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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 09.05.2008
Aktenzeichen: 22 U 87/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, VVG


Vorschriften:

ZPO § 252 S. 2
ZPO § 287
ZPO § 296 Abs. 2
ZPO § 315 Abs. 1 S. 1
ZPO § 531
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 547 Nr. 6
BGB § 252
BGB § 252 S. 2
VVG § 157
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel das am 25.04.2007 verkündete Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 90 O 212/02 - aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter der in Vermögensverfall geratenen Bauunternehmung F. G. GmbH. Diese hatte von der Klägerin im Jahre 2000 den Auftrag erhalten, in ihrem Werk in X. Tiefbauarbeiten durchzuführen. Bei der Ausführung von Rammarbeiten wurde am 16.03.2001 ein im Boden befindliches Kabel beschädigt. Die Haftung der Schuldnerin dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der durch die Beschädigung des Kabels verursachte Stromausfall habe zu einer Kette von Ereignissen geführt, die letztlich bei ihr einen Schaden in Höhe von 861.384,23 € verursacht hätten. Der Stromausfall habe nämlich die automatische Schließung von drei zentralen Versorgungsleitungen nach sich gezogen. Wegen des durch die Schließung dieser Leitungen bewirkten Energieengpasses sei es zu einem Ausfall verschiedener Prozessanlagen bzw. zu einer Fehlproduktion der in diesen Anlagen hergestellten chemischen Produkte gekommen. Wegen aller Einzelheiten hierzu wird auf die Klageschrift und auf die Seiten 4 bis 6 des angefochtenen Urteils (Bl. 703 bis 705 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 861.384,23 € nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 4. April 2002 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die von der Klägerin behaupteten Auswirkungen der Beschädigung des Kabels mit Nichtwissen bestritten, insbesondere die Ursächlichkeit der Beschädigung der Kabeltrasse für den Ausfall von Produktionsanlagen über teilweise längere Zeit. Für ihn sei nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Klägerin diese Anlagen nach der Behebung des Kabelschadens nicht alsbald wieder störungsfrei in Betrieb habe setzen können. Im übrigen habe die Klägerin auch keine Nachfrage von Kunden nach den angeblich ausgefallenen Produkten dartun können, die aufgrund der Produktionsausfälle nicht habe befriedigt werden können. Jedenfalls hätte die Klägerin solche Kunden aus Lagerbeständen beliefern können und müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mit diesem Urteil hat das Landgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme (Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens) der Klage in Höhe von 735.736,44 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen.

Mit seiner Berufung erstrebt der Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Er macht geltend:

Das angefochtene Urteil beruhe auf Verfahrens- und auf Rechtsfehlern. Bereits der Klageantrag sei fehlerhaft, da ein Insolvenzverwalter nicht auf Zahlung verklagt werden könne (Berufungsbegründung Seite 2, Bl. 741 d. A.). Die Klage sei nicht schlüssig, da die Klägerin teilweise Schäden ihrer damaligen Tochterfirma D.Q. GmbH geltend mache, die nicht Vertragspartner der Schuldnerin gewesen sei und der ein Schadenersatzanspruch nicht zustehe (Seite 3, Bl. 742 d. A.). Im übrigen habe der vom Landgericht beauftragte Sachverständige I., dem für betriebswirtschaftliche Sachverhalte in einem Chemieunternehmen die erforderliche Sachkunde fehle, bei sämtlichen Schadenspositionen keine hinreichenden Feststellungen getroffen, die die Schätzung eines rechtlich ersatzfähigen Schadens ermöglichen würden. Das Landgericht habe die Gutachten dieses Sachverständigen unkritisch übernommen, ohne sie im einzelnen auszuwerten und zu würdigen. Auch habe das Landgericht verkannt, dass eine mündliche Anhörung des Sachverständigen geboten gewesen wäre (Einzelheiten Seite 3 ff., Bl. 742 ff. d. A. sowie in Abschnitt II dieser Urteilsgründe).

