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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 03.11.2005
Aktenzeichen: 7 UF 374/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 323 Abs. 1
BGB §§ 1601 ff
Ändern sich die für die Bemessung eines fiktiven Einkommens maßgeblichen Verhältnisse, eröffnet dies die Möglichkeit einer Abänderungsklage mit dem Ziel, der Unterhaltsberechnung ein höheres oder niedrigeres fiktives Einkommen zugrunde zu legen.

Ein Unterhaltspflichtiger hat eine Umschulung mit gebotenem Fleiß und zielstrebig zu beenden. Erforderlich ist das regelmäßige Wiederholen des Lernstoffes, ggf. das Besuchen von Vertiefungskursen oder Vorbereitungskursen auf die Prüfung. Dabei sind mit Rücksicht auf die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind an den Pflichtigen höhere Anforderungen zu stellen, als an ein unterhaltsberechtigtes, in der Ausbildung befindliches Kind.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 7 UF 374/05

Verkündet am 3. November 2005

in der Familiensache

wegen Kindesunterhalts.

Der 7. Zivilsenat - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Eck, den Richter am Oberlandesgericht Busekow und die Richterin am Oberlandesgericht Dühr-Ohlmann auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Teil-Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Montabaur vom 6. Mai 2005 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

1. In Abänderung des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Montabaur vom 28. Juni 2002 - 16 F 418/01 - wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu Händen ihres gesetzlichen Vertreters über den titulierten Kindesunterhalt in Höhe von 49,08 € monatlich hinaus weitere je 234,92 € für die Monate August 2004 bis einschließlich März 2005 zu zahlen.

2. Die weitergehende Klage betreffend den in Ziffer 1. genannten Zeitraum wird abgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

III. Die weitergehende Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

IV. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die am ... Oktober 1988 geborene Klägerin ist die Tochter der Beklagten aus deren geschiedenen Ehe mit dem gesetzlichen Vertreter der Klägerin. Sie lebt bei ihrem Vater in H..., wo sie das Gymnasium besucht.

Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Montabaur vom 28. Juni 2002 wurde die Beklagte zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 49,08 € monatlich ab Januar 2002 verurteilt.

Wegen der Grundlagen, die zu dieser Verurteilung führten, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils (Kopie Bl. 8 ff d. A.) Bezug genommen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin Abänderung des Unterhaltsurteils und die Zahlung höheren Unterhalts.

Zur Darstellung des Sachverhalts wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die im Anschluss an die Ausbildung zur Kauffrau für audiovisuelle Medien erfolgte IHK-Prüfung vom 30. Juni 2004 hat die Beklagte nicht bestanden. Die Wiederholungsprüfung am 14. Februar 2005 bestand sie mit der Note "ausreichend".

Die Klägerin hat eine wesentliche Änderung der Verhältnisse geltend gemacht, die darin bestehe, dass die Beklagte ihre Ausbildung beendet habe. Dass sie die Prüfung erst im zweiten Anlauf bestanden haben, können sie nicht entlasten.

Auch für den Zeitraum zwischen der ersten Prüfung und der Wiederholungsprüfung müsse ihr ein fiktives Einkommen von mindestens 1150€ zugerechnet werden, weil davon auszugehen sei, dass sie die Ausbildung nicht zügig betreiben habe. Im Übrigen habe sie im Hinblick auf ihre gesteigerte Erwerbspflicht jede Arbeit, ggf. auch mehrere Nebenjobs ausüben müssen. Ihre Bemühungen hierzu seien unzureichend.

Eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ergebe sich auch daraus, dass die Beklagte nunmehr unstreitig ihrem neuen Lebensgefährten den Haushalt führe.

Sie beantragt, in Abänderung des Ersturteils die Beklagte zu verurteilen, an sie über die gezahlten 49,08 € hinaus für die Monate August 2004 bis Januar 2005 jeweils weitere 235 € und ab Februar 2005 laufenden Unterhalt in Höhe von 284 €, zahlbar bis zum 3. eines jeden Monats, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bestritten und ihre Bemühungen um Arbeit für ausreichend gehalten.

