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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 11.09.2000
Aktenzeichen: 16 U 77/99
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 9
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BGB §§ 651a ff.
BGB § 651f Abs. 2
BGB § 651e
BGB § 651i
BGB § 651k
BGB § 651e Abs. 2
BGB § 651e Abs. 2 S. 1
BGB § 649 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 77/99 3 O 42/99 - LG Köln -

Anlage zum Protokoll vom 11.09.2000

Verkündet am 11.09.2000

Luckau, JHS als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 14.08.2000 durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Appel-Hamm

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 22.06.1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 3 O 42/99 - teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die Klage ist nicht begründet. Ansprüche auf Rückzahlung des Preises für den zehn-monatigen High-School Aufenthalt in den USA in Höhe von 9.078,00 DM, mit denen der Senat sich nach der teilweisen Klageabweisung in erster Instanz nur noch zu befassen hat, stehen dem Kläger nicht zu, denn er hat das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten nicht wirksam gekündigt.

Auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien ist Reisevertragsrecht zumindest entsprechend anwendbar. Nach überwiegender Meinung gelten die §§ 651a ff. BGB für Schüleraustauschprogramme unmittelbar, da in derartigen Fällen eine Vielzahl von Leistungen nach einem vorher festgelegten Programm gebündelt werden und damit eine Gesamtheit von Reiseleistungen geschuldet wird (vgl. OLG Karlsruhe, RRa 1998, 232 mit Anm. Teichmann S. 233 = NJW-RR 1998, 841; OLG Karlsruhe MDR 1999, 922; OLG Köln - 1. ZS - Urt. vom 26.02.1998 - 1 U 94/97 - ; vgl. Palandt/Sprau, BGB 59. Auflage, Einf. v. § 651 a Rdn. 3; OLG Köln - 6. ZS - Urt. vom 04.02.2000 - 6 U 99/99 - ; Schuster RRa 1997, 107). Hierbei braucht - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - die Tatsache, dass Verträge der vorliegenden Art nicht von der den §§ 651a ff. BGB zugrunde liegenden Richtlinie 90/314/EWG erfasst sind, weil der Aufenthalt in einer Gastfamilie nach Auffassung des Europäischen Gerichtshof nicht das Tatbestandsmerkmal der "Unterbringung" nach Art. 2 Nr. 1 erfülle und die Auswahl der Gastfamilie keine "andere touristische Dienstleistung" nach dieser Norm darstelle (vgl. EuGH RRa 1999, 132 = EuZW 1999, 219), der Anwendung von nationalem Reisevertragsrecht nicht entgegenzustehen; denn die Richtlinie hat lediglich Mindestschutzcharakter und der deutsche Begriff des Reiseveranstalters geht ohnehin über die Definition der Richtlinie hinaus (vgl. Führich, Anm. zu BGH LM Heft 8/2000 § 651k BGB Nr. 2). Demgegenüber ist Teichmann (a.a.O.) der Meinung, unter "Reise" i. S. d. § 651a BGB sei nur eine "Urlaubsreise" zu verstehen. Er will deswegen und wegen der Tatsache, dass ein Vertrag über ein Schüleraustauschprogramm sowohl werk-, wie auch dienst- und mietvertragliche Elemente enthalte, die Vorschriften des Reiserechts nur entsprechend und nur insoweit, wie sie passen, anwenden, z. B. ohne den immateriellen Schadensersatzanspruch nach § 651f Abs. 2 BGB (zweifelnd zur Anwendbarkeit auch Martis MDR 2000, 922, 923).

Welcher der verschiedenen Auffassungen zu folgen ist, kann offen bleiben; denn wegen der Koppelung der Elemente verschiedener Vertragstypen ist es gerechtfertigt, für den Fall einer vorzeitigen Lösung von der vertraglichen Bindung nach Antritt der Reise die Vorschrift des § 651e BGB zumindest entsprechend anzuwenden. Dies gilt um so mehr als der Beklagte sich selbst als Reiseveranstalter ansieht bzw. im Zeitpunkt des Vertragsschlusses angesehen hat. In ihren Teilnahmebedingungen ist nämlich für den Fall eines Rücktritts vor Antritt der Reise eine auf § 651i BGB beruhende Regelung, insbesondere eine in zeitlicher Hinsicht gestaffelte pauschale Entschädigung nach Abs. 3 dieser Norm enthalten sowie eine Verpflichtung des Teilnehmers zur Zahlung einer Anzahlung vorgesehen, deren erste Rate nach "Erhalt des Sicherungsscheins nach § 651k BGB" zu leisten ist.

