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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 02.07.2002
Aktenzeichen: 3 U 1644/01
Rechtsgebiete: ZPO, ZVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 795
ZPO § 736
ZPO § 767 Abs. 2
ZPO § 797 Abs. 4
ZVG § 150 Abs. 2
ZVG § 152 Abs. 1
ZVG § 152 Abs. 2
BGB § 826
BGB § 556 Abs. 1 a. F.
BGB § 554 Satz 2 a. F.
BGB § 554 Abs. 1 Nr. 1 a. F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 3 U 1644/01

Verkündet am 02.07.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kubiak sowie die Richter am Oberlandesgericht Becht und Ritter auf die mündliche Verhandlung vom 04.06.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 2) und 3) wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 18.09.2001, soweit die Beklagten zu 2) und 3) verurteilt worden sind, abgeändert wie folgt:

Die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) wird abgewiesen.

Die Berufung der Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3 der Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) und die Beklagte zu 1) 1/3 der Gerichtskosten sowie 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen tragen die Parteien ihre Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger ist zum Zwangsverwalter über mehrere Grundstücke bestellt worden und verlangt als solcher von den Beklagten Räumung und Herausgabe dieser Grundstücke.

Vollstreckungsgläubigerin ist die ....kasse W...., Vollstreckungsschuldner sind die Beklagten zu 2) und 3). Diese sind zu je 1/2 Miteigentümer der im Grundbuch von W.... Blatt ..35 eingetragenen Parzellen und zu je 1/4 Miteigentümer der im Grundbuch von W.... Blatt ..47 eingetragenen Parzelle. Über ihre Miteigentumsanteile hat das Amtsgericht Worms auf Antrag der Vollstreckungsgläubigerin mit Beschluss vom 26.05.2000 die Zwangsverwaltung angeordnet und den Kläger zum Zwangsverwalter bestellt.

Auf den in Blatt ..35 eingetragenen Parzellen befindet sich ein Gebäude, in welchem zunächst die Beklagte zu 1) das Schnellrestaurant "A......." betrieb. Über die Räume schlossen die Beklagten zu 2) und 3) mit der Beklagten zu 1) am 01.05.1997 zwei schriftliche Mietverträge. Die Beklagte zu 1) ist in Vermögensverfall geraten und stellte am 03.07.2000 Insolvenzantrag; die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Worms vom 18.07.2000 mangels Masse abgelehnt. Seitdem betreiben die Beklagten zu 2) und 3) die Gaststätte "A......." in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts in denselben Räumen wie bisher. Die Beklagte zu 1) hat ihren Geschäftsbetrieb eingestellt. Nachdem die Beklagte zu 1) mehrere Monate keine Miete gezahlt hatte, kündigte der Kläger mit Schreiben vom 15.09.2000 das Mietverhältnis mit der Beklagten zu 1) fristlos. Erstmals ab Januar 2002 wurden wieder Mietzahlungen erbracht.

Im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage der Beklagten zu 2) und 3) gegen die ....kasse W.... u. a. ist durch Beschluss des Landgerichts Worms vom 05.02.2001 - 2 O 514/00 - die Zwangsvollstreckung gegen die Beklagten zu 2) und 3) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3,6 Mio. DM einstweilen eingestellt worden.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten zur Räumung und Herausgabe der für die Gaststätte "A......." genutzten Räume sowie weiterer Räume in demselben Gebäude zu verurteilen. Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und dazu in den Entscheidungsgründen ausgeführt, ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe für die Klage im Verhältnis zu sämtlichen Beklagten. Die von den Beklagten zu 2) und 3) gebildete BGB-Gesellschaft sei Untermieterin der herausverlangten Räume, so dass die Vollstreckungsschuldner weiterhin im mittelbaren Besitz der Räume seien. Materielle Einwände gegen den Vollstreckungstitel seien unbeachtlich. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung lasse die einmal angeordnete Zwangsverwaltung unberührt.

Die Beklagten tragen zur Begründung ihrer Berufung vor, sie stünden in Vergleichsverhandlungen mit der Vollstreckungsgläubigerin, und angemessene Mietzahlungen würden nunmehr geleistet. Die Verwendung der vollstreckbaren Urkunde als Titel sei treuwidrig, da die ....kasse W.... den Vertrag mit ihnen unter Verletzung gegen vorvertragliche Aufklärungspflichten und trotz Kenntnis des unzureichenden Wertes des als Sicherheit verwendeten Objektes geschlossen habe. Der Kläger sei nicht zur Kündigung des Mietvertrages mit der Beklagten zu 1) berechtigt gewesen. Die Beklagten berufen sich weiterhin auf die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung.

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, er habe sich nach seiner Bestellung zum Zwangsverwalter in den mittelbaren Besitz der zwangsverwalteten Grundstücke gesetzt. Einwendungen aus dem Verhältnis zur Vollstreckungsgläubigerin könnten nicht dem Zwangsverwalter gegenüber geltend gemacht werden. Die beantragte Gerichtsentscheidung sei zur Durchführung der Zwangsverwaltung auch den Beklagten zu 2) und 3) gegenüber erforderlich.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze und Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache hat jedoch nur die Berufung der Beklagten zu 2) und 3) Erfolg.

