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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 30.05.2006
Aktenzeichen: 9 U 129/05
Rechtsgebiete: VVG, AVB, BGB


Vorschriften:

VVG § 1 Abs. 1
VVG § 6 Abs. 1
VVG § 6 Abs. 1 Satz 2
VVG § 6 Abs. 1 Satz 3
VVG § 23
VVG § 23 Abs. 1
VVG § 25 Abs. 1
VVG § 49
VVG § 61
AVB Ziff. 10.1.
AVB Ziff. 6.2.
AVB Ziff. 6.1.
AVB Ziff. 2.1.
AVB Ziff. 1.1.
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 3
BGB § 288 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 02.06.2005 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 319/04 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 57.850,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2004 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin wegen des jeweils zu vollstreckenden Betrages vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Versicherungsleistung nach einem Wohnungseinbruch.

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine sog. "Casa Arte" Versicherung. Versichert waren im Rahmen der Allgefahrenversicherung neben dem sonstigen Hausrat unter anderem auch Kunstwerke und Antiquitäten am Wohnort der Klägerin in L.-E.. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Versicherungsscheins verwiesen, Bl. 44 ff. d.A.

Zwischen dem 6. und dem 7.2.2004 kam es zu einem Einbruch. Es wurden diverse Kunstwerke und Antiquitäten entwendet, zwei weitere Kunstgegenstände wurden zerstört, wegen der Einzelheiten wird auf die Schadenliste der Klägerin, Bl. 8 d. A., Bezug genommen. Der Gesamtschaden beläuft sich auf insgesamt 57.850,- €.

Bei dem Haus, in dem die Klägerin damals lebte, handelt es sich um ein aus ursprünglich zwei getrennten Fachwerkhäusern bestehendes Objekt, welches im Erdgeschoss separate Eingänge hat (Hausnummern 23 und 25), aber im 1. Obergeschoss verbunden ist. Eingebrochen wurde durch die Tür zu Hausnummer 25, die lediglich durch ein zur Tatzeit nicht verriegeltes Schloss gesichert war. Im Erdgeschoss hinter der Tür des Hauses Nr. 25 befinden sich eine Garderobe, eine kleine Küche und ein Eingangsbereich vor der Treppe zum 1. Oberschoss. Aus diesem Bereich wurden die Gegenstände entwendet. Der Zugang zu den weiteren Wohnräumen des Obergeschosses ist oberhalb der Treppe durch eine mit Glas gefüllte Tür getrennt, die - zur Treppe hin - nur einen Knauf, aber keine Klinke hat und nur mit einem Schlüssel geöffnet werden kann. Diese zur Tatzeit verschlossene Tür wurde vom Täter nicht überwunden. Die Klägerin und ihr Mann schliefen in der Tatnacht im Dachgeschoss des Hauses, sie bemerkten von dem Einbruch nichts. Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin und ihr Ehemann mit einem Umzug nach C.-C. befasst waren, hatten sie einige Tage vor dem Einbruch in einer Zeitungsannonce diverse Kunstgegenstände zum Verkauf angeboten und diese sodann drei Interessenten im streitgegenständlichen Objekt gezeigt. Mit Schreiben vom 30.03.2004 lehnte die Beklagte ihre Eintrittspflicht ab, weil die Klägerin nicht die vereinbarten Sicherheitsbestimmungen eingehalten habe.

Die Klägerin hat behauptet, grundsätzlich sei der Eingang zu Haus Nr. 25 nachts immer verschlossen gehalten worden, auch der Hausangestellten sei eine entsprechende Weisung erteilt worden. Nur wegen der Unordnung im Vorfeld des Umzuges sei dies vor der fraglichen Nacht offenbar vergessen worden. Dass die Tür nur ein Schloss habe, sei bei diversen Besichtigungsterminen durch Mitarbeiter der Rechtsvorgängerin der Beklagten so akzeptiert worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 57.850,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.3.2004 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei wegen Nichteinhaltung der Sicherheitsbestimmungen leistungsfrei, weil die Hauseingangstür nur mit einem Schloss versehen war. Zudem sei durch die Annonce und den Einlass fremder Kaufinteressenten ins Haus eine Gefahrerhöhung eingetreten. Die Klägerin habe schließlich durch Nichtverschließen der Hauseingangstür in der Tatnacht den Versicherungsfall auch grob fahrlässig herbeigeführt.

