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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 06.07.2006
Aktenzeichen: 31 Wx 35/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 2069
BGB § 2096
BGB § 2099
1. Die Auslegungsregel des § 2069 kann nicht - auch nicht analog - angewandt werden, wenn der Erblasser nicht Abkömmlinge, sondern andere nahe Verwandte als Erben eingesetzt hat.

2. Gleichwohl ist in einem solchen Fall regelmäßig zu prüfen, ob im Wege der (ergänzenden) Auslegung ein entsprechender (hypothetischer) Wille des Erblassers für die Berufung der Kinder des nach Errichtung der letztwilligen Verfügung weggefallenen Verwandten festgestellt werden kann; die dafür notwendige Andeutung in der letztwilligen Verfügung kann in einem solchen Fall bereits in der Tatsache der Berufung des nahen Verwandten liegen.

3. Die Annahme des hypothetischen Willens zur Ersatzberufung der Kinder des eingesetzten Verwandten kann insbesondere dann nahe liegen, wenn Ehegatten in einem Erbvertrag jeweils einen Verwandten des Ehemannes und der Ehefrau als Schlusserben zu gleichen Teilen berufen und die eingesetzten Schlusserben zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung noch Kinder sind.


Gründe:

I.

Die Erblasserin ist am 31.3.2005 im Alter von 82 Jahren verstorben; sie hatte keine Kinder. Ihr Ehemann ist 1996 vorverstorben. Er hatte Abkömmlinge aus einer vorangegangenen Ehe. Die Beteiligte zu 1 ist eine Enkelin des Ehemannes der Erblasserin. Die 1985 bzw. 1988 geborenen Beteiligten zu 2 und 3 sind die Kinder des Neffen der Erblasserin, der 2001 im Alter von 42 Jahren aufgrund eines Unfalls verstorben ist.

Die Ehegatten haben am 19.4.1972 einen Erbvertrag geschlossen, der auszugsweise wie folgt lautet:

"II.

Wir, Georg und Else Z. vereinbaren im Wege des Erbvertrages unter gegenseitiger Annahme was folgt:

a) Wir setzen uns hiermit gegenseitig, der Erstversterbende den Überlebenden von uns zu unseren alleinigen und ausschließlichen Erben ein.

b) Zum Erben des Längstlebenden von uns bestimmen wir

1. Petra H. (Enkel des Ehemanns) und

2. German K. (Neffe der Frau)

je zur Hälfte.

Petra H. und German K. sollen auch unser beider Erben sein für den Fall,

dass wir gleichzeitig versterben sollten.

c) Der Überlebende von uns ist an die Bestimmungen unter Abschnitt b) nicht gebunden. Er kann vielmehr über sein Vermögen und den Nachlass des Zuerstversterbenden unter Lebenden und von Todes wegen frei verfügen."

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus Bankguthaben in Höhe von rund 165.000 EUR und einem Einfamilienhaus im Wert von rund 138.000 EUR; der Reinnachlasswert beträgt rund 302.000 EUR.

Die Beteiligte zu 1 hat, gestützt auf den Erbvertrag vom 19.4.1972, die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin beantragt mit der Begründung, der Anteil des vorverstorbenen Miterben wachse ihr zu, da eine Ersatzerbenbestimmung nicht getroffen worden sei. Der beantragte Erbschein wurde ihr am 3.5.2005 erteilt.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 10.10.2005 haben die Beteiligten zu 2 und 3 beantragt, den erteilten Erbschein einzuziehen und einen neuen Erbschein des Inhalts zu erteilen, dass die Erblasserin je zur Hälfte beerbt worden ist von der Beteiligten zu 1 sowie von den Beteiligten zu 2 und 3. Zur Begründung haben sie ausgeführt, es sei zwar im Erbvertrag keine ausdrückliche Ersatzerbenbestimmung erfolgt, die ergänzende Auslegung ergebe jedoch, dass nach dem Willen der Eheleute die Abkömmlinge der Bedachten Ersatzerben sein sollten. Es sei deshalb keine Anwachsung eingetreten. Die Erblasserin sei als selbstverständlich davon ausgegangen, dass nach dem Tod ihres Neffen dessen Kinder in seine Erbenstellung eintreten würden, und habe deshalb keinen Anlass zu einer Änderung der erbvertraglichen Regelungen gesehen. Es sei keinesfalls ihr Wille gewesen, dass die Beteiligte zu 1 sie allein beerbe. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 17.11.2005 die Anträge der Beteiligten zu 2 und 3 zurückgewiesen. Die Beschwerde gegen diese Entscheidung blieb erfolglos. Gegen die Entscheidung des Landgerichts vom 17.2.2006 richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3.

