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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 13.11.2002
Aktenzeichen: 9 UF 246/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Koblenz IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 9 UF 246/02

Verkündet am: 13.11.2002

in der Familiensache

wegen Scheidung.

Der 9. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krüger, die Richterin am Oberlandesgericht Peters und den Richter am Landgericht Dühr auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Antragstellers gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Betzdorf vom 7. März 2002 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

Der am 12. November 1975 geborene Antragsteller und die am 22. Juni 1981 geborene Antragsgegnerin heirateten am 10. August 1996 in der Türkei. Beide sind türkische Staatsangehörige. Aus der Ehe ist ein am ... Dezember 1998 geborener Sohn hervorgegangen, der seit der Trennung der Parteien im Februar 2000 im Haushalt des Vaters lebt.

Das Familiengericht hat den Scheidungsantrag abgewiesen, weil die Antragsgegnerin der Scheidung widerspreche und nicht festgestellt werden könne, dass die Ehe zerrüttet sei. Hiergegen richtet sich die Berufung des Antragstellers, der nach wie vor geschieden werden will. Die Antragsgegnerin widerspricht der Scheidung weiter.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Das Amtsgericht hat richtig entschieden.

Die Scheidung der Parteien richtet sich gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB i. V. mit Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB ausschließlich nach türkischem materiellen Recht.

Der Senat geht davon aus, dass vorliegend das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene türkische Zivilgesetzbuch (ZGB) zur Anwendung kommt, denn Art. 9 des dazugehörigen EGZGB schiebt für die Scheidung die Wirksamkeit der Bestimmungen des neuen türkischen Zivilgesetzbuches nicht hinaus. Indes entsprechen die Vorschriften über die Scheidung (Art. 161 f. ZGB) inhaltlich weitgehend den Art. 129 f. ZGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung (vgl. den Abdruck der neuen Regelung in StAZ 2002, S. 100 f., 121 f.). Insbesondere der hier einschlägige 166 ZGB weist keine inhaltlichen Unterschiede zu dem früheren 134 ZGB auf.

Das türkische Recht differenziert zwischen den in Art. 161 - 165 ZGB normierten besonderen Ehescheidungsgründen und dem allgemeinen Scheidungsgrund des Art. 166 ZGB. Dabei ist letzterer nur anwendbar, wenn kein besonderer Scheidungsgrund vorliegt (vgl. OLG Köln, FamRZ 2002, 165 unter Hinweis auf ein Rechtsgutachten des Instituts für Internationales Recht der Universität München, Gutachten zum internationalen Und ausländischen Privatrecht 1997 Nr. 30 a). Besondere Ehescheidungsgründe hat der Antragsteller nicht geltend gemacht, vielmehr beruft er sich auf eine Zerrüttung der Ehe. Als möglicherweise einschlägig kommt aber vorliegend Art. 164 ZGB in Betracht, weil der Antragsteller die Trennung so beschreibt, dass die Antragsgegnerin ihn im Februar 2000 in der Türkei verlassen habe. Nach Art. 164 ZGB kann der verlassene Ehegatte, solange der Zustand andauert ... auf Scheidung klagen, wenn ein Ehegatte den anderen mit dem Ziel verlassen hat, die aus der ehelichen Gütergemeinschaft entstehenden Pflichten nicht zu erfüllen, wenn die Trennung wenigstens 6 Monate gedauert hat. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller indes nicht verlassen. Zwar ist es richtig, dass die Mutter der Antragsgegnerin diese im Februar 2000, als beide Parteien besuchsweise in der Türkei weilten, nach einem Streit nachts zu sich nach Hause genommen hat. Das hat die Antragsgegnerin selbst vor dem Familienrichter in der Verhandlung vom 27. Februar 2002 erklärt. Jedoch hatte sie, als sie ihrer Mutter folgte, dabei nicht die Vorstellung den Antragsteller mit dem Ziel zu verlassen, zukünftig die sich aus der ehelichen Gemeinschaft entstehenden Pflichten nicht mehr zu erfüllen. Die Antragsgegnerin erklärte, insoweit einfach der Anordnung ihrer Mutter gefolgt zu sein. Für den Senat stellt sich die Situation so dar, dass die Mutter der Antragsgegnerin durch die zeitweilige Trennung der Parteien den zwischen ihnen entstandenen Streit dämpfen wollte. Hier muss aufgrund der eigenen Einlassung des Antragstellers davon ausgegangen werden, dass er die Antragsgegnerin verlassen hat, denn nach dem Streit verließ er unter Mitnahme des gemeinsamen Kindes und des Passes der Antragsgegnerin die Türkei und verweigert seitdem, die Antragsgegnerin wieder in die gemeinsame Wohnung aufzunehmen.

