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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 06.02.2001
Aktenzeichen: 2 Ss 316/00
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 66
Leitsatz:

Mängel des Bußgeldbescheids stellen solange kein Verfahrenshindernis dar, als der Betroffene erkennen kann, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll und eine Verwechslungsgefahr mit ähnlich gelagerten Sachverhalten nicht besteht.


Geschäftsnummer: 2 Ss 316/00 1007 Js 5777/00 B - 4 OWi - StA Bad Kreuznach

In der Bußgeldsache

gegen

K. A. N.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt U. -

wegen Führens eines Kraftfahrzeugs mit 0,8 Promille

hat der 2. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Vonnahme sowie die Richter am Oberlandesgericht Pott und Henrich

am 6. Februar 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 16. Oktober 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Bad Kreuznach zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Bad Kreuznach hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 16. Oktober 2000 wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 Promille (§ 24 a Abs. 1 Nr. 1 StVG) eine Geldbuße von 500 DM verhängt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Die Dauer der Sicherstellung des Führerscheins in der Zeit vom 8. bis zum 13. Januar 2000 hat es auf das Fahrverbot angerechnet.

Nach den Urteilsfeststellungen setzte sich der Betroffene am 8. Januar 2000 gegen 17.00 Uhr in Sch. nach einer Auseinandersetzung mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau an das Steuer seines PKW und fuhr von dort aus nach Bingen, obgleich er zuvor "in nicht unerheblichem Umfang" Alkohol getrunken hatte. In Bingen nahm er in einer Gaststätte zwei Bier zu je 0,3 l zu sich. Gegen 18.00 Uhr stellte er sich alsdann der Polizei. Die ihm um 19.15 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,05 Promille. Unter Berücksichtigung des Nachtrunks ging das insoweit sachverständig beratene Amtsgericht für den Vorfallzeitpunkt von einer Blutalkoholkonzentration von "zumindest 0,8 Promille" aus. Zur Begründung heißt es in dem Urteil, die Einlassung des Betroffenen, er habe gegen 12.00 Uhr eine Flasche Wein getrunken, sei nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. K., denen sich das Gericht anschließe, widerlegt. Dieser habe dargelegt, dass auch unter Berücksichtigung des Nachtrunks von zwei Bier zu je 0,3 l eine größere Alkoholmenge getrunken worden sein müsse. Erklärbar wäre die für den Entnahmezeitpunkt 19.15 Uhr festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,05 Promille allenfalls dann, wenn der Wein alsbald vor Fahrtantritt konsumiert worden wäre. Letztendlich könne dies jedoch dahinstehen, da zum Zeitpunkt des Fahrtantritts die Blutalkoholkonzentration des Betroffenen bei zumindest 0,8 Promille gelegen habe. Der Betroffene habe selbst eingeräumt, dass er in Bingen angekommen lediglich zwei Bier getrunken habe.

Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts geltend macht. Zur Begründung stützt er sich darauf, dass der Bußgeldbescheid der Kreisverwaltung Bad Kreuznach vom 5. Mai 2000 als Tattag den "23.02.2000" und als Fahrstrecke "von Bockenau nach Bingen" angibt. Da er diese so "zur Verhandlung gestellte" Tat aber nicht begangen habe, sei er "zwingend freizusprechen".

Das in zulässiger Weise angebrachte Rechtsmittel hat in der Sache - wenn auch aus anderen als den von der Verteidigung geltend gemachten Gründen - einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Die von der Verteidigung zutreffend aufgeführten inhaltlichen Mängel des Bußgeldbescheids wären für das Verfahren nur dann von Bedeutung, wenn sie die Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides zur Folge hätten, so dass es an einer Prozessvoraussetzung fehlte und das Verfahren einzustellen wäre (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl., vor § 65 Rdnr. 9 und § 66 Rdnr. 38). Wesentliche Aufgabe des Bußgeldbescheides als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. In sachlicher Hinsicht erfüllt er diese Aufgabe, solange trotz etwaiger fehlerhafter Angaben nach seinem Gesamtinhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann und damit für den Betroffenen hinreichend feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll und gegen welchen Vorwurf er sich zu verteidigen hat (vgl. OLG Düsseldorf in VRS 60, 48; OLG Köln in VRS 62, 57; OLG Hamm in VRS 50, 58; Göhler, a.a.0. § 66 Rdnr. 39; Doller in DRiZ 1981, 201). Zur Klärung der Frage der Abgrenzungsfunktion darf dabei anerkanntermaßen über den Inhalt des Bußgeldbescheides hinaus auch der Akteninhalt mit herangezogen werden (vgl. OLG Hamm in NStZ 1987, 515, 516; OLG Köln, a.a.0.; Göhler, a.a.0., Rdnr. 39 a).