II.

Die Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 sind zulässig und auch begründet.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beteiligte zu 1 sei auf Grund des Erbvertrages vom 19.4.1972 nach dem Tod des German K. alleinige Erbin der Erblasserin geworden; insoweit sei Anwachsung nach § 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB eingetreten. Ersatzerbfolge sei weder ausdrücklich angeordnet noch sei eine solche Auslegung des Erbvertrages möglich. Auf Grund des jungen Alters der eingesetzten Erben sei davon auszugehen, dass die Erblasser nicht an ein Vorversterben dieser Erben gedacht hätten. Ersatzerbfolge könne dann angeordnet sein, wenn zumindest eine Andeutung im Testament vorhanden wäre. In der Bezeichnung "Enkel des Ehemanns" und "Neffe der Frau" könne im Zusammenhang mit den restlichen Bestimmungen eine solche Andeutung nicht gesehen werden. Der Zusatz nach den Namen der eingesetzten Erben deute lediglich auf das Verwandtschaftsverhältnis hin. Eine Andeutung könne man gegebenenfalls dann sehen, wenn die Verwandtschaftsverhältnisse vor dem Namen gezogen wären, das sei aber nicht der Fall. Im Übrigen ergebe sich aus Ziffer II. c des Erbvertrags, dass die Vertragsparteien keine dauerhafte Einsetzung der Erben nach Stämmen gewollt hätten, da der Überlebende an die Schlusserbeneinsetzung nicht gebunden sei. Im Übrigen werde in notariellen Urkunden regelmäßig die Anordnung einer Ersatzerbfolge aufgenommen, wenn dies der Wille der Vertragsschließenden sei; eine solche fehle hier. Der Erblasserin habe es frei gestanden, nach dem Tod ihres Neffen im Jahre 2001 eine anderweitige Verfügung formgerecht zu treffen, das habe sie aber nicht getan.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Das Landgericht hat bei der Auslegung der letztwilligen Verfügung wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen. Weder die Regelung in Ziffer II. c des Erbvertrages, wonach der überlebende Ehegatte zur Abänderung der Schlusserbeneinsetzung berechtigt ist, noch das Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung von Ersatzerben im notariell beurkundeten Erbvertrag stehen einer ergänzenden Auslegung entgegen. Nachdem keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind, kann der Senat den Erbvertrag selbst auslegen.

a) Der Erbvertrag vom 19.4.1972 ist auslegungsbedürftig, weil er keine ausdrückliche Regelung für den Fall enthält, dass die eingesetzten Schlusserben oder einer von ihnen vor dem überlebenden Ehegatten versterben. Bei der Auslegung eines Erbvertrages muss bei vertragsmäßigen Verfügungen der erklärte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien ermittelt werden, §§ 133, 157 BGB (BayObLG FamRZ 1997, 911; OLG Hamm FGPrax 2005, 30 jeweils m.w.N.). Um eine solche vertragsmäßige Verfügung handelt es sich auch bei der Schusserbeneinsetzung. Hieran ändert auch die Abänderungsklausel nichts, denn sie greift nur für den "Überlebenden", also erst nach dem Ableben des Vorversterbenden; zu Lebzeiten beider Ehegatten war die Erblasserin an die Schlusserbeneinsetzung gebunden.