Das Landgericht hat die Klage im angefochtenen Urteil, auf dessen Inhalt und Feststellungen Bezug genommen wird, mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Angesichts des erheblichen Wertes der Gegenstände, die sich im Erdgeschoss des Hauses befanden, der besonderen baulichen Gegebenheiten und des vereinbarten Sicherheitsstandards, sei es unentschuldbar, dass die Tür über Nacht nicht abgeschlossen war.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie hält sich aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen nicht für verpflichtet, die Tür während ihrer Anwesenheit nachts verschlossen zu halten. Jedenfalls sei ihr unter Berücksichtigung der Gesamtumstände grobe Fahrlässigkeit nicht vorwerfbar.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 57.850,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2004 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Akten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe - 210 UJs 5950/04 - sind zu Informationszwecken beigezogen worden und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch in Höhe von 57.850,-€ aus §§ 1 Abs. 1, 49 VVG i.V.m. Ziffer 10.1., 6.2., 6.1., 2.1., 1.1. AVB Eigentum 2000 (im Folgenden: AVB).

1.

Die entwendeten oder zerstörten Gegenstände waren gemäß Ziff. 1.1. AVB versichert, und zwar im Rahmen der Allgefahren-Versicherung gemäß Ziffer 2.1. AVB auch gegen Abhandenkommen. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, die Zerstörung der unter Ziff. 6 und 7 der Schadenaufstellung (Säule und Kriegerbüste) sei möglicherweise erst im Rahmen der Schadensfeststellung durch die Polizei erfolgt, liegt gegebenenfalls ein weiterer Versicherungsfall vor, für den die Beklagte nach Ziff. 2.1. AVB einzustehen hat. Dass die entwendeten und zerstörten Gegenstände einen zu ersetzenden Wert von insgesamt 57.850,- € hatten, steht außer Streit.

2.

Die Beklagte ist auch nicht leistungsfrei.

a.

Die Beklagte kann sich nicht unter dem Gesichtspunkt der Gefahrerhöhung auf Leistungsfreiheit gemäß §§ 25 Abs. 1, 23 Abs. 1 VVG berufen.

Gefahrerhöhung setzt eine nachträgliche Veränderung des bei Abschluss des Vertrages bestehenden Gefahrenzustandes zu Lasten des Versicherers voraus, die eine generell höhere Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Versicherungsfalles oder die Vergrößerung des Schadensumfanges begründet (BGH RuS 1999, 207; 1992, 168; Senat NVersZ 2000, 282; Prölls, in Prölls/Martin VVG, 27. Aufl., § 23 Rz. 4 ff). Dabei muss sich die geänderte Gefahrenlage auf einem gewissen Niveau stabilisiert haben und einen Zustand erhöhter Gefahr schaffen, der mindestens von so langer Dauer ist, dass er die Grundlage eines neuen, natürlichen Gefahrenverlaufs bilden kann und damit geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern (BGHZ 7, 311, BGH RuS 1999, 207; Prölss aaO., Rn. 10 f).

Da die streitgegenständliche Hauseingangstür bereits bei Abschluss des Vertrages nur mit einem Schloss gesichert war, kommt unter diesem Gesichtspunkt eine Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung nicht in Betracht.

Auch durch die Zeitungsannonce ist eine Gefahrerhöhung im Sinne von § 23 Abs. 1 VVG nicht bewirkt worden. Denn in der Annonce war lediglich die Handy-Nummer des Ehemannes der Klägerin angegeben, nicht aber die Wohnanschrift der Klägerin. Das Inserat hatte damit keinen Einfluss auf die bestehende Gefahrenlage. Auch der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin im Anschluss an die Annonce drei Kaufinteressenten in das Haus eingelassen hat, stellt keine Gefahrerhöhung dar. Es handelte sich insofern um kurzfristige Vorgänge, die - sofern hiermit überhaupt eine objektive Gefahrsteigerung verbunden war - jedenfalls nicht zu einer dauerhaften Änderung der Gefahrenlage im Sinne des § 23 VVG geführt haben.

b.

