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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 31.10.2002
Aktenzeichen: 2 U 437/02
Rechtsgebiete: BGB, StGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
StGB § 266 a
StGB § 266 a Abs. 1
StGB § 14 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 91
ZPO § 540
ZPO § 713
ZPO § 269 Abs. 3
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Koblenz IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 2 U 437/02

Verkündet am 31.10.2002

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz.

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Künzel, die Richterin am Oberlandesgericht Au und den Richter am Oberlandesgericht Henrich auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 7. März 2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Trier abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.173,33 EUR nebst 4 % Zinsen aus 3.482,10 EUR seit dem 15. November 1998, aus weiteren 2.921,66 EUR seit dem 15. Dezember 1998 und aus weiteren 2.769,57 EUR seit dem 15. Januar 1999 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der zuerkannte Anspruch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung begründet ist.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Klägerin 1/50 und der Beklagte 49/50 zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten als ehemaligem Geschäftsführer der B..... & P.... GmbH Schadensersatz wegen nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Monate Oktober bis Dezember 1998. Durch das angefochtene Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die auf Zahlung von 17.941,47 DM (= 9.173,33 EUR) gerichtete Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Beide Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB, 266 a StGB einen Anspruch auf Zahlung von 9.173,33 EUR.

1. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht den objektiven Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB als erfüllt angesehen.

a) Gemäß § 266 a Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer als Arbeitgeber (insoweit gilt § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung oder zur Bundesanstalt für Arbeit der Einzugsstelle vorenthält. Vorenthalten in diesem Sinne ist die Nichtzahlung der Beiträge bei Fälligkeit, hier entsprechend der Satzung der Klägerin zum 15. des jeweiligen Folgemonats. Bestehen Rückstände und reichen die Zahlungen zur Tilgung der aufgelaufenen und fälligen Beiträge nicht aus, gilt § 2 der Beitragszahlungsverordnung, der Folgendes bestimmt: "Schuldet der Arbeitgeber oder ein sonstiger Zahlungspflichtiger Auslagen der Einzugsstelle, Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Säumniszuschläge, Zinsen, Geldbußen oder Zwangsgelder, kann er bei der Zahlung bestimmen, welche Schuld getilgt werden soll; der Arbeitgeber kann hinsichtlich der Beiträge bestimmen, dass vorrangig die Arbeitnehmeranteile getilgt werden sollen. Trifft der Arbeitgeber keine Bestimmung, werden die Schulden in der in Satz 1 genannten Reihenfolge getilgt. Innerhalb der gleichen Schuldenart werden die einzelnen Schulden nach ihrer Fälligkeit, bei gleichzeitiger Fälligkeit anteilmäßig getilgt". Demnach waren, soweit nicht Auslagen der Klägerin offen standen, die Zahlungen der GmbH anteilmäßig auf rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu verrechnen. Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung kann nicht schon deshalb in jeder Teilzahlung der GmbH als des Sozialversicherungsbeitragsschuldners eine stillschweigende Tilgungsbestimmung hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile gesehen werden, weil deren Nichtzahlung straf- und haftungsrechtliche Folgen für ihren Geschäftsführer haben könnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine stillschweigende Zahlungsbestimmung des Schuldners nur angenommen werden, wenn sie greifbar in Erscheinung getreten ist (BGH VersR 2001, 903, 904). Hierzu ist dem Vortrag des Beklagten nichts zu entnehmen. Die in diesem Zusammenhang weiter geäußerte Auffassung des Beklagten, die Klägerin habe ihn über die einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften aufklären müssen, ist unzutreffend. Es war vielmehr seine Sache", sich über die entsprechenden Vorschriften selbst zu informieren.

b) Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 266 a Abs. 1 StGB ist ferner die Leistungsfähigkeit des Beitragsschuldners; ihm muss die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten möglich und zumutbar sein. Hierbei ist zu beachten, dass der Arbeitgeber auch verpflichtet ist, notfalls durch besondere Maßnahmen (etwa die Aufstellung eines Liquiditätsplanes und die Bildung von Rücklagen) die Zahlung zum Fälligkeitstag sicherzustellen. Diese Mittel dürfen auch nicht zur Begleichung anderer Verbindlichkeiten eingesetzt werden. Insoweit geht die Pflicht zur Abführung der sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266 a Abs. 1 StGB anderen Verbindlichkeiten vor (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 5 StR 16/02 -; BGHZ 134, 304 ff.).

Vorliegend ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die GmbH bis einschließlich Dezember 1998 noch die den Arbeitnehmern geschuldeten Löhne ausgezahlt hat. Damit hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis der Zahlungsfähigkeit der GmbH geführt. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, das Vorbringen der Klägerin zur Zahlungsfähigkeit der GmbH substantiiert zu bestreiten. Denn insoweit obliegt ihm eine sekundäre Darlegungslast (BGH VersR 2002, 321, 322). Dieser Darlegungslast ist der Beklagte nicht nachgekommen. Vortrag zu der wirtschaftlichen Situation der GmbH in der Zeit von Oktober 1998 bis Januar 1999 fehlt völlig. Zu den Gründen, die letztlich zur Insolvenz der GmbH geführt haben, ist nichts vorgetragen.