Die Voraussetzungen für ein Kündigungsrecht des Klägers nach § 651e BGB lagen indes nicht vor. Hierbei kann es offen bleiben, ob dem Kläger wegen der aufgetretenen Probleme bei der Unterbringung in einer Gastfamilie ein Kündigungsgrund zustand. Die Kündigung war nämlich schon deswegen unwirksam, weil dem Beklagten nicht zuvor gem. § 651e Abs. 2 BGB eine Frist zur Abhilfe gesetzt und die Fristsetzung auch nicht ausnahmsweise entbehrlich war.

Der Kläger hat bereits dadurch, dass er sich am 05.09.1998 von Freunden seiner Eltern bei der Gastfamilie C. abholen ließ, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er das Austauschprogramm abbrechen wollte, zumal der Abreise seinem eigenen Vorbringen zufolge ab dem 01.09.1998 Telefonate seines Vaters vorausgegangen, in denen dieser um Abhilfe gebeten und auf eine zügige Lösung des Unterbringungsproblems gedrängt hatte. So sieht es auch der Kläger selbst, der in der Klageschrift vorgetragen hat, er habe sich gezwungen gesehen, den Aufenthalt abzubrechen und am 11.09.2000 nach Deutschland zurückzukehren, nachdem der Beklagte es in der Zeit vom 30.08. bis 04.09.1998 nicht geschafft habe, eine andere Gastfamilie zu besorgen. Ferner hat sein Vater den Beklagte an dem darauffolgenden Montag, dem 07.09.1998 aufgefordert, den Kläger zurückzuholen und definitive Angaben zum Rückflug zu machen.

Eine Abhilfe zu diesem Zeitpunkt, also am 05.09.1998 war weder unmöglich, noch war sie von der Beklagten verweigert worden. Die Beklagte hatte im Gegenteil unstreitig angeboten, eine neue Gastfamilie zu suchen und den Kläger vorübergehend bei ihrer örtlichen Betreuerin Frau M. wohnen zu lassen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Einhaltung der Förmlichkeiten des § 651e Abs. 2 S. 1 BGB, die dem für ihn handelnden Vater des Klägers als Rechtsanwalt bekannt sein mussten, wegen eines besonderen Interesses entbehrlich war.

Ein derartiges Interesse könnte nur dann angenommen werden, wenn die Unterkunft des Klägers während des langen Wochenendes von Samstag, dem 05.09. bis einschließlich des Feiertags am Montag, dem 07.09.1998 nicht sichergestellt gewesen wäre. Ein derartiger Fall kann indes schon deshalb nicht angenommen werden, weil der Kläger die Möglichkeit hatte, bei der örtlichen Koordinatorin der amerikanischen Partnerorganisation des Beklagten, der Zeugin M., Unterkunft zu finden. Diese hatte ihm unstreitig zweimal eine entsprechende Übergangslösung angeboten. Gerade bei Austauschprogrammen der vorliegenden Art kommt es immer wieder vor, dass aus Gründen, die in der Person der Gasteltern, des Schülers oder darin liegen, dass beide nicht zueinander passen, ein Wechsel notwendig ist (vgl. auch OLG Karlsruhe a.a.O.). Dies ist schon wegen der in dem Katalog des Beklagten offengelegten Tatsache naheliegend, dass die Gasteltern kein Entgelt erhalten. Hierauf kann und muss sich ein Teilnehmer an einem Austauschprogramm genau so einstellen, wie darauf, dass ein ggfls. notwendiger Wechsel gerade auch in seinem eigenem Interesse einer sorgfältigen Auswahl einer neuen Gastfamilie bedarf, die nicht von heute auf morgen bewerkstelligt werden kann.

Tatsachen, die einen Zwischenaufenthalt bei der lokalen Koordinatorin, also einer Person, die mit den Problemen von Austauschschülern ohnehin vertraut war, als unzumutbar erscheinen lassen könnten, sind nicht erkennbar. Insbesondere lässt sich dem Prozessvortrag des Klägers nicht entnehmen, dass die Tatsache, dass Frau M. bereits einen chinesischen Austauschschüler bzw. -studenten aufgenommen hatte, zu nicht hinnehmbaren räumlichen Verhältnissen oder sonstigen Unzuträglichkeiten, etwa wegen der in der Aufstellung seines Vaters genannten hygienischen Gründe geführt hätte. Die bloße "Doppelbelegung" mit einem Schüler einer anderen Hautfarbe reicht hierfür ebenso wenig wie die Auffassung des Mitarbeiters D. des Beklagten, der in einem Telefonat vom 31.08.1998 ebenfalls gemeint haben soll, eine Doppelbelegung komme nicht in Betracht. Zudem kann der Kläger das Vorbringen des Beklagten nicht widerlegen, Frau M. habe ihm nach der Ablehnung einer vorübergehenden Unterkunft bei ihr am 03.09.1998 angeboten, das bevorstehende lange Labour-Day-Wochenende und die darauf folgende Woche bei einer Familie W. zu verbringen.

