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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 22.09.2000
Aktenzeichen: U 734/98 Kart.
Rechtsgebiete: GWB, ZPO


Vorschriften:

GWB § 34
GWB § 88
GWB § 87
ZPO § 519
ZPO § 523
ZPO § 263
ZPO § 33 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 508 Nr. 10
ZPO § 513
ZPO § 546 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: U 734/98 Kart. 11 HO 75/97 LG Mainz

Verkündet am 22. September 2000

Abresch, Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Hölzer, den Richter am Oberlandesgericht Grüning und die Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid auf die mündliche Verhandlung vom 1. September 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer - 1. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Mainz vom 20. März 1998 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

III. Der Wert der Beschwer für die Klägerin beträgt 50.000 DM.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem nach der Behauptung der Klägerin zwischen den Parteien geschlossenen Alleinvertretungsvertrag. Sie hat deshalb - zunächst vor dem unzuständigen Landgericht Koblenz - von der Beklagten Auskunft über Lieferungen in die Ukraine begehrt, die jene unter Umgehung eines angeblich zwischen den Parteien bestehenden Alleinvertriebsvertrags vorgenommen haben soll.

Die Parteien hatten im Sommer 1994 Verhandlungen über den Abschluss eines Händlervertrags aufgenommen, der der Klägerin das Alleinvertriebsrecht für die von der Beklagten hergestellten EDV-Programme in der Ukraine sichern sollte. Die Klägerin unterhält in Kiew ein Büro, das an diesen Gesprächen beteiligt war.

Alleiniger Streit in erster Instanz war daher, ob überhaupt der von der Klägerin behauptete Alleinvertriebsvertrag zustandegekommen ist. Eine "Vertragsurkunde" existiert zwar, ist jedoch von keiner der Parteien unterschrieben.

Da die Beklagte im Juli 1996 an eine andere in der Ukraine ansässige Firma Waren lieferte, die Klägerin von ihr daher - erfolglos - die Offenlegung der in der Ukraine getätigten Geschäfte verlangt hat, deren Kenntnis sie aber für einen von ihr behaupteten Provisionsschadensersatzanspruch benötigt, hat sie die vorliegende Auskunftsklage erhoben.

Durch das angefochtene Urteil vom 20. März 1998 (vgl. Bl. 97103 GA) hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil kein Auskunftsanspruch der Klägerin bestehe, da kein den Formerfordernissen des § 34 GWB entsprechender Alleinvertriebsvertrag geschlossen worden sei.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig und ordnungsgemäß eingelegte Berufung der Klägerin mit ihrem weiterhin verfolgten Auskunftsanspruch, den sie nunmehr allein auf einen Anspruch aus culpa in contrahendo stützt, ohne allerdings das einen wirksamen Alleinvertriebsvertrag verneinende Urteil insoweit anzugreifen.

Hierzu trägt sie vor:

Das Urteil entspreche nicht der Sach- und Rechtslage, da ihr Auskunftsanspruch jedenfalls einem Ersatzanspruch aus culpa in contrahendo vorgeschaltet sei. Die Beklagte habe mit ihr verhandelt und ihr gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass sie einen wirksamen Alleinvertriebsvertrag abschlössen. Im Vertrauen darauf habe sie Investitionen getätigt, Kunden geworben und Bestellungen aufgegeben. Dann aber habe sie feststellen müssen, dass die Beklagte die von der Vereinbarung umfassten Produkte selbst oder über andere vertrieben habe und vertreibe. Die Beklagte habe sich deshalb treuwidrig verhalten und sei ihr danach nach den Regeln des Verschuldens bei Vertragsschluss schadensersatzpflichtig. Dazu bedürfe sie der hier begehrten Auskunft.

Das Landgericht hätte die Beklagte deshalb auch antragsgemäß verurteilen müssen. Denn es hätte auch nichtvertragliche Ansprüche bei - wie hier - unverändertem Lebenssachverhalt und gleichem Antrag prüfen müssen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils, die Beklagte zu verurteilen, an sie Auskunft darüber zu erteilen, welche Geschäfte sie über die von ihr vertriebenen Produkte Dis-DATA-Safes S und Se, Spectro-DATA, Techno-DATA und Datensicherungsräume seit dem Juni 1994 in der Ukraine geschlossen habe und die entsprechenden Kaufverträge hierüber vorzulegen;

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das LG Mainz zurückzuverweisen; weiter hilfsweise

ihr Vollstreckungsnachlass zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen;

hilfsweise,

ihr Vollstreckungsnachlass zu gewähren.

Sie ist der Ansicht, dass die Berufung unzulässig sei, da kein Berufungsangriff gegen das angefochtene Urteil geführt werde.

