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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 06.03.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 87/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 223
StPO § 251
Ein Aussage- oder Verweigerungsrecht besteht nicht deshalb, weil der Zeuge für den Fall seiner Aussage die Gefährdung von Leib und Leben seiner Person oder von Angehörigen geltend macht. Von der Vernehmung des Zeugen ist dann auch nicht im Rahmen der gerichtlichen Fürsorgepflicht nach §§ 223, 251 StPO abzusehen, wenn anderweitige ausreichende Schutzmöglichkeiten bestehen, wie das nach dem Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen - ZSHG - der Fall ist.

Auf Schutzmöglichkeiten für im Ausland lebende Angehörige kann es dabei nicht ankommen.


Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:

Mit Urteil vom 02.04.2008 hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts K. den Zeugen L. wegen 3 Fällen des schweren (bandenmäßigen) Raubes gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 b, Nr. 2 StGB, davon in 2 Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, in 1 Fall in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 10.06.2008 rk. Der Zeuge sowie der ebenfalls Verurteilte L. hatten nach dem Inhalt des Urteils gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten M. A. und dem gesondert Verfolgten l. R. im Februar/März 2005 aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses beschlossen, im Auftrag eines mächtigen und einflussreichen Hintermannes auf der Internetplattform X.de unter Angabe fingierter Namen vorzugeben, hochwertige Kraftfahrzeuge deutscher Marken preisgünstig anzubieten, um auf diese Weise ausländische zahlungskräftige Kaufinteressenten mit Bargeld nach Deutschland zu locken. Dort sollte ihnen das Geld an einem vermeintlichen Besichtigungsort gewaltsam weggenommen werden. In Ausführung dieses Tatplans hatten die Tatbeteiligten am 28.04.2005, 03.05.2005 sowie am 14.10.2005 von 3 Geschädigten insgesamt ca. 200.000 Euro sowie weitere Gegenstände erbeutet .

Am 24.09.2008 hat die Staatsanwaltschaft K. gegen M. A. Anklage wegen der vorbezeichneten Taten erhoben.

Seit Januar 2009 findet vor der 1. großen Strafkammer die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten A. statt.

In der Sitzung vom 08.01.2009 sollte der Zeuge L. vernommen werden. Dieser berief sich auf ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht ohne dieses zu begründen. Mit in der Hauptverhandlung verkündetem Beschluss vom selben Tage vertrat die Kammer die Auffassung, dem Zeugen stehe auf der Grundlage des § 55 StPO ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zu. Die Bezichtigung des M. A. als Mittäter beruhe im Wesentlichen auf seinen Angaben als Mitangeklagter in dem Verfahren .... Sonstige gravierende Indizien, die für eine Mittäterschaft des M. A. sprächen, seien nicht vorhanden. Sollte der Zeuge den nunmehr Angeklagten A. zu Unrecht als 3. Mittäter bezeichnet haben, müsste er bei wahrheitsgemäßer Aussage, zu der er als Zeuge verpflichtet sei, diesen Umstand offenbaren, was die Einleitung eines Strafverfahrens wegen falscher Verdächtigung gemäß § 164 StGB nach sich ziehen könnte.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft K. am 16.01.2009 Gegenvorstellung erhoben. Für die Annahme einer Strafverfolgungsgefahr im Sinne des § 55 StPO reichten bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten nicht aus. Vielmehr bedürfe es erkennbarer tatsächlicher Anhaltspunkte für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigenden Anfangsverdacht im Sinne des § 152 StPO. Solche zureichenden Anhaltspunkte seien jedoch nicht ersichtlich und würden in der Begründung des Beschlusses vom 08.01.2009 auch nicht vorgetragen. Diesbezüglich führe das Gericht lediglich aus, die Bezichtigung des hiesigen Angeklagten als Mittäter beruhe im Wesentlichen auf den Angaben des Zeugen; sonstige gravierende Indizien lägen nicht vor. Aus diesem Umstand allein ergebe sich der Anfangsverdacht einer falschen Verdächtigung des Angeklagten gemäß § 164 StGB nicht.