Schließlich lassen sich hinreichende Zweifel an der Zuverlässigkeit des Beklagten, die ggfls. der Einräumung weiterer Abhilfemöglichkeiten als unzumutbar erscheinen lassen könnten, nicht feststellen. Dies folgt schon daraus, dass der Kläger sich schon nach wenigen Tagen aus dem Programm gelöst hat. Die Probleme sind - mehr ist nicht feststellbar - erst am 29.08.1998 aufgetreten und der Kläger hat sich - wie ausgeführt - bereits am 05.09.1998 von Bekannten seiner Eltern abholen lassen. Ferner hat der Beklagte dem Kläger eine Übergangslösung - wie auch immer - angeboten. Deshalb ist, abgesehen von der bloßen und nicht beweisbaren Vermutung des Klägers, dass die Probleme mit der Familie C. absehbar gewesen seien und der Aufenthalt dort nur als vorübergehender eingeplant gewesen sei, nichts erkennbar, was so ernsthafte Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Beklagten hätte erwecken können, dass eine Fristsetzung zur Abhilfe ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt deutlich von dem, der der Entscheidung des hiesigen 1. Zivilsenats vom 26.02.1998 - 1 U 94/97 - zugrunde lag. Dort war der Schüler nämlich vor der Kündigung bereits in insgesamt vier Familien, davon in zwei Familien, die die versprochenen Auswahlkriterien nicht erfüllten und in zwei weiteren, die erst aufgrund der Initiative Dritter gefunden worden waren, untergebracht gewesen. Ferner war dort eine Abhilfe verweigert worden. Auch erlauben Presseberichte über Unzuträglichkeiten im Rahmen von Schüleraustauschprogrammen und der Umstand, dass in einem in einem Artikel geschilderten Fall der Schüler von der Beklagten vermittelt worden war, keine Rückschlüsse auf die hier zu beurteilende Situation.

Der dem Beklagten mithin verbleibende Anspruch auf den vereinbarten Preis ist nicht um ersparte Aufwendungen zu mindern. Die Beklagte muss sich zwar wegen der vorzeitigen Rückreise des Klägers ersparte Aufwendungen anrechnen lassen, und zwar sowohl nach ihren als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu behandelnden Prospektangaben wie auch nach § 649 S. 2 BGB, der einschließlich der hierzu entwickelten Darlegungs- und Beweislastgrundsätze entsprechend anwendbar ist (vgl. Palandt/Sprau a.a.O. § 651i Rdn. 3).

Es kann indes nicht festgestellt werden, dass die Beklagte über die von ihr bereits vorprozessual erstatteten anteiligen Krankenversicherungskosten von 452,00 DM hinaus Aufwendungen erspart hat.

Auf die Anheimgabe des Senats hat der Beklagte zu jeder Position der von ihr zu erbringenden Leistungen nähere Ausführungen im Hinblick auf eine etwaige Ersparnis gemacht. Hieraus ergibt sich in Verbindung mit der Gegenäußerung des Klägers, dass - abgesehen von drei Positionen, zu denen diese Frage streitig ist - eine Ersparnis nicht eingetreten ist. Die streitigen Positionen betreffen etwaige Kosten für die Unterbringung in der Gastfamilie, für Studienplatz und Unterricht sowie für die Betreuung in Deutschland und im Gastland während des gesamten Aufenthaltes. Hierzu hat der Beklagte vorgetragen, er habe für an ihre US-amerikanische Partnerorganisation eine Pauschale gezahlt, die nach den getroffenen Abreden nicht zurückgefordert werden könne und nicht zurückgezahlt worden sei, weil die Austauschschüler von den amerikanischen Familien unentgeltlich aufgenommen würden und öffentliche Schulen besuchten, für die kein Schulgeld anfalle.

Damit ist der Beklagte der ihr obliegenden Pflicht zur substantiierten Darlegung ihres Vergütungsanspruchs für nicht erbrachte Leistungen nachgekommen. Dies hat die Folge, dass der Kläger, der die Darlegungs- und Beweislast dafür hat, dass die Ersparnisse höher sind als von dem Beklagten vorgetragen, gehalten gewesen wäre, vorzutragen, dass es sich tatsächlich anders verhalten habe (BGH in st. Rspr., z. B. BGH NJW 1999, 1253). Ein bloßes Bestreiten, auf das der Kläger sich beschränkt, obwohl er in dem Senatsbeschluss vom 08.05.2000 unter Quellenangabe auf die Darlegungs- und Beweislastgrundsätze zu § 649 S. 2 BGB hingewiesen worden ist, reicht hierfür nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 9, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Beschwer: nicht mehr als 60.000,00 DM



Ende der Entscheidung

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