Der Beklagte beantragt,

1.

unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen;

2.

die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Berufung des Beklagten zurückzuweisen;

2. im Wege der Anschlußberufung: den Beklagten unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils zur Zahlung der vollen Schadenssumme von 861.384,23 € nebst Zinsen aus der Leistung des Versicherers der Schuldnerin zu verurteilen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug. Die Berufung werde teilweise auf neues Vorbringen gestützt, das nicht zulässig sei. Im übrigen wiederhole der Beklagte nicht stichhaltiges Vorbringen aus dem ersten Rechtszug (Einzelheiten: Berufungserwiderung Seite 2 ff., Bl. 784 ff. d. A.). Mit der Anschlussberufung verfolgt die Klägerin den vom Landgericht abgewiesenen Teil der Klageforderung weiter. Zu Unrecht habe das Landgericht einen Sicherheitsabschlag von 10 % vorgenommen (S. 26 f. , Bl. 808 f. d. A.). Außerdem habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass sie, soweit der Sachverständige höhere Schadensbeträge als von ihr vorgetragen festgestellt habe, sich diese Feststellungen des Sachverständigen zu eigen gemacht habe, so daß sie vom Landgericht hätten berücksichtigt werden müssen (Seite 27 ff., Bl. 809 ff. d. A.).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig und haben auch in der Sache - vorläufig - Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf Verfahrensfehlern, die zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges führen.

A.

1.

Wie der Beklagte mit Recht geltend macht (Schriftsatz vom 23. November 2007, Seite 2, Bl. 814 d. A.), ist das angefochtene Urteil vom Vorsitzenden der zur Entscheidung berufenen Kammer für Handelssachen nicht unterschrieben worden (vgl. Bl. 699 d. A,). Darin liegt ein Verstoß gegen § 315 Abs. 1 S. 1 ZPO und zugleich ein Verfahrensfehler im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Ist ein Urteil nicht von allen zur Entscheidung berufenen Richtern unterschrieben worden, so kann eine fehlende Unterschrift grundsätzlich nachgeholt werden, dies aber nur innerhalb einer Frist von 5 Monaten seit Verkündung des Urteils (vgl. BGH NJW 2006, 1881). Da das angefochtene Urteil am 25. April 2007 verkündet worden ist, ist diese Frist im Oktober 2007 abgelaufen, also noch bevor der Fehler während der Terminsvorbereitung des Senats auf den Hinweis des Beklagten hin aufgefallen ist, so dass der Verfahrensfehler nicht mehr heilbar ist.

Dieser Fehler stellt einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO dar und zugleich - wie das bei absoluten Revisionsgründen immer der Fall ist (BGH NJW 92, 2099, 2100 l.Sp.) - einen Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Ob dies bereits für sich gesehen die - vom Beklagten beantragte - Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Folge haben müsste, braucht nicht entschieden zu werden.

2.

Denn das Urteil beruht darüber hinaus auf weiteren wesentlichen Mängeln im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, deren Behebung eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme (Einholung weiteren Sachverständigen- ggf. auch Zeugenbeweises) erforderlich macht.

a.

Das Landgericht hat der Klägerin Schadenersatz wegen durch den Vorfall vom 16. 3. 2001 verursachter Produktionsausfälle zugesprochen, ohne den der Klägerin insoweit entstandenen Schaden festzustellen, was der Beklagte mit Recht beanstandet. Das vom Landgericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen I. vom 2. 12. 2005 mit Ergänzung vom 27. 9. 2006 ist zur Feststellung des der Klägerin entstandenen Schadens nicht geeignet, da es nicht auf tragfähigen sachverständigen Feststellungen beruht.

Ausweislich des vom Sachverständigen unter dem 30. 8. 2005 vorgelegten Protokolls 004 (dort S. 3, Bl. 401 d.A.) hat der Sachverständige in einem Ortstermin am 9. 8. 2005 den Mitarbeiter L. der Klägerin über die von der Klägerin angesetzten "Einheitspreise" (nämlich die "Deckungsbeiträge", berechnet aus dem jeweiligen Nettoerlös abzüglich variabler Absatz- und Herstellungskosten) befragt und so die Auskunft erhalten, alle in der Gerichtsakte enthaltenen Zahlen seien aus den Datenbanken der Klägerin entnommen.

Dieses Vorgehen des Sachverständigen war zwar entgegen der Auffassung des Beklagten zu diesem Zeitpunkt und für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstanden. Einem Sachverständigen ist es grundsätzlich nicht verwehrt, im Einverständnis mit den Parteien und dem Gericht eigene Ermittlungen anzustellen, um den Sachverhalt zu klären, den er letztlich zu begutachten hat; dazu darf er auch Personen befragen (vgl. Stein-Jonas-Leipold, Rn. 53 f. vor § 402 ZPO). Wollen die Parteien dann das Vorbringen der vom Sachverständigen befragten Personen oder die Verwertung sonstiger Umstände nicht gegen sich gelten lassen, so müssen sie entsprechenden Beweis antreten; frühere Beweisantritte sind prozessual überholt (vgl. BGHZ 23, 207, 214 f = NJW 57, 906, 907; Stein-Jonas-Leipold Rn. 55).

