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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 27.08.2002
Aktenzeichen: 3 U 116/00
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, EGZPO


Vorschriften:

ZPO §§ 574 ff.
GVG § 133
EGZPO § 26 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 116/00

Verkündet am 27. August 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lampenscherf, die Richterin am Oberlandesgericht Caesar und den Richter am Landgericht Paltzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 25.05.2000 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 1 0 225/98 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Unter Abweisung des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 8.492,55 € nebst 4 % Zinsen aus 6.669,20€ vom 05.02.1998 bis zum 30.08.2000 und aus 8.492,55 € seit dem 31.08.2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren infolge des Unfallereignisses vom 18.02.1997 entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.

Der Kläger kann von der Beklagten wegen der durch den Fahrradunfall vom 18.02.1997 erlittenen materiellen und immateriellen Schäden gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB, 1, 8 ProdHaftG Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 8.492,55 € beanspruchen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die streitgegenständliche Gabelbrücke mit einem Produktfehler behaftet war, der zu ihrem Bruch und dem hierdurch bedingten Sturz des Klägers mit seinem Mountainbike geführt hat.

Die Beklagte ist Herstellerin der gebrochenen Gabelbrücke des Typs F. E 129 CC im Sinne von § 4 ProdhaftG. Nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugen H. und W. hatte der Kläger die Gabelbrücke von dem erstgenannten Zeugen, der unter der Firma "F. E." in A. ein Fahrradgeschäft betreibt, Ende 1996 gekauft. Der Zeuge hatte sie seinerseits am 14.11.1996 von der Importeurin H. C. & D.A.R.T. bezogen, die ausweislich ihrer Rechnung vom 14.11.1996 und ihres Schreibens vom 28.11.1996 den Exklusivvertrieb der Produkte der Beklagten für Deutschland übernommen hatte. Wie die Zeugen H. und W. weiter bekundet haben und aus dem Reklamationsschreiben der Firma F. E. GmbH an die Firma H. C. & D.A.R.T. vom 03.12.1996 hervorgeht, riss bei dem ersten Montageversuch ein Gewinde. Die Gabelbrücke wurde daraufhin bei der Importeurin eingeschickt, von dieser nach Reparatur M.els Stahleinsätzen an den Aluminiumgewinden zurückgesandt und sodann von einem Mechaniker im Betrieb des Zeugen H. am Mountainbike des Klägers montiert. Ausweislich der von dem Sachverständigen B. gefertigten Lichtbilder befindet sich auf der Gabelbrücke der Namenszug der Beklagten "R. F.". Die streitgegenständliche Gabelbrücke stimmt insofern überein mit der in der Zeitschrift "b." Ausgabe April 1996, abgebildeten Gabelbrücke "F. E 129 CC". Unstreitig befand sich die Firma F. E. SMC bereits seit dem 22.02.1996 in Konkurs. Die Beklagte hat ihren Betrieb am 01.04.1995 aufgenommen und nach eigenen Angaben in der Zeit vom 01.06.1995 bis zum 25.03.1996 Gabelbrücken der Firma F. vertrieben. Diese Gabelbrücken will sie nie mit ihrem Namenszug versehen und die eigene Herstellung von Gabelbrücken erst ab April 1996 aufgenommen haben. Ausgehend von diesem Vortrag der Beklagten kann die streitgegenständliche Gabelbrücke mit dem Aufdruck "R. F." nur aus ihrer eigenen Produktion stammen. Wie aus den Schreiben der Firma H. C. & D.A.R.T vom 14. und 28.11.1996 und 06.04.1998 hervorgeht, hat diese die Gabelbrücke auch von der Beklagten bezogen. Danach spricht alles dafür, dass es sich um eine Gabelbrücke aus der eigenen Produktion der Beklagten handelt. Die Beklagte würde aber auch dann als Herstellerin haften, wenn die streitige Gabelbrücke noch aus der Produktion der in Konkurs gefallenen Firma F. stammen würde. Es erscheint ausgeschlossen, dass die Beklagte der Firma H. C. & D.A.R.T. die Gabelbrücke geliefert hat, ohne dass ihr Namenszug darauf von ihr selbst oder auf ihre Veranlassung hin angebracht worden wäre. Die Beklagte gilt daher gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Produkthaftungsgesetz als Herstellerin.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. in seinem Gutachten vom 28.12.2001 steht des weiteren fest, dass der Bruch der Gabelbrücke auf einem von der Beklagten zu verantwortenden Produktfehler beruht. Zwar sind nach den von dem Sachverständigen durchgeführten Messungen die Standrohraufnahmen der Gabelbrücke mit den Standrohren der Federgabel voll kompatibel. Der Produktfehler liegt aber darin begründet, dass die verwendete Aluminiumlegierung in einem völlig falschen Wärmebehandlungszustand eingesetzt wurde. Wie insbesondere die von dem Sachverständigen durchgeführte Härtemessung und die lichtmikroskopischen Untersuchungen ergeben haben, weist die Aluminium-Kupfer-Magnesium-Legierung einen maximal ausscheidungsgehärteten Zustand auf, der für Bauteile, die einer zyklischen Beanspruchung unterliegen, nicht zur Anwendung kommen sollte, da er die Gefahr einer Wechselentfestigung birgt. Des weiteren fällt eine starke, faserartige Kornstreckung auf, die vermutlich durch Strangpressen während des Herstellungsprozesses entstanden ist. Ein solcher Werkstoff verfügt nach den einleuchtenden Ausführungen des Sachverständigen bei Belastungen senkrecht zur Längsachse über schlechte Ermüdungseigenschaften, da die langen Korngrenzen leicht aufreißen können. Nach Einschätzung des Sachverständigen ist dieser Mangel darauf zurückzuführen, dass die Beklagte bei der Bauteilherstellung die übliche Glühbehandlung zur Einstellung eines feinkörnigen und gleichachsigen Korngefüges unterlassen hat. Der Sachverständige Prof. Dr. C. teilt zwar nicht die Meinung des Sachverständigen B., dass die Bauteilherstellung durch Fräsen schon per se eine Verschlechterung der Ermüdungsbeständigkeit zur Folge hat. Er hält den Oberflächenzustand, der bei vorliegend zyklischer Beanspruchung möglichst glatt sein sollte, da damit die Rissbildungsphase verzögert wird, für entscheidender. Nach seinen Feststellungen war die Oberfläche der Innenseite der Standrohraufnahmen sehr rauh, so dass die Ermüdungsrisse dort sehr schnell entstehen konnten. Wie aus den stereomikroskopischen Aufnahmen ersichtlich ist, zeigt die Oberfläche der Standrohraufnahmen eine Vielzahl von Rissen mit zunehmender Rissdichte in der Nähe der Bruchflächen. Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Beklagte die Gabelbrücke unter Verwendung einer Aluminiumlegierung in einem völlig falschen Wärmebehandlungszustand und mit einer zu rauhen Oberfläche in den Standrohraufnahmen hergestellt hat mit der Folge, dass das Bauteil bei der zyklischen Beanspruchung, der es beim Betrieb des Mountainbike ausgesetzt war, Ermüdungsrisse bekommen und schließlich brechen musste.

