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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 07.05.1999
Aktenzeichen: 8 U 1010/98
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 831 Abs. 1 Satz 1
BGB § 157
BGB § 276 Abs. 1 Satz 2
BGB § 278
ZPO § 91
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 108
ZPO § 711
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Koblenz Urteil 07.05.1999 - 8 U 1010/98 - 9 O 397/96 LG Mainz

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hölzer, den Richter am Oberlandesgericht Grüning und den Richter am Landgericht Schwarz auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 1999 für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 6. Mai 1998 teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 67.215,25 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 21. Juli 1996 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt vorab die Kosten ihrer Säumnis in erster Instanz. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägern zu 12/79 und die Beklagte zu 67/79.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Beide Parteien können die Vollstreckung des Gegners durch Sicherheitsleistung, welche für die Klägerin 5.000 DM und die Beklagte 100.000 DM beträgt, abwenden, falls nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Beide Parteien können Sicherheit auch durch die selbstschuldnerische und unwiderrufliche Bürgschaft einer in der Europäischen Union zugelassenen Bank oder Sparkasse erbringen.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz wegen der Beschädigung eines Stalles.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, an welches ein Stall angebaut ist. Parallel zur Außenwand des Stalles verliefen sowohl an der Grenze des klägerischen Grundstückes als auch an der Grenze des Nachbargrundstücks zwei Mauern. Die Beklagte führte auf dem Nachbargrundstück im Auftrag der Eigentümerin, der Volksbank R., Baumaßnahmen durch. Bei Fundamentarbeiten an der Mauer des Nachbargrundstückes, welche von der Beklagten mit einem Bagger ausgeführt wurden, stürzte die Mauer auf dem klägerischen Grundstück in Richtung des Stalles ein.

Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, ob die Beklagte bei Durchführung ihrer Baumaßnahmen den Einsturz der Mauer verursacht und verschuldet hat und ob durch den Einsturz der Mauer Beschädigungen an der Außenwand des Stalles herbeigeführt wurden. Darüber hinaus ist die Höhe der für die Sanierung des Stalles erforderlichen Kosten zwischen den Parteien streitig; die Klägerin beruft sich hierzu auf ein von ihr eingeholtes Gutachten der Restaurierungs- und Baugesellschaft mbH in K., welches die Sanierungskosten mit 78.815,25 DM ausweist.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 78.815,25 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 21. Juli 1996 zu zahlen.

Nachdem die Beklagte innerhalb der gesetzlichen Frist ihre Verteidigungsbereitschaft nicht angezeigt hatte, ist gegen sie antragsgemäß am 6.2.1997 ein Versäumnisurteil ergangen, gegen das die Beklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hat.

Die Klägerin hat daraufhin beantragt,

das Versäumnisurteil vom 6.2.1997 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 6.2.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über die Ursache des Einsturzes der Mauer sowie die Verursachung und die Höhe der Sanierungskosten für die Beschädigungen an dem Stall des klägerischen Grundstückes die Klage abgewiesen, weil nach seiner Überzeugung zwar feststehe, dass der Einsturz der Mauer durch die Bauarbeiten der Beklagten verursacht worden sei und es infolge des Einsturzes der Mauer zu den Beschädigungen am Stall des klägerischen Grundstücks gekommen sei, die Beklagte sich jedoch für ein etwaiges Fehlverhalten ihres Mitarbeiters nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB exkulpiert habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr ursprüngliches Klagebegehren weiterverfolgt.

Beide Parteien wiederholen ihren Sachvortrag erster Instanz und vertiefen ihn.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Mainz vom 6.5.1998 abzuändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen der Klägerin zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin zurückzuweisen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil und die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze und Urkunden Bezug genommen.

Die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandene Berufung der Klägerin hat überwiegend Erfolg. Die Beklagte haftet der Klägerin für die Beschädigungen am Stall des klägerischen Grundstückes aus dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte in Höhe des zuerkannten Betrages.

1. Die Klägerin war in den Schutzbereich des zwischen der Beklagten und der Bauherrin, der Volksbank R., geschlossenen Bauvertrages einbezogen.