Das Amtsgericht hat durch Teilurteil vom 6. Mai 2005 über den bis einschließlich März 2005 geltend gemachten Unterhalt entschieden und die Beklagte in Abänderung des Ersturteils verurteilt, an die Klägerin für den genannten Zeitraum über den titulierten Unterhalt hinaus monatlich weitere 161,92 € zu zahlen.

Es hat eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse darin gesehen, dass die Klägerin nun nicht mehr an einer Umschulungsmaßnahme teilnehme und sie seit längerer Zeit in Lebensgemeinschaft mit einem Partner lebe, so dass die hiermit verbundene Haushaltsführung und Ersparnis anders zu bewerten seien, zumal seinerzeit wegen der Beschränkung des Antrages der Klägerin eine genauere Auseinandersetzung mit dieser Position nicht stattgefunden habe. Ab August 2004 sei auf der Grundlage des tatsächlichen Einkommens der Beklagten aus Arbeitslosengeld (471 €), eines fiktiven Zusatzeinkommens aus Nebentätigkeit (165 €) und eines Einkommens aus Haushaltsführung (350 €) zu rechnen, so dass sich nach Abzug des Erwerbstätigenselbstbehalts von 775 € nach der Berliner Tabelle ein monatlich geschuldeter Unterhaltsbetrag von 211 € ergebe.

Gegen diese Verurteilung richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des Teilurteils und die Abweisung der Klage begehrt.

Sie bestreitet weiterhin eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 323 Abs. 1 ZPO. Die Ausbildung sei schon bei Erlass des Ersturteils bekannt gewesen und gerade nicht berücksichtigt worden. Da das frühere Einkommen fiktiv zugerechnet worden sei, könne die Beendigung der Ausbildung nicht eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse begründen. Jedenfalls könne vor Beendigung der Wiederholungsprüfung keine andere Beurteilung erfolgen. Sie sei nach dem 30.6.2004 ganztägig damit beschäftigt gewesen, sich auf die Wiederholungsprüfung vorzubereiten. Eine Nebentätigkeit sowie Haushaltsführung sei ihr deshalb nicht möglich gewesen.

Auch sei eine andere Bewertung der Haushaltsführung bzw. Ersparnis gegenüber dem Ersturteil nicht möglich gewesen.

Während der Ausbildung habe sie alle lehrplanmäßigen Veranstaltungen besucht und sich konzentriert auf die Abschlussprüfung vorbereitet.

Die Klägerin begehrt, die Berufung zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung, die Beklagte zu verurteilen, über den titulierten Betrag hinaus für die Monate August 2004 bis März 2005 je weitere 235 € zu zahlen.

Sie hält daran fest, dass eine Änderung der Verhältnisse mit dem 30.6.2004 (1.Prüfung) eingetreten und die Beklagte zur Aufnahme einer Tätigkeit verpflichtet gewesen sei, die ihren Unterhaltsanspruch sichere. Im Übrigen sei diese ihrer gesteigerten Unterhaltspflicht entsprechend zur zielstrebigen und fleißigen Arbeit in der Ausbildung verpflichtet gewesen, so dass sie im ersten Anlauf hätte bestehen können.

Auch eine Bindung wegen des für Haushaltsführung anzusetzenden Betrages sei nicht gegeben, weil insoweit in den Unterhaltsrichtlinien der Familiensenate des OLG Koblenz vom 1.7.2003 im Gerichtsbezirk erstmals 350 € vorgeschlagen seien.

Beim Selbstbehalt sei nur der für den Erwerbslosen nach der Berliner Tabelle geltende Betrag von 675 € anzusetzen.

II.

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig, die Berufung hat in der Sache keinen, die Anschlussberufung zum ganz überwiegenden Teil Erfolg.

