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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 17.04.2001
Aktenzeichen: 3 U 1158/96
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 852
BGB § 823
BGB § 847
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 254
BGB § 852 Abs. 1
BGB § 209 Abs. 1
ZPO § 286
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES GRUND- UND TEILURTEIL

Geschäftsnummer: 3 U 1158/96

Verkündet am 17.04.2001

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kubiak, den Richter am Oberlandesgericht Ritter und den Richter am Landgericht Heilmann auf die mündliche Verhandlung vom 06.02.2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers zu 1) wird der mit der Klage (Klageantrag zu 1 und 2) geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch des Klägers zu 1) gegen den Beklagten zu 2) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Das am 27.06.1996 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier wird, soweit die auf Feststellung gerichtete Klage gegen den Beklagten zu 2) abgewiesen worden ist, abgeändert wie folgt:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger zu 1) alle künftigen Schäden zu ersetzen, die ihm aus den am 22.10.1989 erlittenen Verletzungen entstehen werden, soweit Ansprüche nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen sind.

Die Berufung wird zurückgewiesen, soweit durch das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 27.06.1996 die Klage des Klägers zu 1) gegen die Beklagten zu 1) und 3) abgewiesen worden ist.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger zu 1) die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3).

Im übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger zu 1) darf die Vollstreckung der Beklagten zu 1) und 3) durch Sicherheitsleistung jeweils in Höhe von 12.000,00 DM abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheit darf durch selbstschuldnerische, unbefristete und unbedingte Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank, Raiffeisenbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Der Kläger zu 1), der als Kind der Klägerin zu 2) am ...10.1989 im .........-Krankenhaus in T.... geboren wurde, verlangt Schmerzensgeld und Schadensersatz von den Beklagten wegen Gesundheitsschäden, die er bei seiner Geburt erlitten hat.

Die damals 29jährige Klägerin zu 2) wurde zur Entbindung am ...10.1989 um 12.30 Uhr in die gynäkologischen Abteilung des .........-Krankenhauses aufgenommen, nachdem bei ihr starke Wehen aufgetreten waren. In der Entbindungsstation führte der Beklagte zu 1) als Assistenzarzt die Aufnahmeuntersuchung durch. Im Geburtsbericht vermerkte er für 12.30 Uhr u. a.: "Sono: Bip: 10,2, Kopf über Becken". Darüber befindet sich unter derselben Uhrzeit der von einer dritten Person stammende Eintrag: "Kopf tief und fest, BE". In welcher Zeit der Beklagte zu 1) im Kreißsaal zugegen war, ist streitig. Geburtshilfe leistete als Hebamme die Beklagte zu 3). Diensthabender Oberarzt war der Beklagte zu 2), der gegen 14.30 Uhr im Kreißsaal erschien. Dort legte er der Klägerin einen - von dieser zunächst verweigerten - intravenösen Zugang und führte eine weitere Ultraschalluntersuchung durch, wozu im Geburtsbericht -u. a. vermerkt ist: "bip 9,7, th.q. (11,7), Gewicht 3.800 g" und "Kopf im BE". Nachdem der Beklagte zu 2) sich zwischenzeitlich aus dem Kreißsaal entfernt hatte, stieß er gegen 17.00 Uhr erneut zu den übrigen Geburtshelfern.

Nach Durchführung einer Episiotomie erfolgte um 17.22 Uhr die Geburt des Kopfes. Es trat jedoch eine Schulterdystokie auf. Erst nach einer weiteren Episiotomie konnten die Schultern entwickelt werden. Das Geburtsgewicht des Klägers betrug 5.400 g, seine Schulterbreite 48 cm.

Der Kläger leidet seit seiner Geburt an einer Plexuslähmung des linken Armes.

Die Kläger haben vorgetragen, die Befunderhebung durch die Beklagten zu 1) und 2) sei unvollständig und fehlerhaft gewesen, die Beklagten zu 1) bis 3) hatten Fehler bei der Geburtshilfe begangen, das Unterbleiben einer Schnittentbindung sei vorwerfbar und es liege ein Verstoß gegen die ärztliche Aufklärungspflicht bezüglich der Möglichkeit einer Schnittentbindung vor. Diese Fehler seien ursächlich geworden für die eingetretenen Gesundheitsschäden.

Die Kläger haben beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 1) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit, zu Händen der Kindesmutter, Frau S...... N............ zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger zu 1) darüber hinaus eine am 1. eines jeden Monats fällige Schmerzensgeldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, beginnend mit dem 1. eines Monats, der auf die Klagezustellung folge, zu Händen der Kindesmutter, Frau S...... N............ zu zahlen und nicht rechtzeitig gezahlte Beträge mit 4 % ab Fälligkeit zu verzinsen;

3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet seien, als Gesamtschuldner dem Kläger zu 1) alle zukünftigen Schaden zu ersetzen, die ihm aus der am 22.10.1989 erlittenen Verletzungen entstehen werden;

4. die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit, zu zahlen.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Sie haben vorgetragen, die Klägerin zu 2) sei vor der Geburt in der gebotenen Weise aufgeklärt worden. Alle notwendigen Untersuchungen und geburtshelferischen Maßnahmen seien ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. W..... vom 18.11.1993 (Bl. 141 ff. GA), ergänzt unter dem 17.11.1994 (Bl. 251 ff. GA) und mündlich erläutert am 18.04.1996 (Prot. Bl. 495 f. GA), sowie nach Vernehmung von Zeugen und Anhörung der Parteien (Prot. vom 18.04.1996, Bl. 486 ff. GA) die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen des Urteils wird dazu ausgeführt, den Beklagten zu 1) und 3) sei keine Sorgfaltsverletzung bei der Geburtshilfe nachzuweisen, zumindest keine Kausalität für den eingetretenen Schaden. Soweit ein Verstoß gegen Aufklärungspflichten oder gegen eine Pflicht zur Durchführung einer Schnittentbindung in Betracht komme, habe eine solche Pflicht allenfalls dem Beklagten zu 2) oblegen. Gegen diesen aber seien Schadensersatzansprüche gemäß § 852 BGB verjährt.

Gegen das Urteil des Landgerichts haben die Kläger Berufung eingelegt. Die Klägerin zu 2) hat ihr Rechtsmittel vor Durchführung der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Zur Begründung seiner Berufung tragt der Kläger zu 1} vor: Der Beklagte zu 1) habe es pflichtwidrig unterlassen, über den biparietalen Durchmesser (bip) hinaus die notwendigen weiteren Werte zu bestimmen und das Geburtsgewicht zu ermitteln. Deshalb sei das Geburtsgewicht von 5.400 g nicht erkannt worden, welches eine Schnittentbindung notwendig gemacht habe. Die Klägerin zu 2) sei auf diese Notwendigkeit nicht hingewiesen worden, andernfalls sie einem Kaiserschnitt zugestimmt haben wurde. Deutliche Indizien für eine Makrosomie, nämlich juveniler Diabetes der Mutter, Gestose (Praeklampsie) und enorme Gewichtszunahme wahrend der Schwangerschaft, seien nicht beachtet worden. Ein Kaiserschnitt sei jedenfalls relativ indiziert gewesen. Der Kläger beruft sich hinsichtlich der medizinischen Bewertung auf Ausführungen des Privatgutachters Dr. P.... (Gutachten vom 28.10.1995, Bl. 376 ff. GA, vom 02.05.1996, Bl. 531 ff. GA, und vom 09.10.1998, Anlg. zu Bl. 836 ff. GA).

Der Kläger behauptet, dass der Beklagte zu 1), wie sich auch aus der Dokumentation ergebe, während der gesamten Geburt anwesend gewesen sei und zusammen mit den übrigen Geburtshelfern fehlerhaft Druck auf den Mutterleib ausgeübt habe. Den Beklagten zu 2) als den erfahreneren Arzt habe er nicht rechtzeitig hinzugezogen.

