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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 10.01.2008
Aktenzeichen: 2 U 190/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, StGB


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 230
1. Kommt es zur Kollision zweier Fahrradfahrer ist bei der Prüfung des Verschuldens eines gerade 7 Jahre alten Kindes auf die intellektuelle Fähigkeit abzustellen, die Gefährlichkeit des Tuns zu erkennen, ohne dass es darauf ankommt, ob er auch die Fähigkeit hat, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten (BGH MDR 1970, vgl. auch BGH VersR 1984, 218, OLG Köln VersR 1987, 1022).

2. Bei der Prüfung eines fahrlässigen Verhaltens kommt es nicht auf die individuellen Fähigkeiten des Kindes, sondern auf einen objektiven Maßstab an. Dabei hat eine gruppenbezogene Betrachtung zu erfolgen. Es kommt darauf an, ob ein etwas über 7 Jahre alter Junge bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte voraussehen können, dass bei seinem Tun ein anderer verletzt werden konnte und ob es ihm bei Erkenntnis der Gefährlichkeit seines Handels in der konkreten Situation möglich und zumutbar gewesen wäre, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten (anknüpfend an OLG Koblenz, OLGR 2005, 484.).


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 2 U 190/07

Verkündet am 10.01.2008

in dem Rechtsstreit

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Henrich, die Richterin am Oberlandesgericht Au und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers, soweit nicht bereits gegenüber dem Beklagten zu 2) zurückgenommen, gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach - Einzelrichter - vom 17. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I. Der Kläger hat die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Unfallereignis in Anspruch genommen. Der Beklagte zu 2) ist der Erziehungsberechtigte des Beklagten zu 1).

Am 22.08.2003 gegen 20.25 Uhr kam es zu einem Zusammenstoß zwischen dem damals 7 Jahre alten Beklagten und dem Kläger, die beide mit dem Fahrrad die Dürerstraße befuhren.

Bei seiner Befragung unmittelbar nach dem Unfall erklärte der Beklagte zu 1) zum Unfallhergang, dass er von anderen Kindern verfolgt worden und aus Angst vor diesen auf die Straße gefahren sei, ohne den Kläger zu sehen. Bei der Befragung durch den psychiatrischen Sachverständigen erklärte der Beklagte zu 1), dass er mit Freunden Fangen mit dem Fahrrad gespielt habe und dabei auf die Straße gefahren sei.

Der Kläger erlitt erhebliche Verletzungen.

Im Diakonie-Krankenhaus K. wurden folgende Verletzungen festgestellt:

- Prellungen an der linken Hand

- Prellungen am linken Knie

- Prellungen am Schädel

- multiple Schürfwunden

- Zahnfrakturen

Wegen der Zahnfrakturen begab sich der Kläger in zahnärztliche Behandlung, in deren Verlauf ihm drei Zähne extrahiert werden mussten.

Der Kläger begab sich ferner in ärztliche Behandlung bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. Paul-W. J., der folgendes bei dem Kläger befundete:

- Starke Tonuserhöhung der Schulter-Nacken-Muskulatur.

- Starke Prellmarken an der rechten Schulter.

- Nahezu völlige Einschränkung der HWS.

- Spondyldef. der HWS.

- Osteochondrose der BWS, C5/C6.

- Fehlstreckhaltung der HWS.

- Bandscheibenprolaps C5/C6

- Bandscheibenprotusio C6/C7.

Am Knie des Klägers wurde in der Folgezeit ärztlicherseits folgendes festgestellt:

- Teilruptur des vorderen Kreuzbandes

- Meniskuspathie Grad II im medialen Hinterhorn

- deutliche Ergussbildung.

Die Verletzungen am Knie wurden operativ versorgt.

Der Kläger berechnet seinen ihm entstandenen materiellen Schaden mit 2.829,72 €. Wegen der Einzelheiten des Vortrages des Klägers hierzu wird auf Seite 6 bis Seite 10 der Klageschrift vom 20.08.2004 sowie den Schriftsatz vom 23.11.2006 Bezug genommen.

