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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 25.09.2000
Aktenzeichen: 14 UF 66/00
Rechtsgebiete: FGG, BGB, KJHG


Vorschriften:

FGG § 19
FGG § 20
FGG § 59 I S.1
BGB § 1666
KJHG § 42
KJHG § 43
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

14 UF 66/00 27 F 432/99 Amtsgericht B.G.

In dem Verfahren

pp.

hat der 14. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am OLG Dr. Büttner, der Richterin am OLG Gerhardt und des Richters am OLG Quack

am 25.9.2000

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden des Jugendamts der Stadt B.G. und der Jugendlichen A.F. wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - B.G. vom 11.4.2000 (27 F 432/99) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Das Personensorgerecht für A.F. (geb. 12.5.1983) wird den Eltern entzogen und auf das Jugendamt der Stadt B.G. übertragen. Im übrigen wird der Antrag auf Entziehung der elterlichen Sorge zurückgewiesen.

Es verbleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz; auch für die zweite Instanz werden Gerichtskosten nicht erhoben und die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

GRÜNDE

I.

Die betroffene Jugendliche, die im Mai 2001 18 Jahre alt wird, ist die eheliche Tochter ihrer Eltern. Ihre Eltern stammen aus dem Kosovo, sie leben wie die noch minderjährigen Geschwister G. (geb. 7.5.1984) und V. (geb. 6.11.1986) seit Jahren in Deutschland und beziehen Sozialhilfe. Sie sind jugoslawische Staatsangehörige (Kosovo-Albaner) und als Asylberechtigte anerkannt. Die Jugendliche hat außerdem zwei bereits volljährige Geschwister.

Am 17.12.1999 sprach die Jugendliche beim Jugendamt der Stadt B.G. vor und bat um Unterbringung, da sie ihre Eltern gegen ihren Willen mit Herrn A., ebenfalls albanischer Herkunft, verheiraten wollten und mit einer Ausbildung zur Hotelkauffrau nicht einverstanden seien. Unstreitig war die Jugendliche mit Herrn A. verlobt. Nach ihren Angaben aber nur auf Druck der Familie. Am 22.12.1999 versuchten die Eltern, A. in der Innenstadt von B.G. mit Gewalt zu sich zu nehmen.

A. ist - mit ihrem Einverständnis - in einem Jugendheim untergebracht. Das Amtsgericht hat einen Verfahrenspfleger bestellt. Die Eltern haben beantragt, die Rückführung A.s in ihren Haushalt anzuordnen.

Das Amtsgericht hat nach Anhörung aller Beteiligten die Anträge des Jugendamts und der Jugendlichen auf Entziehung der elterlichen Sorge zurückgewiesen. Es hat den Eltern gleichzeitig durch Auflagen untersagt, einer Ausreise der Jugendlichen außerhalb des Gebiets des Schengener Abkommens zuzustimmen, ohne Gericht und Jugendamt hierüber zwei Wochen vor dem geplanten Ausreisetermin zu informieren, und ihnen aufgegeben, einen regelmäßigen Schulbesuch sicherzustellen sowie Gespräche mit dem Jugendamt über den weiteren Ausbildungsweg aufzunehmen. Es hat sich nach Anhörung der Beteiligten von der Richtigkeit der Darstellung der Jugendlichen nicht überzeugen können, wobei Herr A. die Fragen des Gerichts nicht beantwortet hat. Den Antrag der Eltern auf Rückführung in ihren Haushalt hat es als nicht bescheidungsfähig angesehen, da die Eltern die Rückkehr kraft ihrer elterlichen Sorge bestimmen und notfalls die Herausgabe A.s erwirken könnten.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts richten sich die Rechtsbehelfe der Jugendlichen persönlich und des Jugendamts.

Der Senat hat am 6.7.2000 einen Erörterungstermin mit allen Beteiligten durchgeführt. Auf das Protokoll wird Bezug genommen. Der Senat hat den Beteiligten Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme gegeben. In der Stellungnahme des Jugendamts vom 4.8.2000 ist ausgeführt, daß A. unverändert zur Rückkehr in den elterlichen Haushalt nicht bereit sei. Den Erklärungen der Eltern, keinen Druck auf die Jugendliche wegen der Verheiratung auszuüben und mit ihrer weiteren Ausbildung einverstanden zu sein, könne nicht gefolgt werden. Die Eltern zeigten keinerlei Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung bei A..

II.

Die Beschwerden der Jugendlichen und des Jugendamts sind gem. §§ 19, 20 FGG zulässig und in der Sache im Ergebnis insoweit begründet, als die Entziehung des Personensorgerechts zum Schutz des Kindes gem. § 1666 BGB erforderlich ist, während es der Entziehung des gesamten Sorgerechts nicht bedarf.

Der 17-jährigen Minderjährigen steht ein eigenes Beschwerderecht gegen die Versagung der beantragten Eingriffe in das elterliche Sorgerecht zu, das sie nach § 59 I S.1, III FGG selbst ausüben kann (BayObLG FamRZ 1997, 954). Das Jugendamt hat ein Beschwerderecht gem. § 20 FGG, da es mit seinem Antrag öffentliche Interessen vertritt.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus Art.1 MSA, da die beantragte Entziehung des Sorgerechts eine Maßnahme zum Schutz der Person ist (BayObLG FamRZ 1997, 954 m.w.N.) und die Jugendliche ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Gem. Art. 2 MSA ist schon aus diesem Grunde deutsches Recht anwendbar; bei Asylberechtigten ist ein ex-lege-Gewaltverhältnis des ursprünglichen Heimatrechts nach Art. 3 MSA nicht zu beachten (LG München FamRZ 1997, 1354; vgl. auch BGH FamRZ 1990, 32). Nach dem Ergebnis der weiteren Ermittlungen, insbesondere der Anhörung aller Beteiligten durch den Senat, muß den Eltern das Personensorgerecht zum Schutz des 17-jährigen Kindes entzogen werden. Es ist zulässig, das Personensorgerecht als Teilbereich der elterlichen Sorge auf das Jugendamt zu übertragen. Mit dieser Maßnahme ist dem erforderlichen Schutz genüge getan.