Bezüglich des Beklagten zu 2) trägt der Kläger vor, dieser habe das Geburtsgewicht schuldhaft falsch bestimmt und die Mutter nicht über die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufgeklärt. Nach Eintritt der Schulterdystokie habe er es unterlassen, die Schultern nach einer vaginalen Untersuchung in die richtige Lage zu drehen, bevor er Druck auf den Mutterleib ausgeübt habe. Davon sei auszugehen, weil die Dokumentation keinen entsprechenden Eintrag enthalte. Es sei der - in dieser Situation kontraindizierte - Kristellersche Handgriff angewandt worden. Hierzu beruft der Kläger sich auf den ärztlichen Bericht des Beklagten zu 2) vom 23.10.1989 (Bl. 47 ff. GA).

Der Kläger trägt weiter vor, die Beklagte zu 3) habe fehlerhaft gehandelt, indem sie die Entwicklung des Kindes vorgenommen habe, obwohl sie hierzu als Hebamme nach Auftreten von Komplikationen nicht berechtigt gewesen sei. Sie habe vor Lösung des hohen Schulterstandes am Kopf des Kindes gezogen.

Verjährung sei nicht eingetreten, da die Verjährungsfrist erst im Sommer 1992 zu laufen begonnen habe, als die Mutter des Klägers die erforderlichen Kenntnisse über das Auftreten einer Schulterdystokie und über ein mögliches Fehlverhalten der Beklagten bei der Geburt erhalten habe.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 1) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mit 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit, zu Händen der Kindesmutter, Frau S...... N............ zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger zu 1) darüber hinaus eine am 01. eines jeden Monats fällige Schmerzensgeldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, beginnend mit dem 01. eines Monats, der auf die Klagezustellung folge, zu Händen der Kindesmutter, Frau S...... N............ zu zahlen und nicht rechtzeitig gezahlte Beträge mit 4 % ab Fälligkeit zu verzinsen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, dem Kläger zu 1) alle zukünftigen Schaden zu ersetzen, die ihm aus den am 22.10.1989 erlittenen Verletzungen entstünden, soweit Ansprüche nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen seien.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, Versäumnisse oder Fehler seien ihnen nicht vorzuwerfen. Der Beklagte zu 1) sei überdies als Assistenzarzt nicht verantwortlich, weil er den Oberarzt, den Beklagten zu 2), bereits um 14.30 Uhr hinzugezogen habe und während der Geburt nicht mehr zugegen gewesen sei. Dem Beklagten zu 1) sei kein Diagnosefehler vorzuwerfen. Er habe die Diagnosemaßnahmen nicht zu Ende führen können, weil die Klägerin zu 2) diese behindert habe. So habe sie die Anlegung eines intravenösen Zugangs trotz Belehrung verweigert. Die Ermittlung genauerer Werte sei dadurch verhindert worden, dass die Klägerin zu 2) sich erst nach Eintreten der Wehen vorgestellt habe.

Die Beklagten zu 1) und 2) seien, da eine genauere Bestimmung nicht möglich gewesen sei, zu Beginn der Geburt von einem Geburtsgewicht von nicht wesentlich mehr als 4.500 g ausgegangen. Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft im Jahre 1989 sei bei einem solchen Gewicht eine Schnittentbindung noch nicht indiziert gewesen. Dennoch sei die Möglichkeit eines Kaiserschnittes im Hinblick auf die Größe des Kindes von dem Beklagten zu 1) angesprochen worden. Die Klägerin zu 2) habe sich demgegenüber ablehnend verhalten. Die Kindesmutter würde einer Schnittentbindung mit Sicherheit nicht zugestimmt haben, falls der Beklagte zu 2) ihr vor der Geburt eine solche nahegelegt hätte.

Der Beklagte zu 2) habe nach Auftreten der Schulterdystokie nicht kristellert. Mit der Formulierung "Druck von oben" in seinem Arztbericht sei Druck oberhalb der Symphyse gemeint. Er habe sehr wohl die gebotene Drehung der Schultern des Kindes vollzogen, wenngleich dies in der Dokumentation nicht erwähnt sei.

Die Beklagte zu 3) habe bei der Entwicklung des Kindes keine Fehler begangen, insbesondere nicht mit großer Kraftanstrengung am Körper des Kindes gezogen. Sie habe in Gegenwart des Beklagten zu 2) ausschließlich nach dessen Anweisungen gehandelt.

Verjährung sei eingetreten, da der Mutter des Klägers bereits seit dem Tag der Geburt alle Tatsachen bekannt seien, auf welche die Klageforderung gestützt werde. Genaue Kenntnis der medizinischen Zusammenhänge seien zur Ingangsetzung der Verjährungsfrist nicht erforderlich. Hilfsweise behaupten die Beklagten, die Klägerin zu 2) habe bereits im Oktober Kenntnis von dem Schreiben des Beklagten zu 2) vom 23.10.1989 erhalten, welches dieser an ihre Hausärztin gerichtet habe.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen bis zum 20.02.2001 (bis Bl. 1084 GA) eingereichten Schriftsätze und Urkunden Bezug genommen.

Der Kläger zu 1) hat Rechtsanwalt K...-H.... A..... den Streit verkündet.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W..... vom 17.09.1998 (Bl. 784 ff. GA) sowie des Sachverstandigen Prof. Dr. R..... vom 21.07.1999 (Bl. 870 ff. GA) und vom 17.07.2000 (Bl. 966 ff. GA), des weiteren durch mündliche Anhörung beider Sachverständiger (Prot. vom 06.02.2001, Bl. 1055 ff. GA).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers zu 1) ist zulässig und hat auch in der Sache teilweise Erfolg.

Die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klageforderung ist dem Grunde nach gerechtfertigt, nicht aber die Forderungen gegen die Beklagten zu 1) und 3).

Die Feststellungsklage ist zulässig. Ein Feststellungsinteresse ist gegeben (§ 256 Abs. 1 ZPO).

I.

Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 2) einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld (§§ 823, 847 BGB).

Der Beklagte zu 2) verletzte den Kläger rechtswidrig und schuldhaft am Körper (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er eine vaginale Entbindung einleitete, ohne die Kindesmutter zuvor hinreichend über die damit verbundenen Gefahren im Vergleich zu einer Schnittentbindung aufgeklärt zu haben.

Ob darüber hinaus Fehler bei der Geburtshilfe begangen wurden, wie vom Kläger vorgetragen, bedarf daher keiner Prüfung.

1. Die Abwicklung der Geburt auf vaginalem Wege bedurfte im vorliegenden Fall der Einwilligung der Gebärenden. Eine wirksame Einwilligung liegt jedoch nicht vor, da die Mutter keine ordnungsgemäße ärztliche Aufklärung erfahren hat.

Der geburtsleitende Arzt braucht zwar in einer normalen Entbindungssituation ohne besondere Veranlassung nicht von sich aus die Möglichkeit eines Kaiserschnitts zur Sprache zu bringen. Anders liegt es jedoch, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, dem Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine abdominale Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung der Konstitution der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt (BGH NJW 1989, S. 1538, 1539). In einer solchen Lage, d. h., nicht erst, wenn eine primäre Sectio eindeutig geboten ist, sondern schon dann, wenn für eine solche nur eine relative Indikation besteht, muss der Arzt die Mutter über die bestehenden Risiken aufklären und sich ihrer Einwilligung in die Art der Entbindung versichern. Der Mutter muss damit Gelegenheit gegeben werden, zwischen den für sie selbst bei einer Sectio auftretenden Risiken einerseits und den Risiken für das Kind bei vaginaler Entbindung andererseits zu entscheiden (BGH NJW 1993, S. 1524, 1525; NJW 1992, S. 741, 742). Andernfalls ist das Vorgehen des Arztes, dem die Schädigung des Kindes zuzurechnen ist, - wie bei einer Heilbehandlung - mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrig (BGH NJW 1989, S. 1538, 1539 f.).

2. Bei der Geburt des Klägers handelte es sich um eine sog. Risikogeburt, für die eine Sectio ernsthaft hatte in Erwägung gezogen werde müssen. Das hat die Beweisaufnahme erbracht.

Zu Beginn der Geburt waren folgende Umstände bekannt, aus denen sich ein erhöhtes Risiko für das zu gebärende Kind ergab:

a) Es bestanden deutliche Anzeichen für eine Makrosomie;

b) die Schwangere war adipos mit einer außergewöhnlichen Gewichtszunahme während der Schwangerschaft;

c) es war eine schwere Gestose aufgetreten;

d) es war nicht auszuschließen, dass die Schwangere an Diabetes litt.

