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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 24.09.2008
Aktenzeichen: 7 WF 769/08
Rechtsgebiete: SGB I, BGB


Vorschriften:

SGB I § 48 Abs. 1 S. 1
BGB § 816 Abs. 2
Die Abzweigung von Sozialleistungen (hier: Krankengeld) nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I gegenüber einem vermeintlich Unterhaltspflichtigen hat den Charakter eines belastenden Verwaltungsakts, gegen den der Adressat Widerspruch einlegen und Anfechtungsklage erheben kann. Sieht er von einer Anfechtung der ihm bekannt gegebenen Abzweigungsanordnung ab, wird diese ihm gegenüber wirksam, wodurch er in die Auszahlung des betreffenden Teils der ihm zustehenden Sozialleistungen durch den Leistungsträger an den vermeintlich Unterhaltsberechtigten nicht zu, erhält er aufgrund der Abzweigung eine Leistung als Nichtberechtigter, die er nach § 816 Abs. 2 BGB an den vermeintlich Unterhaltspflichtigen auskehren muss.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 7 WF 769/08

in der Familiensache

wegen Rückerstattung als Unterhalt abgezweigten Krankengeldes

hier: Prozesskostenhilfe.

Der 7. Zivilsenat - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Eck als Einzelrichter

am 24. September 2008 beschlossen: Tenor: Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Simmern vom 18.8.2008 abgeändert. Dem Kläger wird für die Klage vom 22.2.2008 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt S... zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Simmern ansässigen Rechtsanwalts zur Vertretung beigeordnet.

Gründe: I.

Der Kläger ist der Vater des am ...4.2001 geborenen Kindes N... F..., für das der Beklagte Unterhaltsvorschuss erbringt. Anfang 2007 erlitt der Kläger einen schweren Unfall und liegt seither im Wachkoma in einem Pflegeheim. Er bezieht Krankengeld der ... Ersatzkasse und Pflegegeld, wodurch nach seinem Vorbringen die Heimpflegekosten allerdings nicht gedeckt werden. Auf Antrag des Beklagten hat die ... Ersatzkasse ab 25.5.2007 täglich 5,66 € des an den Kläger zu zahlenden Krankengeldes einbehalten und nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I an den Beklagten ausgezahlt, nachdem der Kläger sich zu dem ihm zur Stellungnahme zugeleiteten Ansinnen des Beklagten nicht geäußert hatte. Mit Bescheid vom 26.11.2007 wurde die Abzweigung des Krankengeldes mit sofortiger Wirkung wieder eingestellt. Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Rückzahlung des im vorgenannten Zeitraum insgesamt an den Beklagten abgezweigten Krankengeldes in Höhe von 850,00 € und macht hierzu geltend, er sei über den gesamten Zeitraum zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht leistungsfähig gewesen. Durch Beschluss vom 18.8.2008 hat das Familiengericht das Begehren des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, die Voraussetzungen der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage einer ungerechtfertigten Bereicherung lägen nicht vor, weil für die Abzweigung und Zahlung ein Rechtsgrund gegeben gewesen sei. Wenn der Kläger der Ansicht sei, dass die Abzweigung nicht hätte erfolgen dürfen, hätte er gegen den Bewilligungsbescheid der Krankenkasse vom 3.8.2007 vorgehen müssen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. II.