Die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) ist unzulässig. Für sie besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger bereits über einen rechtskräftigen Titel gegen die Beklagten zu 2) und 3) verfügt, mit dem er die Herausgabe der zwangsverwalteten Räume erzwingen kann (zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses bei Vorliegen eines Vollstreckungstitels vgl.: Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., Vor § 253 Rdnr. 18a).

Mit Beschluss des Amtsgerichts Worms vom 26.05.2000 - 16 L 9/2000 - ist der Kläger zum Zwangsverwalter bestellt und gemäß § 150 Abs. 2 ZVG ermächtigt worden, sich selbst den Besitz der zwangsverwalteten Grundstücke zu verschaffen. Dieser Beschluss stellt einen vollwirksamen Vollstreckungstitel dar. Der Kläger kann sich daher bereits aufgrund dieses Beschlusses und ggf. unter Zuhilfenahme eines Gerichtsvollziehers den unmittelbaren Besitz der Grundstücke verschaffen, soweit die Schuldner unmittelbare Besitzer sind (vgl. dazu Zeller/Stöber, ZVG, 16. Aufl., § 150 Anm. 3.5).

Vollstreckungsschuldner sind die Beklagten zu 2) und 3). Sie sind im unmittelbaren Besitz der unter Zwangsverwaltung stehenden Grundstücke, indem sie dort die Gaststätte "A......." betreiben. Die herausverlangten Räume befinden sich ausschließlich auf Grundstücken, die in vollem Umfang Gegenstand der Zwangsverwaltung sind. Das Grundstück Flur 8, Parzelle 424/3, welches nur zum Teil im Eigentum der Vollstreckungsschuldner steht, ist nicht bebaut.

Unerheblich ist, dass die Beklagten zu 2) und 3) als Gesellschaft bürgerlichen Rechts auftreten. Denn eines besonderen Vollstreckungstitels gegen eine BGB-Gesellschaft bedarf es nicht, sondern gemäß §§ 736, 795 ZPO genügt ein gegen alle Gesellschafter gerichteter Vollstreckungstitel. Diese gesetzliche Regelung gilt unabhängig davon, ob man der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes folgt, wonach eine BGB-Gesellschaft als rechtsfähig zu behandeln ist. Denn diese Rechtsprechung bezweckt keine Erschwerung, sondern eine Erleichterung des Rechtsverkehrs. So wird ein gegen eine BGB-Gesellschaft gerichteter Titel als nach § 736 ZPO ausreichend (BGH NJW 2001, S. 1056, 1059 und 1060), nicht aber als erforderlich angesehen.

Ein Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich auch nicht aus anderen Umständen. Welche Besonderheiten sich im Rahmen der Zwangsverwaltung in einem Fall ergeben, in welchem der Schuldner zugleich mittelbarer Eigenbesitzer und aufgrund eines Rechtsverhältnisses zu einem Dritten unmittelbarer Fremdbesitzer ist, bedarf keiner Prüfung. Denn entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts liegt kein Untermietverhältnis zwischen der Beklagten zu 1) und der aus den Beklagten zu 2) und 3) bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts vor. Hierzu werden keine Tatsachen vorgetragen; insbesondere wird nicht behauptet, dass zwischen den Parteien ein an die Beklagte zu 1) zu zahlender Mietzins vereinbart worden sei. Auch für ein Unterleihverhältnis oder ein ähnliches Rechtsverhältnis fehlt es an einem Tatsachenvortrag. Es muss daher von unmittelbarem Eigenbesitz der Beklagten zu 2) und 3) bzw. ihrer BGB-Gesellschaft ausgegangen werden, sei es, dass der mit der Beklagten zu 1) bestehende Mietvertrag einvernehmlich beendet wurde, sei es, dass die Beklagten zu 2) und 3) sich ohne eine solche Vereinbarung mit der Beklagten zu 1) den unmittelbaren Besitz an den Grundstücken verschafften. Unabhängig davon, ob die Beklagten zu 2) und 3) die Grundstücke in ihre BGB-Gesellschaft eingebracht oder dieser aufgrund einer anders gearteten Vereinbarung überlassen haben, sind sie jedenfalls unmittelbare Besitzer, und zwar in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter.

Tatsächliche Hindernisse für eine Vollstreckung aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Worms vom 26.05.2000, aus denen sich das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) ergeben könnte, werden ebenfalls nicht behauptet. Der Kläger hat sich bislang lediglich den mittelbaren Besitz an den Grundstücken verschafft und keinen Vollstreckungsversuch unternommen. Mögliche Schwierigkeiten bei der Vollstreckung geben noch kein rechtliches Interesse an der Schaffung eines weiteren Titels.

Die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) war daher unter Abänderung des angefochtenen Urteils als unzulässig abzuweisen.