Hierzu haben die Sachverständigen Prof. Dr. W..... und Prof. Dr. R..... sich in ihren Gutachten ausführlich geäußert. Beide Sachverstandigen verfugen kraft ihres Berufes über die erforderliche Sachkunde. Ihre Gutachten sind sämtlich eingehend und nachvollziehbar. Unterschiedliche Auffassungen vertreten sie - worauf noch einzugehen sein wird - zu zwei Fragen, nämlich, ob das Geburtsgewicht makrosomer Kinder vor der Entbindung hinreichend genau zu ermitteln ist und ob bei Makrosomie eine Sectio relativ indiziert ist.

Der gegen den Sachverständigen Prof. Dr. W..... gerichtete Ablehnungsantrag des Klägers zu 1) ist mit Beschluss des Senats vom 17.04.2001 zurückgewiesen worden.

Zu a):

Der Beklagte zu 2) vermerkte zwar im Geburtsbericht ein Gewicht von 3.800 g, versehen mit dem Vorbehalt: "schwer messbar". Unstreitig schätzte er jedoch, wie auch in seinem ärztlichen Bericht vom 23.10.1989 aufgeführt, aufgrund des Gesamteindruckes das Geburtsgewicht "nicht auf wesentlich mehr als 4.500 g" ein. Es wurde also Makrosomie, d. h., ein über 4.000 g liegendes Gewicht des Feten, festgestellt, wenngleich das tatsächliche Geburtsgewicht von 5.400 g zu diesem Zeitpunkt nicht erkannt wurde.

Bereits aufgrund dieses Befundes war erkennbar, dass hier eine Schulterdystokie wahrscheinlicher war als bei normalgewichtigen Kindern. Der Sachverständige Prof. Dr. R..... hat dazu insbesondere in seinem Zusatzgutachten vom 17.07.2000 unter Bezugnahme auf zahlreiche Literaturstellen ausgeführt, dass die Häufigkeit der Schulterdystokie bei einem Fetalgewicht über 4.000 g um ein Vielfaches höher ist als bei Normalgewicht (Bl. 11 ff. d. Guta.; Bl. 976 ff. GA). Nichts anderes geht aus den Gutachten des Sachverstandigen Prof. Dr. W..... hervor (vgl. Bl. 16 f. d. Guta. v. 18.11.1993; Bl. 156 f. GA).

Zu b):

Dem Mutterpass der Klägerin zu 2) ist zu entnehmen, dass ihr Körpergewicht in der 11. Schwangerschaftswoche 82 kg, in der 38. Schwangerschaftswoche jedoch 110,7 kg betrug. Damit sind ein erhebliches Übergewicht der Mutter bei der Geburt und eine extreme Gewichtszunahme während der Schwangerschaft um mindestens 28,7 kg dokumentiert. Die Gewichtszunahme war, wie der Sachverständige Prof. Dr. R..... erläutert hat, nur zum Teil auf die vorhandenen Ödeme zurückzuführen, da das Gewicht in der 37. Schwangerschaftswoche bereits 106,6 kg betragen hatte, während für diese Zeit das Ausmaß der Ödeme im Mutterpass noch als mäßig ("+(+)") bezeichnet ist (Bl. 10 d. Guta. v. 17.07.2000; Bl. 975 GA).

Adipositas und starke Gewichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft stellen weitere Risikofaktoren für die Geburt dar. Der Sachverständige Prof. Dr. R..... hat in seinen Gutachten zum einen darauf hingewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Makrosomie bei übermäßiger Gewichtszunahme der Mutter wahrend der Schwangerschaft erhöht ist, zum anderen, dass durch die Übergewichtigkeit eine Einengung der Weichteile des Geburtskanals bedingt ist, wodurch das Risiko der Geburt zusätzlich erhöht wird (Bl. 24 d. Guta. v. 17.07.2000; Bl. 989 GA). Dem hat der Sachverständige Prof. Dr. W..... nicht widersprochen.

Zu c):

Die Gestose der Mutter war für den Beklagten zu 2) aufgrund der Untersuchung erkennbar, die der Beklagte zu 1) bei der stationären Aufnahme durchgeführt hatte. Klare Zeichen einer Gestose waren die massiven Ödeme, die im Geburtsbericht mit "O:+++" vermerkt sind, außerdem die stark erhöhten Eiweißwerte im Urin (im Geburtsbericht: "E:+++") und die festgestellte arterielle Hypertonie mit einem systolischen Blutdruck von 170 mmHg am Morgen desselben Tages.

Die Mutter war hierdurch deutlich als Riskoschwangere ausgewiesen, wie der Sachverständige Prof. Dr. R..... in seinem Gutachten vom 21.07.1999 ausgeführt hat (Bl. 4 d. Guta.; Bl. 873 GA). Dementsprechend vertritt der Sachverständige Prof. Dr. W..... auf Bl. 37 f. seines Gutachtens vom 18.11.1993 die Auffassung, dass wegen der Gestosesymptomatik (Präeklampsie) der Gebärenden ständige Blutdruckkontrollen in kurzen zeitlichen Abstanden erforderlich gewesen wären, wenngleich ein kindlicher Gesundheitsschaden als Folge der Präeklampsie nicht manifest geworden sei (Bl. 177 f. GA).

Zu d):

Ob die Schwangere darüber hinaus an Diabetes litt, war bei der stationären Aufnahme zwar nach übereinstimmender Auffassung der Sachverstandigen nicht sicher festzustellen, da in der prapartalen Phase entsprechende Untersuchungen unterlassen worden waren (vgl. Gutachten Prof. Dr. R..... vom 21.07.1999, Bl. 17 f.; Bl. 886 f. GA; Gutachten Prof. Dr. W..... vom 17.11.1994, Bl. 14; Bl. 264 GA). Die Möglichkeit einer solchen Erkrankung war jedoch ernsthaft in Betracht zu ziehen. Denn der Mutterpass wies die Einträge auf: leichter Diabetes im Alter von 11 bis 16 Jahren und Glukose positiv in der 28. und 32. Schwangerschaftswoche. Dies hätte in der vorgeburtlichen Zeit Anlass zu einer Diagnostik auf Gestosediabetes geben müssen, z. B. einem oralen Blutzuckertest (Guta. Prof. Dr. R..... v. 17.07.2000, Bl. 15; Bl. 980 GA; Guta. Prof. Dr. W..... v. 17.11.1994, Bl. 14; Bl. 264 - GA). Nachdem eine solche Vergewisserung versäumt worden und nicht mehr nachzuholen war, blieben aber die bekannten Symptome als Hinweis auf einen mögliche Diabetes und damit auf einen weiteren Risikofaktor für die Geburt.

Jeder der unter a) bis c) genannten Umstände führte bereits für sich allein zu einer Erhöhung der mit der Geburt verbundene Gefahren, darunter des Risikos einer Schulterdystokie. Diese Gefahrenerhöhung wurde dadurch verstärkt, dass im Falle der Geburt des Klägers mehrere Risikofaktoren zusammentrafen und zudem, wie zu d) ausgeführt, Diabetes der Schwangeren nicht auszuschließen war. Der Eintritt einer Schulterdystokie war also wahrscheinlicher als bei einem lediglich aufgrund der Messung des Feten zu erwartenden übermäßigen Geburtsgewichts.

3. Mit einer Schulterdystokie sind erhebliche Gefahren für das Kind verbunden. Zu den möglichen Folgen einer Schulterdystokie gehören Oberarmplexus-Lähmungen des Kindes. Darin stimmen die beiden gerichtlichen Sachverständigen überein. Prof. Dr. W..... bezeichnet die Plexuslähmung als die häufigste kindliche Verletzung bei Schulterdystokie (Bl. 17 d. Guta. v. 18.11.1993; Bl. 157 GA), weist jedoch darauf hin, dass daraus nur zu einem geringen Teil Langzeitschäden entstünden (Bl. 28 d. Guta. v. 17.09.1998; Bl. 813 GA). Prof. Dr. R..... bezeichnet den Zusammenhang zwischen großem Kind und Schulterdystokie sowie zwischen Schulterdystokie und Möglichkeit einer Plexuslähmung als weiterhin gültige Lehrbuchsentenz. Zwar träten nach neueren Untersuchungen auch Plexus-brachialis-Paresen auf, die offenbar schon vor der Geburt entstanden seien, zudem auch solche; die sich bei einer Schnittentbindung ergeben hätten. In der Mehrzahl der publizierten Fälle bestehe aber zweifellos ein Zusammenhang zur Vaginalgeburt mit Schulterdystokie (Bl. 20 f. d. Guta. v. 17.07.2000; Bl. 985 f. GA).

