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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 15.03.2007
Aktenzeichen: 4 SmA 16/07
Rechtsgebiete: GVG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 158 Abs. 1
ZPO § 281
ZPO § 375
1. Um die Bindungswirkung des § 158 Abs. 1 GVG hervorzurufen, muss ein Rechtshilfeersuchen nach § 375 ZPO vorliegen, welches auch tatsächlich ausführbar ist. An letzterem fehlt es, wenn um Vernehmung eines Zeugen ohne hinreichende Angabe des Beweisthemas ersucht wird.

2. Wie bei der Frage zur Bindungswirkung des § 281 ZPO muss auch für ein Rechtshilfeersuchen gelten, dass keine Bindungswirkung nach § 158 Abs. 1 GVG herbeigeführt wird, wenn das Rechtshilfeersuchen willkürlich oder offensichtlich rechtsmissbräuchlich ist.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 4 SmA 16/07

In Sachen

wegen Forderung

hier: Zulässigkeit eines Rechtshilfeersuchens

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Wünsch als Vorsitzenden, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Kerber und den Richter am Oberlandesgericht Goebel ohne mündliche Verhandlung gemäß § 159 GVG am 15.03.2007

beschlossen:

Tenor:

Das Rechtshilfeersuchen des Einzelrichters bei dem Landgericht Darmstadt im Verfahren 1 O 478/04 vom 28.06.2006 an das Amtsgericht Bad Kreuznach, den Zeugen K... entsprechend dem Beweisbeschluss des Landgerichtes Darmstadt vom 12.12.2005 zu vernehmen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Restwerklohn, wobei u.a. um die Frage gestritten wird, ob das Bauvorhaben mängelbehaftet ist und ob ungeachtet dessen eine Abnahme erfolgte.

Das örtlich und sachlich zuständige Landgericht Darmstadt hat am 12.12.2005 einen Beweisbeschluss verkündet, wonach über die Behauptung der Klägerin "der Beklagte habe am 29.10.2003 die klägerischen Arbeiten an dem Bauvorhaben ... in R... trotz der im Rohbauabnahmeprotokoll vom gleichen Datum aufgelisteten Mängel tatsächlich abgenommen. Im Übrigen habe die Klägerin in der Folgezeit die dort aufgeführten Mängel sachgerecht beseitigt" durch Vernehmung von zwei Zeugen Beweis erhoben werden soll. Zugleich wurde angeordnet, dass die Vernehmung jeweils durch den ersuchten Richter erfolgen solle. Nachdem beide Parteien auf einen Zeugen verzichtet haben, verblieb allein die Vernehmung des allein streitentscheidenden Zeugen K....

Dementsprechend hat das Landgericht Darmstadt mit Verfügung vom 28.06.2006 die zuständige Richterin beim Amtsgericht Bad Kreuznach ersucht, den etwa 12 km vom Sitz des Amtsgerichtes entfernt wohnenden Zeugen H... K... zu vernehmen.

Das Amtsgericht hat den Zeugen zunächst für den 28.08.2006 und nach einem Terminsverlegungsantrag des Beklagtenvertreters auf den 10.11.2006 geladen. Nachdem der Zeuge ohne Begründung und Entschuldigung nicht erschienen ist, hat das Amtsgericht die Akte unerledigt an das Landgericht Darmstadt mit dem Hinweis zurückgesandt, dass die Voraussetzungen des § 375 ZPO nicht vorliegen.

Das Landgericht Darmstadt hat die Akten dem ersuchten Gericht mit Beschluss vom 15.01.2007 dann erneut mit der Bitte vorgelegt, den Zeugen zu vernehmen. Zu den Voraussetzungen des § 375 ZPO hat es ausgeführt, dass es dem Zeugen nicht zumutbar sei, die deutlich längere Strecke von 75 km bis zum Landgericht Darmstadt zurückzulegen.

Das Amtsgericht Bad Kreuznach hat die Akten dann über den Präsidenten des Landgerichtes Darmstadt dem zuständigen Einzelrichter bei dem Amtsgericht Darmstadt zurückgesandt und eine Vernehmung des Zeugen abgelehnt. Das Rechtshilfeersuchen sei willkürlich, da die Voraussetzungen des § 375 ZPO nicht vorliegen. Der zuständige Einzelrichter beim Landgericht Darmstadt wolle sich lediglich der Mühe einer umfangreichen Beweisaufnahme entziehen. Das Beweisthema sei auch nicht hinreichend konkretisiert.