Der Klage gegen die Beklagte zu 1) hat das Landgericht zu Recht stattgegeben.

Für diesen Klageantrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, da die Beklagte zu 1) nicht Vollstreckungsschuldnerin ist und die Anweisung des Vollstreckungsgerichts an den Zwangsverwalter daher nicht als Vollstreckungstitel gegen diese Beklagte wirkt (vgl. dazu BGH NJW-RR 1986, S. 858; Zeller /Stöber aaO. § 150 Anm. 3.7).

Der Kläger ist aktivlegitimiert als Zwangsverwalter der betroffenen Grundstücke (§ 152 Abs. 1 ZVG). Zugrundeliegender Vollstreckungstitel ist die mit Vollstreckungsklausel versehene und den Vollstreckungsschuldnern unstreitig zugestellte notarielle Urkunde vom 06.03.1997 (Bl. 62 ff. GA). Dieser Titel ist wirksam. Seine Verwendung ist nicht rechtsmissbräuchlich.

Nach dem Vortrag der Beklagten sind - unabhängig davon, ob die Beklagte zu 1) sich überhaupt darauf berufen könnte - nicht die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt. Die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil oder einem anderen Vollstreckungstitel stellt einen gegen die guten Sitten verstoßenden Rechtsmissbrauch dar, wenn der Vollstreckende den Titel durch eine rechts- oder sittenwidrige Handlung im Bewusstsein der Unrichtigkeit herbeigeführt hat oder wenn er die Unrichtigkeit nachträglich erkannt hat und die Ausnutzung der formalen Rechtsstellung des Vollstreckenden mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar ist (vgl. BGH NJW 1999, S. 1257, 1258). Ein so schwerwiegender Fall ist nicht dargetan. Selbst wenn der Vortrag der Beklagten, die ....kasse habe sittenwidrig gehandelt, als richtig unterstellt wird, so fehlt es doch an Umständen, welche die Verwendung des Titels als schlechthin unerträgliche Ungerechtigkeit erscheinen ließen. Denn bei einer vollstreckbaren Urkunde - wie hier - steht dem Schuldner zur Geltendmachung seiner Einwendungen stets der Weg der Vollstreckungsgegenklage offen, da die beschränkende Vorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO auf diese Vollstreckungstitel nicht anzuwenden ist (§ 797 Abs. 4 ZPO). Die Verwendung des Titels ist daher nicht rechtsmissbräuchlich.

Materiellrechtliche Einwendungen gegen das dem Vollstreckungstitel zugrundeliegende Rechtsgeschäft können im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht berücksichtigt werden.

Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung hat keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der einmal angeordneten Zwangsverwaltung und die Befugnisse des Zwangsverwalters. Hierzu wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Beklagte zu 1) hat die herausverlangten Räume von den Vollstreckungsschuldnern, den Beklagten zu 2) und 3), gemietet und aufgrund dieses Mietverhältnisses unmittelbaren Besitz daran erlangt. Da die Beklagte zu 1) nicht vorträgt, dass der Mietvertrag infolge einer Liquidation der GmbH oder auf andere Weise vor Anordnung der Zwangsverwaltung aufgelöst worden sei, ist im Verhältnis zur Beklagten zu 1) davon auszugehen, dass das Mietverhältnis bis zur Kündigung durch den Kläger fortbestand. Gemäß § 152 Abs. 2 ZVG war das Mietverhältnis auch dem Kläger gegenüber wirksam.

Die Beklagte zu 1) ist, nachdem der Kläger den Mietvertrag mit Schreiben vom 15.09.2000 fristlos gekündigt hat, zur Rückgabe der gemieteten Räume verpflichtet (§ 556 Abs. 1 BGB a. F.). Die außerordentliche Kündigung ist gemäß § 554 Abs. 1 Nr. 1 BGB a. F. gerechtfertigt, da die Beklagte zu 1) unstreitig für mehrere aufeinanderfolgende Monate mit der Zahlung des Mietzinses in Verzug geraten ist. Erst nach der Kündigung wurden wieder Mietzahlungen erbracht, so dass § 554 Satz 2 BGB a. F. nicht eingreift. Einwendungen aus dem Verhältnis der Mieterin zu den Vermietern werden nicht geltend gemacht. Als Zwangsverwalter der Grundstücke, auf denen sich die Mieträume befinden, war der Kläger gemäß § 152 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 ZVG zur Kündigung befugt.

Wie im Urteil des Landgerichts zutreffend ausgeführt wird, kann die Beklagte zu 1) dem Rückgabeanspruch aus dem Mietverhältnis nicht entgegenhalten, sie sei nicht mehr unmittelbare Besitzerin der Mietsache. Unmöglichkeit der Rückgabe ist nicht eingetreten.

Die Klage gegen die Beklagte zu 1) ist nach allem begründet.

Die Berufung der Beklagten zu 1) war daher zurückzuweisen. Im Übrigen war das Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.202,55 Euro festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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