Der Kläger hat vorgetragen,

der Beklagte zu 1) sei für den Unfall verantwortlich. Der Beklagte zu 1) habe den Unfall auch grob fahrlässig verursacht. Er - Kläger - selbst habe den Unfall nicht mitverursacht, sondern sei vorsichtig und mit der üblichen Bremsbereitschaft gefahren. Der Beklagte zu 2) habe seine Aufsichtspflicht hinsichtlich des Beklagten zu 1) verletzt. Der Beklagte zu 1) habe ohne Aufsicht noch nicht am Straßenverkehr teilnehmen dürfen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.829,72 € zu zahlen nebst Zinsen p. a. in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde nebst Zinsen p. a. in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz,

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm jeden weiteren künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen aus dem Schadensereignis vom 22.08.2003 resultierend, soweit Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben vorgetragen, der Beklagte zu 1) habe nicht die erforderliche Einsicht für sein Handeln gehabt, so dass ihm der verursachte Schaden nicht zuzurechnen sei. Der Beklagte zu 1) habe eine deutlich zurückgebliebene Entwicklung aufgewiesen, so dass er einem Kind im vergleichbaren Alter nicht gleichzustellen sei. Da der genaue Unfall nicht aufgeklärt werden könne, müsse sich der Kläger ein gewisses Maß an Mitverschulden anrechnen lassen. Der Kläger habe in der Nähe eines Supermarktes jederzeit mit spielenden Kindern rechnen müssen, es werde in Zweifel gezogen, dass er ausreichend bremsbereit gewesen sei.

Das Landegricht hat die Klage abgewiesen. Es hat einen Anspruch aus unerlaubter Handlung verneint, nach Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Jugendpsychiatrie,-psychotherapie und Psychiatrie, Dr. S., zwar die Deliktfähigkeit des Beklagten zu 1) bejaht, ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu 1) jedoch nicht feststellen können. Es hat dies damit begründet, dass es nicht auf die individuellen Fähigkeiten des Beklagten zu 1), sondern auf einen objektiven Maßstab ankomme. Es habe eine gruppenbezogene Betrachtung zu erfolgen. Es komme darauf an, ob ein etwas über 7 Jahre alter Junge bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte voraussehen können, dass bei seinem Tun ein anderer verletzt werden konnte und ob es ihm bei Erkenntnis der Gefährlichkeit seines Handelns in der konkreten Situation möglich und zumutbar gewesen wäre, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten sei ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu 1) nicht anzunehmen. Die konkrete Situation auf dem Parkplatz und das Hineinfahren in die Dürerstraße sei dadurch gekennzeichnet gewesen, dass im Rahmen eines Spiels unter Kindern - Fangenspielen - eine Verfolgungssituation bestanden habe, es dabei zu einer spontanen Entscheidung des Kindes gekommen sei, auf eine befahrene Straße zu fahren. Das Kind habe impulsiv, von Spielfreude und Bewegungsfreude getrieben, gehandelt. Das Bestreben, zu entkommen und sich nicht fangen zu lassen und die damit verbundene Flucht, auch auf eine vom Straßenverkehr genutzte Straße, geschehe automatisch, gewissermaßen reflexhaft. Das Kind sei nicht in der Lage gewesen, sich dem starken Aufforderungscharakter der Fluchtsituation im Rahmen des Fangenspielens zu entziehen.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers und greift insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts an. Das Landgericht habe den Begriff der Fahrlässigkeit verkannt. Die vorliegende Situation sei gerade nicht dadurch gekennzeichnet, dass der Beklagte zu 1) mit einer außergewöhnlichen, unvorhergesehenen Situation konfrontiert gewesen sei, die es ihm unmöglich gemacht habe, den Eintritt des Schadens vorauszusehen. Kindern dieser Altersgruppe sei bekannt, dass man nicht, ohne den Straßenverkehr zu beachten, auf die Straße fahren dürfe. Dem Beklagten zu 1) sei bei Erkenntnis der Gefährlichkeit seines Handels auch möglich gewesen, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten. Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Fangenspiel vorgelegen habe, das von impulsiver Bewegung, Flucht und Verfolgung und dem Bestreben geprägt gewesen sei, den Spielkamerad zu erreichen oder ihm zu entgehen. Eine solche Spielsituation habe nicht vorgelegen. Außerdem habe das Landgericht die Äußerungen gegenüber dem Sachverständigen nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Beklagte zu 1) zunächst auf die Straße gefahren und dann wieder auf den Gehweg zurückgefahren sei. Anschließend sei er wieder auf die Straße gefahren. Es habe keine Verfolgungssituation bestanden. Die Flucht des Beklagten zu 1) sei beendet gewesen. Das Landgericht habe eine Spiel- oder Verfolgungssituation konstruiert. Ein reflexhaftes Verhalten des Beklagten zu 1) habe nicht vorgelegen. Das Urteil leide zudem an einem Verfahrensfehler. Die Parteien hätten über die Frage der Einsichtsfähigkeit des Beklagten zu 1), nicht jedoch über die Problematik der Fahrlässigkeit gestritten. Das Landgericht sei seiner Hinweispflicht nicht hinreichend nachgekommen. Es werde unter Beweisantritt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt, dass keine Verfolgungs- oder Fluchtsituation bestanden habe. Nachdem der Senat nach Vorberatung im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO mit Hinweisverfügung vom 24.09.2007 (GA 187) darauf hingewiesen hat, dass die Berufung des Klägers bezüglich etwaiger Ansprüche gegenüber dem Beklagten zu 2) wegen Verletzung seiner elterlichen Aufsichtspflicht keine Aussicht auf Erfolg habe, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10.10.2007 (GA 192) die Berufung hinsichtlich des Beklagten zu 2) zurückgenommen. Die Berufung richtet sich nunmehr ausschließlich gegen die Klageabweisung betreffend den Beklagten zu 1).