a) Allgemein wird ein solcher Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte angenommen, sofern der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommt (vgl. Staudinger/Jagmann, 13. Aufl. 1995, vor §§ 328 ff Rn. 104), die Ausführung der Hauptleistung sich also auch auf den Dritten auswirken kann (vgl. Gottwald im Münchner Kommentar zum BGB, 3. Aufl. 1994, § 328 Rn. 87). Dies ist bei den hier in Rede stehenden Bauarbeiten der Beklagten an der Grenze zum benachbarten Grundstück der Klägerin erkennbar der Fall gewesen. Dies ergibt sich bereits aus der räumlichen Nähe zwischen der Mauer auf dem Nachbargrundstück, an welcher der Beklagte Baumaßnahmen durchführte, und der eingestürzten Mauer auf dem Grundstück der Klägerin. Dabei kann die zwischen den Parteien streitige Frage, ob beide Mauern miteinander verbunden waren, auf sich beruhen, da auch ohne eine solche Verbindung jederzeit die - sich schließlich denn auch verwirklichte - Gefahr bestand, dass sich die Baumaßnahmen der Beklagten auf das Grundstück der Klägerin auswirken können. Hierfür sprechen schließlich auch die vom Sachverständigen in seinem Gutachten angeführten DIN-Unfallverhütungsvorschriften, die nach der Darstellung des Sachverständigen gerade für Bauarbeiten an Grundstücksgrenzen eine im Vergleich zu anderen Bauausführungen hohe Regelungsdichte aufweisen.

b) Über diese Leistungsnähe hinaus bestanden auch für die Beklagte erkennbar Schutzpflichten ihrer Vertragsgläubigerin, der Volksbank R., gegenüber der Klägerin, die sich unabhängig von den gesetzlichen Vorschriften insbesondere aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis ergeben (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1965, Seite 539, 541). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Soweit hiergegen eingewandt wurde, die nachbarrechtlichen Schutzpflichten träfen nicht den Bauunternehmer ohne ausdrückliche Übernahme einer Haftungsverpflichtung (so Hodes in seiner Anmerkung zur vorgenannten Entscheidung, NJW 1965, 539, 540), überzeugt dies nicht. Diese Auffassung verkennt nämlich, dass nach allgemeiner Ansicht (vgl. die Nachweise bei Staudinger/Jagmann, a.a.O., Rn. 102) Grundlage der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte gerade eine ergänzende Vertragsauslegung nach § 157 BGB ist. Dann kann es aber nach den allgemeinen Regeln über die Vertragsauslegung für eine Haftung des Vertragsschuldners nicht auf eine ausdrückliche Übernahme im Vertrag ankommen. Einer möglichen unabsehbaren Haftungsausweitung wirkt im Übrigen das Tatbestandsmerkmal der Erkennbarkeit der Einbeziehung des Dritten in den Vertrag (vgl. hierzu Staudinger/Jagmann, a.a.O., Rn. 107; Gottwald im Münchner Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 91) entgegen. Im Übrigen bezieht sich diese Gegenmeinung erkennbar auf die Besonderheit des vom OLG Düsseldorf entschiedenen Falles, bei dem es um die Herstellung einer Kommunmauer ging, deren genaue Ausgestaltung dem Bauunternehmer vom Bauherrn aufgrund seiner Absprachen mit dem Grundstücksnachbarn vorgegeben wurde. Mit dieser Fallgestaltung ist der hier zu entscheidende Sachverhalt nicht vergleichbar.

Schließlich steht der Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich des zwischen der Volksbank R. und der Beklagten geschlossenen Bauvertrages auch nicht die Entscheidung des BGH vom 3.11.1961 (VersR 1962, Seite 86, 87) entgegen, derzufolge der Straßenanlieger bei Rohrverlegungsarbeiten vor seinem Haus nicht in den Schutzbereich des Vertrages zwischen dem Straßenbaulastträger und dem die Rohrarbeiten ausführenden Bauunternehmer einbezogen sei; denn tragender Grund dieser Entscheidung ist allein die Unüberschaubarkeit des geschützten Personenkreises, nicht aber die sich hier stellende vorrangige Frage, ob Grundstücksnachbarn aufgrund des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses in den Schutzbereich von Bauverträgen einbezogen sind.

c) Für die Beklagte war auch ohne weiteres erkennbar, dass zwischen ihrer Vertragspartnerin, der Volksbank R., und der Klägerin Schutzpflichten bestehen, aufgrund derer die Klägerin in den Schutzbereich des Bauvertrages einbezogen ist. Dies folgt schon daraus, dass der Beklagten als Bauunternehmerin ohne weiteres klar gewesen sein dürfte, dass sich ihre Baumaßnahmen auch auf das Grundstück der Klägerin auswirken können. Dass der Beklagten möglicherweise Name und Anschrift der Klägerin als Eigentümerin des Nachbargrundstücks nicht bekannt gewesen wären, spielt dabei keine Rolle (vgl. BGH NJW 1984, Seite 355).

d) Die Klägerin ist schließlich auch schutzbedürftig. Dies wäre nur zu verneinen, sofern ihr - was hier nicht ersichtlich ist - gegenüber der Beklagten eigene vertragliche Ansprüche zustünden (vgl. hierzu Staudinger/Jagmann, a.a.O., Rn. 108; Gottwald im Münchner Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 92). Auf mögliche andere deliktische Ansprüche kommt es für die Frage des Schutzbedürfnisses der Klägerin nicht an.