Aber sodann hat der Sachverständige in dem genannten Protokoll ausgeführt, er wolle die von der Klägerin angegebenen Einheitspreise nicht in Frage stellen. Der Aufwand einer Überprüfung anhand von - von der Klägerin aus einem Computerprogramm wiederherzustellenden - Originalbelegen wäre sehr hoch und die von der Klägerin angesetzten Preise erschienen als nicht unrealistisch (Bl. 401/02 d.A.). Deshalb hat der Sachverständige das Landgericht um Mitteilung gebeten, wenn anders als von ihm vorgeschlagen verfahren werden solle.

Mit Beschluß vom 4. 11. 2005 (Bl. 469 d.A.) hat das Landgericht ausgeführt, im Hinblick auf § 252 BGB stehe der von Sachverständigen vorgeschlagenen Verfahrensweise, die angegebenen Einheitspreise zugrundezulegen, nichts entgegen, es sei denn, dem Sachverständigen kämen im Laufe seiner weiteren Begutachtung ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der von der Klägerin zur Verfügung gestellten Zahlen.

Dem hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 3. 11. 2005 (Bl. 472 d.A.) ausdrücklich widersprochen.

In dieser Situation war es verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht den Sachverständigen auf der Grundlage seines Vorschlags hat weiterarbeiten lassen, es also davon abgesehen hat, die von der Klägerin vorgelegten Buchungsunterlagen, bei denen es sich nicht um die Originalbelege handelte, im einzelnen auf Richtigkeit überprüfen zu lassen. Eine solche Überprüfung hätte entweder in der Weise geschehen können, dass der Klägerin aufgegeben worden wäre, die Originalunterlagen zu beschaffen und vorzulegen, damit diese vom Sachverständigen überprüft werden konnten. Wie der Beklagte mit Recht geltend macht, wäre dies der Klägerin zumutbar gewesen, auch wenn damit nach Darstellung der Klägerin ein Aufwand von 12.000,-- € verbunden gewesen wäre.

Eine Sachaufklärung hätte statt dessen aber auch in der Weise versucht werden können, dass die von der Klägerin im Schriftsatz vom 19. 9. 2005 (S. 8, Bl. 432 d.A.) benannten Zeugen L. und C. vernommen worden wären, wobei es dann im Anschluß daran einer sachverständigen Überprüfung der so ermittelten Zahlenangaben, insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Herstellungs- und Absatzkosten, bedurft hätte.

Da das Landgericht keinen dieser Wege beschritten hat, ist es dazu gekommen, dass die Begutachtung durch den Sachverständigen I. und dann auch das angefochtene Urteil, das dem Sachverständigen folgt, von der Klägerin behauptete, vom Beklagten bestrittene und vom Sachverständigen sowie dem Landgericht nicht überprüfte Zahlenangaben zur Grundlage hat. Damit hat das Landgericht letztlich streitiges Parteivorbringen ohne die erforderliche Sachaufklärung seiner Entscheidung zugrundegelegt, also wie unstreitiges Vorbringen behandelt. Darin liegt nicht nur ein Fehler der Rechtsanwendung, sondern ein Verfahrensfehler, da das Landgericht seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung nicht nachgekommen ist. Auf diesem Verfahrensfehler beruht das angefochtene Urteil auch; denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine sachverständige Überprüfung der "Einheitspreise" ergeben hätte, dass die Richtigkeit der Zahlen der Klägerin nicht oder nicht in vollem Umfang festzustellen ist.

Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Der Rechtsstreit ist nicht entscheidungsreif. Zur Herbeiführung der Entscheidungsreife bedarf es - wie bereits ausgeführt - einer umfassenden weiteren Sachaufklärung, unter anderem voraussichtlich einer aufwendigen Beweisaufnahme durch Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens, da das vom Landgericht eingeholte Gutachten auf nicht tragfähigen Grundlagen beruht. Diese Sachaufklärung zu leisten ist Aufgabe des Gerichts des ersten Rechtszuges. Die Klägerin macht demgegenüber zwar mit einigem Recht geltend, dass eine Aufhebung und Zurückverweisung zur Verzögerung der endgültigen Entscheidung des Rechtsstreits führt (Schriftsatz vom 06.12.2007, Bl. 819 f. d. A.). Dem muss aber entgegengehalten werden, daß im Falle einer Sachentscheidung durch den Senat beiden Parteien eine Tatsacheninstanz genommen werden würde, was namentlich bei einem komplexen Sachverhalt, wie er dem Streitfall zugrunde liegt, als unangemessen erscheinen muss. Dies gilt erst recht im Zusammenhang mit den im folgenden dargestellten weiteren Mängeln des Urteils, die gleichfalls eine weitere Sachaufklärung erfordern.

b.