Die Abänderungsklage der Klägerin ist zulässig und - soweit bisher darüber durch Teilurteil entschieden - bis auf den Betrag von 0,8 ct/Monat auch begründet.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die Beklagte ihre (Zweit)-Ausbildung am 30.6.2004 beendet habe und bei rechtzeitiger und gehöriger Anstrengung um eine Arbeitsstelle im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum ohne weiteres ein Einkommen hätte erzielen können, das ihr die Zahlung des Tabellenunterhalts nach der ersten Einkommensstufe ermöglicht hätte.

Das ist die Behauptung einer wesentlichen Veränderung derjenigen (wirtschaftlichen) Verhältnisse, die im früheren Urteil für die Bestimmung der Höhe der Unterhaltsleistungen maßgebend waren und genügt den Anforderungen des § 323 Abs. 1 ZPO. Denn im Ersturteil hatte das Gericht die - damals laufende - Zweitausbildung der Beklagten nicht berücksichtigt und seiner Berechnung ihr im Jahr 2000 erzieltes Durchschnittserwerbseinkommen von nur 836 € fiktiv aus der Tätigkeit als Glasmalerin sowie 11 € an ersparten Aufwendungen für das Zusammenleben mit dem Lebenspartner zugrunde gelegt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann nämlich nicht darauf abgestellt werden, dass sie damals arbeitslos war und auch nach der Ausbildung arbeitslos ist und sie deshalb allenfalls an ihrem früheren Einkommen festgehalten werden könne, sondern es muss die zwischenzeitlich erworbene Qualifikation bzw. die Möglichkeit, diese zu erwerben, berücksichtigt werden. Auch im Ersturteil zugrunde gelegte Fiktionen können abgeändert werden, insbesondere dann, wenn sich die Obliegenheitslage geändert hat bzw. wenn nachträglich Umstände eingetreten sind, die einen anderen Ansatz rechtfertigen (Wendl/Staudigl-Thalmann, Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis, 6. A. § 8 Rz. 158c ff m.w.N.; Graba; Die Abänderung von Unterhaltstiteln bei fingierten Verhältnissen, FamRZ 2002, 6 ff. 12).

Hier haben sich die Umstände durch die Ausbildung der Beklagten geändert.

Denn die Bewertung der Erwerbsmöglichkeiten hängt u.a. gerade von den Fähigkeiten des Unterhaltspflichtigen ab.

Die Klage ist auch begründet, soweit die Klägerin für die Zeit von August 2004 bis März 2005 monatlichen Unterhalt in Höhe von 284 € verlangt.

Der Anspruch ergibt sich aus §§ 1601 ff BGB.

Allerdings ist anders als im angefochtenen Urteil nicht das tatsächliche derzeitige Einkommen aus Arbeitslosengeld und Haushaltsleistungen sowie ein fiktiver Nebenverdienst zugrunde zulegen.

Vielmehr ist ein fiktives Einkommen aus einer Anstellung als Kauffrau oder Bürokraft Grundlage der Berechnung.

Die Beklagte war auch nach der Verurteilung durch Urteil vom 28. Juni 2002, die weit hinter dem Regelbetrag zurückblieb, wegen der ihr obliegenden gesteigerten Unterhaltspflicht gehalten, ihre Arbeitskraft bestmöglich auszunutzen bzw. eine begonnene Ausbildung zielstrebig zu beenden, um so bald wie möglich wenigstens den notwendigen Unterhalt für ihre Tochter zu sichern.

Die gesteigerte Unterhaltspflicht beinhaltet auch, Bewerbungen mit Blick auf eine bevorstehende Prüfung rechtzeitig zu unternehmen.

Dass die Beklagte ihre Ausbildung mit dem nötigen Einsatz betrieben hat, hat sie nicht nachgewiesen. Das Nichtbestehen der ersten Prüfung spricht dagegen und ebenso, dass die Beklagte, nachdem sie durchgefallen war, sich ganztags auf ihre Prüfung vorbereitet haben will. Der allgemeine Hinweis darauf, dass sie alle lehrplanmäßigen Veranstaltungen besucht und sich konzentriert auf die erste Abschlussprüfung vorbereitet habe, genügt zur Darlegung einer konsequenten Ausbildung nicht.