Die Beklagte ist auch nicht gemäß Ziff. 12.7., 12.3. a AVB, § 6 Abs. 1 VVG leistungsfrei, weil die Hauseingangstür entgegen den in Ziffer B 1.3.a der Sicherheitsbestimmungen enthaltenen Vorschrift nicht durch "zwei Schlösser mit nach außen bündig abschließenden Sicherheitszylindern oder gleichwertigen Verschlüssen" ausgestattet war. Die Beachtung der Sicherheitsvorschriften stellt zwar gemäß Ziff. 12.3., 12.7. AVB eine vertragliche Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs. 1 VVG dar. Der Beklagten ist es jedoch gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG versagt, sich auf Leistungsfreiheit zu berufen. Denn die Beachtung der Sicherheitsvorschriften ist eine vor dem Versicherungsfall zu erfüllende Obliegenheit. Erhält der Versicherer von der Obliegenheitsverletzung Kenntnis, muss er - um sich den Einwand der Leistungsfreiheit zu erhalten - den Vertrag innerhalb eines Monats kündigen, § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 VVG. Eine Kündigung ist jedoch nicht erfolgt. Der Vertrag wurde vielmehr nach dem Umzug der Klägerin für den neuen Wohnort fortgesetzt. Auf die Frage, ab wann die Beklagte den Zustand der Haustür kannte (schon vor dem Versicherungsfall?), kommt es daher nicht an.

c.

Die Beklagte ist schließlich auch nicht nach § 61 VVG leistungsfrei, denn die Klägerin hat den Versicherungsfall nicht grob fahrlässig herbeigeführt.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Maße außer acht lässt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten muss. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich um ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt (BGH VersR 1989, 141; 1992, 1087; OLG Nürnberg VersR 2001, 365; OLG Köln, VersR 1989, 952; 1990, 390).

Ob diese Voraussetzungen hier zu bejahen sind, kann dahinstehen. Selbst wenn man eine unterlassene Verriegelung als grob fahrlässiges Verhalten wertet, so kann dieses Verhalten der Klägerin nicht zugerechnet werden.

Es ist ungeklärt, welche Person die Tür vor dem Einbruch zuletzt geschlossen und dabei nicht verriegelt hat. Dies können neben der Klägerin selbst deren Ehemann oder die Haushälterin gewesen sein, die am 06.02.2004 im Hause war. Da nicht feststeht, dass die Klägerin die Hauseingangstür als letzte geschlossen hat, ohne den Riegel zu betätigen, kommt unter diesem Gesichtspunkt eine Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 61 VVG nur in Betracht, wenn der Klägerin ein etwaiges Fehlverhalten der Haushälterin und ihres Ehemannes zurechenbar wäre. Dies ist indes nicht der Fall. Weder die Haushälterin noch der Ehemann der Klägerin sind als Repräsentanten anzusehen. Eine Repräsentantenstellung kann nur dann angenommen werden, wenn sich der Versicherungsnehmer von jedweder Risikoverwaltung und Benutzung zurückgezogen und einem Dritten die vollständige Obhut über das versicherte Risiko übertragen hat (BGH VersR 1993, 828; 1999, 1004). Dafür, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt wären, ist nichts ersichtlich oder vorgetragen. Dieser Gesichtspunkt ist in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert worden.

Der Klägerin lässt sich schließlich auch nicht der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens unter dem Gesichtspunkt machen, dass sie es unterlassen habe, persönlich zu kontrollieren, ob die Hauseingangstür verschlossen war. Denn selbst wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt würde, dass die Eingangstür nachts zu verschließen war, wären keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass für die Klägerin Veranlassung für eine entsprechende Kontrolle bestand. Denn die Klägerin hat vorgetragen, dass der Haushälterin die Weisung erteilt war, die Hauseingangstür stets zu verschließen; diese Anordnung habe sie auch zuverlässig befolgt. Die Klägerin hat darüber hinaus dargelegt, sie habe - schon im Hinblick darauf, dass sich außer den versicherten Gegenständen im Haus Schmuckgegenstände befanden, für die ein Versicherungsschutz aufgrund der baulichen Gegebenheiten nicht zu erlangen war - grundsätzlich dafür Sorge getragen, dass die Hauseingangstüren während der Nacht verschlossen waren. Da die Beklagte Beweis für die Unrichtigkeit dieses Vortrages nicht angeboten hat, ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin gegen die verkehrsübliche Sorgfalt verstoßen hat.

3.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Sache hat über den konkret zur Entscheidung stehenden Einzelfall mit seinen Besonderheiten hinaus keine Bedeutung.

Streitwert für das Berufungsverfahren 57.850,- €.

Ende der Entscheidung

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