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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 11.06.2001
Aktenzeichen: 2 Ss 44/01
Rechtsgebiete: StGB, StVO, StVG, OWiG


Vorschriften:

StGB § 240
StGB § 240 I
StGB § 240 II
StVO § 1
StVO § 1 II
StVG § 26
StVG § 26 III
OWiG § 31
OWiG § 31 I
OWiG § 31 III
OWiG § 33
OWiG § 33 I
OWiG § 33 III
Leitsatz:

Ein Fahrradfahrer, der sich an einer Rotlicht zeigenden Ampel vor einen dort anhaltenden PKW stellt und nach dem Umschalten der Ampel auf Grün das Überholen des PKWŽs dadurch verhindert, dass er für die Dauer von etwa 1 Minute absichtlich extrem langsam vor dem PKW herfährt, übt zwar - auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des BverfG in NJW 95, 1141 - eine dem Gewaltbegriff des § 240 Abs. 1 StGB unterfallende nötigende Gewalt (psychische und physische) aus, begeht aber gleichwohl wegen der nur kurzen Dauer und der geringen Intensität der Behinderung des PKW-Fahrers sowie wegen fehlender Verwerflichkeit i.S. des § 240 Abs. 2 StGB (noch) keine tatbestandliche Nötigung. Die Behinderung erfüllt (nur) den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 2 StVO, die von dem Tatgericht mit einer Geldbuße geahndet werden kann, wenn noch keine Verfolgungsverjährung (§§ 31 OWiG, 26 Abs. 3 StVG) eingetreten ist.


2 Ss 44/01 2040 Js 15592/00 -Cs - StA Koblenz

In der Strafsache

wegen Nötigung

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Vonnahme sowie die Richter am Oberlandesgericht Mertens und Henrich am 11. Juni 2001 einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Strafrichters bei dem Amtsgericht Betzdorf vom 14. November 2000 aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich den notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Der Strafrichter bei dem Amtsgericht Betzdorf hat die Angeklagte am 14. November 2000 wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 60 DM verurteilt.

Der Schuldspruch beruht auf folgenden Feststellungen:

Am 18. März 2000 befuhr die Angeklagte um die Mittagszeit mit ihrem Fahrrad die St. St. in B.. Als sie bemerkte, dass die Eheleute St. mit ihrem PKW ebenfalls auf dieser Straße in gleicher Richtung unterwegs waren, nutzte sie die Gelegenheit, an deren Fahrzeug vorbeizufahren, als dieses vor einer rot zeigenden Ampel hinter anderen Fahrzeugen anhielt. Als die Ampel auf grün umschaltete und die vor dem PKW der Eheleute St. stehenden Fahrzeuge losgefahren waren, beschleunigte die Angeklagte ihr Fahrrad und setzte sich in einem Abstand von etwa 5 m vor das Fahrzeug der Eheleute St.. Sodann bremste sie ihr Fahrrad ohne rechtfertigenden Grund abrupt ab. Um einen Zusammenstoß mit der Angeklagten zu vermeiden, war die Zeugin St., die den Wagen steuerte, gezwungen, eine Vollbremsung durchzuführen. Anschließend fuhr die Angeklagte mit ihrem Fahrrad über einen Zeitraum von etwa einer Minute direkt vor dem PKW der Zeugen St. her, wobei sie zum einen extrem langsam fuhr und zum anderen ein Überholen vereitelte. Dabei handelte sie in der Absicht, die Zeugen St. zu zwingen, ebenfalls extrem langsam hinter ihr herzufahren.

Das Amtsgericht hat dieses Verhalten der Angeklagten, das im Strafbefehl des Amtsgerichts Betzdorf vom 4. August 2000 als Nötigung in zwei Fällen gewertet worden war, aufgrund des angenommenen einheitlichen Tatvorsatzes als eine Nötigung gewertet.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und unter Aufhebung des angefochtenen Urteils ihren Freispruch erstrebt.

Das Rechtsmittel der Angeklagten hat Erfolg.

