwirken müssen. Notfalls hätte es sich mit dem durch eine Anfrage bei dem Betroffenen oder dem Verteidiger festzustellenden Arzt auch telefonisch selbst in Verbindung setzen und sich so eine verlässliche Vorstellung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Entschuldigungsgrundes verschaffen können (vgl. OLG Köln a.a.O.); die hierzu notwendige Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht erklärt der sich auf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines Arztes berufende Betroffene in der Regel schon mit der Vorlage der Bescheinigung bei Gericht konkludent (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 329 Rdn. 19).

Der Senat verkennt nicht, dass sich das Amtsgericht bei seinen Aufklärungsbemühungen auf die Verwendung solcher Beweismittel beschränken darf, deren Benutzung nicht so zeitraubend ist, dass durch sie eine nicht unerhebliche Verzögerung einträte und damit der mit § 74 Abs. 2 OWiG verfolgte Zweck am Ende verfehlt würde. Das Gericht hat deshalb auch nur solche Ermittlungen anzustellen, die zu einer lediglich geringfügigen Verzögerung der Entscheidung führen, nicht aber solche, die im Ergebnis eine gerade zu vermeidende Aussetzung der Hauptverhandlung bewirken würden (vgl. OLG Oldenburg in VRS 88, 295; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 20). Im vorliegenden Fall hätte es zur Abklärung des Krankheitsbildes aber vermutlich nur kurzer Telefongespräche mit dem Verteidiger oder dem Betroffenen und dem dabei festzustellenden behandelnden Arzt bedurft. Hierzu hätte angesichts der Aushändigung der per Telefax übermittelten Entschuldigung des Betroffenen am zeitigen Vormittag des 23. Mai 2003 und der erst auf 11.00 Uhr desselben Tages festgesetzten Terminsstunde auch ausreichend Gelegenheit bestanden.

Auf den aufgezeigten Versäumnissen beruht das Urteil. Denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei weiterer Abklärung des Sachverhalts Umstände festgestellt hätte, die auch nach seiner Auffassung das Ausbleiben des Betroffenen genügend entschuldigt hätten.

Das angefochtene Urteil war danach schon wegen Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht aufzuheben (vgl. BGHSt 28, 384, 386). Eines Eingehens auf das weitere Rechtsbeschwerdevorbringen bedurfte es deshalb nicht.

Gemäß § 76 Abs. 6 OWiG hat der Senat die Sache zu neuer Entscheidung an den Vorrichter zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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