Außerdem hat das Landgericht der Klägerin Reparaturkosten als Schadenersatz zugesprochen. Auch insoweit beruht die Entscheidung auf einem Verfahrensfehler.

Zum Nachweis der geltend gemachten Reparaturkosten hat die Klägerin zunächst die Anlagen K 41 ff. (AH Bl. 65 ff.) vorgelegt. Dabei handelt es sich nicht um Originalbelege über entstandenen Reparaturaufwand, sondern um Eigenbelege aus der Buchhaltung der Klägerin. Da der Beklagte die in diesen Belegen enthaltenen Zahlen bestritten hat, hätten die Zahlenangaben der Klägerin im einzelnen überprüft werden müssen, und zwar - wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt - unter Heranziehung der Originalbelege bzw. durch Vernehmung von Zeugen. Geschehen ist dies nicht.

Der Sachverständige I. hat in seinem Protokoll P 005 (Bl. 435 ff. d.A.) darauf hingewiesen, die ihm vorliegenden Belege reichten zu einer Überprüfung nicht aus, und um Vorlage ergänzender Unterlagen gebeten (vgl. auch sein Gutachten vom 2. 12. 2005, S. 29 f.). Daraufhin hat die Klägerin dem Sachverständigen mit Schreiben vom 14. 10. 2005 (Bl. 456 ff. d.A.) weitere Belege zur Verfügung gestellt (Bl. 74 ff. AH). Dabei hat es sich aber überwiegend wiederum um Eigenbelege gehandelt, die teilweise aus sich heraus nicht verständlich waren.

Der Sachverständige hat dann im Einverständnis mit dem Landgericht (vgl. sein Gutachten S. 30 f.) die ihm vorliegenden Belege lediglich stichprobenartig untersucht. Schon das war keine hinreichende Grundlage für verwertbare Feststellungen zur Schadenshöhe. Bei seiner Begutachtung ist der Sachverständige dann jeweils zu dem Ergebnis gekommen, er habe keine "Gründe/Ansätze, die geltend gemachten Leistungen/Kosten anzuzweifeln" (S. 32 ff. des Gutachtens). Das hat aber für die Feststellung eines Schadens in der von der Klägerin behaupteten Höhe - auch im Wege der Schadensschätzung - nicht ausgereicht. Das Landgericht wäre deshalb gehalten gewesen, die Beweisaufnahme auch in diesem Punkt fortzusetzen. Da dies nicht geschehen ist, beruht das angefochtene Urteil auch insoweit auf einer verfahrensfehlerhaft unzureichenden Sachaufklärung. Es ist deshalb auch aus diesem Grunde aufzuheben.

B.

Bei der weiteren Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits wird das Landgericht auch die weiteren Einwendungen der Parteien, soweit sie keinen Verfahrensfehler betreffen, zu prüfen haben. Dabei wird das Landgericht - unter anderem - folgendes zu beachten haben:

1.

Soweit der Beklagte geltend macht, der Klageantrag der Klägerin sei fehlerhaft (Berufungsbegründung Seite 2, Bl. 741 d. A.), hat die Klägerin dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat durch die Klarstellung Rechnung getragen, dass sie nach § 157 VVG vorgeht (Bl. 825 R d. A.), wie sich dies im übrigen bereits aus ihrem Schriftsatz vom 26.6.2003 (Bl. 119, 120 d. A.) ergab.

2.

Der Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin, soweit diese Ansprüche ihrer früheren Tochtergesellschaft, der D.Q. GmbH geltend macht (Berufungsbegründung Seite 3, Bl. 742 d. A.).

Diese Verteidigung ist im Berufungsrechtszug neu; zu einer Zurückweisung nach § 531 ZPO besteht gleichwohl keine Veranlassung. Da der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, würde die Anwendung des § 531 ZPO dem Sinn der Verspätungsvorschriften zuwiderlaufen. Das zeigt sich schon daran, dass bei einem entsprechenden Hinweis des Senats der Beklagte die Rüge im Berufungsrechtszug hätte fallen lassen und sie im weiteren Verfahren vor dem Landgericht erneut hätte erheben können, ohne daran durch § 296 Abs. 2 ZPO gehindert zu sein.