Der Kläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den erstinstanzlichen Schlussanträgen zu entscheiden, soweit sie den Beklagten zu 1) betreffen.

Der Beklagte zu 1) beantragt,

die Berufung gegen das angefochtene Urteil zurückzuwesen.

Der Beklagte zu 1) trägt vor, das Landgericht habe zu Recht die Klage abgewiesen. Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei nicht zu beanstanden. Es habe eine Spiel- und Verfolgungssituation vorgelegen. Unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verantwortlichkeit von Kindern im Straßenverkehr sei nicht von einem fahrlässigen Verhalten des Beklagten zu 1) auszugehen.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 i.V.m. § 230 StGB gegen den Beklagten zu 1) zu.

Zutreffend hat das Landgericht, anknüpfend an die Rechtsprechung des BGH, darauf abgestellt, ob der zum Unfallzeitpunkt gerade 7 Jahre alt gewordene Beklagte zu 1) die intellektuelle Fähigkeit hatte, die Gefährlichkeit des Tuns zu erkennen, ohne dass es darauf ankommt, ob er auch die Fähigkeit hat, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten (BGH MDR 1970, vgl. auch BGH VersR 1984, 218, OLG Köln VersR 1987, 1022). Nach dem Gutachten von Dr. Stein gibt es bei dem Beklagten zu 1) keine Hinweise für das Vorliegen kognitiver Defizite im Sinne einer forensich relevanten Intelligenzminderung.

Bei der Prüfung, ob der Beklagte zu 1) fahrlässig gehandelt hat, stellt das Landgericht zu Recht darauf ab, dass es nicht auf die individuellen Fähigkeiten des Beklagten zu 1), sondern auf einen objektiven Maßstab ankommt. Es hat eine gruppenbezogene Betrachtung zu erfolgen. Es kommt darauf an, ob ein etwas über 7 Jahre alter Junge bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte voraussehen können, dass bei seinem Tun ein anderer verletzt werden konnte und ob es ihm bei Erkenntnis der Gefährlichkeit seines Handels in der konkreten Situation möglich und zumutbar gewesen wäre, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten (BGH VersR 1970, 374; MDR 1970, 578, OLG Koblenz, OLGR 2005, 484.). Das Landgericht hat eine Spiel- und Verfolgungssituation angenommen, bei der der Beklagte zu 1) nicht in der Lage gewesen sei, sich dem starken Aufforderungscharakter der Fluchtsituation im Rahmen des Fangenspielens zu entziehen. Das Kind habe impulsiv, von Spiel- und Bewegungsfreude getragen, gehandelt und sei auf die Straße gefahren, ohne den Straßenverkehr zu beobachten. Das Landgericht hat ein fahrlässiges Verhalten unter Berücksichtigung einer gruppenbezogenen Betrachtung abgelehnt.

Der Senat ist der Frage nachgegangen, ob die vom Landgericht festgestellten Tatsachen dem tatsächlichen Unfallhergang entsprechen und die beschriebene Spiel- und Verfolgungssituation überhaupt vorgelegen hat. Der Beklagte hat im Rahmen seiner Anhörung beim Facharzt für Kinder und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. S. (S. 11 des Gutachtens, GA 99) angegeben, er habe mit Freunden "Fangen" gespielt. Dabei sei er auf die Straße gefahren, wobei er nicht auf andere Verkehrsteilnehmer geachtet habe. Auf der Straße seien dann Autos gekommen, weshalb er mit dem Fahrrad wieder auf die Straße zurückgefahren sei. Dann sei ein Fahrrad gekommen und in ihn hineingefahren.

Diese Schilderung weicht von den Angaben ab, die der Beklagte unmittelbar nach dem Unfallereignis bei der Unfallaufnahme gemacht hat. Der Beklagte zu 1) beschreibt dort keine Spiel-, sondern eine Verfolgungssituation. Ausweislich des Berichts in der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach vom 22.08.2003 (1041 JS 14674/03) heißt es, dass der Beklagte zu 1) auf dem Parkplatzgelände vor zwei anderen Jungs davon gefahren sei, die er nicht gekannt habe. Im Rahmen dieser Verfolgungsfahrt sei er dann auf die Straße eingefahren (EA 1). Im Rahmen seiner Anhörung am 14.09.2003 (EA 8) erklärte der Beklagte zu 1), dass er auf dem Parkplatz gefahren sei und ihm die zwei Jungs nachgefahren seien. Er habe Angst gehabt, dass diese etwa 9 oder 10 Jahre alten Kinder in ihn hineinfahren würden. Er habe vorher gesehen, wie die Jungs einen Berg heruntergefahren seien, er habe auch diesen Berg herunterfahren wollen. Die Jungs wollten dies aber nicht und hätten mit ihm Streit angefangen. Die Kinder habe er das erste Mal gesehen.