Der Senat vermag ebenso wie das Familiengericht nicht festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 166 ZGB für eine Scheidung vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist jeder Ehegatte berechtigt, Scheidungsklage zu erheben, wenn die eheliche Gemeinschaft so grundlegend zerrüttet ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann. Die Antragsgegnerin hält die Ehe nicht für zerrüttet. Sie gibt an, mit dem Antragsteller selbst nie Probleme gehabt zu haben. Das gesamte Scheidungsverfahren resultiere einzig auf Manipulationen ihrer Schwiegermutter, die sie seit Beginn der Ehe schikaniert habe. Sie sei überzeugt, wenn sie und ihr Ehemann nur nicht mehr im selben Haus wie die Schwiegermutter lebten, sei die Ehe durchaus zu retten. Der Antragsteller begründet die Zerrüttung damit, dass die Antragsgegnerin ihn beschimpft habe, er sei "kein Mensch", er sei "ein Nichts"; sie habe weiter erklärt, "sie habe das Familienleben satt". Schließlich habe sie sich nicht um das gemeinsame Kind gekümmert. Diese von dem Antragsteller dargelegten Gründe rechtfertigen nicht die Feststellung der Zerrüttung und der Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe. Bei Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist der kulturelle Hintergrund der beiden Parteien, die sich beide mit der türkischen Kultur identifizieren und ihr verhaftet sind, zu beachten. Genauso ist die Rechtsprechung des türkischen Kassationshofes zu der Frage, wann eine Zerrüttung anzunehmen ist, die eine Fortsetzung der Ehe als unzumutbar erscheinen lasse, von Bedeutung (vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht 1994 § 31 I 2 (S. 192); Zöller-Geimer, ZPO, 23. Aufl. § 293 Rn. 24). Zerrüttung im Sinne des Art. 166 Abs. 1 ZGB enthält zwei Komponenten. Die erste Komponente ist die objektive, schwerwiegende Störung der ehelichen Verhältnisse. Kleinere alltägliche Streitigkeiten zwischen den Eheleuten reichen insoweit nicht aus. Schwere Konflikte müssen eine gewisse Dauerhaftigkeit erreicht haben und die positive Einstellung beider Ehegatten oder eines Ehegatten zur Ehe und zu seinen ehelichen oder familiären Verpflichtungen grundsätzlich in Frage stellen (vgl. Rumpf, Anm. zu türkischer Kassationshof, Urteil vom 29. Januar 1990, FamRZ 1993, 1209). Die zweite Komponente findet sich auf der subjektiven Seite. Die Störung der ehelichen Lebensverhältnisse muss für mindestens einen der Ehegatten unerträglich geworden sein (Rumpf a. a. O.).

Diese Voraussetzungen vermochte der Senat nicht festzustellen.

Hier scheint eher für die Antragsgegnerin die Ehe eine große Belastung zu sein. Sie musste mit dem Antragsteller in sehr jungen Jahren in dasselbe Haus ziehen, in dem auch ihre Schwiegermutter lebt, mit der sie sich nicht versteht. Anders als der Antragsteller musste sie sich von ihrer Familie trennen. Dass es dabei auch zu Streitigkeiten zwischen den Eheleuten kommt, liegt nahe. Äußerungen wie "ich habe das Familienleben satt" heißen nicht unbedingt, dass die Antragsgegnerin das Eheleben satt hat. Vielmehr liegt es eher nahe, dass sie hiermit das Zusammenleben mit den Eltern und Geschwistern des Antragstellers in einem Haus meint. Der Antragsteller hat dem Senat nicht deutlich gemacht, dass die Streitereien zwischen den Parteien die Ehe so grundlegend in ihren Fundamenten zerstört haben, dass ein Zusammenleben für den Antragsteller unerträglich sein muss. Der türkische Kassationshof nimmt erst dann an, dass eine Ehe zerrüttet ist, wenn einem der Ehepartner ein schwerwiegendes ehewidriges Verhalten zur Last gelegt werden kann (vgl. Odendahl, FamRZ 2000, 462, 463 f.). Solches vermag der Senat hier nicht zu erkennen. Dies gilt auch, soweit der Antragsteller der Antragsgegnerin vorwirft, sich nicht genug um das gemeinsame Kind gekümmert zu haben. Auch dieser Vorwurf bleibt abstrakt und ohne Substanz.

Allerdings leben die Parteien nunmehr länger als zwei Jahre getrennt und der Antragsteller weigert sich, die eheliche Lebensgemeinschaft mit der Antragsgegnerin wieder herzustellen. Es kann dahinstehen, ob dies allein oder zusammen mit den Umständen, wie die Trennung seitens des Antragstellers herbeigeführt wurde, für die Annahme ausreicht, dass die Ehe zerrüttet sein muss. Jedenfalls kann die Antragsgegnerin insoweit der Scheidung als beklagter Teil gemäß Art. 166 Abs. 2 ZGB widersprechen, weil dem Antragsteller insoweit ein Alleinverschulden zur Last fällt, weil er die Trennung einseitig herbeigeführt hat. Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Handeln seitens der Antragsgegnerin bestehen nicht.

Die Voraussetzungen für eine Scheidung nach türkischem Recht liegen damit nicht vor.

Sollten die Parteien dagegen auch in Zukunft das gemeinsame Leben nicht mehr herstellen, so kann die Ehe nach drei Jahren nach Rechtskraft dieser Entscheidung auf Antrag eines der Ehegatten geschieden werden (Art. 166 Abs. 4 ZGB).

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Senat hat den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 3.000,00 EUR festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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