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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 21.07.2006
Aktenzeichen: 1 U 3851/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 68
ZPO § 72
ZPO § 73 Satz 2
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 6
BGB § 839 Abs. 3
BGB § 839 a
BGB § 839 a Abs. 2
Die Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen ist unzulässig.

Die Streitverkündungsschrift ist nicht zuzustellen.


Aktenzeichen: 1 U 3851/06

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 21.7.2006 folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Florian G ist unzulässig.

II. Der Schriftsatz der Klägerin vom 10.7.2006, mit dem diese dem gerichtlichen Sachverständigen den Streit verkündet, wird nicht an den Sachverständigen zugestellt.

Gründe:

I.

Die Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen ist unzulässig.

1. Dies folgt bereits daraus, dass der Sachverständige nicht Dritter im Sinne des § 72 ZPO ist.

Eine Definition des Begriffs "Dritter" im Sinne dieser Vorschrift enthält die ZPO nicht. Nach dem Sinn und Zweck von § 72 ZPO können als Dritte jedoch nur außenstehende Dritte gemeint sein, welche bisher in keiner Weise in das Verfahren einbezogen sind.

Hierzu gehören das Gericht als Entscheidungsträger und seine die Entscheidungsfindung unterstützenden Gehilfen nicht. Sie sind keine außenstehenden, in das Verfahren nicht involvierten Dritten sondern notwendige Verfahrensbeteiligte (so auch Rickert/König, NJW 2005, 1829/1831, Böckermann, MDR 2002, 1348/1352; OLG Bamberg vom 9.1.2006, 4 U 186/05 = OLGR Bamberg 2006, 448/451).

Dies gilt insbesondere für den gerichtlichen Sachverständigen. Er vermittelt dem Gericht Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen und die Erkenntnis von abstrakten Erfahrungssätzen und zieht in Anwendung seines Fachwissens im Wege der Wertung aus den zugrunde liegenden Tatsachen konkrete Schlussfolgerungen. Der Sachverständige ist damit Gehilfe des Gerichts, auf den das Gericht in entsprechenden Fällen auch angewiesen ist, und als solcher zur Unparteilichkeit verpflichtet (vgl. § 410 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Allein die Stellung des Sachverständigen auf der Seite des Gerichts schließt eine Streitverkündung ihm gegenüber aus. Für ihn gilt hier das gleiche wie für den Richter.

Bei gegenteiliger Auffassung wäre sonst die mögliche Streitverkündung an einen der entscheidenden Richter - etwa wegen verzögerter Sachbearbeitung - als logische Konsequenz nicht ausgeschlossen. Zwar wäre der Richter sozusagen "notwendiger" Dritter im Verfahren, da ohne ihn kein Urteil ergehen kann; eine Unterscheidung zwischen einem notwendigen und einem nicht notwendigen Dritten enthält § 72 ZPO jedoch nicht.

Dass der Sachverständige ggf. austauschbar ist, ändert an dieser Bewertung nichts. Hat das Gericht einen bestimmten Sachverständigen mit der Begutachtung beauftragt, ist und bleibt er die das Gericht unterstützende Hilfsperson.

Diese kann ihre Hilfsfunktion lediglich in den vom Gesetz normierten Ausnahmefällen verlieren (vgl. §§ 406, 412 ZPO). Die ZPO hat vorgesehen, dass der Sachverständige als Gehilfe des Gerichts nur unter denselben Bedingungen wie ein Richter aus dem Verfahren entfernt werden kann, dann nämlich, wenn Gründe für seine Ablehnung vorliegen, die gleichfalls zur Ablehnung eines Richters berechtigen würden.

Damit zeigt die Prozessordnung selbst, dass andere Wege nicht eingeschlagen werden sollen. Dies ist auch sinnvoll: die Parteien sollen sich weder ihren Richter noch ihren Sachverständigen als dessen Gehilfen aussuchen oder in seiner Überzeugungsbildung beeinflussen können. Dies wäre jedoch die Konsequenz, ließe man die Streitverkündung an den Sachverständigen zu.

