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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 27.06.2000
Aktenzeichen: 4 U 1863/99
Rechtsgebiete: UWG, LMBG, ZPO, BGB


Vorschriften:

UWG § 1
UWG § 3
LMBG § 17 Abs. 1 Nr. 5
ZPO § 291
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BGB § 779
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 27. Juni 2000

in dem Rechtsstreit

wegen wettbewerbsrechtlicher Unterlassung.

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch die Richter am Oberlandesgericht Bock und Marx und die Richterin am Oberlandesgericht Semmelrogge auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 29. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt in K...... und anderen Städten Betriebsstätten zur Lieferung von u.a. italienischen Speisen und Getränken. Der Beklagte betreibt in K......-R....... unter der Firmenbezeichnung "L......" ebenfalls einen solchen Auslieferungsservice. Auf seinen Speisekarten bietet der Beklagte u.a. eine Pizza-Scampi und einen Scampi-Cocktail an.

Er verwendet als zutaten jedoch keine Scampi, die 18 bis 24 cm groß und im Einkauf teurer sind, sondern lediglich bis zu 4 cm große Shrimps.

Die Klägerin hat deshalb gegen den Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht Koblenz - 1 HO 150/98 - eine Unterlassungsverfügung erwirkt. Im Rahmen dieses Verfahrens ist der Klägerin durch Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 26. Januar 1999 aufgegeben worden, Klage zur Hauptsache zu erheben.

Am 24. November 1998 kam es zwischen dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin und dem Beklagten zu einem Telefongespräch über die streitbefangenen Angaben in den Speisekarten des Beklagten. Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Im Anschluss an das Telefonat - übersandte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 24. November 1998 eine "Unterlassungsverpflichtungserklärung", die von dem Beklagten nicht unterschrieben wurde.

Mit der vorliegenden Hauptsacheklage nimmt die Klägerin den Beklagten weiterhin auf Unterlassung der Werbung mit Scampi-Speisen in Anspruch. Sie stützt den Anspruch sowohl auf das Gesetz als auch auf eine angeblich am 24. November 1998 zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung steht der Klägerin ein vertraglicher Anspruch nicht zu, weil ein entsprechender Vertrag nicht wirksam zustande gekommen sei. Es sei insoweit Schriftform vereinbart worden. Der Beklagte habe die Erklärung aber nicht unterschrieben. Auch ein gesetzlicher Anspruch bestehe nicht, da die angesprochenen Verbraucherkreise durch Werbung mit Scampi nicht getäuscht würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Urteils verwiesen (Bl. 107-113 GA).

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin den Unterlassungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Im Ergebnis hat das Landgericht zu Recht einen Unterlassungsanspruch verneint.

Ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch steht der Klägerin weder nach §§ 1 UWG, 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG noch nach § 3 UWG zu. Anspruchsvoraussetzung sind nach diesen Vorschriften u.a. irreführende Angaben. Solche können dem Beklagten jedoch nicht angelastet werden.

Zwar bietet der Beklagte auf seinen Speisekarten "Pizza-Scampi" und "Scampi-Cocktail" an, obwohl er bei der Zubereitung dieser Speisen keine Scampi sondern Shrimps verwendet. In der Verwendung des Begriffs "Scampi" liegt jedoch keine Irreführung, weil die Verkehrskreise, an die sich Speisekarten und Werbeaussagen von Pizzerien richten, bei der Angabe "Scampi" nicht unbedingt das Fleisch eines Kaisergranats oder Tiefseekrebses, sondern durchaus auch Garnelenfleisch erwarten.

Bei der Prüfung, ob eine Angabe über geschäftliche Verhältnisse geeignet ist, den Verkehr irrezuführen, kommt es nicht auf den äußeren Wortlaut und nicht darauf an, wie der werbende selbst seine Aussage über die Ware oder gewerbliche Leistungen verstanden haben will. Entscheidend ist die Auffassung der Verkehrskreise, an die sich die Werbung richtet (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Auflage, § 3 Rn. 2).

Die Verkehrsauffassung in Bezug auf die Verwendung des Begriffs "Scampi" in Speisekarten und sonstigen Werbeanzeigen von Pizzerien kann der Senat aufgrund eigener Sachkunde feststellen, da seine Mitglieder zu den angesprochenen Kreisen gehören.

