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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 08.05.2002
Aktenzeichen: 2 Ss 58/02
Rechtsgebiete: JGG, StGB


Vorschriften:

JGG § 105 I Nr. 2
StGB § 316
StGB § 315 c I Nr. 1 a
Auch die Trunkenheitsfahrt eines Heranwachsenden kann eine Jugendverfehlung i.S.d. § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG darstellen. Im Zweifel ist Jugendrecht anzuwenden.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 2 Ss 58/02 2040 Js 48658/00 - 31 Ds - 7 a Ns - StA Koblenz

In der Strafsache

wegen fahrlässiger Tötung u.a.

hier: Revision des Angeklagten

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid sowie die Richter am Oberlandesgericht Pott und Mertens

am 8. Mai 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer - als Jugendkammer - des Landgerichts K. vom 29. Oktober 2001 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer - als Jugendkammer - des Landgerichts K. zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe:

Der Jugendrichter des Amtsgerichts W. verurteilte den zur Tatzeit 20 Jahre und 4 Monate alten Angeklagten am 17. Juli 2001 wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Trunkenheit (§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von noch sechs Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Seine dagegen gerichtete Berufung hat die 7. kleine Strafkammer - als Jugendkammer - des Landgerichts K. mit Urteil vom 29. Oktober 2001 als unbegründet verworfen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts befuhr der Angeklagte am 1. Oktober 2000 gegen 3.00 Uhr mit seinem PKW Lancia die K.straße in H.-Sch., obwohl er genau wusste, dass er infolge zuvor genossenen Alkohols - seine Blutalkoholkonzentration lag bei mindestens 1,42 Promille - nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Die gefahrene Geschwindigkeit lag zwischen 75 und 100 km/h. Infolge einer alkoholbedingten, zu der Geschwindigkeit unfallursächlich hinzutretenden Unaufmerksamkeit kam der Angeklagte in einer Linkskurve nach rechts von der Fahrbahn ab, geriet gegen den Bordstein und schleuderte quer über die Straße auf den Hof eines dort gelegenen Anwesens. Hier kollidierte er zunächst mit einem geparkten PKW und prallte anschließend mit der rechten Fahrzeugseite gegen eine Hauswand. Der auf dem Beifahrersitz mitfahrende 17 Jahre alte T. K. erlitt dabei so schwere Verletzungen (Genickbruch und Schädel-Hirn-Trauma), dass er sofort verstarb. Dass er bei dem Unfall nicht angeschnallt gewesen war, war für den Eintritt des Todes ohne Belang. Das Landgericht hat sowohl das Vorliegen einer Reifeverzögerung als auch die Voraussetzungen einer Jugendverfehlung (§ 105 JGG) verneint und Erwachsenenstrafrecht angewandt.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte das Rechtsmittel der Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und vornehmlich die Anwendung von Jugendstrafrecht und eine geringere Ahndung der Tat erstrebt.

Gegen den Schuldspruch erweist sich die Revision als offensichtlich unbegründet, so dass sie insoweit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgend gemäß § 349 Abs. 2 und 3 StPO zu verwerfen war.

Ein jedenfalls vorläufiger Erfolg kann der Revision indes bei der Frage der Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht und damit zum Rechtsfolgenausspruch nicht versagt bleiben. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob das Landgericht Reifeverzögerungen, wie sie gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG zur Anwendung von Jugendstrafrecht führen, mit zutreffender Begründung verneint hat. Denn jedenfalls zu der Frage, ob es sich bei der Tat des Angeklagten um eine Jugendverfehlung i.S.d. § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG handelte, die ebenfalls die Anwendung von Jugendstrafrecht zur Folge hat, erscheinen die Ausführungen der Jugendkammer lückenhaft.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich in ihrer Antragsschrift vom 22. April 2002 hierzu wie folgt geäußert:

"Die Jugendkammer begründet ihre Auffassung damit, hinsichtlich der Tat des Angeklagten "seien keine Umstände festzustellen, dass das Verhalten des Angeklagten von entwicklungsbedingter Unüberlegtheit bestimmt gewesen sein könnte". Diese Feststellung reicht zur Verneinung einer Jugendverfehlung nicht aus. Ob es sich bei der Tat des Angeklagten um eine solche Verfehlung im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG gehandelt hat, kann nur aufgrund der Beweggründe des Täters und, sofern diese nicht festgestellt werden können, nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der äußeren Tatumstände beurteilt werden (BGH NStZ 87, 366). Der Tatrichter muss im Einzelnen die tatsächlichen Umstände angeben, aus denen er seine rechtlichen Schlüsse gezogen hat, und die Erwägungen erkennbar machen, die ihn zu seinen Folgerungen geführt haben (OLG Zweibrücken StV 89, 314; OLG Zweibrücken, NStZ 93, 530).

Die Beurteilung der Jugendkammer lässt befürchten, dass diese das Erscheinungsbild der Tat nur unvollständig erfasst und daher in ihre Bewertung nicht umfassend mit einbezogen hat. Der Tatvorwurf beruht vorliegend darauf, dass der Angeklagte nach Abschluss einer Feier in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand mit seinem eigenen Fahrzeug am Straßenverkehr teilgenommen und infolgedessen den zum Tod seines Beifahrers führenden Unfall verursacht hat.

