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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 17.06.1999
Aktenzeichen: 5 U 1891/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 263
ZPO § 283
ZPO § 156
§ 263 ZPO § 283 ZPO § 156 ZPO

(Klageänderung im nachgelassenen Schriftsatz)

Ändert der Kläger in einem nachgelassenen Schriftsatz die Klage, indem er vom vollen Werklohnanspruch auf den Anspruch aus § 649 BGB übergeht, so muss der Richter, will er den Anspruch aus § 649 BGB materiell prüfen, die mündliche Verhandlung wiedereröffnen.

Die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden hängen vom Maß der Darlegung des darlegungspflichtigen Gegners ab (BGHZ 12/50; NJW 93, 1782; 95, 3311).

OLG Koblenz Urteil 17.06.1999 - 5 U 1891/98 - 4 O 48/98 LG Trier


Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juni 1999 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Bischof sowie die Richter am Oberlandesgericht Weller und Kaltenbach für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 14. Oktober 1998 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die außergerichtlichen Kosten der Berufung an das Landgericht zurückverwiesen. Die gerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger führte für den Beklagten an dessen Bauvorhaben in Trier-Pfalzel Bauarbeiten durch.

Mit der Klage, der das Landgericht entsprochen hat, hat der Kläger Werklohn in Höhe von DM 21.990,30 geltend gemacht. Den Sachvortrag des Beklagten und die daraus hergeleiteten Gegenrechte hat das Landgericht als unbeachtlich angesehen.

Mit der Berufung wendet der Beklagte im Wesentlichen ein, die Klageforderung sei nach wie vor nicht schlüssig dargelegt. Der Kläger, der seine unvollendeten Arbeiten nicht mehr erbringen wolle, habe Schlussrechnung zu legen. In der Klageerwiderung habe er die Mängel der erbrachten Leistungen im Einzelnen aufgezeigt und unter Beweis gestellt. Das Gericht habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass diese, ebenso wie die Höhe des Schadens, nicht hinreichend substantiiert dargetan seien. Durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung habe ihm Gelegenheit gegeben werden müssen, zum Schriftsatz des Klägers vom 7.10.1998 Stellung zu nehmen.

Der Kläger tritt dem Vorbringen des Beklagten zu den einzelnen Mängeln detailliert entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze der Parteien.

Die zulässige Berufung hat einen vorläufigen Erfolg.

Das erstinstanzliche Verfahren und das hierauf beruhende Urteil leiden an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Sie sind daher aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 539 ZPO).

Das Landgericht hat unter Verletzung seiner Aufklärungs- und Hinweispflichten (§ 139 ZPO) die gebotene Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung unterlassen (§ 156 ZPO) und überraschend der Klage zu einem Zeitpunkt stattgegeben, in dem die Parteien sich nur sehr unvollständig zu den erheblichen Tatsachen erklärt hatten. Das wird auch durch das Berufungsvorbringen der Parteien deutlich, mit dem neu und umfangreich zum Zustandekommen des Auftrags, zum Auftragsumfang, zur Arbeitsabwicklung und zu Gegenrechten Stellung genommen wird. Der Senat erachtet es nicht als sachdienlich (§ 540 ZPO), selbst zu entscheiden und den Parteien damit eine Tatsacheninstanz vorzuenthalten.

Im Einzelnen:

Die Vorschrift des § 539 ZPO, die eine Ausnahme von der Verpflichtung zu der dem Berufungsgericht in § 537 ZPO aufgegebenen erneuten vollständigen Verhandlung und Entscheidung der Sache enthält, ist eng auszulegen. Ob ein wesentlicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens vorliegt, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt des erstinstanzlichen Richters aus zu beurteilen. Sein Standpunkt zu Anforderungen an Schlüssigkeit und Substantiierungslast ist hinzunehmen, auch bei der Frage, ob die richterliche Hinweis- und Fragepflicht verletzt ist (BGH NJW 1997, 1447).

Dennoch war hier - auch unter Berücksichtigung des Standpunkts des Landgerichts - die mündliche Verhandlung zwingend wiederzueröffnen.

Der Einzelrichter hat gesehen, dass der Schriftsatz des Klägers vom 7.10.1998 Sachvortrag enthielt, mit dem Vorbringen aus der Klageschrift weiter substantiiert und auf Behauptungen des Beklagten in der Klageerwiderung detailliert eingegangen wurde. Er hat erkannt, dass entscheidungserhebliches Vorbringen in diesem Schriftsatz zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zwingt, jedoch gemeint, dies sei nicht notwendig, weil das Vorbringen des Klägers in dem nachgelassenen Schriftsatz unberücksichtigt bleiben könne (54 GA). Dies ist nicht zutreffend, weil sich die angefochtene Entscheidung dann doch in maßgeblichen Erwägungen auf dieses Vorbringen des Klägers stützt.

