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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.02.2008
Aktenzeichen: 31 Wx 69/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2077
BGB § 2279
Zur Frage, ob die Erbeinsetzung der gemeinsamen Abkömmlinge in einem zwischen Eheleuten geschlossenen Erbvertrag nach ihrem hypothetischen Willen auch für den Fall der Scheidung gelten sollte.
Gründe:

I.

Der Erblasser ist am 6.10.2006 im Alter von 80 Jahren verstorben. Er war in zweiter Ehe seit August 2005 mit der Beteiligten zu 1 verheiratet. Die erste, 1956 geschlossene Ehe wurde auf Antrag des Erblassers vom 22.3.2004 mit Urteil vom 18.4.2005, rechtskräftig seit 21.7.2005, geschieden. Die Beteiligten zu 2 bis 4 sind die Kinder des Erblassers aus der ersten Ehe; sie sind zwischen 1960 und 1963 geboren.

Mit der Beteiligten zu 1 schloss der Erblasser am 30.4.2004 einen Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig vertragsmäßig bindend zu Alleinerben einsetzten. Mit seiner ersten Ehefrau hatte der Erblasser am 30.9.1968 einen Ehe- und Erbvertrag geschlossen, der auszugsweise wie folgt lautet:

"II.

Ehevertrag:

Wir heben hiermit den für uns geltenden gesetzlichen Güterstand auf und vereinbaren an dessen Stelle für die fernere Dauer unserer Ehe die Gütergemeinschaft nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Vorbehaltsgut wird nicht vereinbart. Die Verwaltung des ehelichen Gesamtguts obliegt beiden Ehegatten. Die Fortsetzung der Gütergemeinschaft des Überlebenden von uns mit den gemeinschaftlichen Abkömmlingen wünschen wir nicht. ... Die Ehefrau ist Eigentümerin von Grundstücken in der Gemarkung K. ... . Ferner hat die Ehefrau mit Urkunde vom heutigen Tag die Grundstücke ... der Gemarkung K. übernommen. Wir sind zu je 45/100 Eigentümer von Grundbesitz ... Die Berichtigung des Grundbuchs entsprechend dem vereinbarten Güterstand wird hiermit beantragt.

III.

Erbvertrag:

Der Erstversterbende von uns setzt hiermit in einseitig nicht widerruflicher Weise unsere gemeinsamen Abkömmlinge nach gleichen Anteilen zu seinen Erben ein. Der Überlebende von uns erhält als Vermächtnis den lebenslangen unentgeltlichen und auch von einer eventuellen Wiederverheiratung unabhängigen Nießbrauch am gesamten Vermögen des Erstversterbenden, mit dem Recht diesen soweit möglich und zulässig, im Grundbuch auf eigene Kosten dinglich sicher zu stellen. Ferner bestimmt der Erstversterbende den Überlebenden zu seinem Testamentvollstrecker. Der Testamentsvollstrecker ist insbesondere befugt, den Nachlass zu verwalten; er ist außerdem berechtigt, den Zeitpunkt der Auseinandersetzung nach seinem Ermessen zu bestimmen.

IV.

Sonst bestimmen wir nichts. Der Überlebende von uns soll demnach in seiner Verfügung unter Lebenden und von Todes wegen frei sein."

