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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 29.05.2001
Aktenzeichen: 2 Ws 502/01
Rechtsgebiete: IRG, ÜberstÜbk


Vorschriften:

IRG § 1 III
IRG § 49 II
ÜberstÜbk Art. 7 I
Leitsatz:

Für das Einwilligungsverfahren bei der Überstellung eines im Ausland inhaftierten deutschen Strafgefangenen in eine deutsche Justizvollzugsanstalt gilt Art. 7 I ÜberstÜbk; die Regelung in § 49 II IRG ist dabei subsidiär.


2 Ws 502/01 StVK 382/00 LG Koblenz 2020 Js 12475/00 StA Koblenz

In der Strafvollstreckungssache

wegen vorsätzlicher Tötung u.a.

hier: Vollstreckung ausländischer Urteile in Deutschland

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Vonnahme sowie die Richter am Oberlandesgericht Pott und Henrich am 29. Mai 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten wird der Beschluss der kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz vom 2. April 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.

Gründe:

Der Verurteilte verbüßt derzeit in der Haftanstalt Aranjuez (Madrid/Spanien) 20 Jahre Freiheitsstrafe aus den Urteilen des Strafgerichts in Murcia (Spanien) vom 12. November 1993 und des Landgerichts von Palma de Mallorca (Spanien) vom 30. Oktober 1993. Am 27. Januar 1999 beantragte er vor dem Leiter der Strafvollzugsanstalt Ibiza (Spanien) sowie vor einem Untergeneraldirektor für internationale Rechtshilfe des Ministeriums der Justiz in Madrid, zum Zwecke der weiteren Vollstrekkung in eine Justizvollzugsanstalt in Deutschland überstellt zu werden. Die Erklärung wurde mit weiteren Unterlagen von den spanischen an die deutschen Justizbehörden weitergeleitet. Mit Beschluss vom 2. April 2001 hat die kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz die vorgenannten Urteile in Deutschland entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft Koblenz nicht für vollstreckbar erklärt. Hiergegen haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt.

Die sofortigen Beschwerden sind an sich statthaft (§ 55 Abs. 2 IRG) sowie form- und fristgerecht angebracht. Sie haben auch in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Die Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer, die Voraussetzungen einer Vollstreckbarkeit der spanischen Urteile in Deutschland seien deshalb nicht gegeben, weil die hierzu notwendige Einverständniserklärung des Verurteilten nicht in der Form des § 49 Abs. 2 IRG aufgenommen worden sei (Erklärung nach vorausgegangener Belehrung zu Protokoll eines Richters des ersuchenden Staates oder eines zur Beurkundung von Willenserklärungen ermächtigten deutschen Berufskonsulatsbeamten), ist unzutreffend. Die genannte Vorschrift findet vorliegend keine Anwendung. Maßgeblich für das Zustimmungsverfahren ist gemäß Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbk) vielmehr das Recht des Urteilsstaates. Wie die deutsche Botschaft in Madrid mit Schreiben an das Ministerium der Justiz in Mainz vom 20. Februar 2001 (Bl. 219 d.A.) mitgeteilt hat, ist nach spanischem Verfahrensrecht jedoch die Einverständniserklärung des Verurteilten gegenüber der Leitung der Haftanstalt ausreichend. Eine Protokollierung der Erklärung in der Form des § 49 Abs. 2 IRG durch dazu ermächtigte Konsulatsbeamte finde denn auch in der Regel nicht statt.