In der Sitzung vom 29.01.2009 hat das Landgericht K. den Zeugen unter Abänderung des Beschlusses vom 08.01.2009 darauf hingewiesen, dass ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht auf der Grundlage des § 55 StPO nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme nicht mehr anerkannt werde. Die Kammer hat den Zeugen unter anderem darauf hingewiesen, dass ihm bei Weigerung des Zeugnisses ohne gesetzlichen Grund ein Ordnungsgeld auferlegt und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden könne, Ordnungshaft festgesetzt werden könne. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dem Zeugen stehe lediglich ein begrenztes Auskunftsverweigerungsrecht auf solche Fragen zu, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 52 Abs. 1 StPO genannten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat verfolgt zu werden. Bei Fassung des Beschlusses vom 08.01.2009 sei die Kammer noch davon ausgegangen, dass es aufgrund bestimmter, in der körperlichen Beschaffenheit des Angeklagten A. liegende Umstände, die der Zeuge L. zuvor nicht erwähnt habe, hinreichend konkrete Gründe für eine Unrichtigkeit seine Angaben mit der Folge einer möglichen Strafverfolgung wegen einer falschen Verdächtigung nach § 164 StGB, geben könnte. Nach Durchführung der weiteren Beweisaufnahme, insbesondere der Vernehmung weiterer Zeugen, bestehe diese Gefahr nun nicht mehr. Vielmehr hätten sich aufgrund der Beweisaufnahme weitere Indizien ergeben, die die Richtigkeit der Angaben des Zeugen L. untermauerten. Unter diesen Umständen bestehe kein konkreter Grund mehr für die Annahme, der Zeuge P. könne durch seine Aussagen Gefahr laufen, sich strafbar zu mache.

Nach Verkündung dieses Beschlusses hat der Zeuge erklärt, er werde keine Aussage zur Sache machen, lieber werde er das Ordnungsgeld bzw. die Ordnungshaft hinnehmen.

Mit daraufhin in der Hauptverhandlung verkündetem Beschluss vom selben Tage hat die Kammer dem Zeugen L. die durch seine Zeugnisverweigerung verursachten Kosten des Verfahrens auferlegt und gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von 300,00 Euro, ersatzweise für je 100,00 Euro einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Zur Erzwingung des Zeugnisses hat das Gericht in Unterbrechung der zu verbüßenden Strafhaft Beugehaft bis zu 6 Monaten angeordnet.

Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 11.02.2009 Beschwerde eingelegt.

Mit Beschluss vom 16.02.2009 hat das Gericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Zeugen steht ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht zu.

Ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO setzt voraus, dass ein Zeuge sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt, wenn er bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO gegen ihn selbst begründen würden. Dabei muss die Möglichkeit einer Bejahung oder Verneinung der an den Zeugen gerichteten Frage in gleicher Weise in Betracht gezogen werden. Bringt auch nur eine dieser Möglichkeiten den Zeugen in die Gefahr der Strafverfolgung, ist die Auskunftsverweigerung in der Regel gerechtfertigt. Dabei genügt es, wenn der Zeuge über eine Frage Auskunft geben müsste, die den Verdacht gegen ihn mittelbar begründet, sei es auch nur als Teilstück in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude (BGH, StV 1987, 328; BGHR StPO, § 55 Abs. 1 "Verfolgung 1"; Senatsentscheidung vom 22.07.2004 - 2 Ws 360/04 -). Da die Schwelle eines Anfangsverdachts im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO niedrig ist, ist auch das Bestehen einer entsprechenden Gefahr weit im Vorfeld einer direkten Belastung zu bejahen (Senatsentscheidung vom 19.05.2005 - 2 Ws 194/05 - = NStZ-RR 2005, 269 -; Ignor/Bertheau in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 55 Rdnr. 10 f.). Ein Auskunftsverweigerungsrecht kann jedoch entfallen, wenn für den Zeugen die Gefahr eines Ermittlungsverfahrens gegen seine Person ausgeschlossen ist. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Zeuge aufgrund einer bereits rechtskräftigen Verurteilung wegen der in Rede stehenden Straftat keine weiteren Strafverfolgung mehr zu befürchten hat (Senatsentscheidung vom 20.03.2007 - 2 Ws 142/07 -; Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 55 Rdnr. 8; Ignor/Bertheau, a.a.O., Rdnr. 14).