2. Da eine Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen bereits wegen dessen fehlender Eigenschaft als "Dritter" im Sinne von § 72 ZPO auszuscheiden hat, bedarf es eines näheren Eingehens auf die weiteren, in Literatur und Rechtsprechung zu diesem Problenkreis ausführlich und zum Teil kontrovers erörterten Fragen und Lösungsmöglichkeiten nicht mehr (zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen: Tischler, DS 2006,165ff; vgl. auch BGH vom 12.1.2006, VII ZR 207/04 = Nzbau 2006, 239/240, wo der BGH erhebliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen äußert).

a) Eine Unzulässigkeit der Streitverkündung gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen, würde sie nicht bereits aus dessen fehlender Eigenschaft als "Dritter" folgen, ließe sich darüber hinaus auch aus der andernfalls zu besorgenden Verletzung des Justizgewährungsanspruchs ableiten (so auch Tischler, a.a.O.).

Dieser Anspruch gewährleistet nicht nur die Existenz einer Gerichtsbarkeit und den Zugang zu ihr, sondern hat zugleich auch den Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz zum Inhalt, durch den grundsätzlich eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch einen Richter sichergestellt sind.

Der Anspruch des Bürgers auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz könnte von den Gerichten bei Zulassung einer Streitverkündung gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen kaum mehr gewährleistet werden. Die Parteien hätten es durch wiederholte Streitverkündungen gegen gerichtlich bestellte Sachverständige in der Hand, die Entscheidung eines Rechtsstreites erheblich zu verzögern oder sogar ganz zu vereiteln.

b) Der vom Gesetz vorgesehene Zweck der Streitverkündung, die Nebeninterventionswirkung herbeizuführen (§§ 74, 68 ZPO), kann bei dem vom Gericht beauftragten Sachverständigen ohnehin nicht verwirklicht werden (so auch OLG Bamberg, a.a.O.). Wird, wie es in aller Regel und auch vorliegend der Fall ist, die Streitverkündung damit begründet, wegen möglicher Fehler in den bislang erstatteten Gutachten könnten der den Streit verkündenden Partei Regressansprüche gegen den Sachverständigen zustehen, kann die Streitverkündung dem vorgegebenen Ziel, einen Ersatzanspruch gemäß § 839 a BGB in einem Folgeprozess gegen den Sachverständigen leichter durchsetzen zu können, objektiv gar nicht dienen.

Legt nämlich das Gericht im Ausgangsverfahren seiner Entscheidung das Gutachten des Sachverständigen zugrunde, besteht die Nebeninterventionswirkung gemäß § 68 ZPO dann darin, dass der Sachverständige gegenüber der unterlegenen Partei mit der Behauptung nicht gehört wird, dass der Ausgangsprozess unrichtig entschieden worden sei. Darauf wird der Sachverständige sich aber, wenn das Gericht seinem Gutachten gefolgt ist, ohnehin nicht berufen. Folgt das Gericht des Ausgangsverfahrens dem Gutachten des Sachverständigen nicht, weil es dieses als unrichtig bewertet oder weil der Sachverständige mit Erfolg abgelehnt wurde, fließt dieses Gutachten ohnehin nicht in die das Urteil tragenden Feststellungen des Ausgangsgerichts ein, an die das Gericht im Folgeprozess gemäß § 68 ZPO gebunden wäre, und scheidet damit gleichzeitig eine Kausalität des Gutachtens für einen Schadensersatzanspruch nach § 839 a BGB aus. Der Streitverkündungsgrund würde damit wegfallen.

In beiden Fällen nützt die Interventionswirkung dem Streitverkünder somit nichts.

c) Auch die Verjährungshemmung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB stellt keinen schutzwürdigen Belang dar, der zur Zulässigkeit der Streitverkündung gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen führen müsste (anderer Auffassung Bockholdt, a.a.O.).