Maßnahmen nach § 1666 BGB werden nicht daduch entbehrlich, daß das Jugendamt gemäß § 42 KJHG (SGB VIII) eine Inobhutnahme der Jugendlichen mit deren Einverständnis in einer Jugendhilfeeinrichtung verfügt hat. Maßnahmen nach § 42 KJHG sind nur vorläufige Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr. Eine Unterbringung für längere Zeit entgegen dem Willen der Sorgeberechtigten bedarf stets einer Entscheidung des Familiengerichts gem. §§ 1666, 1666a BGB. Diese Normen regeln ausschließlich Eingriffe in das elterliche Sorgerecht, während die §§ 42, 43 KJHG nur die öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage für Sofortmaßnahmen bei Kindeswohlgefährdung sind, die die Zeit bis zur Entscheidung des Familiengerichts überbrücken. Nach § 42 KJHG ergriffene Maßnahmen begründen daher nur bis zur Entscheidung des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB das Recht des Jugendamts, das Kind nicht an die personensorgeberechtigten Eltern herauszugeben (OLG Bamberg FamRZ 1999, 664; Ollmann FamRZ 2000, 261; DIJuF-Gutachten vom 8.5.2000 - DAVorm 2000, 389; Schellhorn-Mann, SGB VIII, § 42 Rn. 15).

Es kann dahinstehen, ob die Eltern auch heute noch darauf hinwirken wollen, daß die minderjährige Tochter einen Mann aus dem albanischen Kulturkreis alsbald heiratet und ob sie gar einer Ausreise zustimmen würden. Für einen Eingriff nach § 1666 BGB genügt, daß die Eltern dem Selbständigkeitsinteresse ihrer fast volljährigen Tochter jedenfalls nicht genügend Rechnung tragen und Konflikte mit Mitteln der elterlichen Autorität lösen wollen, wobei eine Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen ist, wie der Vorfall am 22.12.1999 gezeigt hat. Für die Frage, ob das körperliche oder seelische Wohl eines Kindes durch das Erziehungsverhalten der Eltern gefährdet wird, muß auch entscheidend auf das Alter des Kindes abgestellt werden. Mit zunehmender Annäherung an die Volljährigkeit müssen die Eltern den Selbständigkeitsinteressen des Kindes zunehmend Rechnung tragen und seine nicht unvernünftigen Wünsche berücksichtigen. Da gem. Art. 2 MSA deutsches Recht anwendbar ist, kommt es nicht darauf an, daß die Eltern nach ihrer Herkunft andere Vorstellungen von Familienbindung und Gehorsampflicht einer fast volljährigen Jugendlichen haben.

Auch wenn die Eltern heute nicht mehr auf einer Heirat bestehen und die berufliche Entwicklung der Minderjährigen nicht einschränken wollen, hat das Verhalten der Sorgeberechtigten in der Vergangenheit das Vertrauen der Jugendlichen so tief erschüttert, daß eine dem Kindeswohl gerecht werdende Rückkehr in die Familie nicht gewährleistet ist. Diese Erschütterung ist nicht nur in dem Versuch zu sehen, A. mit Gewalt in die Familie zurückzuholen, sondern auch darin, daß die Eltern einer frühzeitigen Bindung der damals noch nicht 16-jährigen A. an einen Mann zustimmten und mit der Abkehr der Tochter von diesem Mann jedenfalls zunächst nicht einverstanden waren.

Alle Versuche, einen sachgerechten Kontakt zwischen der Jugendlichen und ihren Eltern wieder herzustellen, sind gescheitert. Die Jugendliche lehnt unverändert eine Rückkehr in die elterliche Familie ab. Es kommt nicht darauf an festzustellen, wer die Schuld daran trägt, sondern maßgebend ist, daß eine erzwungene Rückkehr in die Familie dem Wohl von A. bei der gegebenen Sachlage nicht dienen kann.

Die noch im Termin vor dem Senat von den Eltern geäußerten Befürchtungen hinsichtlich eines Drogenkonsums oder einer gezielten Beeinflussung der Minderjährigen entbehren der hinreichenden Grundlage, wie die eingehende und glaubhafte Darstellung der Jugendamtsmitarbeiter ergeben hat.

Angesichts der unveränderten Haltung der Jugendlichen, deren Befürchtungen die Eltern nicht haben ausräumen können, kann von einem gedeihlichen Zusammenwirken bei Rückkehr in die Familie nicht ausgegangen werden. Es muß ferner davon ausgegangen werden, daß eine erzwungene Rückkehr in die Familie, nach allem, was geschehen ist, nicht zu einer Wiederversöhnung und sachgerechten Behandlung der Jugendlichen führen könnte.

Bei dieser Sachlage sind die vom Amtsgericht angeordneten Maßnahmen nach Auffassung des Senats zum Schutz der Jugendlichen nicht ausreichend, denn eine bloße Ausreiseeinschränkung würde die offenbar derzeit unlösbaren Konflikte zwischen der Jugendlichen und ihren Eltern nicht beheben können.

Angesichts der Sachlage erschien auch eine Entziehung der Personensorge insgesamt erforderlich, da bei bloßer Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts die erforderlichen sonstigen Entscheidungen nicht alsbald getroffen werden können, da die Eltern eine Kooperation mit dem Jugendamt ablehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13a FGG.

Beschwerdewert: 5000,- DM



Ende der Entscheidung

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