Für das Kind bestand darüber hinaus aber auch Lebensgefahr. Nach Martius, Lehrbuch der Geburtshilfe, 12. Aufl., 1988, ist bei Geburten mit einer Schulterdystokie die Sterblichkeitsrate auf 2-16 erhöht (zitiert in Guta. Prof. Dr. R..... v. 17.07.2000, Bl. 12; Bl. 977 GA). Dabei kommt Hypoxie als Folge einer Entwicklungsverzögerungen als wesentliche Todesursache in Betracht (Bl. 16 d. Guta. Prof. Dr. W..... v. 18.11.1993; Bl. 156 GA). Eine vaginale Entbindung barg also weit höhere Risiken für das Kind, als sie sich bei dem Kläger dann verwirklichten. Dem Kläger drohte daher bei einer Vaginalgeburt eine ernstzunehmende Gefahr.

4. Eine Schnittentbindung stellte im vorliegenden Fall eine medizinisch verantwortbare Alternative dar.

Der Sachverständige Prof. Dr. R..... hat dazu in seinem Gutachten vom 21.07.1999 ausgeführt, zwar sei im vorliegenden Fall nicht von einer absoluten Indikation der Schnittentbindung auszugehen (Bl. 10 d. Guta.; Bl. 879 GA), eine Sectio wäre jedoch die günstigere Entbindungsform gewesen (Bl. 27 d. Guta.; Bl. 896 GA), weil es dabei wahrscheinlich nicht zur Plexusparese gekommen wäre (Bl. 14 d. Guta.; Bl. 883 GA). Bei zu erwartender fetaler Makrosomie, zudem durch das Fettgewebe (Adipositas) bedingter Einengung der Weichteile des Geburtskanals und bei Hinzutreten weiterer Risikofaktoren wie einer Gestose sollte eine Sectio als Alternative zur Spontangeburt der Patientin angeboten werden (Bl. 25 d. Zusatzguta. v. 17.07.2000; Bl. 990 GA).

Demgegenüber hat der Sachverständige Prof. Dr. W..... sich dahin geäußert, bei ex-ante-Betrachtung habe zum Zeitpunkt der Aufnahme der Mutter unter Annahme eines geschätzten Geburtsgewichts von nicht wesentlich mehr als 4.500 g und auch unter Berücksichtigung der Gestose keine relative Indikation zur primären Sectio bestanden (Bl. 21 d. Guta. v. 17.09.1998; Bl. 805 GA). Bei einem solchen Geburtsgewicht sei auch eine Aufklärung über einen Kaiserschnitt nicht indiziert gewesen d. Guta. v. 17.11.1994; Bl. 282 GA). Zwar wäre auch nach Auffassung von Prof. Dr. W..... die Gefahr einer Plexusparese des Kindes bei einer Schnittentbindung erheblich verringert worden. Dem stehe jedoch die erhöhte Sterblichkeitsrate der Mütter bei einer Sectio gegenüber (Bl. 18 ff. d. Guta. v. 18.11.1993; Bl. 158 ff. GA). Erst in den Jahren nach 1989 habe - im Wesentlichen infolge einer Senkung der mütterlichen Sectio-Letalität - ein Wandel in der Einstellung der Ärzte stattgefunden, der dazu geführt habe, dass seit 1998 für den Fall der Makrosomie eine Aufklärung der Schwangeren über die Möglichkeit einer Schnittentbindung empfohlen werde (Bl. 35 d. Guta. v. 17.09.1998; Bl. 820 GA).

Nach der Auffassung beider Sachverständiger wäre also für den Kläger auch dann, wenn sein Geburtsgewicht - statt 5.400 g - 4.500 g betragen hätte, eine Schnittentbindung sehr viel weniger gefährlich gewesen als eine Vaginalgeburt. Die Vorteile einer Sectio für das Kind wären hier besonders ausgeprägt gewesen, da eine enorme Gewichtszunahme der Schwangeren sowie eine Gestose zu verzeichnen waren. Die Folgerung die daraus der Sachverständige Prof. Dr. R..... zieht, ist überzeugend: Die Schnittentbindung stellte neben der vaginalen Entbindung einen gleichwertigen Geburtsmodus dar.

Die mit einer Schnittentbindung verbundenen zusätzlichen Gefahren für die Mutter, erhöht durch deren Übergewichtigkeit, waren nicht so groß, dass eine Sectio von vornherein hätte ausgeschlossen werden müssen. Das galt auch nach den im Jahre 1989 in der Medizin vorhandenen Kenntnissen. Zwar war die mütterliche Sterblichkeitsrate bei Sectio damals höher als gegenwärtig (in Bayern 0,023 für 1983 - 1988 gegenüber 0,008 % für 1995 - 1997; Prof. Dr. W...... Guta. v. 17.09.1998, Bl. 35; Bl. 820 GA). Damit kann jedoch schon angesichts der erhöhten Letalität von Kindern bei Schulterdystokie die von Prof. Dr. W..... vertretene Auffassung nicht begründet werden, dass bei einer Risikoschwangerschaft mit 4.500 g Geburtsgewicht die Schnittentbindung nicht relativ indiziert gewesen sei.

Der Beklagte zu 2) war auch dadurch, dass er erst gegen 14.30 Uhr, also zwei Stunden nach Aufnahme der Schwangeren, im Kreißsaal eintraf, nicht daran gehindert, eine Sectio einzuleiten. Mit einer solchen hätte nach übereinstimmender Meinung beider gerichtlichen Sachverständigen noch um 14.45 Uhr begonnen werden können. Prof. Dr. W..... hat dazu ausgeführt, auch nach Eintritt des kindlichen Kopfes in das Becken sei ein Kaiserschnitt möglich gewesen (Bl. 10 d. Guta. v. 17.11.1994; Bl. 260 GA; mdl. Erläuterung, Bl. 1060 GA). Der Sachverständige Prof. Dr. R..... hat dem aufgrund der Angaben im Geburtsbericht, in welchem für 14.45 Uhr vermerkt ist: "Vaginaluntersuchung: Muttermund 9 cm; Kopf im Beckeneingang, Fruchtblase prall", zugestimmt (Bl. 1061 GA).

5. Da eine Risikoschwangerschaft aus mehreren Gründen vorlag und eine Vaginalentbindung gegenüber der Schnittentbindung mit deutlich erhöhten Gefahren für den Kläger verbunden war, durfte der Beklagte zu 2) es nicht ohne Einwilligung der Mutter darauf ankommen lassen, ob die Vaginalentbindung für das Kind gutgehen wurde (vgl. dazu BGH NJW 1989, S. 1538, 1540). Er war vielmehr verpflichtet, die Schwangere sowohl über die Risiken der vaginalen Entbindung als auch über die Möglichkeit einer Schnittentbindung und die damit verbundenen Gefahren aufzuklären, um ihr eine Entscheidung über die Art der Entbindung zu ermöglichen. Der Beklagte zu 2) war nicht berechtigt, der Schwangeren und ihrem Kind seine Meinung in dem "Schulenstreit", der in der Medizin zumindest damals zum Anwendungsbereich der Schnittentbindung bestand, aufzuzwingen (vgl. dazu BGH aaO.).