Auch eine Trunkenheitsfahrt kann eine Jugendverfehlung sein (Brunner/Dölling, JGG, 10. Aufl., § 105 Rdnr. 14 a mit Rechtsprechungsübersicht). Die Jugendkammer hätte sich deshalb im Rahmen ihrer Prüfung vor allem mit dem Verhalten des Angeklagten vor Antritt der Trunkenheitsfahrt auseinandersetzen müssen. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hatte der Angeklagte am Abend des 30. September 2000 an einem Truckerfest teilgenommen und, weil er beabsichtigte, auf dieser Feier Alkohol zu trinken, seinen Wagen zu Hause stehen gelassen. Auf dem Fest trank er nicht unerhebliche Mengen Bier, die bei ihm zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration im Tatzeitpunkt von 2,32 Promille geführt hatte. Nachdem Freunde den Angeklagten zu Hause abgesetzt hatten, kam er kurze Zeit später auf die Idee - die Gründe hierfür blieben in der Hauptverhandlung ungeklärt -, das Haus wieder zu verlassen und in Begleitung des später Getöteten mit seinem Auto wegzufahren. Nicht gewertet von der Jugendkammer ist der Umstand, dass der Angeklagte am Abend zuvor bewusst auf die Mitführung seines Fahrzeuges im Hinblick auf die beabsichtigte Aufnahme von Alkohol verzichtet hatte, kurz nach Rückkehr in seine Wohnung aber mit seinem eigenen Pkw am Straßenverkehr teilgenommen hat. Gerade Verkehrsstraftaten Heranwachsender entspringen vielfach affektgesteuertem impulsiven Handeln, das für die Entwicklungsstufe des Jugendlichen kennzeichnend ist. Bei Heranwachsenden liegt es nahe, dass dieser Mangel auf noch nicht voll entwickelter sozialer Reife beruht (OLG Hamm, NJW 1960, 1966). Als Jugendverfehlung kommt jede Tat in Betracht, bei welcher der Einfluss allgemeiner Unreife des Heranwachsenden wesentlich mitgewirkt hat. U.a. sind Unüberlegtheit, Leichtsinn oder die Lockung einer plötzlichen Versuchung beispielhaft für eine Jugendverfehlung im Sinne des § 105 Abs. 1 Ziff. 2 JGG (BGH NJW 54, 1617). Für Jugendliche typisches Verhalten zeigt sich insbesondere in einem Mangel an Besonnenheit, Hemmungsvermögen und Beherrschung (BGH NStZ 1986, 549). Die Möglichkeit, dass auch im vorliegenden Fall auf sozialer Unreife beruhende Unüberlegtheit, Leichtsinn oder Selbstüberschätzung im Spiel waren, kann aufgrund der Gesamtumstände der Tat nicht ausgeschlossen werden, so dass aus dem Urteil hätte hervorgehen müssen, dass die Jugendkammer diese Möglichkeit gesehen, sie aber aus rechtlicher Nachprüfung standhaltenden Erwägungen für nicht zutreffend erachtet hat.

Wird das Urteil im Strafausspruch aufgehoben, so bedingt dies auch die Aufhebung des Ausspruchs über die Entziehung der Fahrerlaubnis (OLG Hamm NJW 60, 1966, 1967)."

Den Ausführungen stimmt der Senat im Wesentlichen zu. Nach allgemeinen kriminalstatistischen Berechnungen gelten Geschwindigkeitsunfälle, insbesondere solche unter Alkoholeinfluss, für die Merkmale wie Geschwindigkeitsrausch, fehlende Abschätzung von Risiken, Bestätigungsbedürfnis oder mangelndes Verantwortungsbewusstsein bezeichnend sind, als mögliche jugendspezifische Taten (vgl. Eisenberg, JGG, 8. Auflage, § 105 Rdn. 31). Eine Auseinandersetzung mit diesen sowie mit den von der Generalstaatsanwaltschaft aufgezeigten Kriterien lässt das angefochtene Urteil indes vermissen. Der Senat verkennt nicht die sich aus dem Umstand ergebende Problematik, dass Grund und beabsichtigtes Ziel der Unfallfahrt in der Hauptverhandlung ungeklärt geblieben sind und mithin gewichtige subjektive Aspekte für die Prüfung dem Landgericht nicht zur Verfügung gestanden haben könnten. Insoweit wäre jedoch der Grundsatz zu beachten gewesen, dass dann, wenn sich trotz Aufwendung aller angemessenen Sorgfalt nicht mit Sicherheit feststellen lässt, ob eine Jugendverfehlung i.S.d. § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG gegeben ist, im Zweifel Jugendstrafrecht anzuwenden ist (vgl. BGH in NStZ 1986, 549, 550 und in StV 1983, 377 sowie BGHSt 12, 116, 119; Brunner/Dölling, JGG, 10. Auflage, § 105 Rdn. 17; Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 3. Auflage, § 105 Rdn. 28).

Gemäß §§ 2 JGG, 354 Abs. 2 StPO hat der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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