Erforderlich ist das regelmäßige Wiederholen des Lehrstoffes, ggf. das Besuchen von Vertiefungskursen oder Vorbereitungskursen auf die Prüfung. Je schlechter Übungsarbeiten und/oder Zwischenprüfungen ausfallen, umso größere Anstrengungen sind erforderlich. Dabei sind mit Rücksicht auf die gesteigerte Unterhaltspflicht an den Pflichtigen größere Anforderungen zu stellen als an das unterhaltsberechtigte, in der Ausbildung befindliche Kind.

Insoweit fehlt aber ein substantiierter Vortrag der Beklagten zum Ausbildungsverlauf, insbesondere zu ihrem Lernverhalten während der regulären Ausbildungszeit, sodass der Senat davon ausgeht, dass sie bei entsprechender Anstrengung im Juni ihre Abschlussprüfung hätte bestehen und nach den von ihr zu unternehmenden umfangreichen Bewerbungen bis August auch eine Stelle im kaufmännischen oder Bürobereich hätte finden können.

Sie hätte, um den begehrten Regelbetrag leisten zu können, einen Nettoverdienst in Höhe von rund 1005 € erzielen müssen, das entspricht einem Bruttoverdienst von rund 1400 € (bei Steuerklasse I/0,5). Denn der notwendige Selbstbehalt von 775 € ist nach der Rechtsprechung des Senats im Hinblick auf die Ersparnis durch das Zusammenleben mit einem Partner um die Hälfte der Differenz zwischen dem notwendigem Selbstbehalt des Berufstätigen und des berufstätigen Ehegatten im Mangelfall zu kürzen. Für den hier betroffenen Unterhaltszeitraum ermäßigt sich der Selbstbehalt auf 670 € (<775 € - 565 €>: 2 = 670). Dem steht auch nicht entgegen, dass insoweit bereits im Ersturteil ein Betrag von 11 € berücksichtigt worden ist. Die begrenzte Berücksichtigung ergab sich aus der Beschränkung des Klageantrags, sodass Bindungswirkung für die jetzt zu treffende Entscheidung nicht angenommen werden kann. Die Beklagte hätte also netto 670 € + 284 € für Unterhalt + 5 % für berufsbedingte Aufwendungen (rund 1005 € netto bzw. rund 1400 € brutto) verdienen müssen.

Löhne in dieser Größenordnung werden nach der Einschätzung des Senats bei entsprechender Qualifikation auch bezahlt.

Zu Beginn des Unterhaltszeitraums bestand noch keine Schwangerschaft. Dass die Schwangerschaft zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit oder einer Beendigung eines von der Beklagten aufgenommenen Arbeitsverhältnisses geführt hätte, kann nicht unterstellt werden.

Da die Beklagte mit Schreiben vom 23. August 2004 zur Auskunftserteilung aufgefordert wurde, kann mit der am 13. Januar 2005 eingereichten Klage auch Unterhalt für den davor liegenden Zeitraum ab August 2004 verlangt werden (§§ 1613 Abs. 1 BGB, 323 Abs. 3 S. 2 ZPO).

Die Klägerin kann daher über den ausgeurteilten Betrag von 49,08 € hinaus von August 2004 bis einschließlich März 2005 weitere 234,92 € monatlich verlangen.

Die weitergehende Klage ist abzuweisen, die weitergehende Anschlussberufung und die Berufung sind zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Die Abänderbarkeit von Unterhaltstiteln bei fingierten Verhältnissen bei nachträglicher Änderung der für die Fiktion maßgeblichen Umstände ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur anerkannt (Wendl/Staudigl, a.a.O., Graba, a.a.O).

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 1880 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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