Der Vorrang von Art. 7 ÜberstÜbk ergibt sich aus § 1 Abs. 3 IRG, wonach Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen den Vorschriften dieses Gesetzes vorgehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. Damit gilt das IRG zu von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten multilateralen Rechtshilfeabkommen, die durch ein Ratifikationsgesetz in unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht transformiert worden sind, nur subsidiär (vgl. Vogel in Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. A., IRG, § 1 Rdn. 14 und 19). Ein Rechtshilfeabkommen in diesem Sinne stellt das genannte Abkommen aber dar, nachdem es durch das hierfür erforderliche (vgl. Vogel a.a.O., Rdn. 22) "Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen" vom 26. September 1991 mit Wirkung vom 1. Februar 1992 unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht geworden ist (vgl. BGBl 1991, Teil II, 1006 und 1992, Teil II, 98). Für Spanien war das Übereinkommen vom 21. März 1983 bereits am 1. Juli 1985 in Kraft getreten (vgl. Grützner/Pötz, a.a.O., Überstellungs-Übereinkommen, einleitend Rdn. 1).

Zwar kommt ein Vorrang des Übereinkommens nur insoweit in Betracht, als es gegenüber dem IRG spezielle und abschließende Regelungen enthält. Letzteres ist bei Art. 7 Abs. 1 ÜberstÜbk aber der Fall, da diese Vorschrift hinsichtlich des Zustimmungsverfahrens eine von § 49 Abs. 2 IRG bewusst abweichende Regelung enthält, indem sie insoweit auf das Recht des Urteilsstaates abstellt (vgl. Vogel, a.a.O., Rdn. 23). Gemäß Art. 21 ÜberstÜbk gilt dieses Abkommen für die Vollstreckung sowohl vor als auch nach seinem Inkrafttreten verhängter Sanktionen. Die rückwirkende Anwendung des Überstellungsabkommens auf die durch das Strafgericht in Murcia abgeurteilten Taten (Tatzeit 1990) ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Vogel, a.a.O., Rdn. 16).

Damit lag eine rechtsgültige Einwilligung des Verurteilten, wie sie gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d ÜberstÜbk eine der Überstellungsvoraussetzungen ist, vor. Der Hinweis der Strafvollstreckungskammer, im Übrigen habe auch ein Verfahren nach Art. 7 Abs. 2 ÜberstÜbk nicht stattgefunden, greift hiergegen nicht durch. Denn diese Regelung gibt lediglich dem Vollstrekkungsstaat die Möglichkeit, seinerseits die Gültigkeit der Einwilligung, die eines der grundlegenden Elemente des Übereinkommens darstellt, zu überprüfen, sie stellt indes keine zusätzliche Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit einer Einwilligungserklärung auf (vgl. Schomburg in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. A., ÜberstÜbk, Art. 7 Rdn. 4 und 5).

Aus den dargelegten Gründen konnte der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer keinen Bestand haben. Entgegen § 309 Abs. 2 StPO hat der Senat die in der Sache erforderliche Entscheidung indes ausnahmsweise nicht selbst erlassen. Denn die Strafvollstreckungskammer hat sich bis auf den nur am Rande gegebenen Hinweis, in den in den Akten befindlichen Schreiben des spanischen Ministeriums der Justiz kein "Ersuchen" eines ausländischen Staates sehen zu können, ausschließlich mit der formellen Überstellungsvoraussetzung einer rechtswirksamen Einwilligung des Verurteilten befasst. Damit hat sie eine den Sachverhalt ausschöpfende Sachentscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 9. März 2001, der nicht nur die Zulässigkeit der Vollstreckung der spanischen Urteile, sondern darüber hinaus auch die Umwandlung der dort verhängten Strafen in eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe und die Teilanrechnung der in Spanien erfolgten Vollstreckung zum Gegenstand hat, nicht getroffen (vgl. OLG Frankfurt/Main in NStZ 1983, 426, 427; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. A., § 309 Rdn. 9). Unter diesen Umständen würde eine den Gesamtkomplex umfassende Sachentscheidung durch den Senat sowohl dem Verurteilten als auch der Strafvollstreckungsbehörde der praktischen Wirkung nach eine Rechtsmittelinstanz nehmen (vgl. OLG Koblenz in MDR 1975, 241, 242).

Ende der Entscheidung

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