Die gegen die Entscheidung des Familiengerichts gerichtete Beschwerde des Klägers ist in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstanden und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Ansicht des Familiengerichts (und des Beklagten) hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO). Dem Kläger kann gegen den Beklagten ein Anspruch nach § 816 Abs. 2 BGB zustehen. Nach dieser Bestimmung ist in Fällen, in denen an einen Nichtberechtigten eine Leistung bewirkt wird, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, der Nichtberechtigte dem Berechtigten zur Herausgabe des Geleisteten verpflichtet. Diese Voraussetzungen liegen nach dem Vortrag des Klägers hier vor. Die ... Ersatzkasse hat in Höhe von 850,00 € das dem Kläger zustehende Krankengeld mit befreiender Wirkung an den Beklagten abgeführt, obwohl diesem ein entsprechender Unterhaltsanspruch gegen den Kläger nicht zustand. Nach § 7 UVG geht, wenn der Empfänger von Unterhaltsvorschuss für die Zeit, für die ihm diese Leistung erbracht wird, einen Unterhaltsanspruch gegen den Elternteil hat, bei dem er nicht lebt, dieser Anspruch in Höhe der Unterhaltsleistung auf den Leistungserbringer über. Hiernach stand dem Beklagten in dem Zeitraum der Abzweigung nur dann ein Anspruch gegen den Kläger zu, wenn und soweit dieser selbst nach §§ 1601 ff. BGB gegenüber seinem Sohn unterhaltspflichtig war. Dies war jedoch - auch unter Berücksichtigung des § 1603 Abs. 2 BGB - nicht der Fall, wenn die Kosten der Heimunterbringung in diesem Zeitraum höher waren als die dem Kläger zufließenden Geldleistungen und er auch nicht in der Lage und verpflichtet war, für den Unterhalt aus seinem Vermögen aufzukommen. Die "Leistung" der Krankenkasse an den Beklagten war dem Kläger gegenüber wirksam, da er die Abzweigungsanordnung nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I nicht angefochten hatte. Diese Anordnung hat den Charakter eines belastenden Verwaltungsakts, gegen den der Adressat Widerspruch einlegen und Anfechtungsklage erheben kann. Sieht er - wie im vorliegenden Fall - von einer Anfechtung der ihm bekannt gegebenen Abzweigungsanordnung ab, so dass diese ihm gegenüber wirksam wird, so bedeutet das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 28.6.1991, SozR 3-1300, § 50 SGB X Nr. 10 und vom 17.1.1991, SozR 3-1300, § 50 SGB X Nr. 7; zitiert jeweils nach juris), dass er mit der Maßnahme des Leistungsträgers einverstanden ist. Damit steht er rechtlich so da, als ob er in die Auszahlung eines Teils der ihm zustehenden Leistungen durch den Leistungsträger an einen Dritten einwilligt oder sie jedenfalls genehmigt (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BGH, FamRZ 1993, 788). Entgegen der Ansicht des Familiengerichts und des Beklagten kann dem Kläger der vorstehend dargelegte Anspruch nicht deshalb versagt werden, weil er sich gegenüber der Krankenkasse nicht gegen die Abzweigung zur Wehr gesetzt hat. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, wobei nach Satz 4 der Vorschrift die Auszahlung auch an die Person oder Stelle erfolgen kann, die anstelle des Pflichtigen den Unterhalt gewährt. Diese Regelung verfolgt den Zweck, in einem vereinfachten Verfahren - ohne Umweg über einen Zivilprozess des Unterhaltsberechtigten und Pfändung seiner Ansprüche gegen den Verpflichteten - dem Ehegatten und den Kindern des Leistungsberechtigten, denen gegenüber dieser unterhaltsverpflichtet ist, laufende Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, auf die diese Angehörigen sozialrechtlich keinen eigenen (Teil-) Anspruch haben, unmittelbar zukommen zu lassen. Der Leistungsträger trifft mit der Abzweigung von Teilen der Sozialleistungen an unterhaltsberechtigte Angehörige eine sozial-rechtliche "Soforthilfemaßnahme", die allerdings die unterhaltsrechtlichen Beziehungen zwischen dem Leistungsberechtigten und seinen Angehörigen unberührt lässt, also keine endgültige/verbindliche Entscheidung über die bestehenden Unterhaltsansprüche enthält (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N.). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist es für die Anwendung der dargestellten Rechtsprechung des BGH unerheblich, dass in der zitierten Entscheidung die Unterhaltspflicht bereits anderweitig rechtskräftig verneint war, was hier nicht der Fall ist. Vielmehr wird das Bestehen oder Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht im vorliegenden Verfahren zu klären sein, um feststellen zu können, ob der Beklagte "Nichtberechtigter" im Sinne des § 816 Abs. 2 BGB ist. Da der Kläger nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht in der Lage ist, selbst für die Kosten des Rechtsstreits aufzukommen, ist ihm somit Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung zu gewähren (§§ 114, 115 ZPO). Die Einschränkung der Anwaltsbeiordnung folgt aus § 121 Abs. 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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