Die Verurteilung wegen Nötigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar kann in dem Verhalten der Angeklagten auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 (NJW 95, 1141 = Nötigung durch Sitzblockaden) eine dem Gewaltbegriff des § 240 Abs. 1 StGB unterfallende Gewaltanwendung gesehen werden; denn die Angeklagte hat die Zeugen St. nicht nur psychisch gezwungen, eine Vollbremsung durchzuführen und sodann langsam hinter ihrem Fahrrad herzufahren, sondern sie hat ihr Fahrrad, insbesondere durch das abrupte Abbremsen und ihre ein Überholen verhindernde Fahrweise, auch als eine physisch wirkende "Barriere" eingesetzt. Für eine Nötigung im Straßenverkehr reicht jedoch nicht jede vorsätzliche, durch physische Gewaltanwendung herbeigeführte Behinderung der Fortbewegung eines anderen Verkehrsteilnehmers aus, die nach den Vorschriften der StVO als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Vielmehr müssen erschwerende Umstände mit so besonderem Gewicht hinzutreten, dass dem Verhalten des Täters der Makel des sittlich Missbilligenswerten, Verwerflichen und sozial Unerträglichen anhaftet (BGHSt 18, 389, 392). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, läßt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen. Unter den hiernach zu berücksichtigenden Umständen fällt insbesondere die Zeitdauer der Verhinderung der beabsichtigten Fortbewegung des anderen Verkehrsteilnehmers ins Gewicht. Lediglich kurzfristige Behinderungen sind nach der Rechtsprechung nicht ausreichend (vgl. OLG Düsseldorf NZV 2000, 301, 302 m.w.N.; OLG Köln NZV 2000, 99 m.w.N.). Wenngleich den hierzu ergangenen Entscheidungen kein einheitlicher Maßstab für die Länge der hiernach zu fordernden Zeitspanne der Behinderung zu entnehmen ist (in der oben zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf wurde eine etwa zweieinhalb Minuten andauernde Behinderung als kurzfristig angesehen; vgl. dagegen Beschluss des 1. Strafsenats des OLG Koblenz vom 21. August 2000 - 1 Ss 155/00 -, wonach eine eineinhalb Minuten andauernde, allerdings mit einer erheblichen Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers verbundene Verhinderung des Überholens ausreichen kann), kann die vorliegend festgestellte Behinderungsdauer von etwa einer Minute nach Auffassung des Senats nur als kurzfristige, die Geringfügigkeitsschwelle nicht überschreitende und daher i.S.d. § 240 Abs. 1 StGB nicht tatbestandsmäßige Behinderung der Zeugen Stockschläder gewertet werden.

Weitere bei der vorbezeichneten Abwägung beachtliche Gesichtspunkte sind die Intensität, mit der der Täter auf die Entschlussfreiheit eines anderen einwirkt (vgl. OLG Köln, a.a.O.) sowie die damit verbundene Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers (vgl. OLG Koblenz, 1. Strafsenat a.a.O.). Im Hinblick darauf, dass die Behinderung der Zeugen Stockschläder durch ein Fahrrad erfolgte und keine erhebliche Gefährdung der Zeugen bewirkte, zumal diese gerade erst bei Umschalten der Ampel auf grün losgefahren waren und daher bei Einsetzen der Behinderung noch keine erhebliche Geschwindigkeit erreicht haben dürften, ist die Intensität der Tathandlung als gering zu bewerten. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte läßt sich nicht feststellen, dass dem Verhalten der Angeklagten der Makel des sittlich Missbilligenswerten, Verwerflichen und sozial Unerträglichen anhaftet. Die von ihr ausgeübte nötigende Gewalt liegt vielmehr unterhalb der für die Gewaltanwendung i.S.d. § 240 Abs. 1 StGB zu fordernden Erheblichkeitsschwelle, so dass keine tatbestandliche Nötigung vorliegt.

Aus den gleichen Gründen würde es aber auch an dem Tatbestandsmerkmal der Verwerflichkeit i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB fehlen (vgl. OLG Köln, a.a.O., OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Hiernach war die Angeklagte freizusprechen.

Eine Ahndung der Tat als Ordnungswidrigkeit scheidet ebenfalls aus. Zwar hat die Angeklagte durch ihr Verhalten eine Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 2 StVO begangen, jedoch kann diese wegen eingetretener Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 OWiG) nicht mehr geahndet werden. Die mit der Beendigung der Tat am 18. März 2000 beginnende (§ 31 Abs. 3 OWiG) und durch die Vorladung zur polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 19. April 2000 unterbrochene (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und danach erneut beginnende (§ 33 Abs. 3 S. 1 OWiG) 3-monatige Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG war bereits abgelaufen, als der Strafbefehl des Amtsgerichts Betzdorf, der die Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 15 OWiG unterbrochen hätte, am 4. August 2000 erlassen wurde. Durch die hiernach eingetretene Verjährung wird die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ausgeschlossen (§ 31 Abs. 1 S. 1 OWiG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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