Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 07.10.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 431/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 13
StGB § 15
Vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und damit in einer Weise einverstanden ist, dass er die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale zumindest billigend in Kauf nimmt oder sich um eines erstrebten Zieles wegen wenigstens mit ihnen abfindet. Bei Unterlassungsdelikten kommt es nicht nur darauf an, dass er Täter den Eintritt des Erfolgs, sondern zusätzlich auch dessen Abwendung für möglich hält und sich der konkreten Handlungen und der ihm zur Verfügung stehenden Mittel bewusst ist, den als möglich vorausgesehenen Erfolg zu verhindern. Nur derjenige unterlässt vorsätzlich, in dessen Bewusstsein auch die von ihm nicht vorgenommene, zur Abwendung des Erfolges aber notwendige Handlung getreten ist.
Geschäftsnummer: 2 Ws 431/03 8007 Js 3890/00 StA Trier

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In dem Ermittlungsverfahren

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. hier: Antrag der

auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid, den Richter am Oberlandesgericht Pott und den Richter am Landgericht Metzger

am 7. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Vorgenannten, gegen die Beschuldigten Dr. M. Sch., Dr. I. L. und P. H. die Erhebung der öffentlichen Klage zu beschließen, wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 17. September 2002 erstatteten die Antragsteller gegen die Beschuldigten Dr. M. Sch., Dr. I. L. und P. H. sowie gegen vier weitere Bedienstete bzw. einen Belegarzt des C.-Krankenhauses in B.-K. Strafanzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB), gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB), Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) und unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c StGB), "subsidiär" wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB), jeweils begangen durch Unterlassen. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2002 stellte die Staatsanwaltschaft Trier das Verfahren ohne Durchführung weiterer Ermittlungen nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Zur Begründung führte sie aus, dass auch die neuerliche Anzeige in dieser Sache über den ihrem vorausgegangenen Einstellungsbescheid vom 28. Juni 2001 zugrunde liegenden Sachverhalt hinaus weder neue Tatsachen noch geeignete Beweismittel enthalte, die die Wiederaufnahme der Ermittlungen und ein strafrechtliches Einschreiten gegen die Beschuldigten rechtfertigen könnten. Gegen den ihm am 11. November 2002 zugestellten Bescheid legte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller am 20. November 2002 Beschwerde ein, die er mit Schriftsatz vom 10. Februar 2003 näher ausführte. Unter dem 2. Juni 2003 hat die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich der nur noch gegen die Beschuldigten Dr. M. Sch., Dr. I. L. und P. H. wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und der versuchten gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen angebrachte Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 4. Juli 2003. Ihm vorausgegangen war seinerzeit ein ebenfalls in dieser Sache von Rechtsanwalt B. gestellter Klageerzwingungsantrag der Eheleute S. und W. W., J. und Dr. B. M. sowie der Antragstellerin J. H. vom 25. März 2002, der sich gegen den früheren Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Trier vom 28. Juni 2001 und den dazu ergangenen Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vom 28. Februar 2002 gerichtet und den der Senat mit Beschluss vom 8. Juli 2002 (2 Ws 280/02) als unzulässig verworfen hatte.

Auch der nunmehr gestellte Klageerzwingungsantrag vom 4. Juli 2003 erweist sich als unzulässig. Wie bereits in der vorausgegangenen Senatsentscheidung vom 8. Juli 2002 dargelegt, sind die Voraussetzungen für eine sachliche Prüfung einer etwaigen durch Unterlassen begangenen fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzung i.S.d. §§ 229, 223, 13 StGB durch den Senat im Hinblick auf den Ausschluss des Klageerzwingungsverfahrens für Privatklagedelikte nach § 172 Abs. 2 S. 3 StPO i.V.m. § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO nicht gegeben. Hinsichtlich der behaupteten Offizialdelikte der gefährlichen Körperverletzung bzw. der versuchten gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen fehlt es aber auch weiterhin an einer nachvollziehbaren, mit konkreten Beweismitteln ausreichend belegten Tatsachenschilderung, die mit hinreichender Sicherheit auf den notwendigen Vorsatz bzw. Tatentschluss schließen ließe.