Die maßgeblichen Verkehrskreise beurteilen ein Speiseangebot, in dem mit dem Begriff "Scampi" geworben wird, nicht nach Maßgabe der dafür in der biologischen Fachliteratur oder in Enzyklopädien vorgegebenen Definitionen. Der weit überwiegenden Mehrzahl der angesprochenen Personen dürften die biologischen Unterschiede zwischen den Begriffen Scampi, Shrimps, Krabben und Garnelen nicht bekannt sein. Eindeutige und abgrenzbare Beschreibungen enthalten insoweit nicht einmal gängige Nachschlagewerke für die deutsche Sprache.

Im Duden sind Garnelen als Krebstiere, Krabben als Krebse oder Garnelen, Scampi als italienische Bezeichnung für eine Art kleiner Krebse und Shrimps als kleine Krabben beschrieben. Ähnliche Beschreibungen enthält das deutsche Wörterbuch von Wahrig. Auch dort sind Scampi als italienische Bezeichnung für eine Krebsart, die als Speise dient, und Shrimps als Krabben aufgeführt.

Eine für den Verbraucher verständliche und nachvollziehbare Abgrenzung lässt sich nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung des Beklagten (Bl. 43, 44 GA) auch der Lexikonfunktion des weit verbreiteten Textverarbeitungsprogramms "Word" nicht entnehmen.

Aus der somit undifferenzierten Beschreibung der Begriffe Krabben, Garnelen, Scampi und Shrimps in den gebräuchlichen Erkenntnisquellen folgt für den Senat, dass auch die von Pizzerien angesprochenen Verbraucherkreise den genannten Begriffen weitestgehend undifferenziert gegenüberstehen und mit der Bezeichnung "Scampi" das Fleisch eines Meereskrebses verbinden, ohne zusätzlich der Art des Meereskrebses eine besondere Bedeutung beizumessen.

Eine Irreführung der Verbraucher ist daher von dem Beklagten durch die Verwendung des Begriffs "Scampi" in seinen Speisekarten nicht bewirkt worden. Dies noch umso weniger, als unter der Bezeichnung des angebotenen Gerichts "Pizza-Scampi" die einzelnen Bestandteile des Gerichts aufgeführt und dort keine Scampi genannt sind, sondern der übergeordnete Sammelbegriff Krabben aufgeführt ist. Entsprechend ist das angebotene Gericht "Scampi-Cocktail" als Krabbencocktail beschrieben.

Zur Feststellung der vorbezeichneten Verkehrsauffassung bedurfte es entgegen der Auffassung der Klägerin (Bl. 103-105, 114-116, 146 GA) nicht der Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens.

Zwar sind angebotene Beweise grundsätzlich zu erheben, weil das Urteil sonst auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinausliefe. Allerdings gilt das beim Sachverständigenbeweis nicht uneingeschränkt, weil der Sachverständige nur Regeln und Gesetzmäßigkeiten aufdecken soll, die kein Privatwissen erfordern, sondern prinzipiell jedermann, auch dem Richter, zugänglich sind. Daher ist ein Sachverständigengutachten entbehrlich, wenn der Richter die nötige Wissenschaft selbst hat (Pastor/Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 4. Auflage, Kapitel 32, Rn. 9). Daraus folgt, dass die teilweise vertretene Auffassung, der Richter könne die Bejahung der Irreführung im Sinne des § 3 UWG aus eigener Sachkunde beantworten, müsse aber, um sie verneinen zu können, regelmäßig ein Meinungsforschungsgutachten einholen, keine Entscheidungsregel darstellen kann (Pastor/Ahrens a.a.O. Rn. 10).

Entsprechendes gilt im Hinblick auf § 291 ZPO für den Gegenbeweis gegen die festgestellte Verkehrsauffassung aufgrund eigener Sachkunde. Zwar kann es sich bei den einzelnen Bausteinen, aus denen der Richter kraft seiner Sachkunde die Überzeugung von einer bestimmten Verkehrsauffassung gewinnt, durchaus um offenkundige Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO handeln, für die dann der Gegenbeweis zulässig ist. Das Ergebnis einer solchen schlussfolgernden Überzeugungsbildung ist jedoch keine solche Tatsache. Daraus folgt, dass der Richter auch dann kraft eigener Sachkunde über eine behauptete Verkehrsauffassung entscheiden kann, wenn für die gegenteilige Behauptung Beweis durch Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens angetreten ist. Eine solche Überzeugungsbildung stellt keine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar.