Der zuständige Einzelrichter bei dem Landgericht Darmstadt hat die Akten mit Beschluss vom 05.02.2007 dem Oberlandesgericht Koblenz, hier eingegangen am 07.03.2007, gemäß § 159 GVG zur Entscheidung vorgelegt. Dabei hat es ergänzend darauf hingewiesen, dass eine Anreise des Zeugen mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Darmstadt rund 2 - 2 1/2 Stunden in Anspruch nehme, während er von seinem Wohnort zum Amtsgericht Bad Kreuznach lediglich 22 Minuten benötige.

II.

Das Rechtshilfeersuchen war zurückzuweisen, da dieses in der jetzigen Form undurchführbar ist und darüber hinaus willkürlich und rechtsmissbräuchlich erscheint.

Einem Rechtshilfeersuchen nach § 375 ZPO ist grundsätzlich Folge zu leisten. Nach § 158 Abs. 1 GVG darf dieses nicht abgelehnt werden. Eine Ausnahme gilt nach § 158 Abs. 2 GVG nur für den Fall, dass das Ersuchen von einem nicht vorgesetzten Gericht ausgeht und eine Handlung betrifft, die dem für das ersuchte Gericht maßgebenden Recht verboten ist. Ein solches gesetzliches Verbot liegt zwar nicht vor. Allerdings haben sich in der Rechtsprechung Kategorien herausgebildet, die eine Zurückweisung des Rechtshilfegesuches gleichwohl erlauben.

1.

So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass um die Bindungswirkung des § 158 Abs. 1 GVG hervorzurufen, ein Rechtshilfeersuchen vorliegen muss, welches auch tatsächlich ausführbar ist (OLG Koblenz NJW 1975, 1036; OLG Köln OLGZ 66, 40; OLG Düsseldorf OLGZ 68, 57; OLG Frankfurt NJW-RR 1995, 637).

An letzterem fehlt es, wenn um Vernehmung eines Zeugen ohne hinreichende Angabe des Beweisthemas ersucht wird. Aufgrund der beachtlichen Regelung in § 158 Abs. 2 GVG ist ein Rechtshilfeersuchen nicht schon dann als unzulässig anzusehen, wenn der vom Prozessgericht erlassene Beweisbeschluss verfahrensrechtlich zu beanstanden wäre. Grundsätzlich hat der ersuchte Richter nämlich als "verlängerter Arm" des Prozessgerichts dessen Ersuchen auszuführen (BGH, LM § 158 GVG Nr. 2). Als unzulässig und verboten in diesem Sinn ist in der Rechtsprechung ein Rechtshilfeersuchen aber dann angesehen worden, wenn der ihm zugrunde liegende Beweisbeschluss entgegen § 359 Nr. 1 ZPO die streitige Tatsache, über die Beweis erhoben werden soll, nicht genügend bezeichnet (z.B. OLG Köln, OLGZ 1966, 40; OLG Düsseldorf, OLGZ 1973, 492).

Es mag fraglich erscheinen, ob ein Rechtshilfeersuchen wegen ungenügender Konkretisierung des Beweisthemas als verboten anzusehen ist oder ob der Rechtshilferichter ein solches Ersuchen wegen "Undurchführbarkeit" des Beweisbeschlusses ablehnen kann (OLG Koblenz NJW 1975, 1036). Jedenfalls muss die Beweisfrage nach Gegenstand, Ort und Zeit gekennzeichnet sein. Der ersuchte Richter muss aus der Beweisfrage selbst erkennen können, welche Aufklärung die Zeugenvernehmung erbringen soll. Er darf also nicht genötigt sein, sich aus den Akten zusammenzusuchen, was die Zeugen gefragt werden sollen. Während der ersuchte Richter bei fließenden Geschehnissen wie etwa einem Verkehrsunfall hier nur weniger Angaben bedarf, weil sich aus dem natürlichen Handlungsablauf die zu stellenden Fragen aufdrängen, sind bei statischen oder mehreren Ereignissen nähere Konkretisierungen der Behauptungen, über die Beweis erhoben werden soll, erforderlich.

Gemessen an diesen Maßstäben kann die Beweisaufnahme von der ersuchten Richterin am Amtsgericht Bad Kreuznach nicht durchgeführt werden. Zwar lässt das Beweisthema im ersten Teil hinreichend erkennen, dass der Zeuge über die Behauptung vernommen werden soll, dass eine Abnahme stattgefunden hat (Gegenstand), sowie wo und wann dies erfolgt sein soll. Der zweite Teil des Beweisbeschlusses ist jedoch gänzlich unbestimmt. Es ist weder auf eine konkrete Fundstelle für das Rohbauprotokoll in den Akten verwiesen, noch ist dargestellt, welche Mängel vorgelegen haben, noch wann diese beseitigt worden sein sollen. Diese Formulierung des Beweisthemas erlaubt aus sich heraus keine sachgerechte Vernehmung des benannten Zeugen.

