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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 07.03.2002
Aktenzeichen: 6 U 1730/00
Rechtsgebiete: KO, GmbHG, ZPO


Vorschriften:

KO § 37
KO § 32 a
GmbHG §§ 30 ff
ZPO § 91
ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 6 U 1730/00

Verkündet am 7. März 2002

In dem Rechtsstreit

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Sartor sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwarz und Willems auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Zwischenurteil der 12. Zivilkammer - 2. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Mainz vom 26. Oktober 2000 abgeändert.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8950 Euro (= 17.504,68 DM) abwenden, sofern sie nicht zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte als Kommanditistin der Gemeinschuldnerin auf Zahlung angeblich ausstehender restlicher Kommanditeinlage in Höhe von 260.000 DM in Anspruch.

Die Beklagte ist eine juristische Person luxemburgischen Rechtes mit satzungsgemäßem Sitz in Luxemburg. Nach ihrem Vorbringen ist sie zu Folge einer Anteilsübernahme vom 22. Februar 1994 die hundertprozentige Muttergesellschaft der in der Bundesrepublik Deutschland in B.../S........... See ansässigen IC I..... GmbH. Die Beklagte wird von der ebenfalls in Luxemburg ansässigen Fides I.... C...... S.A. treuhänderisch verwaltet für V..... M......, den Geschäftsführer der IC I..... GmbH. V..... M...... handelt im Rechtsverkehr auch als "Direktor" der Beklagten. Er hat die Kommanditbeteiligung an der Gemeinschuldnerin mit Vollmacht der Beklagten für diese erworben.

Die Klägerin macht geltend, faktischer Inhaber der Beklagten seien die IC I..... GmbH bzw. V..... M......, der die Geschäfte von der Bundesrepublik Deutschland aus führe. Die Beklagte stelle sich als reine "Briefkastenfirma" dar und entfalte in Luxemburg keinerlei eigene Geschäftstätigkeit.

Die Beklagte erhebt vorab die Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Dazu macht sie geltend, sie betreibe entgegen der Darstellung des Klägers Geschäfte von ihrem Sitz in Luxemburg aus.

Das Landgericht hat sich durch Zwischenurteil für örtlich und international zuständig erklärt.

Mit der Berufung beantragt die Beklagte, die Klage unter Abänderung des Zwischenurteils abzuweisen.

Der Kläger erstrebt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst der vorgelegten Urkunden sowie das angefochtene Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist die Zuständigkeit der deutschen Zivilgerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht gegeben. Deswegen ist die Klage unter Abänderung des angefochtenen Zwischenurteils als unzulässig abzuweisen.

1. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich hier nach dem EuGVÜ. Die Ausnahme nach Art. 1 Nr. 2 EuGVÜ greift nicht im Hinblick darauf ein, dass der Kläger seine Ansprüche hilfsweise auf §§ 32 a, 37 KO stützt. Die Ausnahme gilt für die sogenannten Sammelverfahren und für einzelne sich unmittelbar aus solchen Verfahren ergebende Streitigkeiten.

Um ein solches konkursrechtliches Einzelverfahren handelt es sich hier nicht. Die Erstattungsansprüche nach §§ 30 ff GmbHG i.V.m. den von der Rechtsprechung entwickelten Kapitalerhaltungsgrundsätzen bestehen unabhängig vom Konkursverfahren. Sie hätten auch schon vor dessen Eröffnung geltend gemacht werden können bzw. müssen (vgl. BGH NJW 1992, 1166).

2. Bei der Beklagten handelt es sich unstreitig um eine nach luxemburger Recht ordnungsgemäß gegründete juristische Person mit satzungsgemäßem Sitz in Luxemburg.

Damit ist sie grundsätzlich gemäß Art. 2 EuGVÜ in Luxemburg zu verklagen.

Gegenüber einer ausnahmsweise gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ möglichen Klage wegen in Deutschland zu erfüllender Ansprüche aus einem Vertrag vor deutschen Gerichten kann sie gemäß Art. I Abs. 1 des Protokolls vom 27. September 1968 zum EuGVÜ die Unzuständigkeit dieses Gerichtes geltend machen. Das tut die Beklagte hier mit Recht.

a) Art. I Abs. 1 des Protokolls ist ebenso wie Art. 2 EuGVÜ entgegen der Auffassung des Klägers nicht nur auf natürliche Personen mit Wohnsitz in Luxemburg, sondern auch auf dort ansässige juristische Personen anzuwenden.

Nach Art. 53 Satz 1 EuGVÜ steht der Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen für die Anwendung des Übereinkommens dem Wohnsitz gleich. Diese Begriffsbestimmung ist auch auf das zugehörige Protokoll zu übertragen.