Eine ärztliche Aufklärung der Schwangeren ist in den Krankenunterlagen nicht dokumentiert. Sie wurde durch den Beklagten zu 1) jedenfalls nicht in der gebotenen Weise vorgenommen. Zwar wies nach Aussage der Zeugin U.... einer der beiden Ärzte die Gebärende darauf hin, dass es sich um ein übergroßes Kind handelte, und nannte den Kaiserschnitt als mögliche Entwicklungsform. Da der Beklagte zu 2) einen solchen Hinweis unstreitig nicht gab, mag der Beklagte zu 1) derjenige gewesen sein, der mit der Klägerin zu 2) hierüber sprach. Unterstellt man zu Gunsten der Beklagten die Aussage der Zeugin U.... als wahr, so ist dadurch doch eine ordnungsgemäße ärztliche Aufklärung nicht bewiesen. Denn die Zeugin konnte bereits nicht angeben, ob eine sogleich anstelle der Vaginalgeburt vorzunehmenden - quasi primäre - Sectio oder eine solche nur für einen möglicherweise später auftretenden Notfall erörtert wurde. Weiter ist nicht bewiesen, dass der Schwangeren die jeweiligen Risiken für Kind und Mutter mitgeteilt wurden. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Mutter in einer Weise informiert wurde, die sie in den Stand gesetzt hätte, eine selbständige Entscheidung über die zu wählende Entbindungsform zu treffen.

Es mag dahinstehen, ob die Mutter des Klägers sich bezüglich einer Sectio ablehnend äußerte, wie die Zeugin U.... weiter bekundet hat. Denn eine solche Äußerung der Schwangeren kann, da die notwendige ärztliche Aufklärung nicht vorausgegangen war, nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden.

6. Mangels ordnungsgemäßer Aufklärung fehlt es an einer wirksamen Einwilligung der Mutter des Klägers in die durchgeführte Entbindung. Einer besonderen Einwilligung bedurfte es hier, weil sich wegen der bei einer Vaginalentbindung drohenden Gefahren für das Kind ernstlich die Frage einer Schnittentbindung stellte. Ohne wirksame Einwilligung war die durchgeführte Entbindung rechtswidrig (vgl. dazu BGH NJW 1989, S. 1538, 1539).

Die erforderliche Einwilligung der Mutter entfaltet Rechtswirksamkeit auch im Hinblick auf die Risiken des Geburtsablaufs für das Kind. Der Gebärenden kommt die Entscheidungszuständigkeit nicht nur mit Rücksicht auf die Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit zu, sondern sie ist in der Phase der Geburt zugleich die natürliche Sachwalterin der Belange des Kindes. Fehlt ihre Einwilligung, kann der geburtsleitende Arzt auch dem Kind für Verletzungen in der Geburt deliktisch haftbar sein (BGH aaO.).

7. Der Beklagte zu 2) kann demgegenüber nicht einwenden, das Unterlassen der Aufklärung sei für die Durchführung der Vaginalgeburt nicht ursächlich gewesen, weil die Mutter auf keinen Fall einer Schnittentbindung zugestimmt haben würde.

Der Nachweis der hypothetischen Einwilligung unterliegt strengen Voraussetzungen. Die Beweislast hierfür trifft den beklagten Arzt (BGH NJW 1994, S. 2414, 2415). Hat der Arzt - wie hier - substantiiert vorgetragen, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise hätte durchführen lassen, so muss er den ihm obliegenden Beweis allerdings erst führen, wenn der Patient plausible Gründe dafür darlegt, dass er - bzw. im Falle einer Geburt: die Mutter - sich in diesem Falle in einem echten Entscheidungskonflikt befunden haben wurde (BGH NJW 1998, S. 2714). Dies ist hier dargetan.

Wäre der Schwangeren offenbart worden, dass wegen der Besonderheiten des konkreten Falles für das Kind bei einer Vaginalgeburt ein erhöhtes Risiko bestand und der eine Entbindungsmodus für das Kind, der andere für sie selbst die höheren Gefahren barg, so hatte sie dies ernsthaft vor die Frage gestellt, ob sie der Vaginalentbindung oder der Schnittentbindung zustimmen sollte. Eine solche Situation genügt zur Bejahung eines ernsthaften Entscheidungskonfliktes i. S. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. dazu BGH NJW 1991, S. 1543, 1544). Die Mutter des Klägers hätte dabei vor allem entscheiden müssen, ob sie dem Schutz ihrer eigenen Person oder dem Schutz des zu gebärenden Kindes vor Körperschäden oder Tod den Vorrang geben sollte. Denn bei ordnungsgemäßer Aufklärung wäre sie auch darüber informiert worden, dass die Entbindungsarten im übrigen gleichwertig waren.

Auch nach dem Vortrag der Beklagten ist ein ernsthafter Entscheidungskonflikt im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zu verneinen. Die Beklagten tragen vor, die Klägerin zu 2) würde jedenfalls einer Vaginalgeburt zugestimmt haben, weil sie ganz entscheidenden Wert auf eine "natürliche Geburt" gelegt habe. Aus diesem Grunde habe sie auch zunächst zu Hause entbinden wollen, obwohl sie zuvor mit Sicherheit auf die Risiken hingewiesen worden sei, die sich aus ihrem hohen Körpergewicht ergeben hatten. Ebenso habe sie die Anlegung einer Braunule und die Vornahme einer Pudendusanästhesie abgelehnt. Aus diesen vorgetragenen Tatsachen ergibt sich nicht, dass die Mutter des Klägers die Möglichkeit einer Schnittentbindung selbst nach der gebotenen Aufklärung gar nicht erst ernsthaft in Erwägung gezogen haben würde.

Einer Anhörung der Klägerin zu 2) durch das Gericht zu dieser Frage bedurfte es nicht. Da es sich nicht um einen Fall handelt, in welchem ein Patient darüber zu entscheiden hatte, ob eine aus ärztlicher Sicht gebotene medizinische Maßnahme überhaupt durchgeführt werden sollte, sondern hier die Entscheidung für eine von zwei gleichwertigen Methoden zu treffen war, kann das Vorliegen eines Gewissenskonfliktes bereits aufgrund des Parteivortrages als plausibel bejaht werden.

8. Die Behauptung, dass die Mutter sich nach einer Aufklärung für die vaginale Entbindung entschieden haben würde, ist nicht hinreichend unter Beweis gestellt.

Eine solche hypothetische Einwilligung in die von den Ärzten gewählte Entbindungsform ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits aus der Würdigung aller Umstände. Falls die Schwangere eine möglichst natürliche Geburt wünschte, lässt dies nicht den Schluss zu, dass sie in Kenntnis der Risiken, die sich für das Kind ergaben, auf einer Vaginalgeburt bestanden hatte. Es trifft auch nicht zu, dass die Mutter ausnahmslos an dem festgehalten hätte, was sie sich einmal vorgenommen hatte.

Unterstellt man als wahr, dass sie zunächst eine Entbindung außerhalb des Krankenhauses geplant hatte, so ließ sie von diesem Plan doch ab, als ihr von der Hebamme U.... mitgeteilt wurde, dass dies zu gefährlich sei. Des weiteren weist der Kläger mit Recht darauf hin, dass seine Mutter nach ausreichender Belehrung durch den Beklagten zu 2) sich unstreitig auch mit dem Anbringen einer Braunüle einverstanden erklärte. Soweit behauptet wird, der Vorschlag zu einer Pudendusanästhesie sei mit dem Hinweis auf eine mögliche Schulterdystokie verbunden gewesen, fehlt es sowohl an einem Beweis hierfür als auch an einem ausreichenden Vortrag, wonach dies der Gebärenden in verständlicher Weise erläutert worden sein soll. Sollte die Schwangere sich gegenüber der Möglichkeit eines Kaiserschnittes ablehnend geäußert haben, so wurde bereits ausgeführt, dass dem eine ausreichende Aufklärung nicht vorausgegangen war. Der Beweis für eine hypothetische Einwilligung in die Vaginalgeburt ist somit nicht erbracht.

9. Der bei dem Kläger eingetretene Schaden ist Folge der ohne wirksame Einwilligung und somit rechtswidrig durchgeführten Entbindung. Der Beklagte zu 2) hat grundsätzlich für alle Folgen einer solchen rechtswidrigen Maßnahme einzustehen.

Die Lähmung des linken Armes, die der Kläger infolge Schädigung des Oberarmplexus erlitten hat, ist auf die bei der Geburt aufgetretenen Schulterdystokie zurückzuführen.