Die Beklagte kann sich zu ihrer Entlastung auch nicht auf § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG berufen. Denn der Fehler hätte nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt, als sie das Produkt in den Verkehr brachte, erkannt werden können. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. war es schon seit Jahrzehnten Stand der Technik, ausscheidungsgehärtete Aluminiumlegierungen einer gezielten und in Handbüchern aufgeführten Wärmebehandlung zu unterziehen. Hätte die Beklagte Tests auf der Grundlage realistischer Belastungsannahmen durchgeführt, so hätte sich gezeigt, dass der Werkstoff in einem ungeeigneten Zustand vorlag. Wie der Sachverständige ausführt, ist als begleitende Qualitätssicherungsmaßnahme standardmäßig auch eine einfache lichtmikroskopische Werkstoffuntersuchung üblich. Diese hätte den Fehler ebenfalls aufgedeckt. Es besteht daher kein Zweifel daran, dass die Beklagte bei Anwendung der von ihr zu erwartenden und ihr zumutbaren Sorgfalt (vgl. Staudinger-Hager, BGB, 1999, § 823 Rdnr. F 12 und F 19 m.w.N.) die Ungeeignetheit der verwendeten Aluminiumlegierung in dem Zustand starker Kornstreckung schon 1996 hätte erkennen können.