Der Beteiligte zu 3 vertritt die Auffassung, die Erbeinsetzung der Abkömmlinge in dem Vertrag vom 30.9.1968 gelte auch für den Fall der Ehescheidung, so dass ihm und seinen Geschwistern ein gemeinschaftlicher Erbschein als Miterben zu je 1/3 zu erteilen sei. Die Beteiligte zu 1 beantragt dagegen einen Alleinerbschein aufgrund des Erbvertrags vom 30.4.2004. Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 26.4.2007 die Erteilung eines Erbscheins angekündigt, der die Kinder des Erblassers als Miterben zu je 1/3 ausweist. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht mit Beschluss vom 16.8.2007 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist in der Sache begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Bei der Erbeinsetzung der Kinder in Ziffer III des Ehe- und Erbvertrages handle es sich um vertragsmäßige Verfügungen. Durch die spätere Ehescheidung seien die wechselbezüglichen Vermächtnisse bzw. die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers unwirksam geworden. Das gelte allerdings nicht für die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder. Es seien zwar keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Vertragsschließenden bedacht hätten, dass die Ehe geschieden werden könne. Das Gericht sei jedoch davon überzeugt, dass der hypothetische Wille des Erblassers dahin ging, die gemeinsamen Kinder auf jeden Fall als Erben nach dem Erstversterbenden einzusetzen. Dies könne zwar nicht aus der Wortwahl "Erstversterbender" geschlossen werden. Ein gewichtiges Indiz ergebe sich jedoch aus den Personen der Bedachten. Erheblich sei auch der Umstand, dass die Eheleute sich nicht gegenseitig als Erben einsetzten, sondern die Kinder unmittelbar als Erben nach dem Erstversterbenden. Diese ungewöhnliche, vom ursprünglichen Entwurf mit Allein- und Schlusserbeneinsetzung abweichende Vertragsgestaltung stärke die Rechte der Kinder und spreche für den Willen des Erblassers, das Familienvermögen auf jeden Fall den Kindern zukommen zu lassen. Das Wohnanwesen in K., das die frühere Ehefrau in das Gesamtgut eingebracht habe, habe dem Erblasser nach Angaben seiner Tochter sehr viel bedeutet. Diese habe das Verhältnis des Erblassers zu seinen Kindern auch nach der Trennung von seiner Ehefrau als vertrauensvoll beschrieben, was nach der Lebenserfahrung im Jahre 1968 nicht anders gewesen sein könne. Auch in späteren Jahren habe der Erblasser offensichtlich den Willen gehabt, das Familienvermögen für die Kinder zu erhalten. So habe er vorprozessual im Rahmen der Scheidung seiner früheren Ehefrau vorgeschlagen, das Anwesen in K. den Kindern schenkungsweise zu übertragen.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung weitgehend nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Nach § 2279 Abs. 2 BGB gelten die Vorschriften des § 2077 BGB für einen Erbvertrag zwischen Ehegatten auch insoweit, als ein Dritter bedacht ist, wie hier. Nach dieser Auslegungsregel (BGH FamRZ 1960, 28/29; BayObLG FamRZ 1997, 123/ 124 Staudinger/Otte BGB Stand 2003 § 2077 Rn. 4) ist die letztwillige Verfügung des Erblassers im Erbvertrag mit seiner geschiedenen ersten Ehefrau infolge der Auflösung der Ehe unwirksam geworden (§ 2077 Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch für diesen Fall getroffen haben würde (§ 2077 Abs. 3 BGB). Der Erbvertrag von 1968 enthält keine ausdrückliche Regelung, ob die Erbeinsetzung auch für den Fall der Ehescheidung gelten solle oder nicht. Es ist deshalb durch Auslegung zu ermitteln, ob die Verfügung auch für den Fall einer späteren Scheidung Gültigkeit behalten sollte. Lässt sich ein wirklicher, im Erbvertrag zum Ausdruck gekommener Wille des Erblassers nicht ermitteln, so ist auf den mutmaßlichen - hypothetischen - Erblasserwillen abzustellen. An die Feststellung eines Aufrechterhaltungswillens sind keine niedrigen Anforderungen zu stellen (BGHZ 160, 33/39). Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags, wobei spätere Umstände nur als Anzeichen für einen bereits in jenem Zeitpunkt vorhandenen Erblasserwillen berücksichtigt werden können (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 193/195; OLG Zweibrücken NJW-RR 1998, 941, jeweils m.w.N.). Von diesen Grundsätzen ist auch das Landgericht ausgegangen.

b) Die Auslegung ist grundsätzlich Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung im Wege der weiteren Beschwerde ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen oder wesentliche Umstände übersehen wurden (vgl. BGHZ 121, 357/363; BayObLG FamRZ 2002, 269/270; Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42; MünchKommBGB/Leipold 4. Aufl. § 2087 Rn. 47 ff.).

Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat den Inhalt des Erbvertrags nur unvollständig gewürdigt. Es hat insbesondere die Regelung zur Erbfolge nach dem letztversterbenden Ehegatten in Ziffer IV. des Ehe- und Erbvertrages vom 30.9.1968 völlig außer Betracht gelassen, wonach der Überlebende in seiner Verfügung unter Lebenden und von Todes wegen frei sein soll. Auf diesem Rechtsfehler beruht die Entscheidung des Landgerichts. Denn bei einer Gesamtwürdigung der Bestimmungen des Erbvertrages - auch unter Berücksichtigung des vorangegangenen Entwurfs - ist die Annahme des Landgerichts nicht haltbar, es sei von den vertragsschließenden Ehegatten bezweckt worden, die Stellung der Kinder zu stärken und ihnen auf jeden Fall das Familienvermögen zukommen zu lassen.