Typische Ursache einer Plexusparese ist das Andrücken der vorderen Schulter des Kindes an die Symphyse und dadurch bedingte Läsionen von Nervenbahnen im Plexus brachialis (Bl. 17 d. Guta. Prof. Dr. W..... v. 18.11.1993; Bl. 157 GA). Dazu kann es auch bei vollkommen korrektem Vorgehen der Geburtshelfer kommen (Bl. 17 d. Guta. Prof. Dr. W..... v. 18.11.1993; Bl. 157 GA; Bl. 16 d. Guta. Prof. Dr. R..... v. 21.07.1999; Bl. 885 GA). Zwar treten Plexusparesen nicht nur nach einer Vaginalgeburt mit Schulterdystokie auf, sondern wurden auch bei Neugeborenen festgestellt, die ohne Auftreten einer Schulterdystokie, insbesondere per Schnittentbindung, zur Welt gekommen waren; dabei handelt es sich jedoch um einen äußerst geringen Prozentsatz aller Plexusparesen Neugeborener (Prof. Dr. R..... mit Zustimmung von Prof. Dr. W...... mdl. Erläuterung v. 06.02.2001, Bl. 9 f. d. Prot.; Bl. 1063 f. GA). Als Ursache der Lähmungen werden in solchen Fällen - neben fehlerhafter Geburtshilfe - u. a. intrauterine Schädigungen des Fetus in Betracht gezogen (Bl. 20 f. d. Guta. Prof. Dr. R..... v. 17.07.2000; Bl. 985 i. GA). Die gerichtlichen Sachverständigen haben im vorliegenden Fall jedoch Anhaltspunkte für eine solche bereits vor der Geburt wirksam gewordene Schadensursache nicht bejaht, sondern sind sich aufgrund einer nachvollziehbaren Argumentation darin einig, dass die Verletzung des Klägers Folge von geburtshilflichen Maßnahmen nach Auftreten der Schulterdystokie ist (Prof. Dr. W...... Guta. v. 18.11.1993, Bl. 15; Bl. 155 GA; Prof. Dr. R...... Guta. v. 21.07.1999, Bl. 14; Bl. 883 GA). Es ist daher mit einer für die Überzeugungsbildung des Gerichts gemäß § 286 ZPO ausreichenden Gewissheit davon auszugehen, dass der Ausnahmefall einer pranatalen Schädigung hier nicht gegeben ist (vgl. dazu BGH NJW 1970, S. 946, 948).

Die Ursächlichkeit der gewählten Entbindungsform für die eingetretene Plexuslahmung ist unabhängig davon zu bejahen, ob eine gleichartige Verletzung auch bei einer Schnittentbindung eintreten kann. Denn entscheidend ist, dass die Schädigung des Klägers konkret im Zuge der vom Beklagten zu 2) vorgenommenen Vaginalgeburt und auf dem damit gewählten natürlichen Geburtsweg erfolgt ist. Der Kaiserschnitt und damit die Abwicklung der Geburt auf einem anderen - künstlich eröffneten - Geburtsweg hatte einen anderen Kausalverlauf in Gang gesetzt (vgl. dazu BGH NJW 1989, S. 1538, 1539).

10. Der Beklagte zu 2) führte den Schaden schuldhaft herbei.

Der Beklagte handelte fahrlässig, als er bei der Vaginalentbindung als Geburtshelfer tätig wurde, ohne die Mutter zuvor über die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufgeklärt zu haben. Er durfte sich auch nicht darauf verlassen, dass sein Assistenzarzt, der Beklagte zu 1), die Mutter ordnungsgemäß über die zur Verfügung stehenden Entbindungsformen und die damit verbundenen Risiken aufgeklärt hätte, da erst aufgrund der Untersuchung durch den Beklagten zu 2) die Risikoschwangerschaft hinreichend sicher erkannt worden war.

Die vorhandenen Risikofaktoren und die medizinische Folgerung, dass sich aus diesen eine ernsthafte Gefährdung des Kindes bei der Vaginalgeburt ergab, die bei einer Schnittentbindung nicht entstanden wäre, waren dem Beklagten zu 2) bekannt oder mussten ihm bekannt sein. Denn es gehörte bereits im Jahre 1989 in der medizinische Wissenschaft zum Allgemeinwissen, dass bei Zusammentreffen von Makrosomie, Adipositas der Mutter, starker Gewichtszunahme wahrend der Schwangerschaft, Gestose und Verdacht auf Diabetes erheblich höhere Gefahren für das Kind bestehen (vgl. El. 11 ff. d. Guta. Prof. Dr. R..... v. 17.07.2000; Bl. 976 ff. GA; mdl. Erläuterung Bl. 1057 f. GA). Das wird auch von dem Sachverständigen Prof. Dr. W..... nicht anders gesehen, der diesbezüglich durchweg auf Literatur aus der Zeit vor 1989 verweist (Bl. 16 ff. d. Guta. v. 18.11.1993; Bl. 156 ff. GA).

Der Beklagte zu 2) war somit nicht aufgrund des damaligen Standes der medizinischen Wissenschaft daran gehindert zu erkennen, dass die Entscheidung über die Art der Entbindung der Schwangeren zu überlassen war. Ihm mussten vielmehr alle Umstände bekannt sein, aus denen sich die Gleichwertigkeit von Vaginal- und Schnittentbindung ergab.

11. Der Beklagte kann sich zu seiner Entschuldigung nicht darauf berufen, in der bis 1989 erschienenen medizinischen Fachliteratur sei weitgehend die Meinung vertreten worden, dass bei Makrosomie eine Schnittentbindung nicht indiziert sei. Diese damals vertreten Auffassung beruht im Wesentlichen nicht darauf, dass die medizinische Forschung zu dieser Zeit nicht weit genug fortgeschritten gewesen wäre, sondern ist Ausdruck einer Interessenabwagung, die jeder Arzt selbst und eigenverantwortlich vorzunehmen hat. Zudem weist der Kläger mit Recht darauf hin, dass auch zur Zeit der Geburt des Klägers bereits teilweise gelehrt wurde, bei Makrosomie sei eine Schnittentbindung zu erwägen. So heißt es in dem 1986 erschienen "Lehrbuch der Gynäkologie und Geburtsmedizin" von Schneider und Kaulhausen (S. 332):

"Liegt das geschätzte Kindsgewicht über 4.500 g, so ist eine selektive Sectio caesarea zu empfehlen, da Komplikationen wie relatives Missverhältnis und Schulterdystokie häufig auftreten."

Auch in dem "Lehrbuch der Geburtshilfe", herausgegeben von Martius (1988), wird auf S. 385 darauf hingewiesen, dass die Schnittentbindung als prophylaktische Maßnahme wiederholt diskutiert worden sei. Der Verfasser hält allerdings eine exakte Indikationsstellung nicht für möglich. Dies schließt jedoch eine nur relative Indikation der Sectio nicht aus.

Auf der Grundlage des medizinischen Wissens, das ihm zur Verfügung stand, hätte der Beklagte zu 2) deshalb erkennen müssen, dass die Schnittentbindung als ernsthafte Alternative in Betracht kam und dass sie deshalb im Interesse des Kindes und der Mutter mit dieser erörtert werden musste. Dies gilt um so mehr als im vorliegenden Fall, wie bereits ausgeführt, mehrere Risikofaktoren zusammentrafen.

Indem der Beklagte zu 2) der Mutter nicht die Möglichkeit gab, zwischen den beiden Alternativen eine freie Entscheidung zu treffen, setzte er das Kind eigenmächtig den erhöhten Risiken der vaginalen Geburt aus, wenn auch im Vertrauen darauf, dass das Kind keinen Schaden nähme. Damit trifft ihn der Vorwurf der Fahrlässigkeit (vgl. dazu BGH NJW 1989, S. 1538, 1540).

Der Beklagte zu 2) ist dem Kläger zu 1) daher gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Ersatz der Schäden verpflichtet, welche diesem aufgrund der gewählten Geburtsform entstanden sind. Ebenso schuldet er dem Kläger zu 1) ein Schmerzensgeld.

12. Die Ansprüche des Klägers sind nicht aufgrund eines Mitverschuldens der Mutter gemäß § 254 BGB bzw. § 847 BGB verringert.