Vorsatz hinsichtlich einer gefährlichen Körperverletzung als inneres Tatmerkmal würde voraussetzen, dass die Beschuldigten nach den ersten von der Verurteilten P. A., begangenen Kindesmisshandlungen subjektiv den Eintritt weiterer Fälle als möglich und nicht ganz fern liegend erkannt hätten und damit in einer Weise einverstanden gewesen wären, dass sie die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale, d.h. einschließlich der Qualifizierungsmerkmale i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, zumindest billigend in Kauf genommen oder sich um eines erstrebten Zieles wegen wenigstens mit ihnen abgefunden hätten (vgl. BGHSt 36, 1, 9). Hierfür genügt weder eine nach der Tat erlangte Kenntnis des tatsächlichen Geschehensablaufs (so genannter dolus subsequens) noch ein vorheriges unterschwelliges Bewusstsein oder Gefühl, dass irgendetwas "nicht in Ordnung" sei. Bei Unterlassungsdelikten kommt es zudem nicht nur darauf an, dass der Täter den Eintritt des Erfolges, sondern zusätzlich auch dessen Abwendung für möglich hält und sich der konkreten Handlungen und der ihm zur Verfügung stehenden Mittel bewusst ist, den vorausgesehenen Erfolg zu verhindern. Nur derjenige unterlässt vorsätzlich, in dessen Bewusstsein auch die von ihm nicht vorgenommene, zur Abwendung des Erfolges aber notwendige Handlung getreten ist (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 15 Rdn. 49, 84 und 94; BGH in GA 1968, 336, 337).

Nach diesen Kriterien sind auch der jetzigen Antragsschrift hinreichende Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten der Beschuldigten i.S.d. §§ 224 Abs. 1 Nr. 5, 13 StGB nicht zu entnehmen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob und von welchem Zeitpunkt an sich die Beschuldigten zur damaligen Zeit überhaupt der tatsächlichen Ursachen der im C.-Krankenhaus aufgetretenen Verletzungen von Kindern bewusst waren bzw. bewusst sein konnten. Soweit von Seiten der Antragsteller behauptet wird, die Beschuldigten hätten die Vorsätzlichkeit der den Kindern zugefügten Verletzungen und die bestehenden Zusammenhänge zwischen ihnen und der Tätigkeit der Verurteilten P. A. objektiv und subjektiv erkennen können, ist anzumerken, dass von den durch die spätere Hauptverhandlung gegen P. A. ex post gewonnenen oder bestätigten Erkenntnissen nicht ohne weiteres auf den für den Tatvorsatz allein entscheidenden ex ante Erkenntnisstand der Beschuldigten rückgeschlossen werden darf. Die Staatsanwaltschaft weist in ihrem Einstellungsbescheid vom 18. Oktober 2002 zu Recht daraufhin, dass in der gegen die Verurteilte P. A. vor dem Landgericht Trier stattgefundenen Hauptverhandlung zur Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts eine sich mit 19 Verhandlungstagen über mehrere Monate hinziehende Beweisaufnahme erforderlich war und dass die Strafkammer selbst dann noch in den nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Fällen der Kinder Q. Sch., J. B. und H. H. eine geburtsbedingte Entstehung der Verletzungen nicht von vorn herein auszuschließen vermochte. In diesem Licht betrachtet ist auch der mehrfach gegen die Beschuldigten erhobene Vorwurf kritisch zu sehen, bei einer nach dem zweiten oder dritten Fall von ihnen veranlassten Prüfung des Personals wäre bereits zu diesem Zeitpunkt die Verurteilte P. A. als "neu angestellte, sich auffällig verhaltende und allein bei den Verletzungen anwesende Schwester auf Probe enttarnt worden".