Mit der Klagebegründung, die gerade soeben noch den Anforderungen des § 253 ZPO genügt, hat der Kläger in wenigen Sätzen behauptet, seine Werkleistung ordnungsgemäß erbracht zu haben. Der Beklagte habe diese abgenommen und verweigere die Zahlung der fälligen Vergütung. Zur Darlegung der Arbeiten hat er auf Rechnungskopien verwiesen (17, 18 GA). Das Landgericht hat hierin einen gemäß § 631 BGB schlüssig begründeten Anspruch gesehen.

Mit der Klageerwiderung hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger seine Leistung, entgegen dem Vorbringen der Klagebegründung, nicht vollständig erbracht habe. Zudem sei das (unvollständige) Werk mit erheblichen Mängeln behaftet (26 f GA).

Bei diesem Sachstand fand die mündliche Verhandlung vom 16.9.1998 statt, in der dem Kläger die Nachreichung eines Schriftsatzes vorbehalten wurde. Mit diesem Schriftsatz hat der Kläger neu vorgetragen, ist von seiner Klagebegründung abgerückt und hat eingestanden, dass er die Arbeiten eingestellt hat zu einem Zeitpunkt, da das Bauvorhaben nicht vollendet war (36 GA). Eine Abnahme wurde nicht mehr behauptet. Somit konnte die Klage jetzt nur noch auf der Grundlage des § 649 BGB begründet sein, was eine Änderung des Streitgegenstandes zur Folge hatte. Das Landgericht hat das auch erkannt und letztlich § 649 BGB zur Begründung seines Urteils herangezogen (54 GA). Es hat also doch neues Vorbringen im nachgereichten Schriftsatz unter Verstoß gegen § 283 ZPO verwertet, ohne zuvor dem Beklagten hierzu rechtliches Gehör gewährt zu haben. Damit könnte es ihm beispielsweise den Einwand abgeschnitten haben, der Kläger habe durch die Aufhebung des Vertrages Aufwendungen erspart bzw. durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft Einkünfte erworben (§ 649 Satz 2 BGB).

Schon diese Erwägungen rechtfertigen die Annahme eines wesentlichen Verfahrensmangels, weil der Einzelrichter aufgrund seines Rechtsstandpunktes zwingend gehalten war (§ 156 ZPO), die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (Zöller-Greger, ZPO, 21 Aufl. § 283, Rn. 5), wollte er nach § 283 ZPO nicht zugelassenes neues Vorbringen verwerten.

Ob daneben ein die Aufhebung rechtfertigender Grund in der Verletzung der Hinweispflicht zu sehen ist, läßt der Senat offen. Mit beachtlichen Erwägungen hat nämlich der Beklagte in der Klageerwiderung auf die seiner Meinung nach nicht genügende Substantiierung des Vorbringens des Klägers hingewiesen. Mit dem angefochtenen Urteil wird ausführlich dargelegt, weshalb das Landgericht das Vorbringen des Klägers als ausreichend erachtet. Andererseits werden die Darlegungen des Beklagten zur Unvollständigkeit und Mangelhaftigkeit der Werkleistung knapp als unsubstantiiert abgetan.

Die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden hängen aber davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten durch den Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Vortrag substantiieren muss, läßt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag entnehmen (BGH NJW 1993, 1782 und NJW 1995, 3311). Ein Hinweis auf eine nicht genügende Substantiierung, ist insbesondere dann geboten, wenn sich diese nur aus einer Bewertung des Gerichts von Vortrag und Gegenvortrag erschließt.

Es ist weder aus der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung noch aus dem Urteil ersichtlich, dass dem Beklagten die erforderlichen Hinweise (Klagevorbringen ist genügend, Verteidigungsvorbringen nicht) gegeben worden wären. Die Berufung rügt ausdrücklich die Verletzung des § 139 ZPO. Der Senat hat mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass er diesen Einwand als begründet erachtet. Der Kläger ist der Behauptung des Beklagten, ein Hinweis sei nicht erfolgt, nicht entgegengetreten. Auch eine derartige Verletzung der Hinweispflicht kann die Aufhebung rechtfertigen (BGH NJW 1988, 2302; NJW-RR 1997, 441).

Ist nach alledem das angefochtene Urteil aufgrund eines fehlerhaften Verfahrens ergangen, so ist es aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung und Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen. Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten unterbleibt, weil der Ausgang des Verfahrens noch nicht absehbar ist. Die gerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens werden gemäß § 8 GKG niedergeschlagen.

Die Beschwer des Klägers durch dieses Urteil beträgt DM 21.990,30.

Ende der Entscheidung

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