Nach diesen Kriterien stellte der Bußgeldbescheid trotz seiner Mängel noch eine wirksame Verfahrensgrundlage dar. So wurde in ihm ausdrücklich Bezug genommen auf das zur Frage der Blutalkoholkonzentration "gefertigte Gutachten vom 16.03.2000" des Instituts für Rechtsmedizin in Mainz. In diesem bei den Akten befindlichen und dem Senat im Wege des Freibeweises zugänglichen Gutachten ist als "Vorfallszeitpunkt" der "08.01.00, 18.00 Uhr" angegeben. Zu diesem ihm im Rahmen der Akteneinsicht unter dem 31. März 2000 - und damit noch vor Erlass des Bußgeldbescheides - überlassenen Gutachten erklärte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 25. Mai 2000, der Betroffene "unterwirft sich uneingeschränkt" den darin enthaltenen Feststellungen. Die in dem Gutachten gemachten Ausführungen seien "zutreffend". Ferner wurde in dem Bußgeldbescheid die Zeit der vorläufigen Sicherstellung des Führerscheins "mit 6 Tagen" auf das Fahrverbot angerechnet, was der dem Betroffenen bekannten Zeit der Sicherstellung vom 8. bis zum 13. Januar 2000 entsprach. Der Senat hat in Anbetracht dieser Umstände keinen Zweifel daran, dass der Betroffene ungeachtet der fehlerhaften Zeit- und Wegangaben des Bußgeldbescheides über die ihm zur Last gelegte Tat nicht in Unkenntnis war und den offenkundigen Irrtum der Bußgeldbehörde bei Abfassung des Bescheides erkannte. Im Übrigen ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich, dass für ihn eine Verwechslungsgefahr mit einem etwaigen weiteren ähnlich gelagerten Tatvorwurf bestanden haben könnte.

Die von dem Verteidiger für seine Rechtsauffassung angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (abgedruckt in NJW 1970, 961) gibt zu anderer Bewertung keinen Anlass, da ihr nicht zu entnehmen ist, ob und gegebenenfalls welche der Abgrenzbarkeit des Tatvorwurfs dienenden Bezugnahmen oder Verweisungen der jenem Verfahren zugrunde liegende Bußgeldbescheid enthielt.

Hingegen leidet das angefochtene Urteil - wie von der Generalstaatsanwaltschaft votiert - an einer unzulänglichen Begründung der angenommenen Blutalkoholkonzentration von 0,8 Promille zum Zeitpunkt der Fahrt. Zwar hat der Tatrichter sich - wie in Fällen der Berücksichtigung eines Nachtrunks in der Regel geboten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 316 Rdnr. 8 e; OLG Koblenz in VRS 55, 130, 131) - zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration der Hilfe eines Sachverständigen bedient und sich dessen "überzeugenden Ausführungen" angeschlossen. Indes fehlt dem Urteil eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung (vgl. BGH in BGHR StPO, § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 2 und bei Pfeiffer/Miebach in NStZ 1985, 206, 207; OLG Hamm in BA 1978, 379, 380; OLG Köln in BA 1984, 368, 369). Der Senat vermag deshalb nicht nachzuprüfen, ob die von dem Sachverständigen vorgenommene Berechnungsweise, insbesondere bei der Berücksichtigung des festgestellten Nachtrunks, den von der Rechtsprechung dazu aufgestellten Grundsätzen (vgl. dazu OLG Köln a.a.0., 370 und in VRS 67, 459, 460, 461 sowie in VRS 66, 352, 353; Tröndle/Fischer, a.a.0.; König in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 316 Rdnr. 88) entsprach.

Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des Urteils. Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG hat der Senat die Sache an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Bad Kreuznach zurückverwiesen.

Für den Fall, dass das Amtsgericht erneut ein Fahrverbot gegen den Betroffenen verhängen sollte, wird es zu prüfen haben, ob für dessen Wirksamwerden die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 a StVG gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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