Aber selbst wenn die Beschuldigten, wie möglicherweise die Beschuldigte Dr. L. im Fall R. B., an einer "natürlich erklärbaren" Entstehung festgestellter Verletzungen Zweifel bekommen hätten bzw. aufgrund der als "neu vorgetragene Tatsachen" bezeichneten Umstände (S. 66 - 73 der Strafanzeige vom 17. September 2002) hätten bekommen müssen, wäre dies noch nicht gleichbedeutend damit, dass sie über ein unterschwelliges Gefühl hinaus (s. oben Cramer/Sternberg-Lieben, a.a.O., Rdn. 49) mit weiteren Gewaltakten, und zwar solchen der in § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB beschriebenen Qualifizierung, gerechnet und deren Eintritt in Kenntnis ihnen zur Verfügung stehender konkreter Abwehrmöglichkeiten billigend in Kauf genommen hätten. Gegen diese Annahme spricht insbesondere, dass es sich bei den Gewalthandlungen, die den erst am Ende der Verletzungskette stehenden Fällen L. M. und D. W. vorausgegangen waren, nach dem gegen P. A. ergangenen Urteil "lediglich" um einfache Körperverletzungen i.S.d. § 223 StGB gehandelt hatte und dass es zu gefährlicheren Übergriffen i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erst später, und zwar gegenüber den genannten beiden Kindern, gekommen war. Soweit in dem Klageerzwingungsantrag Vorsatz hinsichtlich einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Kinder W. und M. gleichwohl damit begründet wird, "dass derjenige, der wisse, dass sich ein Gewalttäter an Neugeborenen vergreife, auch die Gefahr erkenne, dass es bei weiteren Übergriffen nicht bei einfachen Körperverletzungen bleibe, sondern es nahe liege, dass die Übergriffe im Ausmaß zunähmen bis hin zur gefährlichen Körperverletzung, wenn nicht bis zu lebensbedrohenden oder tödlichen Verletzungen", handelt es sich letztlich um eine spekulative Mutmaßung, für deren Ernsthaftigkeit es an hinreichenden Beweismitteln fehlt. Zu dem in diesem Zusammenhang des Weiteren gegebenen Hinweis, "wer für die erkannten Gewalttätigkeiten an hilfslosen Säuglingen verantwortlich sei, müsse als gefährlicher Psychopath angesehen werden, der jede Grenze überschreite", ist anzumerken, dass sich die Erkenntnis, es tatsächlich mit einer in ihrer Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB erheblich beeinträchtigten Täterpersönlichkeit zu tun gehabt zu haben, erst aus der späteren Begutachtung der Verurteilten A. durch den Sachverständigen Prof. Dr. G. ergab. Fehlt es aber an hinreichenden Belegen für den Tatvorsatz der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Kinder W. und M., gilt dies erst recht für einen dahingehenden Tatentschluss in den zeitlich vorausgegangenen Fällen, wie er von den Antragstellern behauptet wird.

Da der Klageerzwingungsantrag vom 4. Juli 2003 bereits aus den dargelegten Gründen unzulässig ist, kann es dahinstehen, ob sich die Unzulässigkeit im Fall der Antragsteller W., M. und H. auch daraus ergibt, dass diese in derselben Sache bereits zu früherer Zeit einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hatten, womit das Klageerzwingungsverfahren verbraucht sein könnte (vgl. OLG Düsseldorf in NStE 1990, Nr. 26 zu § 172 StPO).

Die an den Klageerzwingungsantrag zu stellenden inhaltlichen Anforderungen sind innerhalb der Monatsfrist des § 172 Abs. 2 S. 1 StPO zu erfüllen. Eine Nachbesserung nach deren Ablauf kommt nicht mehr in Betracht (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 172 Rdn. 128).

Da der Antrag bereits aus formellen Gründen zu verwerfen war, hatte eine Kostenentscheidung nicht zu ergehen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 177 Rdn. 1).

Ende der Entscheidung

Zurück