Gegen die vom Kläger geltend gemachte Ablehnung eines Schutzbedürfnisses für Personengesellschaften und juristische Personen luxemburgischen Rechtes spricht die Entstehungsgeschichte von Art. I des Protokolls. Nach Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 1997, A 2. Protokoll Art. I Rn 1, 5 liegt die ratio conventionis darin, zu verhindern, dass die Justiz in Luxemburg "ausgetrocknet" wird. Im Hinblick darauf gelte Art. I auch für juristische Personen.

Für den Bereich der Niederlassungsfreiheit stellt auch Art. 58 EGV die nach dem Recht eines Mitgliedsstaates gegründeten Gesellschaften mit satzungsgemäßem Sitz in der Gemeinschaft den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedsstaaten sind.

b) Zwar ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Zuständigkeitsbestimmung maßgebliche Frage, ob die Beklagte ihren Sitz im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hat, nach deutschem Recht zu entscheiden ist (Art. 52 EuGVÜ).

Der Senat vermag ihm jedoch trotz der aufgezeigten Indizien nicht dahin zu folgen, die Beklagte habe den maßgeblichen tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung in Deutschland. Dabei kann für die hier zu treffende Entscheidung dahinstehen, ob an der von der deutschen Rechtsprechung bislang vertretenen sogenannten Sitztheorie in der bisherigen Form unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten weiter festgehalten werden kann (vgl. Borges, Die Sitztheorie in der Centros-Ära, RIW 2000, 167 ff.; Forsthoff, Abschied von der Sitztheorie, Betriebs-Berater 2002, 318 ff).

Ob die Beklagte von Luxemburg aus eine eigene Verwaltungstätigkeit ausübt, ist jedenfalls in der Berufungsinstanz streitig. Dass dies nicht der Fall ist, vermag der Senat nicht festzustellen. Der Kläger, den die objektive Beweislast für die den von ihm geltend gemachten Gerichtsstand begründenden Tatsachen trifft, bietet zu dem von ihm behaupteten Fehlen jeder Verwaltungstätigkeit der Beklagten in Luxemburg über die vom Landgericht abgehandelten Indizien hinaus keinen weiteren Beweis an.

Soweit die Gesellschafter eine klare räumliche Zuordnung ihrer Gesellschaft zu dem Gebiet eines Staates schaffen, wird dies von der Rechtsprechung grundsätzlich beachtet, wenn nicht klare Fälle sogenannter Scheinauslandsgesellschaften vorliegen (vgl. Borges, a.a.O. mit Rechtsprechungsnachweisen). Nach Schlosser, EuGVÜ, 1996 Art. 53 Rn. 3 hat ein im Ausland eingetragenes Gebilde mit dortigem Satzungssitz im Inland auch dann keinen allgemeinen Gerichtsstand, wenn der effektive Verwaltungssitz in Deutschland liegt.

Hier hat die Beklagte als satzungsgemäßen Verwaltungssitz Luxemburg bestimmt. Am Rechtsverkehr nimmt sie erkennbar von dort aus teil. Ihre Vertragspartner können sich auf diese Form der Teilnahme einstellen. Dass diese in Angelegenheiten der Beklagten auch unmittelbar mit der IC I..... GmbH und V..... M...... korrespondieren, steht nicht entgegen. In einigen der vom Kläger als Anlage AS 7 vorgelegten Schreiben wird V..... M...... ausdrücklich als Vertreter der Beklagten angesprochen bzw. von dieser so bezeichnet. Die als Anlage AS 6 vorgelegte von ihm mit der Bezeichnung "Direktor" für die Beklagte unterschriebene Bestätigung weist als Ausstellungsort Luxemburg aus. Diese Umstände stehen der Annahme einer bloßen Scheinauslandsgesellschaft entgegen.

c) Nach der Rechtsprechung des EuGH (NJW 1999, 2027 - Centros) stellt es im Übrigen noch kein missbräuchliches und betrügerisches Verhalten dar, wenn eine Gesellschaft in dem Mitgliedsstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Geschäftstätigkeiten entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedsstaat einer Zweigniederlassung ausübt. Selbst die Gründung einer Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat zu dem Zweck, das für die Errichtung der Gesellschaft geltende Recht des Staates, in dem die Geschäftstätigkeit tatsächlich ausgeübt werden soll, zu umgehen, ändert daran im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit nichts.

3. Einer Entscheidung über die Hilfsanträge der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens und Vorlage zur Vorabentscheidung beim EuGH bedarf es nicht.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 91 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 132.935,89 € (260.000 DM) festgesetzt.

Dem entspricht die Beschwer des Klägers.

Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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