Um dies zu vermeiden, berühme sich die Klägerin nunmehr eines anderen Anspruchs. Das sei aber eine Klageänderung, der sie ausdrücklich widerspreche.

Da jedoch ein Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss ohnehin auf das negative Interesse beschränkt sei und die angeblichen Aufwendungen der Klägerin allein bekannt seien, gehe der behauptete Anspruch auf Auskunft aus culpa in contrahendo zur Bezifferung angeblicher Schäden ins Leere.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die - letztlich - zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, weil das Landgericht zu Recht einen Auskunftsanspruch der Klägerin verneint hat und ein solcher auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss gegeben ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Berufung allerdings zulässig.

Obgleich diese keinen Berufungsangriff im Sinne des § 519 ZPO gegen die von dem Landgericht wegen Nichtbestehens eines Alleinvertriebsvertrages mangels erforderlicher Schriftform, § 34 GWB, abgewiesene Klage führt, ist das Rechtsmittel gleichwohl zulässig. Eine Berufung ist - nur insoweit - unzulässig, wenn sie den im ersten Rechtszug erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, also eine erstinstanzliche Klageabweisung gar nicht in Zweifel zieht, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bisher nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Danach kann die Änderung der Klage im Berufungsverfahren (§§ 263, 523 ZPO) nicht allein das Ziel des Rechtsmittels sein, sie setzt dessen Zulässigkeit vielmehr voraus (vgl. hierzu BGH in NJW 99, 2119; 1407; in NJW-RR 1996, 1276 jeweils m.w.N.; Thomas-Putzo, ZPO, Vorbem. § 511 Rdnr. 21; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, Grundz. § 511 Rdn. 13). Denn es entspricht der funktionellen Zuständigkeit und dem Wesen der Berufung, dass sie zunächst an das erstinstanzliche Verfahren anknüpft, und das Berufungsgericht nicht mit einem völlig neuen Sachverhalt befasst wird, der nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung war. Hieran ändert es nichts, dass § 523 ZPO - auch - auf § 263 ZPO verweist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt hier jedoch keine Klageänderung vor. Denn der von der Klägerin - von Anfang an - vorgetragene, nicht geänderte und daher identische Lebenssachverhalt rechtfertigt die Zulassung des von ihr weiterverfolgten und damit nicht geänderten Antrags aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss. Streitgegenstand ist - nach der von der Rechtsprechung und auch von dem Senat vertretenen prozessrechtlichen Auffassung der als Rechtsschutzbegehren verstandene eigenständige prozessuale Anspruch, der aus dem die Rechtsfolge konkretisierenden Klageantrag und aus dem Lebenssachverhalt, dem Anspruchsgrund, aus dem die Rechtsfolge hergeleitet wird, besteht. Zum Anspruchs- oder Klagegrund gehören somit alle Tatsachen, die bei natürlicher Betrachtungsweise aus der Sicht der Parteien den Sachverhalt ausmachen, den der Kläger dem Gericht zur Begründung seines Begehrens vorträgt (vgl. BGHZ 117, 5; NJW 1999, 2119; zuletzt Urteil vom 20. März 2000 - II ZR 250/99).

Hiernach ist der Streitgegenstand des Berufungsvorbringens der Klägerin kein anderer als der ihres erstinstanzlichen Vortrags. Die Klägerin verlangt weiterhin Auskunft über die von der Beklagten in der Ukraine getätigten Lieferungen ihrer EDV-Programme. Der Lebenssachverhalt, auf den sie sich stützt, ist bei natürlicher Betrachtung in erster wie in zweiter Instanz die behauptete Auskunft darüber, welche Geschäfte die Beklagte über die von ihr vertriebenen Produkte seit dem Juni 1994 in der Ukraine geschlossen hat. Dass sich die Rechtsfolge nach ihrer im Berufungsverfahren vertretenen Ansicht nicht, wie erstinstanzlich angenommen, aus einem von ihr behaupteten Alleinvertriebsvertrag, sondern aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss ergibt, ändert hieran nichts. Damit trifft es nicht zu, dass die Klägerin ihren Sachvortrag in zweiter Instanz geändert hat, es liegt lediglich eine Änderung der Anspruchsgrundlage vor.

2. Aus Gründen der Prozessökolomie ist der Senat - auch als Kartellsenat - daher gehalten, über den Anspruch auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss zu entscheiden.