b) Gemäß § 2099 BGB geht das Recht der Ersatzerben der Anwachsung vor; deshalb ist bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung vorweg zu prüfen und festzustellen, ob Ersatzerben (§ 2096 BGB) bestimmt sind. Die für die Einsetzung von Abkömmlingen geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB kann nicht - auch nicht analog - angewandt werden, wenn der Erblasser eine Person eingesetzt hat, die nicht zu seinen Abkömmlingen gehört (BGH FamRZ 1973, 133; BayObLG FamRZ 1997, 641/642). In einem solchen Fall ist jedoch durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben zu berufen (BayObLGZ 1982, 159/163). Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung an die Möglichkeit eines vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben tatsächlich gedacht hat und was er für diesen Fall wirklich oder mutmaßlich gewollt hat (OLG Hamm FamRZ 1991, 1483 f.; OLG Frankfurt FamRZ 1996, 829/830). Kann der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Erblassers nicht festgestellt werden, ist eine ergänzende Auslegung in Betracht zu ziehen. Ist der Bedachte eine dem Erblasser nahe stehende Person, so legt die Lebenserfahrung die Prüfung nahe, ob der Erblasser eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt haben würde. Entscheidend ist, ob die Zuwendung dem Bedachten als ersten seines Stammes oder nur ihm persönlich gegolten hat. Die erforderliche Andeutung im Testament kann dann schon in der Tatsache der Berufung dieser Person zum Erben gesehen werden. In jedem Fall aber ist der Erblasserwille an Hand aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BayObLG FamRZ 2005, 840/841 m.w.N.).

c) Anhaltspunkte dafür, dass die Ehegatten bei Errichtung des Erbvertrages vom 19.4.1972 an die Möglichkeit des vorzeitigen Wegfalls eines der eingesetzten Schlusserben gedacht haben, sind nicht ersichtlich. Wie das Landgericht zu Recht hervorgehoben hat, waren die eingesetzten Schlusserben zum Zeitpunkt der Errichtung noch sehr jung; die Beteiligte zu 1 (geb. am 1.6.1966) war fünf Jahre alt, der Neffe der Erblasserin (geb. am 18.9.1958) dreizehn Jahre. Es liegt deshalb nahe, dass sie Erblasser das Vorversterben eines Schlusserben nicht in Erwägung gezogen haben. Insbesondere angesichts dieser Umstände verbietet es sich aber, allein aus dem Fehlen einer Ersatzschlusserbenregelung in der notariellen Urkunde zu schließen, eine solche sei von den Ehegatten nicht gewollt gewesen. Es gibt auch nicht die geringsten konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin und ihr Ehemann nach entsprechender Beratung durch den Notar die Aufnahme einer Ersatzschlusserbenbestimmung in die Urkunde abgelehnt hätten, was das Landgericht offenbar annimmt. Dass eine solche Bestimmung fehlt und ein Notar zu einer umfassenden Beratung der Beteiligten verpflichtet ist, trägt diese Schlussfolgerung des Landgerichts nicht.

d) Es ist deshalb zu prüfen, was die Vertragsschließenden gewollt haben würden, wenn sie das Vorversterben eines der Ersatzschlusserben, nämlich des Neffen der Ehefrau, bedacht hätten. Schon die erbvertragliche Regelung, dass der Nachlass nach dem Tod des Letztversterbenden zu gleichen Teilen an eine Verwandte des Ehemannes und einen Verwandten der Ehefrau fallen sollte, deutet darauf hin, dass die Ehegatten gleichmäßig die jeweilige verwandtschaftliche Linie, also den jeweiligen Stamm, bedenken wollten, zumal die verwandtschaftliche Stellung des jeweiligen Bedachten ausdrücklich hervorgehoben wird. Dieser Vorstellung der Ehegatten bei Errichtung des Erbvertrages steht nicht entgegen, dass sie dem Überlebenden das Recht zur Abänderung der Bestimmung nach dem Tod des Erstversterbenden eingeräumt haben. Die Änderungsklausel hebt die Bindung des Überlebenden an die gemeinsam getroffene Ersatzschlusserbeneinsetzung auf, ändert aber nichts an den ihr zugrunde liegenden Überlegungen der Parteien des Erbvertrages.