Bei der Entstehung des Geburtsschadens hat kein Verschulden der Mutter des Klägers mitgewirkt. Sie trug weder in der Schwangerschaftsphase noch während der Geburt schuldhaft zur Entstehung des Schadens bei.

Die von den gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Versäumnisse bei der Betreuung der Schwangeren in der pränatalen Phase (vgl. u. a. Bl. 14 f. d. Guta. Prof. Dr. R..... v. 17.07.2000; Bl. 979 f. GA) sind nicht von der Mutter des Klägers zu vertreten. Die Ärzte, die die Schwangere betreuten, sind nicht als Verrichtungsgehilfen des Klägers im Verhältnis zu den mit der Entbindung befassten Ärzten zu betrachten (§ 254 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 831 Abs. 1 BGB in entsprechender Anwendung).

Es ist nicht dargetan, dass die Schwangere gegen den Rat ihrer Ärzte das Krankenhaus verspätet aufsuchte. Sie wurde nach der Aussage der Zeugin U...., die die Schwangere bis dahin als Hebamme betreut hatte, erst am Tag der Aufnahme von der Notwendigkeit einer Stationären Entbindung in Kenntnis gesetzt.

Soweit die Beklagten der Mutter des Klägers mangelnde Kooperationsbereitschaft vorwerfen, ist nicht dargetan, dass dadurch der Schaden des Klägers verursacht worden wäre. Dass die Gebärende erst nach Belehrung durch den Beklagten zu 2) bereit war, sich eine Braunüle legen zu lassen, ist irrelevant, da eine hierdurch bedingte Behinderung der Geburt nicht ersichtlich ist. Wenn ein sog. Pudendusblock von der Mutter abgelehnt wurde, so könnte dies allenfalls dann erheblich sein, wenn sie zuvor ordnungsgemäß über die möglicherweise bestehende Notwendigkeit im Interesse des Kindes aufgeklärt worden wäre. Letzteres wird nicht substantiiert vorgetragen.

13. Die Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2) sind nicht verjährt (§ 852 BGB).

Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung verjährt gemäß § 852 Abs. 1 BGB in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Die Personen, auf deren Kenntnis es ankommt, sind bei Schädigung eines Geschäftsunfähigen die gesetzlichen Vertreter des Geschädigten (BGH NJW 1991, S. 2350), hier also die Mutter des Klägers.

Abzustellen ist für den Beginn der Verjährungsfrist auf die Kenntnis der anspruchsbegrundenden Tatsachen, nicht auf deren zutreffende rechtliche Würdigung oder auf deren exakte medizinische Einordnung (BGH NJW 1984, S. 661). Für diese Kenntnis reicht es allerdings regelmäßig nicht aus, dass dem geschädigten Patienten der negative Ausgang einer ärztlichen Behandlung bekannt ist. Vielmehr gehört zur Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen das Wissen, dass sich in dem Misslingen der ärztlichen Tätigkeit das Behandlungs- und nicht das Krankheitsrisiko verwirklicht hat. Der Patient oder sein Wissensvertreter muss also als medizinischer Laie erkannt haben, dass der aufgetretene Schaden auf einem fehlerhaften Verhalten des behandelnden Arztes beruht (BGH NJW 1991, S. 2350). Dazu gehört das Wissen, dass der Arzt von dem üblichen ärztlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren (BGH NJW 1988, S. 1516, 1517).

Es genügte daher zur Ingangsetzung der Verjährungsfrist nicht, dass die Mutter des Klägers die Vorgänge vor und bei der Geburt wahrnahm und wusste, dass sie nicht näher über die beiden Alternativen der Entbindung aufgeklärt worden war. Sie hätte darüber hinaus wissen müssen, dass der Beklagte zu 2) mit diesem Versäumnis von dem gebotenen ärztlichen Vorgehen abwich (vgl. dazu BGH NJW 1991, S. 2350 f.). Dass die Mutter diese Kenntnis vor dem Jahr 1992 erlangte, ist nicht dargetan. Der Vortrag des Klägers, dass seine Mutter erstmals im Sommer 1992 von einer Verwandten über ein mögliches Fehlverhalten der beteiligten Ärzte erfahren habe, ist nicht widerlegt.

Zugunsten des Beklagten mag unterstellt werden, dass der Inhalt des an die behandelnde Ärztin Dr. L.... gerichteten Schreibens des Beklagten zu 2) vom 23.10.1989 (Bl. 47 GA) der Mutter des Klägers im Oktober 1989 bekannt gegeben wurde. Damit erlangte sie noch nicht die nach § 852 BGB erforderliche Kenntnis. Denn der ärztliche Bericht vom 23.10.1989 enthält zwar Schilderung und medizinische Beurteilung des Schwangerschafts- und Geburtsverlaufes, nicht dagegen einen Hinweis darauf, dass die Gefahren für das Kind bei einer Schnittentbindung geringer gewesen wären oder dass eine Aufklärung hierüber in Betracht gekommen wäre. Die Mutter des Klägers wusste daher auch aufgrund dieses ärztlichen Berichts noch nicht, dass der Beklagte zu 2) ihrem Sohn aufgrund fehlerhaften Verhaltens ersatzpflichtig sein könnte.

Die Verjährungsfrist wurde somit nicht vor dem Jahr 1992 in Gang gesetzt.

Die am 20.10.1992 bei Gericht eingereichte Klage ist dem Beklagten zu 2) am 30.12.1992 zugestellt worden (Bl. 74 GA). Damit wurde die dreijährige Verjährungsfrist unterbrochen (§ 209 Abs. 1 BGB).

Die gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Klageforderungen sind nach allem dem Grunde nach gerechtfertigt. Zur Höhe ist noch Beweis zu erheben. Die Feststellungsklage ist begründet.

II.

Das Landgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 1) zu Recht abgewiesen. Der Beklagte zu 1) schuldet dem Kläger keinen Schadensersatz aufgrund des erlittenen Geburtsschadens (§ 823 BGB).

Der Kläger wirft dem Beklagten zu 1) vor, die Schwangere nicht ordnungsgemäß untersucht zu haben, nichts zur Bestimmung des Geburtsgewichts unternommen zu haben, die gebotene Aufklärung der Mutter über die zu treffende Wahl zwischen Vaginal- und Schnittentbindung unterlassen zu haben und nicht rechtzeitig den zuständigen Oberarzt hinzugezogen zu haben. Ob der Beklagte zu 1) diese Fehler beging, bedarf keiner weiteren Prüfung; denn es fehlt jedenfalls an der Ursächlichkeit für den eingetretenen Schaden. Diesen hat allein der Beklagte zu 2) verursacht.

1. Haben zwei Personen Ursachen gesetzt, von denen jede für sich allein den Schaden herbeigeführt hätte, so haben grundsätzlich beide den Schaden im Rechtssinne verursacht und sind dafür ggf. haftbar (vgl. z. B. BGH NJW 1990, S. 2882, 2883).

Das gilt auch, wenn zwei Ärzte, die unabhängig voneinander mit der Behandlung eines Patienten befasst waren, dabei jeweils eine medizinisch gebotene Maßnahmen unterlassen haben; in diesem Fall haften beide für den infolgedessen eingetretenen Schaden (BGH NJW 1986, S. 2367, 2368). Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.

Die - hier zu Gunsten des Klägers unterstellten - Versäumnisse des Beklagten zu 1) mögen zwar geeignet gewesen sein, den Geburtsschaden des Klägers zu verursachen. So wäre es im Zweifel auch dann, wenn der Beklagte zu 2) nicht hinzugerufen worden wäre, zu einer Vaginalgeburt ohne vorausgegangene Aufklärung der Gebärenden gekommen. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass das Verhalten des Beklagten zu 1) für den Schaden kausal wurde.