In seiner Anhörung vor dem Senat hat der Beklagte zu 1) bekundet, dass er vor einem Dönerladen etwas kaufen wollte. Es seien zwei Jungs, wohl Chinesen oder Vietnamesen gekommen, die ihn verhauen wollten. Er sei mit dem Fahrrad den Berg hinunter gefahren. Der eine Junge sei mit dem Fahrrad hinter ihm hergefahren. Als er dann in der Höhe des HL-Marktes angekommen sei, sei der andere Junge dort über den Parkplatz gefahren und habe ihm den Weg abschneiden wollen. Er sei dann auf die Straße gefahren, wo es zur Kollision mit dem Fahrrad des Klägers gekommen sei. Der Unfall habe sich nicht auf dem Bürgersteig ereignet. Er sei schon über der Mitte der Straße gewesen. Der Beklagte zu 1) erklärte auf ausdrückliches Befragen durch den Senat, dass er von den Jungs verfolgt worden sei und nicht aus Spaß auf die Straße gefahren sei. Es sei nicht so, dass er zunächst auf die Straße, dann wieder zurück auf den Bürgersteig und dann wieder auf die Straße gefahren sei.

Der Senat erachtet die Aussage des Beklagten zu 1) für glaubhaft und hat auch keine Bedenken hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit. Zu berücksichtigen ist, dass seit dem Unfallhergang bereits mehr als 4 Jahre vergangen sind und der Beklagte zu 1), der damals etwas über 7 Jahre alt war, sich nicht an alle Einzelheiten erinnern konnte. Dies betrifft zum Beispiel die Frage, ob er von Kindern, chinesischer, vietnamesischer oder türkischer Herkunft verfolgt wurde. Die Aussage vor dem Senat deckt sich im Kerngeschehen mit den Angaben in der Ermittlungsakte. Auch dort wird keine Spiel-, sondern eine Verfolgungssituation beschrieben. Der Senat verkennt durchaus nicht, dass die Angaben des Beklagten zu 1) im Verlaufe des Verfahrens teilweise voneinander abweichen, insbesondere die Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. S. bezüglich des Fangenspielens und den Angaben gegenüber der Polizei und dem Senat bezüglich der Verfolgungssituation. Der Senat geht letztlich jedoch aufgrund der Anhörung des Beklagten zu 1) und dessen Eindruck vor dem Senat davon aus, dass eine Verfolgunsgsituation tatsächlich bestanden hat, die auch zwischenzeitlich nicht beendet war, indem der Beklagte zu 1) nach Hineinfahren auf die Straße wieder auf den Bürgersteig zurückgefahren ist. Der Beklagte zu 1) hat für den Senat glaubhaft geschildert, dass er unmittelbar nach seiner Verfolgung auf die Straße hineingefahren und es dort zu einer Kollision gekommen ist.

Angesichts dieser Situation ist der Senat überzeugt, dass der Beklagte zu 1) gewissermaßen zwanghaft auf die Straße gefahren ist und nicht in der Lage war, die Verkehrssituation richtig einzuschätzen. Es ist von einem reflexartigen Verhalten auszugehen. Angesichts dieser Situation vermag der Senat ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu 1) nicht zu erkennen.

Dabei berücksichtigt der Senat in Anlehung an § 828 Abs. 2 BGB, dass im Straßenverkehr bei Kindern im Alter von 7 bis 10 Jahren eine Verantwortlichkeit in der Regel nicht besteht.

Der Senat sieht abweichend von den Ausführungen in der Hinweisverfügfung vom 24.09.2007 (GA 187) für die Einholung eines Sachverständigengutachtens keinen Anlass mehr. Die Ermittlungsakte hat seinerzeit noch nicht vorgelegen. Die Anhörung des Beklagten zu 1) vor dem Senat deckt sich im Kernbereich mit den Angaben in der Ermittlungsakte. Es ist nicht mehr von einer Spielsituation auszugehen, so dass sich die unter Beweisantritt eines Sachverständigengutachtens gestellte Frage, ob sich der Beklagte dem starken Aufforderungscharakters der Fluchtsituation im Rahmen eines Fangenspielens entziehen konnte, nicht mehr stellt.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 543 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.829,27 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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