Es ist auch davon auszugehen, dass der Unfall des Klägers auf dem Werkstoffmangel beruht. Zwar ist der Kläger nach der Montage der streitgegenständlichen Gabelbrücke nicht einmal drei Monate mit dem Mountainbike gefahren. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. ist der Bruch aber eindeutig auf Materialermüdung zurück zu führen, wie auch die zahlreichen vorgefundenen Ermüdungsrisse zeigen. Diese konnten auch sehr schnell entstehen, weil die Oberfläche der Innenseite der Standrohraufnahmen infolge der Bauteilherstellung durch Fräsen sehr rauh war. Eine äußere mechanische Gewalteinwirkung hatte bereits der Sachverständige B. ausgeschlossen. Wenn es innerhalb der recht kurzen Betriebsdauer zum Bruch gekommen ist, mag es daran liegen, dass der Kläger viel mit dem Mountainbike gefahren ist. Im übrigen werden gerade Mountainbikes - im Gegensatz zu anderen Fahrrädern - von ihren Fahrern oft stärkeren Belastungen ausgesetzt, zum Beispiel beim Querfeldeinfahren auf unebenem Untergrund. Mit solchen für ein Mountainbike üblichen Belastungen muss ein Hersteller rechnen und die Beschaffenheit seines Produktes danach ausrichten.

Des weiteren geht der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass sich der Unfall so wie vom Kläger beschrieben beim Anlupfen des Fahrrads an einem Bordstein ereignet hat. Der Sachverständige B. hat Beschädigungen an den vorderen unteren Kanten der Gabelbrücke feststellen können, die von ihrem Aufschlagen auf den Boden herrühren. Eine äußere mechanische Gewalteinwirkung hat er ausgeschlossen und den vom Kläger beschriebenen Unfallablauf als glaubwürdig bezeichnet. Zudem sprechen die von dem Sachverständigen vorgefundenen Ermüdungsrisse nahe der Bruchfläche für einen Ermüdungsbruch infolge des erörterten Materialfehlers.

Es bestehen auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass sich der Kläger die Verletzungen bei dem Fahrradunfall anlässlich des Bruchs der Gabelbrücke zugezogen hat. Der Zeuge M., der Vater des Klägers, war bei dem Unfall zwar selbst nicht anwesend. Er hat aber bekunden können, dass der Kläger nach dem Unfall blutüberströmt nach Hause gekommen sei. Er habe drei Zähne verloren gehabt, ein vierter Zahn sei angebrochen gewesen; darüber hinaus habe er diverse Schnittwunden und ähnliche Verletzungen gehabt. Er - der Zeuge - habe noch Blut an dem Lenker des Fahrrads feststellen können und am nächsten Tag einen Zahn an der Unfallstelle gefunden. Hiernach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die vom Kläger erlittenen Schäden auf den Bruch der Gabelbrücke zurückzuführen sind.

Was die Schadenshöhe anbetrifft, hat der Kläger Zahnbehandlungskosten in Höhe von 12.614,97 DM nachgewiesen (Bl. 242 ff. d.A.). Aufgrund des Widerspruchsbescheids der Techniker Krankenkasse vom 13.10.1998 und des Schreibens des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 27.02.1998 steht auch fest, dass er keinerlei Erstattungsbeträge von der Krankenkasse erhalten hat. Nach seiner Darstellung hat er auch keine steuerlichen Vorteile infolge der Unfallverletzung erlangt. Insofern ist die für die Voraussetzungen einer Vorteilsausgleichung beweispflichtige Beklagte beweisfällig geblieben. Der mit der Klage geltend gemachte Betrag von 12.609,97 DM entsprechend 6.447,38 € ist daher gerechtfertigt.

Des weiteren kann der Kläger von der Beklagten gemäß §§ 823, 847 BGB ein Schmerzensgeld verlangen; denn die Beklagte hat schuldhaft gehandelt, weil sie die von ihr als Herstellerin zu erwartenden üblichen Tests offensichtlich unterlassen hat. In Anbetracht der erlittenen Verletzungen und der langwierigen Zahnbehandlung hält der Senat ein Schmerzensgeld in der vom Kläger verlangten Höhe von 4.000,00 DM entsprechend 2.045,17 € für angemessen. Damit ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 8.492,55 €.

Der Zinsanspruch ist im erkannten Umfang aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 284 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB a.F. in Höhe von 4 % vom Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der jeweils eingeklagten Beträge gerechtfertigt.

Der Feststellungsanspruch ist zulässig und begründet. Der Umstand, dass bereits zwei Nachbehandlungen hinsichtlich des implantierten Zahnersatzes erforderlich wurden, legt nahe, dass dies auch noch in Zukunft der Fall sein kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer der Beklagten:

10.026,43 €

Ende der Entscheidung

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