Eine wesentliche Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, dass unter Beachtung der geltenden medizinischen Regeln der Beklagte zu 1), seinerzeit unstreitig Assistenzarzt, aufgrund des erkennbar erhöhten Risikos gehalten war, den erfahreneren Gynäkologen, nämlich den Beklagten zu 2), hinzuzuziehen. Dies wird von dem Sachverständigen Prof. Dr. R..... überzeugend dargelegt (Bl. 6 f., 17 d. Guta. v. 21.07.1999 Bl. 875 f., 886 GA). Auch Prof. Dr. W..... weist darauf hin, dass ganz allgemein die Entscheidung über die Vornahme einer Sectio vom diensthabenden Oberarzt und nicht von einem Assistenzarzt zu treffen sei (Bl. 25 d. Gut. v. 18.11.1993; Bl. 165 GA). Es wäre bei pflichtgemäßem Vorgehen des Beklagten zu 1) also auf jeden Fall der Beklagte zu 2) gewesen, der die Entscheidung über die Art der Entbindung getroffen hätte. Dieser hatte auch die Mutter ordnungsgemäß aufklären oder eine solche Aufklärung veranlassen müssen. Der Beklagte zu 1) versäumte es also nicht, eine Schnittentbindung selbst einzuleiten und die Mutter hierüber aufzuklären, sondern durch die Hinzuziehung des Beklagten zu 2) entsprach er - wenngleich mit zweistündiger Verspätung - seiner ärztlichen Pflicht.

Ein Fehler des Beklagten zu 1) lag darin, dass er den Beklagten zu 2) erst gegen 14.30 Uhr in den Kreißsaal rufen ließ. Dies stand jedoch der Anordnung einer Schnittentbindung nicht entgegen. Denn eine solche wäre, wie bereits ausgeführt, noch um 14.45 Uhr möglich gewesen. Die vom Beklagten zu 1) zu vertretende Verspätung wurde also für den Schaden ebenfalls nicht kausal.

2. Auch soweit der Beklagte zu 1) es unterließ, sämtliche für die Bestimmung des Geburtsgewichts erforderlichen Werte bereits bei der Aufnahme der Schwangeren festzustellen, fehlt es an der Kausalität für den eingetretenen Schaden. Der Beklagte zu 2), der grundsätzlich allein befugt war, eine Sectio anzuordnen, war dadurch nicht gehindert, die Makrosomie des Kindes festzustellen und daraus die gebotenen Konsequenzen - etwa die Einleitung einer Schnittentbindung - zu ziehen.

Sofern angenommen wird, dass im Zeitpunkt der Aufnahme noch eine genauere Bestimmung des Geburtsgewichts möglich gewesen wäre als um 14.30 Uhr, wie vom Kläger behauptet wird, wirkte sich die Unterlassung des Beklagte zu 1) nicht aus. Denn der Beklagte zu 2) ging unstreitig von einem Geburtsgewicht von nicht wesentlich mehr als 4.500 g aus, was - in Verbindung mit den übrigen Besonderheiten - aufgrund der weiter oben ausgeführten Überlegungen bereits eine relative Indikation des Kaiserschnitts bedeutete. Die gerichtlichen Sachverständigen sind sich darüber einig, dass bei Makrosomie die Bestimmung des Gewichts des Feten mit einer erhöhten Ungenauigkeit belastet ist (Bl. 19 f. d. Guta. Prof. Dr. W..... v. 17.11.1994; Bl. 269 f. GA; Prof. Dr. R..... in der mdl. Erläuterung, Bl. 1059 GA). Deshalb kann, selbst wenn der Beklagte zu 1) aufgrund einer ausreichenden Untersuchung um 12.30 Uhr ein höheres Gewicht als 4.500 g ermittelt hätte, nicht davon ausgegangen werden, dass das Geburtsgewicht von 5.400 g erkannt worden wäre. Es kann daher auch nicht angenommen werden, dass der Beklagte zu 2) aufgrund einer rechtzeitigen Gewichtsbestimmung durch den Beklagten zu 1) eine andere Entbindungsform erwogen hätte. Die Tätigkeit des Beklagten zu 1) vor Hinzutreten des Beklagten zu 2) wurde also für den Körperschaden des Klägers nicht ursächlich.

3. Für schadensursächliche Handlungen des Beklagten zu 1) in Anwesenheit des Beklagten zu 2) während der Geburt ist kein Beweis erbracht. Die Zeugin U.... konnte nicht bestätigen, dass der Beklagte zu 1) bei dem eigentlichen Geburtsvorgang im Kreißsaal war (Bl. 492 GA). Der Zeuge Z......... hat insoweit nichts Erhebliches bekundet; die Vorgänge nach 17.00 Uhr hatte er nach seinen Angaben nur noch bruchstückhaft in Erinnerung (Bl. 493 ff. GA). Auch aufgrund der Beweiserleichterungen infolge vorhandener Dokumentationslücken kann nicht von schädigenden Handlungen des Beklagten zu 1) ausgegangen werden. Selbst wenn das Fehlen genauerer Angaben zur Bewältigung der Schulterdystokie im Geburtsbericht es zulassen sollte, zu Gunsten des Klägers ein regelwidriges Vorgehen bei der Geburtshilfe als bewiesen anzusehen, so ist doch jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) diese Handlungen vornahm. Soweit es in der Zeit zu Behandlungsfehlern kam, in welcher der Oberarzt die Entbindung leitete, ist der Beklagte zu 1) als Assistenzarzt nicht verantwortlich, da der Beklagte zu 2) in dieser Zeit die erforderlichen Anweisungen gab. Es sind keine Umstände bekannt, die dafür sprächen, dass der Beklagte zu 1) eigenmächtig vorgegangen wäre.

Die Klage gegen den Beklagten zu 1) ist daher nicht begründet.

III.

Die Klage gegen die Beklagte zu 3) ist ebenfalls zu Recht abgewiesen worden. Diese ist dem Kläger nicht zum Schadensersatz verpflichtet (§ 823 BGB).

Die Beklagte zu 3) war während der Geburt, des Klägers als Hebamme tätig. Der Vortrag, die Beklagte habe nach Auftreten der Komplikation die Entwicklung des Kindes vorgenommen, obwohl hierfür ausschließlich der Arzt befugt gewesen sei, wäre nur dann schlüssig, wenn der Kläger damit zum Ausdruck bringen wollte, dass die Hebamme ohne Mitwirkung des Arztes tätig geworden wäre. Es mag dahinstehen, ob der Tatsachenvortrag insoweit ausreichend substantiiert ist. Denn jedenfalls ist der erforderliche Beweis nicht erbracht.

Die Aussage der Zeugin U.... hierzu lautet, die Beklagte zu 3) habe den Kopf des Kindes entwickelt, wobei es keine Schwierigkeiten gegeben habe. Danach seien sowohl die Beklagte als auch der Beklagte zu 2) mit der Geburt "zugange" gewesen. Demnach war die Beklagte zu 3) nur mit der komplikationsfreien Entwicklung des Kindes in eigener Verantwortung befasst. Soweit sie auschließend unter Aufsicht des Beklagten zu 2) tätig wurde, stellt dies kein regelwidriges Verhalten der Hebamme dar.

Die Behauptung des Klägers, die Beklagte zu 3) habe nach Auftreten der Schulterdystokie und vor dem gebotenen Drehen der Schulter unter Kraftanstrengung an dem Kopf des Kindes gezogen, ist nicht bewiesen. Die Zeugen haben dies nicht bestätigt. Aufgrund der vorhandener Dokumentationslücken kann - wie bei dem Beklagten zu 1) - nicht von einem solchen Vorgehen der Hebamme ausgegangen werden. Selbst wenn das Fehlen genauerer Angaben zur Entwicklung im Geburtsbericht es zulassen sollte, zu Gunsten des Klägers ein regelwidriges Entwickeln des Kindes als bewiesen anzusehen, so ist doch jedenfalls nicht davon auszugehen, dass die Beklagte zu 3) diese Handlungen vornahm. Die Geburt wurde geleitet von dem anwesenden Oberarzt, der deshalb grundsätzlich für die unter seiner Aufsicht begangenen Behandlungsfehler haftet. Es sind keine Umstände bekannt, die dafür sprachen, dass die mit der Geburtshilfe betraute Hebamme eigenmächtig vorgegangen wäre.

Die Berufung war daher zurückzuweisen, soweit die Beklagten zu 1) und 3) betroffen sind.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren wie folgt festgesetzt:

bis zur Rücknahme der Berufung durch die Klägerin zu 2) auf 126.000,00 DM, danach auf 116.000,00 DM.

Der Kläger zu 1) und der Beklagte zu 2) sind in Höhe von 116.000,00 DM beschwert.

Ende der Entscheidung

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