Danach steht dem Zeugen jedenfalls ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht zu. Zutreffend geht die Kammer davon aus, dass der Zeuge zur Beantwortung solcher Fragen verpflichtet ist, die sich auf die Beteiligung des Angeklagten und des Zeugen selbst an den konkret angeklagten Taten beziehen. Insoweit hat der Zeuge aufgrund seiner bereits rechtskräftigen Verurteilung keine Strafverfolgung mehr zu befürchten. Ein Auskunftsverweigerungsrecht steht ihm allerdings bezüglich solcher Fragen zu, bei deren wahrheitsgemäßer Beantwortung er Informationen preisgeben muss, die weitere Ermittlungen gegen seine Person wegen Straftaten nach sich ziehen könnten. Ob dies der Fall ist, hat das Gericht im Rahmen der Vernehmung nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall zu prüfen und gegebenenfalls zu berücksichtigen.

Soweit mit der Beschwerde pauschal geltend gemacht wird, der Zeuge fürchte um seine körperliche Integrität und die Gesundheit seiner Eltern, betrifft dieser Umstand nicht die Frage, in welchem Umfang ein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht besteht. Die Regeln der §§ 52 ff. StGB sind insoweit abschließend.

Allerdings kann das Gericht im Rahmen seiner Fürsorgepflicht innerhalb der §§ 223, 251 StPO prüfen, ob von der Vernehmung eines Zeugen aus Rechtsgründen abgesehen werden kann, wenn ihm oder seiner Familie Gefahr für Leib und Leben droht und anderweitige ausreichende Schutzmöglichkeiten nicht bestehen (zu vgl. BGH NStZ 1993, 350; NStZ 1984, 31).

Dies bedarf aber genauer Prüfung und konkreter Darlegungen der Gefährdungslage. Ob die Darlegungen vorliegend ausreichen, bedarf derzeit nicht der Entscheidung des Senats. Die Verhängung der Ordnungsmittel gemäß § 70 StPO war jedenfalls rechtmäßig, da dem Zeugen P. ein allumfassendes Auskunftsverweigerungsrecht aus oben dargelegten Gründen nicht zustand und er deswegen die Aussage ohne gesetzlichen Grund verweigert hat.

Dem stimmt der Senat mit folgender Ergänzung zu :

Soweit der Zeuge für den Fall einer Aussage die Gefährdung von Leib und Leben seiner Person bzw. seiner Eltern geltend macht, kann er um Schutz nach den Bestimmungen des ZSHG ( Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen ) nachsuchen. Das ist bisher nicht geschehen, wobei allerdings eine Schutzpflicht der deutschen Behörden für die nach den Angaben des Beschwerdeführers in den USA lebenden Eltern ohnehin nicht in Betracht kommen kann.

Weiterhin ist nicht ersichtlich, inwieweit ein Absehen von der Vernehmung der Aufrechterhaltung der Ehe des Beschwerdeführers dienlich sein könnte, die angesichts des von der Ehefrau bereits gestellten Scheidungsantrages als gescheitert anzusehen ist, wie es auch im Urteil des Landgerichts vom 02.04.2008 festgestellt worden ist.

Im Streit um das Sorgerecht bzw. das Umgangsrechts mit seinen Kindern kann der Beschwerdeführer Rechtsschutz vor dem Familiengericht erlangen.

Aus Sicht des Senats erscheint es - wie abschließend bemerkt wird - nicht hinnehmbar, dass letztlich nicht ausreichend verifizierbare Befürchtungen die Aufklärung schwerer Straftaten behindern.

Ende der Entscheidung

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