Es ist einzuräumen, dass eine übermäßige Einengung und Konkretisierung der Beweisfragen geeignet ist, die Beweiserhebung zu sehr auf Einzelfragen zu beschränken und so den Vorgang in seinem Ablauf und Zusammenhang zu verdunkeln (so schon der Senat im Beschluss vom 20.12.1974 - 4 SmA 7/74 = NJW 1975, 1036 für die Frage nach der Ursache und dem Hergang eines örtlich und zeitlich bestimmten Verkehrsunfallereignisses). Andererseits darf die Fassung eines Beweisthemas nicht dazu führen, dass die Wahrheitsfindung dem ersuchten Gericht praktisch zu dessen Verantwortung übertragen wird. Genau dies geschieht aber hier, weil die um die Rechtshilfe ersuchte Richterin eine Beweisaufnahme sachgerecht nur dann durchführen kann, wenn sie sich den Sach- und Streitstand - wie der Prozessrichter - vollständig aus den Akten erarbeitet.

2.

Wie bei der Frage zur Bindungswirkung des § 281 ZPO muss auch für ein Rechtshilfeersuchen gelten, dass keine Bindungswirkung nach § 158 Abs. 1 GVG herbeigeführt wird, wenn das Rechtshilfeersuchen willkürlich oder offensichtlich rechtsmissbräuchlich ist (OLG Köln FamRZ 2004, 818; OLG Schleswig FamRZ 1995, 1596 = MDR 1995, 607). Eine willkürliche Übertragung der Beweisaufnahme auf das ersuchende Gericht liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der ersuchende Richter in seinem Gesuch nicht zumindest einerseits mit den tragenden Voraussetzungen und andererseits den Ausschlussgründen für eine Beauftragung eines ersuchten Richters auseinandersetzt, es sei denn die Zulässigkeit des Rechtshilfegesuches liegt auf der Hand.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit nach § 355 ZPO gebietet es, dass die Vernehmung von Zeugen nur in Ausnahmefällen einem kommissarischen Richter überlassen wird. Eine solche Ausnahme kommt nur immer dann in Betracht, wenn auf jeden Fall ein unmittelbarer Eindruck vom Verlauf der Beweisaufnahme entbehrlich ist und es ausgeschlossen ist, dass es auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen ankommt.

Der ersuchende Einzelrichter des Landgerichtes Darmstadt hat sich hier allein auf die Entfernung zwischen dem Wohnort des Zeugen und den beiden Gerichtsorten als Kriterium für eine Entscheidung nach § 375 ZPO berufen. Hierbei handelt es sich aber nur um die zweite Voraussetzung nach § 375 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, wobei noch fraglich ist, ob die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, nachdem der Zeuge sich weder auf die Unzumutbarkeit der Anreise in Darmstadt gewandt hat, noch geltend gemacht hat, er könne nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung hat der ersuchende Richter dagegen weder im Beweisbeschluss, noch in seinen Ersuchen gegenüber dem AG Bad Kreuznach, noch in seiner Vorlage an den Senat auch nur erwähnt.

Vorliegend handelt es sich bei dem Zeugen K... um einen streitentscheidenden Zeugen der Klägerin. Beide Parteien haben auf diesen Umstand hingewiesen. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 08.08.2006 ausdrücklich ausgeführt, dass von dem Recht zur Anwesenheit bei der Beweisaufnahme und vom Fragerecht Gebrauch gemacht werden soll. Die den Zeugen benennende Klägerin hat mit Schriftsatz vom 08.12.2006 deutlich gemacht, dass sie die Voraussetzungen des § 375 ZPO nicht für gegeben erachtet. Sie gründet hierauf sogar ein Ablehnungssuch wegen der Besorgnis der Befangenheit, über welches noch zu befinden sein wird. Es liegt auf der Hand, dass es bei einem solchen streitentscheidenden Zeugen auch auf die Glaubwürdigkeit ankommt. Damit ist ein Rechtshilfeersuchen nach § 375 Abs. 1 S. 1 ZPO aber ausgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund sind die Voraussetzungen für eine kommissarische Vernehmung nach § 375 ZPO offensichtlich nicht gegeben. Die mangelnde Auseinandersetzung mit den Aspekten der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der Frage nach der Glaubwürdigkeit des Zeugen belegen ein willkürliches und rechtsmissbräuchliches Rechtshilfeersuchen. Ausgehend davon war das Rechtshilfeersuchen auch aus diesem Grunde zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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