Nach § 88 GWB (Klageverbindung) kann nämlich auch mit der Klage aus diesem Gesetz oder aus Kartellverträgen und aus Kartellbeschlüssen die Klage wegen eines anderen Anspruchs verbunden werden, wenn dieser im rechtlichen oder unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Anspruch steht, der bei dem nach § 87 GWB zuständigen Gericht geltend zu machen ist. Dies gilt auch dann, wenn für die Klage wegen des anderen Anspruchs eine ausschließliche Zuständigkeit gegeben ist. Im Interesse einer größtmöglichen Konzentration der Streitverfahren lässt § 88 GWB daher die Verbindung von Kartellsachen mit anderen Klageanträgen weitgehend zu, erfasst allerdings nur die Verbindung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, d.h. er greift nicht in die Rechtswegzuständigkeit ein (vgl. hierzu Lange/Bunte, GWB, § 88 Rdnr. 2). Die Vorschrift des § 88 GWB wird deshalb aus Zweckmäßigkeitsgründen und im Interesse der erstrebten Konzentration daher weit ausgelegt. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass dem kartellrechtlichen Anspruch auch solche Ansprüche folgen können, für die bei einem anderen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit begründet ist. Diese Formulierung deckt sich im Übrigen weitgehend mit dem, was die Rechtsprechung - großzügig - im Rahmen des § 33 Abs. 1 ZPO zur Widerklage entwickelt hat.

3. Ist danach die Zuständigkeit des Senats zweifelsfrei gegeben, kommt es auf die Frage einer eventuellen Bindungswirkung durch die Verweisung des Rechtsstreits von dem ursprünglich angegangenen Landgericht Koblenz an das kartellrechtlich ausschließlich zuständige Landgericht Mainz nicht mehr an.

II.

In der Sache hat die Berufung allerdings keinen Erfolg, weil ein Auskunftsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss besteht.

1. Zwar kann ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss wegen des Abschlusses eines unwirksamen Vertrages auch darauf gestützt werden, dass ein unwirksamer Vertrag geschlossen worden ist und der Vertragspartner diese Unwirksamkeit zu vertreten hat. Das gilt aber in aller Regel nur dann, wenn die Unwirksamkeit auf einem Wirksamkeitshindernis beruht, das aus der Sphäre des Schädigers stammt (vgl. hierzu OLG Hamm in NJW-RR 1994, 245; OLG Frankfurt in NJW-RR 1997, 172 jeweils mit weiteren umfangreichen Nachweisen).

Handelt es sich aber - wie hier - um ein allgemeines Wirksamkeitshindernis, das nicht dem Verantwortungsbereich einer Partei zuzuordnen ist, besteht grundsätzlich auch kein Anspruch aus culpa in contrahendo (vgl. BGH in NJW-RR 1992, 590; OLG Hamm a.a.O.). Das gilt insbesondere für die Einhaltung von Formvorschriften, zu denen auch die im vorliegenden Fall für die Wirksamkeit des - behaupteten - Alleinvertriebsvertrages bedeutsamen Regelungen des Kartellgesetzes gehören. Denn die Einhaltung derartiger Formvorschriften obliegt jeder Partei schon im eigenen Interesse. Eine Rechtspflicht zur entsprechenden Aufklärung und eine aus der Verletzung einer solchen Pflicht herzuleitende Schadensersatzpflicht wird man nur dann ausnahmsweise bejahen können, wenn eine Partei der anderen aus Gesetz, Vertrag oder vorangegangenem Tun Betreuung oder zumindest Aufklärung schuldete und diese Verpflichtung jedenfalls fahrlässig verletzt hat (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, § 276 Rdnr. 77; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.).

Eine Zuerkennung eines solchen Schadensersatzanspruchs kann aber indirekt einen Zwang zur Erfüllung des nichtigen Geschäftes ausüben und läuft deshalb dem Schutzzweck des § 34 GWB zuwider (BGHZ 116, 251, 258).

2. Darüber hinaus ginge - wie die Beklagte zu Recht in der Berufungserwiderung ausführt - ein solcher Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss grundsätzlich nur auf Ersatz des negativen Interesses (vgl. hierzu BGH in NJw 98, 2901 m.w.N.), und nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen bei evtl. Zustandekommen eines günstigeren Vertrages - was vorliegend jedoch nicht gegeben ist - das Interesse an der Erfüllung eines nicht zustandegekommenen Vertrages zu ersetzen. ist (vgl. BGH a.a.O. m.w.N.). Da das negative Interesse der Klägerin jedoch nicht die - angeblich entgangenen Provisionen umfasst, sondern lediglich eventuell von der Klägerin vorgenommene Aufwendungen, scheidet auch aus diesem Grunde ein Auskunftsanspruch aus. Denn das weiß - allein - die Klägerin und bedarf daher insoweit keines Auskunftsanspruchs.

III.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 508 Nr. 10, 513 ZPO; die Entscheidung über den Wert der Beschwer hat ihre gesetzliche Grundlage in § 546 Abs. 2 ZPO.

Der Senat hat beschlossen, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 50.000 DM festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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