Es geht bei der Verkehrsauffassung nicht um eine Einzeltatsache, die individueller Anschauung zugänglich ist, so dass gegen die gute Einsicht ohne weiteres eine bessere gesetzt werden könnte. Vielmehr handelt es sich bei der Verkehrsauffassung um ein Phänomen, in das die verschiedensten Erkenntnisse, Regeln und Erfahrungssätze eingeflossen sind. Hat der Richter genügend eigene Sachkunde, kann sie nicht bereits dadurch ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass nur schlicht behauptet wird, ein Dritter habe die bessere Sachkunde (Pastor/Ahrens a.a.O. Rnrn. 13 und 14).

Auch ein vertraglicher Unterlassungsanspruch steht der Klägerin nicht zu. Selbst wenn ihr eigener Vortrag zugrunde gelegt wird und eine Vereinbarung mit dem von ihr behaupteten Inhalt getroffen worden wäre, wäre die Vereinbarung gemäß § 779 BGB unwirksam.

Nach dem Vortrag der Klägerin ist zwischen den Parteien am 24. November 1998 eine Unterlassungs- und Abgeltungsvereinbarung nach Maßgabe der von der Klägerin vorgelegten schriftlichen Erklärung (Bl. 12 GA) getroffen worden. Dabei handelt es sich um einen Vergleich im Sinne des § 779 BGB, durch den im Wege gegenseitigen Nachgebens ein Streit beseitigt werden sollte. In Streit stand ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch der Klägerin, der aus den Angaben "Pizza-Scampi" und "Scampi-Cocktail" auf den Speisekarten des Beklagten resultierte. Dabei wurde zugrunde gelegt, dass die Angaben irreführend und wettbewerbswidrig sind.

Gemäß den vorstehenden Ausführungen entspricht die zugrunde gelegte Wettbewerbswidrigkeit nicht der Wirklichkeit. Der "zugrunde gelegte Sachverhalt" im Sinne des § 779 BGB ist nicht wörtlich zu verstehen. Vielmehr sollen dazu alle Verhältnisse tatsächlicher und rechtlicher Art gerechnet werden, die die Parteien dem Vergleich als feststehend zugrunde gelegt haben, also auch der reine Rechtsirrtum in Bezug auf die streitige Rechtsfrage (Palandt-Sprau, BGB, 59. Auflage, § 779, Rn. 15).

Bei Kenntnis von der wettbewerblichen Zulässigkeit der in Rede stehenden Angaben auf seiner Speisekarte hätte sich der Beklagte am 24. November 1998 mit Sicherheit nicht auf Verhandlungen mit dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin über eine einvernehmliche Beilegung Wettbewerbsrechtlicher Meinungsverschiedenheiten eingelassen. Zu einem Streit in der konkreten Form der behaupteten Vereinbarung wäre es nicht gekommen. Ohne Belang für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 779 Abs. 1 BGB ist, dass es möglicherweise aus demselben Anlass zu einem anders gelagerten Streit gekommen wäre. Der beiderseitige Irrtum über den dem Vergleich zugrunde gelegten Sachverhalt muss sich auf einen Streit ausschließenden Umstand beziehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass überhaupt kein Streit oder keine Ungewissheit entstanden sein würde, vielmehr ist entscheidend, ob ohne den Irrtum gerade der Streit oder die Ungewissheit, die die Parteien beseitigen wollten, nicht entstanden sein würde (Palandt-Sprau a.a.O. Rn. 18).

Da somit selbst bei Zugrundelegung des Vortrages der Klägerin alle Voraussetzungen des § 779 BGB erfüllt sind, ist keine wirksame Unterlassungsvereinbarung zwischen den Parteien zustande gekommen, die den Klageantrag stützen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aufgrund der §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert und die Beschwer der Klägerin betragen 30.000 DM. Der Wert entspricht dem von dem Senat bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen eines Wettbewerbers seit Anfang des Jahres (siehe Senatsbeschluss vom 22. Februar 2000 - 4 W 144/00) angenommenen Regelwert, soweit keine anderweitigen konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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