Im weiteren Verlaufe des Verfahrens hat die Klägerin Gelegenheit, zu ihrer Aktivlegitimation bzw. der ihrer Tochtergesellschaft vor der Verschmelzung ergänzend vorzutragen.

3.

Soweit die Klägerin den Ersatz entgangenen Gewinns wegen entstandener Produktionsausfälle geltend macht, wendet der Beklagte ein, Gewinnausfall komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin Lagerhaltung betreibe, also teilweise "auf Halde" produziere (zuletzt BB S. 5/6, Bl. 744 f. d.A.).

Ob dieses Vorbringen entscheidungserheblich ist, kann derzeit abschließend nicht beurteilt werden.

Unerheblich wäre es wohl nur, wenn sich feststellen ließe, dass die Klägerin zur Zeit des Vorfalls vom 16. 3. 2001 ihre Produktionsanlagen zu 100 % ausgelastet hatte. Das ist bisher nicht festgestellt. Der Umstand, dass der Sachverständige teilweise höhere Produktionsausfälle errechnet hat als die Klägerin selbst, kann dagegen sprechen.

Bei der Prüfung dieses Anspruchs wird im übrigen darauf abzustellen sein, dass nach § 252 S. 2 BGB derjenige Gewinn als entgangen gilt - und damit rechtlich ersatzfähig ist -, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Streitfalls mit Wahrscheinlichkeit hat erwartet werden können. Der Beklagte hat mit Recht darauf hingewiesen, dass dies unter Heranziehung der Betriebsergebnisse aus den Vorjahren dargelegt werden kann. Aber das ist nicht die einzige Möglichkeit, einen solchen Schaden darzulegen. Vorzutragen sind Anknüpfungstatsachen, bei deren Vorliegen die in § 252 S. 2 ZPO enthaltene Vermutung eingreift (vgl. Münchener-Kommentar/Oetker, § 252 BGB, Rn. 37 f.). Das kann auch in der Weise geschehen, dass die Klägerin substantiiert darlegt, bis zum Schadenstag und danach habe sie an Waren nicht mehr produziert und produzieren können, als sie am Markt - direkt oder durch Verkauf vom Lager - habe absetzen können. Ebenso könnte die Klägerin darlegen, welche Kunden konkret wegen Produktionsausfalls nicht haben beliefert werden können und welche Gewinne deshalb ausgeblieben sind.

Zu diesen Punkten hat die Klägerin bisher nicht hinreichend vorgetragen.

Im Schriftsatz vom 13. 9. 2005 (S. 2 ff., Bl. 426 ff. d.A.) hat sie geltend gemacht, sie berücksichtige neben den jeweils für drei Monate im voraus feststehenden Waren für "gebundene Kunden" in ihrer Planung auch Erfahrungswerte über die für sonstige ("freie") Kunden benötigten Mengen. Danach sei davon auszugehen, dass das Werk zur Zeit des Schadenseintritts ausgelastet gewesen sei.

Dieses Vorbringen ist aber ohne hinreichende Substanz; der Beklagte beanstandet mit Recht, dass die Klägerin Zahlenangaben zu ihrer damaligen Produktplanung nicht vorgelegt hat (BB S. 8, Bl. 747 d.A.).

Auch soweit die Klägerin im Berufungsverfahren geltend macht, Produktionsausfälle seien nicht nachholbar gewesen, weil Lagerbestände wieder hätten aufgefüllt werden müssen und die dafür eingesetzten Anlagen in dieser Zeit dann andere ansonsten dort hergestellte Produkte nicht hätten produzieren können (Anschlußberufungsschrift S. 11/12, Bl. 793/794 mit Verweis auf Bl. 61 d. A.). entbehrt ihr Vorbringen der hinreichenden Substanz. Insbesondere der in Bezug genommene Vortrag im Schriftsatz vom 31. 1. 2003 (S. 7, Bl. 61 d. A. i. V. m. den dort genannten Anlagen K56 bis 61) hat keine hinreichende Substanz. Im übrigen beziehen sich die Anlagen überwiegend auf Zeiten, die lange nach dem Schadensfall liegen.

Im weiteren Verfahren hat die Klägerin Gelegenheit, auch hierzu ihr Vorbringen zu ergänzen.

4.