2. Zu Unrecht hat das Landgericht ein vorsätzliches Handeln des Beklagten verneint. Insoweit hatte der Beklagte unter Vorlage von zwei Urkunden (Bl. 27 GA) in erster Instanz vorgetragen, die Klägerin habe es bei ihm "dergestalt gehandhabt", dass einer ihrer Mitarbeiter bei ihm vorgesprochen und erklärt habe, es seien wieder Zahlungen fällig; er habe deshalb nicht vorsätzlich gehandelt. Dieser - von der Klägerin bestrittene - Vortrag des Beklagten ist unzutreffend. Nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften war es Sache des Beklagten, die entsprechenden Beiträge zum 15. eines jeden Folgemonats zu berechnen und an die Klägerin abzuführen. Den von dem Beklagten vorgelegten Urkunden (Bl. 27 GA) ist zu entnehmen, dass die Klägerin bei dem Beklagten Vollstreckungsversuche unternommen hat. Der Hinweis des Landgerichts, dass die Klägerin die GmbH nicht verklagt oder auch nur eine Klage angedroht habe, liegt deshalb neben der Sache. Ebenso verfehlt ist es, von einer "langjährigen" Handhabung auszugehen. Aus der von der Klägerin vorgelegten Saldenliste (Bl. 30/32 GA), aber auch dem Vortrag des Beklagten selbst (Bl. 25 GA) ergibt sich, dass Ende Februar 1998 keinerlei Zahlungsrückstände bestanden. Zuvor - und auch danach - hatte die GmbH bestimmte - ungerade - Beträge gezahlt. Die erste Abschlagszahlung - über 10.000,00 DM - datiert vom 13. November 1998.

Vorsätzliches Vorenthalten gemäß § 266 a StGB setzt das Bewusstsein und den Willen voraus, die geschuldeten Beiträge bei Fälligkeit nicht an die Kasse abzuführen. Glaubt der Täter, nicht zum Eingreifen verpflichtet zu sein und für die Abführung der Beiträge Sorge tragen zu müssen, so unterliegt er keinem tatbestandsausschließenden Tatbestandsirrtum, sondern einem Verbotsirrtum, der ihn nur bei Unvermeidbarkeit entschuldigt. An die Annahme der Unvermeidbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen (BGHZ 133, 370, 381, 382). Vorliegend hat sich der Beklagte unter Hinweis auf eine über längere Zeit geübte Praxis auf eine konkludente Stundungsvereinbarung berufen. Der Hinweis ist - wie bereits ausgeführt - unzutreffend. Der Beklagte hat lediglich nicht gezahlt, woraufhin die Klägerin Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet und sich mit Abschlagszahlungen begnügt hat. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin auf Dauer mit Abschlägen zufrieden geben würde, bestanden für den Beklagten nicht. Er behauptet auch nicht, mit einem Mitarbeiter der Klägerin insoweit auch nur ein einziges Wort gewechselt zu haben. Sein Einwand, ihm könne nicht unterstellt werden, er habe der Klägerin endgültig Beiträge vorenthalten wollen, ist unerheblich. Die Absicht, die Beiträge auf Dauer vorzuenthalten, ist nicht erforderlich; es genügt der Wille, sie am Fälligkeitstage nicht abzuführen (BGH, a. a. O.).

3. Der Höhe nach ist der Anspruch in dem geltend gemachten Umfang begründet. Zumindest der mit Schriftsatz vom 20. September 2002 vorgelegten Saldenliste (Bl. 90 bis 92 GA) sind die geschuldeten Beiträge, die geleisteten Zahlungen und die von der Klägerin vorgenommene Verrechnung hinreichend deutlich zu entnehmen. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, einzelne Positionen substantiiert zu bestreiten. Hieran fehlt es. Zwar hat die Klägerin insoweit gegen § 2 der Beitragszahlungsverordnung verstoßen, als sie geleistete Zahlungen teilweise auch auf Säumniszuschläge verrechnet hat, da die Zahlungen zunächst auf ihre Auslagen und dann auf die geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu verrechnen sind. Auf die Höhe der Klageforderung hat dies jedoch keinen Einfluss, da aufgrund der Höhe des jeweiligen Schuldsaldos die auf Säumniszuschläge verrechneten Zahlungen auf rückständige Beiträge und nicht auf fällige hätten angerechnet werden müssen. Die von dem Beklagten angestellten hypothetischen Erwägungen lassen den Schadensersatzanspruch der Klägerin unberührt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 269 Abs. 3, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren beträgt bis zum 9. August 2001 11.426,85 EUR, für die Zeit danach 9.173,33 EUR.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren und die Beschwer des Beklagten betragen 9.173,33 EUR.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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