c) In Ziffer III des Ehe- und Erbvertrages vom 30.9.1968 haben die Ehegatten zunächst bindend die gemeinsamen Abkömmlinge zu gleichen Teilen zu Erben des Erstversterbenden eingesetzt. Zugleich haben sie jedoch durch das Vermächtnis zugunsten des überlebenden Ehegatten sichergestellt, dass dieser die Nutznießung am gesamten Nachlass des Erstversterbenden behält, und zwar auch im Fall der Wiederverheiratung. Als Testamentsvollstrecker verwaltet der Überlebende den Nachlass und ist berechtigt, den Zeitpunkt der Auseinandersetzung zu bestimmen. Die Bestimmung in Ziffer IV. des Vertrages überlässt es ohne jede Einschränkung dem Überlebenden, wie er mit seinem Vermögen verfährt. Ihm wird damit die Möglichkeit eingeräumt, nach seinem Belieben auch andere Personen als die gemeinsamen Abkömmlinge zu seinen Erben zu bestimmen mit der Folge, dass sein Anteil am gemeinsamen Vermögen auch auf Familienfremde übergehen kann. Der Ehe- und Erbvertrag vom 30.9.1968 stellt deshalb gerade nicht sicher, dass das gesamte Familienvermögen den Kindern zufällt. Die getroffenen Regelungen legen vielmehr nahe, dass es den Vertragsschließenden vor allem um die Absicherung des überlebenden Ehegatten ging. Dieser hat - außer im Falle der Ausschlagung (§ 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB) - keine Pflichtteilsansprüche zu erfüllen, behält bis zu seinem Tod, auch bei einer Wiederverheiratung, Nießbrauch und Verwaltungsbefugnis am Vermögen des Erstversterbenden und ist in der Verfügung auch von Todes wegen über sein Vermögen völlig frei. Die Kinder sind zwar zu Erben des Erstversterbenden berufen, jedoch zu Lebzeiten des anderen Elternteils erheblichen Beschränkungen und Beschwerungen unterworfen. Demgegenüber sah der Entwurf eine gegenseitige Alleinerbeneinsetzung der Ehegatten und eine Schlusserbeneinsetzung der Kinder vor, die der überlebende Ehegatte nur innerhalb der gemeinschaftlichen Kinder abändern durfte. Für den Fall der Wiederverheiratung sollte er den gemeinschaftlichen Kindern einen ihrem gesetzlichen Erbteil entsprechenden Bruchteil des Nachlasses des zuerst Versterbenden als Quotenvermächtnis hinausbezahlen, auf das der erhaltene Pflichtteil angerechnet werden sollte.

Die Annahme des Landgerichts, die Stellung der Kinder habe durch den Ehe- und Erbvertrag vom 30.9.1968 gegenüber dem Entwurf eine wesentliche Stärkung erfahren, ist bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der jeweiligen Regelungen nicht haltbar.

d) Auch die vom Landgericht herangezogenen weiteren Umstände tragen nicht die Annahme, den vertragsschließenden Ehegatten sei es vorrangig darum gegangen, das Familienvermögen den Kindern zukommen zu lassen. Dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung bei Abschluss des Erbvertrages ein gutes Verhältnis zwischen dem Erblasser und seinen damals 8, 6 und knapp 5 Jahre alten Kindern bestand, reicht dafür nicht aus. Wie sich das Verhältnis zu den Kindern später gestaltet hat, ist für die Ermittlung des hypothetischen Willens zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht erheblich, so dass dem diesbezüglichen streitigen Vorbringen der Beteiligten nicht nachgegangen werden muss. Die Schilderungen der Tochter zu den Vorstellungen des Erblassers insbesondere hinsichtlich des Anwesens in K. und des Hauses in S. sind angesichts der tatsächlich getroffenen erbvertraglichen Regelungen kein ausreichender Anhaltspunkt dafür, dass der Erblasser die Erbeinsetzung der Kinder auch im Falle der Auflösung der Ehe aufrechterhalten wollte. Das gilt auch für den im Vorfeld des Scheidungsverfahrens unterbreiteten Vorschlag, das Anwesen in K. den Kindern zu übertragen. Soweit der Beteiligte zu 3 dem Umstand entscheidende Bedeutung beimessen will, dass der Erblasser nach der Eheschließung mit der Beteiligten zu 1 den Ehe- und Erbvertrag vom 30.9.1968 nicht angefochten hat, kann dem nicht gefolgt werden. Denn in dem Erbvertrag mit der Beteiligten zu 1 vom 30.4.2004 ist bereits ausdrücklich festgehalten, dass der Erblasser den Ehe- und Erbvertrag von 1968 wegen des eingeleiteten Scheidungsverfahrens für unwirksam hält.

3. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Nachdem keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden. Wie oben ausgeführt, sind unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Ehe- und Erbvertrages vom 30.9.1968 und des Vorbringens der Beteiligten keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Erblasser und seine damalige Ehefrau, hätten sie die spätere Scheidung der Ehe in Erwägung gezogen, auch für diesen Fall die Einsetzung der Kinder als Erben nach dem Erstversterbenden hätten aufrechterhalten wollen.

Es bleibt deshalb bei der gesetzlichen Auslegungsregel (§ 2279 Abs. 2 i.V.m. § 2077 Abs. 1 BGB). Die Erbfolge richtet sich somit nach dem Erbvertrag vom 30.4.2004, in dem die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin eingesetzt ist. Die Sache wird unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen an das Nachlassgericht zurückgegeben, das der Beteiligten zu 1 nach Einhaltung der Förmlichkeiten (§ 2356 BGB) den mit Schriftsatz vom 23.1.2007 beantragten Erbschein zu erteilen haben wird.

4. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet, § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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