Eine Verjährungshemmung durch Streitverkündung im laufenden Verfahren ist unnötig. Wegen der Verweisung des § 839 a Abs. 2 auf § 839 Abs. 3 BGB muss der Anspruchsteller den Rechtsweg ausschöpfen, um gegen den Sachverständigen vorgehen zu können. Verjährungsbeginn kann deshalb erst bei Rechtskraft der letztinstanzlichen Entscheidung eintreten. Im Ausgangsprozess kann eine Verjährung des Anspruchs aus § 839 a BGB daher nicht drohen.

d) Soweit schließlich die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits mutmaßt, dem Ausschluss der Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen liege eine unzulässige ex ante Vermutung zugrunde, wonach gerichtliche Sachverständigengutachten fast stets richtig oder zumindest nicht vorsätzlich oder grob falsch seien, ist dies weder zutreffend noch weiterführend.

Eine solche Vermutung spielt im Rahmen der Frage, ob die Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen zulässig ist, keine Rolle. Dass diese Annahme der Klägerin darüber hinaus unzutreffend ist, zeigt sich bereits durch die Vorschrift des § 839 a BGB, in der sich die Vorstellung des Gesetzgebers konkretisiert, wie ein gutachterliches Fehlverhalten des Sachverständigen ggf. zivilrechtlich zu ahnden ist.

Die Streitverkündung an den Sachverständigen sieht das Gesetz jedenfalls weder als Möglichkeit vor, der Überzeugungsbildung der Parteien von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit seines Gutachtens dienlich zu sein, noch als Möglichkeit, eine spätere Klage gegen den Sachverständigen wegen einer fehlerhaften Gutachtenerstattung vorzubereiten oder auszuschließen. Ebenso wie das Gericht sich ggf. im Wege der Anhörung des Sachverständigen eine Überzeugung davon zu bilden hat, ob das Gutachten richtig oder falsch ist und sich hierauf eine Entscheidung stützen lässt, ist es Sache der am Rechtsstreit beteiligten Parteien, von denen erfahrungsgemäß regelmäßig eine der Auffassung sein dürfte, dass das Gutachten unrichtig sei, durch Fragen und Vorhalte an den Sachverständigen und nicht durch eine Streitverkündung an ihn auf Klärung hinzuwirken.

Das von der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits vertretene Argument, der Sachverständige solle durch die Streitverkündung an ihn angehalten werden, seine Gutachten im Hinblick auf seine Haftung aus § 839 a BGB, "die er möglicherweise einmal vergessen haben könnte", noch einmal auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und ggf. nachzubessern, greift nicht durch. Vielmehr offenbart es gerade, worauf es der dem Sachverständigen den Streit verkündenden Partei wirklich ankommt: darauf nämlich, ein Gutachten in ihrem Sinne zu erhalten.

e) Darauf, ob die Streitverkündung rechtsmissbräuchlich ist, kommt es nicht an.

Zwar dürfte die Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle rechtsmissbräuchlich sein, da mit ihr das verfahrensfremde Ziel, den Sachverständigen in der Hoffnung seines Beitritts aus dem Verfahren zu drängen, verfolgt wird, auch wenn es Einzelfälle geben mag, in denen die Rechtsmissbräuchlichkeit in Zweifel gezogen werden könnte (vgl. hierzu: OLG Koblenz vom 28.9.2005, 12 W 251/05 = BauR 2006, 144/147). Indessen bedarf es einer Unterscheidung zwischen rechtsmissbräuchlicher und nicht rechtsmissbräuchlicher Streitverkündung nicht, da sie in beiden Fällen unzulässig ist. Allein die Stellung des Sachverständigen auf der Seite des Gerichts schließt eine Streitverkündung ihm gegenüber aus, wie bereits dargelegt.

II.

Die Unzulässigkeit der Streitverkündung zieht es nach sich, dass bereits die Streitverkündungsschrift nicht zuzustellen ist (so auch Rickert/König, a.a.O., Böckermann, a.a.O; OLG Bamberg vom 9.1.2006, a.a.O.; OLG Koblenz vom 28.9.2005, a.a.O.; OLG München vom 29.7.2005, 9 W 1940/05; OLG Stuttgart vom 22.3.2006, 6 W 7/06 = juris KORE445692006; anderer Auffassung: Bockholdt, NJW 2006, 122/124).