2. Wie das Landgericht ist auch der Senat aufgrund der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beschädigungen am Stall der Klägerin von der eingestürzten Mauer herrühren und der Einsturz der Mauer wiederum von der Beklagten während der Bauarbeiten an der Grenzmauer des Nachbargrundstückes verursacht wurde. Nach den Feststellungen des Sachverständigen K. in seinem Gerichtsgutachten vom 14.1.1998 beruhte der Einsturz der Mauer auf einer mechanischen Einwirkung (Stoß). Da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass zum Zeitpunkt des Einsturzes lediglich die Bauarbeiten der Beklagten auf dem Nachbargrundstück durchgeführt wurden, spricht daher bereits der Anscheinsbeweis dafür, dass der Einsturz der streitgegenständlichen Mauer nur durch den auf dem Nachbargrundstück arbeitenden Baggerfahrer der Beklagten bewirkt worden sein kann. Andere Ursachen für die vom Sachverständigen festgestellte mechanische Einwirkung sind nicht ersichtlich.

Den Anscheinsbeweis hat die Beklagte nicht entkräftet. Zwar hat sie unter Beweisantritt bestritten, dass ihr Baggerfahrer bei Durchführung der Bauarbeiten die Mauer angestoßen und hierdurch zu Fall gebracht habe. Einer Beweisaufnahme hierüber bedarf es jedoch nicht, weil schon das Vorbringen der Beklagten für eine Entkräftung des Anscheinsbeweises nicht ausreicht. Sie hat nämlich keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass der - was auch sie nicht bestreitet - für den Einsturz der Mauer ursächliche Stoß mit den von ihr im Schadenszeitpunkt ausgeführten Bauarbeiten nichts zu tun haben kann, dass also eine mechanische Einwirkung auf die Mauer der Klägerin wegen der konkreten Art und Weise der Bauausführung ausgeschlossen sei. Die bloße Aussage des von der Beklagten benannten Zeugen, den Stoß nicht bemerkt zu haben, würde im Übrigen nicht den Schluss zulassen, dass der Stoß während der Bauarbeiten nicht vom Bagger der Beklagten bewirkt wurde.

3. Der Stoß gegen die klägerische Mauer stellt eine schuldhafte Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht, fremdes Eigentum bei der Vertragsdurchführung nicht zu gefährden, dar. Auf die Behauptungen der Berufung, die Beklagte habe ihre Bauarbeiten mangelhaft ausgeführt, insbesondere die Mauer des Nachbargrundstücks nicht ordnungsgemäß abgestützt und deren Fundamente zu weit untergraben, kommt es hierfür nicht an.

Für das nach objektiven Gesichtspunkten (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB) zu beurteilende Verschulden ihres Mitarbeiters hat die Beklagte ohne Exkulpationsmöglichkeit nach § 278 BGB einzustehen.

5. Der Höhe nach haftet die Beklagte jedoch nur auf den zuerkannten Betrag. Nach den Feststellungen des Sachverständigen in seinem Gerichtsgutachten ist der Sanierungsaufwand in dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten der Restaurierungs- und Baugesellschaft mbH in K. um 10.000 DM netto (= 11.600 DM brutto) zu reduzieren. Der Senat folgt dieser auch von der Klägerin nicht im Einzelnen bestrittenen Feststellung des Sachverständigen.

Der sich danach vermindernde Schadensersatzanspruch der Klägerin ist nicht gleichzeitig wegen der von ihr hilfsweise bezeichneten Kosten für die Errichtung der eingestürzten Mauer wieder zu erhöhen. Zwar würde ein solcher Schadensersatzanspruch der Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten unabhängig von der Frage grundsätzlich bestehen, ob die Klägerin eine Neuerrichtung der Mauer beabsichtigt oder nicht. Der Vortrag der Klägerin über den hierauf entfallenden Schadensbetrag ist aber zu pauschal und daher auch dem von der Klägerin hierfür angebotenen Beweis nicht zugänglich.

6. Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, nachdem die Klägerin die Beklagte vergeblich mit Schreiben vom 9.7.1996 unter Fristsetzung zum 20.7.1996 unter anderem auch zur Zahlung des zuerkannten Betrages aufgefordert hatte.

7. Da der Klägerin daher in Höhe des zuerkannten Betrages ein Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten zusteht, war auf ihre Berufung das gegenteilige Urteil des Landgerichts Mainz entsprechend abzuändern.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 108, 711, 708 Nr. 10 ZPO.

III. Der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt 11.600 DM, der Wert der Beschwer der Beklagten 67.215,25 DM.

IV. Der Streitwert wird auf 78.819,25 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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