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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 28.10.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 272/03
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 46 I
StPO § 261
Die für das Urteil maßgebenden Feststellungen müssen von der persönlichen Überzeugung des Tatrichters von ihrer Richtigkeit getragen werden. Die Verpflichtung zum eigenen Urteil verletzt er dadurch, dass er seiner Entscheidung nicht die von ihm selbst in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen zugrunde legt, sondern die Auffassung anderer Personen oder Stellen ungeprüft übernimmt (hier: Wörtliche Übernahme früherer Entscheidungsgründe).
Geschäftsnummer: 2 Ss 272/03 2040 Js 40532/02 - 9 OWi - StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

wegen Ordnungswidrigkeit nach der Straßenverkehrsordnung hier: Rechtsbeschwerde des Betroffenen

hat der 2. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid, den Richter am Oberlandesgericht Pott und den Richter am Landgericht Metzger

am 28. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Sinzig vom 10. Juni 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Sinzig zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Sinzig verurteilte den Betroffenen am 1. Oktober 2002 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit beim Führen eines Kraftfahrzeugs zu einer Geldbuße in Höhe von 100 €. Des Weiteren verhängte es gegen ihn ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats. Das zunächst nicht mit Gründen versehene Urteil wurde dem Verteidiger zugestellt und auf dessen Rechtsbeschwerde hin von der seinerzeit mit der Sache befassten Richterin nachträglich begründet. Da die Voraussetzungen, unter denen das Amtsgericht gemäß § 77 b OWiG von der schriftlichen Begründung hätte absehen können, nicht vorgelegen hatten und die nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe unzulässig gewesen war, hob der Senat die Entscheidung am 4. Februar 2003 auf und verwies die Sache an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurück. Mit Urteil vom 10. Juni 2003 hat der nach einer Änderung der Geschäftsverteilung nunmehr für die Sache zuständige Richter den Betroffenen ebenfalls wegen fahrlässig begangener Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100 € verurteilt und ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats verhängt. Gegen diese Entscheidung hat der Verteidiger Rechtsbeschwerde eingelegt, die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt und insbesondere geltend gemacht, der neue Tatrichter habe seinem Urteil keine eigenen Feststellungen zugrunde gelegt.

Die in zulässiger Weise angebrachte Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Die Rüge, der Tatrichter habe seiner Entscheidung keine eigenen, in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen zugrunde gelegt, sondern letztlich nur die seinerzeit zu dem Urteil vom 1. Oktober 2002 nachgereichte Begründung übernommen, greift durch. Aus den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 261 StPO, wonach über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung entscheidet, folgt, dass die für das Urteil maßgebenden tatsächlichen Feststellungen als Ergebnis einer in sich schlüssigen, nachvollziehbaren logischen Würdigung aller für und gegen sie sprechenden Umstände von der vollen eigenen persönlichen Überzeugung des Richters von ihrer Richtigkeit getragen werden müssen. Diese Überzeugung darf der Richter nur aus dem Inhalt der Hauptverhandlung, nicht aber aus anderen Erkenntnisquellen schöpfen. Die Verpflichtung zum eigenen Urteil verletzt er dadurch, dass er seiner Entscheidung nicht die von ihm selbst in der Hauptverhandlung festgestellten und für erwiesen erachteten Tatsachen zugrunde legt, sondern die Auffassung anderer Personen oder Stellen ungeprüft übernimmt und so der ihm auferlegten Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Entscheidung nicht nachkommt (vgl. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 261 Rdnr. 1, 3, 4, 29 und 184).

Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen nicht erkennen, dass der Tatrichter diesen Anforderungen nachgekommen wäre. Wie die Verteidigung zutreffend hervorhebt, stimmt das Urteil vom 10. Juni 2003 - mit Ausnahme des Kostenausspruchs - wortwörtlich ohne jegliche Abänderung oder Ergänzung und einschließlich sprachlicher Unebenheiten mit den nachgeschobenen Gründen des vorausgegangenen Urteils vom 1. Oktober 2002 überein. Der schon allein dadurch hervorgerufene Eindruck, der Richter habe lediglich die von seiner Amtsvorgängerin gegebene Begründung ohne eigene Überprüfung in der Hauptverhandlung übernommen, verstärkt sich noch dadurch, dass das Urteil - worauf die Verteidigung ebenfalls hinweist - sich in keiner Weise mit den sich aus dem weiteren Zeitablauf für die Verhängung eines Fahrverbots möglicherweise ergebenden Konsequenzen auseinandersetzt, obgleich die Verteidigung hierzu in ihrer - dem Senat im Freibeweisverfahren zugänglichen - Eingabe vom 4. April 2003 vorgetragen und gegen Erhöhung der Geldbuße das Absehen von einem Fahrverbot beantragt hatte (Bl. 92 f d.A.). Laut Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 2003 wurde dieser Schriftsatz nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, sondern ausschließlich die schon am 1. Oktober 2002 zum Gegenstand gemachten Aktenbestandteile. Am Rande fällt ferner ins Auge, dass der Tatrichter seiner Entscheidung - wie seine Vorgängerin - noch die Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes vom 30. August 2002 zugrunde gelegt und nicht etwa eine aktuellere Auskunft neueren Datums beigezogen hat. Beinahe symptomatisch mutet schließlich an, dass dem Verteidiger am 24. Juni 2003 anstatt einer Ausfertigung des Urteils vom 10. Juni 2003 - wenn auch irrtümlich - zunächst eine solche des Urteils vom 1. Oktober 2002 zugestellt wurde.

Wegen Verletzung der sich aus den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 261 StPO ergebenden Pflicht zur eigenen Entscheidung war das angefochtene Urteil - dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend - aufzuheben (vgl. Gollwitzer, a.a.0., Rdnr. 184). Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG hat der Senat die Sache zu neuer Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Sinzig zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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