Darüber hinaus ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Neffe der Erblasserin - abgesehen von ihrer Schwester - ihr einziger naher Verwandter war. Nach der übereinstimmenden Darstellung aller Beteiligter hatte die Erblasserin ein gutes Verhältnis sowohl zu ihrer Schwester als auch zu ihrem Neffen, der zugleich ihr Patenkind war. Auch die Bezeichnung im Erbvertrag als "Neffe der Frau" zeigt, dass die Erbeinsetzung ihrem Neffen nicht (nur) als Person, sondern gerade auch in seiner Eigenschaft als Verwandter der Erblasserin galt, zumal die spätere berufliche Karriere, auf die die Erblasserin nach Angaben der Beteiligten zu 1 sehr stolz war, zu diesem Zeitpunkt schwerlich vorhersehbar war. Der Tatsache, dass die Verwandtschaftsbezeichnung im Erbvertrag erst nach dem Namen und der Adresse des Bedachten und nicht davor aufgeführt wird, kann entgegen der Auffassung des Landgerichts keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.

e) Für die ergänzende Auslegung des Erbvertrages vom 19.4.1972 kommt es nicht darauf an, wie sich in späteren Jahren, insbesondere nach dem Tod des Ehegatten und des Neffen, das Verhältnis der Erblasserin zu der Beteiligten zu 1 einerseits und den Beteiligten zu 2 und 3 andererseits entwickelt hat. Die diesbezüglichen, teilweise streitigen Schilderungen der Beteiligten sind nicht geeignet zu erhellen, was die Erblasserin und ihr Ehemann bei Abschluss des Erbvertrages übereinstimmend gewollt hätten. Das Landgericht hat deshalb zwar mit unzutreffender Begründung - denn auch mündliche Äußerungen des Erblassers können zur Ermittlung seines in einer formwirksamen Verfügung zumindest angedeuteten Willens geeignet sein -, aber im Ergebnis zu Recht von weiteren Ermittlungen abgesehen.

Es ist auch nicht von entscheidender Bedeutung, dass die Erblasserin in der Zeit zwischen dem Tod ihres Neffen im Jahre 2001 und ihrem eigenen Tod keine letztwillige Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 2 und 3 getroffen hat, zu der sie nach Ziffer II. c des Erbvertrages berechtigt gewesen wäre. Ihr Verhalten kann auch darauf zurückzuführen sein, dass sie die Ersatzerbfolge der Kinder ihres Neffen für selbstverständlich hielt, und lässt deshalb keinen Rückschluss auf die gemeinsamen Vorstellungen beider Ehegatten bei Vertragsschluss zu.

f) Die ergänzende Auslegung des Erbvertrags vom 19.4.1972 ergibt somit, dass die Ehegatten, hätte sie den vorzeitigen Wegfall des Neffen der Erblasserin bedacht, die Einsetzung von dessen Abkömmlingen als Ersatzerben gewollt hätten. Für die Anwachsung ist kein Raum. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind folglich neben der Beteiligten zu 1 Miterben zu je 1/4.

3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind deshalb aufzuheben. Das Nachlassgericht ist zur Einziehung des der Beteiligten zu 1 erteilten Erbscheins als Alleinerbin anzuweisen, weil dieser nicht der Erbrechtslage entspricht (§ 2361 BGB). Das Nachlassgericht wird nach Vorliegen der erforderlichen Angaben und Nachweise (§§ 2355, 2356 BGB) einen Erbschein zu erteilen haben, der die Beteiligte zu 1 als Miterbin zu 1/2 und die Beteiligten zu 2 und 3 als Miterben zu je 1/4 ausweist. Die Sache wird hierzu an das Nachlassgericht zurückgegeben.

4. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 30 Abs. 1 KostO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten belässt es der Senat bei dem Grundsatz, dass im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jeder Beteiligte diese selbst zu tragen hat (§ 13a Abs. 1 Satz 1 FGG).



Ende der Entscheidung

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