1. Eine Zustellung hat bereits deshalb zu unterbleiben, weil es sich in Wirklichkeit nicht um eine Streitverkündung, sondern um den Versuch eines nicht zulässigen Eingriffs in die Rechtspflege handelt, indem man den Begriff des "Dritten" im Sinne des § 72 ZPO auch auf den gerichtlichen Sachverständigen auszuweiten versucht.

Der Sachverständige als Hilfsperson des Gerichts darf nicht in die sowohl ihn als auch das weitere Verfahren belastende und mit einer Unsicherheit befrachtende Lage gebracht werden, einen Beitritt als Streithelfer - und sei es auch nur aus Gründen seines Haftpflichtversicherungsschutzes - mit den daraus folgenden Konsequenzen erwägen zu müssen.

Konsequenz einer Zustellung der Streitverkündung wäre, dass der Sachverständige ab der Streitverkündung zwar noch nicht gemäß §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 1, 41 Nr. 1 von der Ausübung des Sachverständigenamts ausgeschlossen wäre (vgl. BGH vom 12.1.2006 - VII ZR 207/04), er aber wohl dann, wenn er einer Partei beitritt, von der anderen Partei, was zu erwarten wäre, mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden könnte (zweifelnd BGH aaO). Der Sachverständige wäre dann nicht mehr Helfer des Gerichts, sondern Helfer einer Partei.

2. Die gegenteilige Auffassung des OLG Celle (Beschluss vom 14.11.2005, 7 W 117/05 = BauR 2006, 722/724) vermag nicht zu überzeugen.

Die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes ist nicht deshalb geboten, da das Gericht die mögliche Unzulässigkeit einer Streitverkündung nicht zu prüfen und nur Zustellungshilfe für die den Schriftsatz einreichende Partei zu leisten habe. Dies mag für den Regelfall gelten: Enthält ein Schriftsatz eine Streitverkündungserklärung und entspricht er den Anforderungen eines bestimmenden Schriftsatzes, wird er im Regelfall ohne weitergehende Prüfung gemäß § 73 Satz 2 ZPO dem Streitverkündeten zugestellt.

Hier liegt jedoch insofern ein Ausnahmefall vor, als das Gericht ohne weiteres zu erkennen vermag, dass die Streitverkündung nicht vom Gesetz gedeckt ist. Das mag noch ohne Belang sein, wenn diese Problematik erst im möglichen Folgeprozess gegen den Streitverkündungsempfänger Wirkung entfalten könnte. So ist es hier aber nicht. Die Zustellung eines Streitverkündungsschriftsatzes an den gerichtlichen Sachverständigen hätte vielmehr unmittelbare und sofortige Auswirkungen auf den Rechtsstreit, in dem die Streitverkündung erfolgte. Das Gericht würde mit der Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes gewissermaßen seine Hand zu rechtswidrigem Verhalten und dazu reichen, dass sein eigener Prozess ins Stocken gerät oder geraten kann. Dies würde zu einer untragbaren prozessualen Situation führen und ist weder der Sinn der Streitverkündung noch dessen zulässige Auswirkung. Deshalb ist über die Zulässigkeit der Streitverkündung und die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes in diesem Fall schon im laufenden Rechtsstreit und nicht erst im Regressprozess zu entscheiden.

Letztlich hat das Gericht gegenüber seinem Gehilfen auch einen Schutzauftrag. Dieser ist nicht allein dadurch zu gewährleisten, dass man (so aber Böckermann, a.a.O., Tischler a.a.O.) ein Widerspruchsrecht gegen die Zulässigkeit der Streitverkündung (§ 71 ZPO) auch ohne Beitritt des Dritten (Sachverständigen) annimmt und das Gericht über die Zulässigkeit der Streitverkündung in einem Zwischenurteil befindet.

Ende der Entscheidung

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