Soweit die Klägerin Schadenersatz wegen Beschädigung des Reaktors 4 begehrt, dürfte der Einwand des Beklagten, die haftungsbegründende Kausalität zwischen dem am 16. 3. 2001 aufgetretenen Stromausfall und der Beschädigung sei nicht festgestellt (BB S. 3 f., Bl. 742 f. d.A.), wohl unberechtigt sein.

Ausweislich des Protokolls P 001 (Anlage G 1 zum Gutachten I. vom 2. 12. 2005, dort S. 6 f.) hat der Sachverständige die Prozessanlage PH 4, zu der Reaktor 4 gehört, am 15. 3. 2005 in Augenschein genommen. Aufgrund dessen hat er sich davon überzeugt, dass durch den Kabelbruch mit folgendem Stromausfall seinerzeit die Zufuhr von Ethylen zum Erliegen gekommen ist, was im Reaktor zur (Fehl-) Produktion von Fäden (sog. "Sauerkraut") geführt hat, die dann die Pumpe des Reaktors blockiert haben. Das erscheint überzeugend, zumal der seinerzeitige Zustand durch das im Ortstermin vom 19. 7. 2005 (Protokoll P 003, S. 3, Anlage G 23 zum Gutachten) vorgelegte Foto (Anlage G. 27.6 zum Gutachten) dokumentiert ist.

5.

Zur Anschlußberufung der Klägerin gilt das folgende:

a.

Zu Unrecht macht die Klägerin geltend, das Landgericht habe entgegen ihrem Antrag im Schriftsatz vom 6. 6. 2006 (S. 17, Bl. 579 d.A.) den Sachverständigen nicht angehört. Denn im Schriftsatz vom 3. 11. 2006 (S. 11, Bl. 662 d.A.) hat sie erklärt, die Einholung eines weiteren Gutachtens sei nicht erforderlich; damit hat sie auch den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen fallen gelassen.

b.

Das Landgericht hat 10 % des von ihm festgestellten Schadens als "Sicherheitsabschlag" abgezogen (Bl. 712 d. A.). Dafür ist eine rechtliche Grundlage nicht ersichtlich, insbesondere ergibt sich die Befugnis zu einem solchen pauschalen, alle Schadenspositionen betreffenden Abschlag nicht ohne weiteres aus § 287 ZPO. Außerdem ist auch nicht ersichtlich, wie das Landgericht zur Höhe dieses Abschlages (10 %) gekommen ist.

c.

Zur Mehrforderung der Klägerin wegen über die Klageschrift hinausgehender Schäden:

Nachdem der Sachverständige in einzelnen Punkten höhere als die von der Klägerin in der Klageschrift angegebenen Schäden errechnet hat, hat sich die Klägerin diese Zahlen zu eigen gemacht (Bl. 568, 809 d. A.). Dies ist rechtlich möglich. Sollte sich also im Rahmen der weiteren Beweisaufnahme ergeben, dass höhere als die ursprünglich geltend gemachten Zahlen zutreffend sind, dann ist die Klägerin nicht daran gehindert, diese geltend zu machen, um etwa im Rahmen ihres fortbestehenden Klageantrages die Klageforderung mit diesen Mehrkosten zu unterlegen, soweit möglicherweise andere Positionen teilweise unbegründet sind. Aber die Klägerin wird zunächst einmal plausibel darlegen müssen, wieso sich nunmehr höhere als die ursprünglich von ihr selbst vorgetragenen Produktionsausfälle ergeben haben sollen. Die Tatsache, daß der Sachverständige teilweise zu deutlich höheren Zahlen, insbesondere im Bereich der Produktionsausfälle, gelangt, dürfte eher Anlaß zu Zweifeln geben, ob der methodische Ansatz des Sachverständigen insoweit zutreffend ist, wie auch der Beklagte meint. Das Landgericht wird daher auch erneut zu prüfen haben, ob die von der Klägerin selbst vorgetragenen Produktionsausfälle hinreichend nachgewiesen sind.

C.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Über die Kosten des Berufungsverfahrens wird das Landgericht bei der abschließenden Entscheidung mit zu befinden haben, da erst dann feststehen wird, in welchem Umfang die Parteien obsiegen bzw. unterliegen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO. Eine Entscheidung im Sinne von § 711 ZPO ist nicht veranlasst (vgl. Baumbach-Lauterbach-Hartmann § 704 ZPO, Rn 6).

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen (§ 543 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Streitwert des Berufungsverfahrens:

 A. Berufung: 735.736,44 € (Bl. 711, 740).
B. Anschlussberufung: 125.647,83 € (Bl. 701, 783).
 861.384,23 €



Ende der Entscheidung

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