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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 09.10.2006
Aktenzeichen: 2 W 541/06
Rechtsgebiete: HGB, ArbGG


Vorschriften:

HGB § 84 I 2
HGB § 92 a
ArbGG § 5 Abs. 3
Zur Abgrenzung eines Handelsvertretervertrages zu einem Arbeitsverhältnis Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation weisungsunterworfen erbringt. Demgegenüber ist selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Auf die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses kommt es nicht an. Maßgebend ist, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist. Für die Abgrenzung entscheidend sind demnach die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung oder andere formelle Merkmale wie die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und die Führung von Personalakten.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: 2 W 510/06

in dem Rechtsstreit

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert als Einzelrichter

am 9. Oktober 2006

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Verweisungsbeschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Mainz - Einzelrichterin - vom 6. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Gemäß § 569 ZPO ist die Beschwerde binnen einer Notfrist von 2 Wochen beim zuständigen Gericht einzulegen. Der Beschluss des Landegerichts Mainz vom 6.6.2006 wurde der Beklagten am 6.7.2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt (GA 99). Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist per Fax am 20.7.2006(GA 101) eingegangen, das Original am 22.7.2006 (GA 102).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterscheidet sich ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) bzw. hier Handelsvertreters durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils befindet. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend (BAG NZA 1994, 169).

Arbeitnehmer ist danach derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthält § 84 I 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Zwar gilt diese Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält diese Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrages vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal da dies die einzige Norm darstellt, die Kriterien dafür enthält. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dieses Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Die fachliche Weisungsgebundenheit ist für Dienste höherer Art nicht immer typisch. Die Art der Tätigkeit kann es mit sich bringen, dass dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbständigkeit verbleibt (BAGE 41, 247 (253f.); BAG, NZA 1992, 1125).

Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Parteien das Vertragsverhältnis bezeichnen. Der Status des Beschäftigten richtet sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist. Denn durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechts nicht eingeschränkt werden. Der wirkliche Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Wenn der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen wird, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Denn die praktische Handhabung lässt Rückschlüsse darauf zu, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind (BAGE 41 247 (258f.); BAG, NZA 1991, 933; BAG, NZA 1992, 407).

Für die Abgrenzung entscheidend sind demnach die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung oder andere formelle Merkmale wie die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und die Führung von Personalakten. Die Arbeitnehmereigenschaft kann nicht mit der Begründung verneint werden, es handele sich um eine nebenberufliche Tätigkeit (BAG, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG, NZA 1992, 407). Umgekehrt spricht nicht schon der Umstand für ein Arbeitsverhältnis, dass es sich um ein auf Dauer angelegtes Vertragsverhältnis handelt (BAG, NZA 1991, 933; BAG, NZA 1992, 407).

Das Landgericht hat vorliegend zu Recht die Zuständigkeit des Landgerichts Mainz als nicht gegeben angesehen. Zuständig sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Arbeitsgerichtsgesetz die Gerichte für Arbeitssachen. Der Kläger stand in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Er hat für die Beklagte Boote repariert und seine Tätigkeit durch Stechkarten belegt, was für einen Handelsvertreter ungewöhnlich ist. Der Handelsvertretervertrag hat im Vergleich zum Arbeitsverhältnis nur eine untergeordnete Funktion.

Gemäß § 5 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz gilt ein Handelsvertreter unter den dort genannten Voraussetzungen als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Der Kläger gehört zu den unter § 92 a HGB fallenden Personenkreis. Während der letzten 6 Monate des Vertragsverhältnisses erhielt der Kläger aus dem Handelsvertreterverhältnis im Durchschnitt eine Provision von nicht mehr als 1.000 € monatlich.

Die von der Beschwerde vorgebrachten Argumente rechtfertigen keine andere Beurteilung. Soweit die Beklagte ausführt, der Kläger habe zunächst einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB geltend gemacht und nachträglich seinen Anspruch auf Vergütung aus einem Arbeitsverhältnis gestützt, handelt es sich nicht um eine nachträgliche Klageänderung, die für die Zuständigkeitsfrage nach § 17 Abs. 1 S. 1 GVG unbeachtlich sei. Es handelt sich um eine andere rechtliche Bewertung der Vertragsverhältnisse und der Zuordnung zueinander. Die die Rechtshängigkeit begründenden Umstände haben sich nicht verändert. Der Kläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass er ca. 40 Stunden in der Woche für die Beklagte gearbeitet hat und in deren Betrieb eingegliedert war. Aus zeitlichen Gründen konnte er kaum für andere Unternehmen tätig werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, hier GVG § 17 b Rn. 4)

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.300,--€ festgesetzt (vgl. Zöller/Gummer § 17 a Rn. 20, Anwaltskosten erster Instanz unter Berücksichtigung teilweiser Klagerücknahme vor Termin zur mündlichen Verhandlung).

Ende der Entscheidung

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