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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 10.07.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 33/06
Rechtsgebiete: WEG, BGB


Vorschriften:

WEG § 22 Abs. 1
WEG § 14 Nr. 1
BGB § 1004
1. Die Errichtung einer Pergola stellt in der Regel eine bauliche Veränderung dar.

2. Der durch die bauliche Veränderung über das hinnehmbare Maß hinaus beeinträchtigte Wohnungseigentümer kann auch dann Beseitigung verlangen, wenn die Eigentümerversammlung zuvor bestandskräftig beschlossen hat, die Maßnahme in jederzeit widerruflicher Weise zu dulden.


Gründe:

I.

Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer ca. 35 Einheiten umfassenden Wohnanlage. Die Antragsteller, ein Ehepaar, sind Wohnungseigentümer einer im ersten Stock gelegenen Wohnung, der ein Balkon vorgelagert ist. Der Antragsgegnerin gehört die darunter liegende Wohnung im Erdgeschoss mit einem Gartenanteil, der ihr zur Sondernutzung zugewiesen ist.

Im Frühjahr 2002 errichtete die Antragsgegnerin auf der Terrasse vor ihrer Wohnung eine so genannte Pergola, die aus einem an der Außenfassade verankerten Holzgestell und einem Acryldach besteht.

Die Teilungserklärung vom 16.3.1983 enthält unter VII. folgende Regelung:

Bauliche Änderungen

1) Bauliche Änderungen an oder in den Sondereigentumsräumen (Um-, An- und Einbauten) bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verwalters.

2) Der schriftlichen Zustimmung des Verwalters bedürfen ferner das Anbringen von Schildern, Reklameeinrichtungen, Leuchtschriften, Antennen, Markisen, Jalousetten, Blumenkästen oder ähnlicher Anlagen, sowie die Beseitigung von Einrichtungen oder Anlagen, die beim Bezug des Sondereigentums vorhanden waren.

3) Verweigert der Verwalter die Zustimmung, so gilt Ziff. II Abs. 5 entsprechend.

4) Für bauliche Veränderungen am gemeinschaftlichen Eigentum sowie für Maßnahmen im Sinne des Abs. 2) ist die Zustimmung des Verwalters erforderlich und ausreichend, soweit durch solche Änderungen nicht in die Sondereigentumsrechte einzelner Wohnungseigentümer eingegriffen wird, den Wohnungseigentümern Kosten für die Vornahme der baulichen Veränderungen nicht entstehen und die Wohnungseigentümer durch spätere Instandsetzungsmaßnahmen infolge der baulichen Veränderungen nicht unzumutbar belastet werden.

Wird ein Wohnungseigentümer durch eine bauliche Veränderung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen in seinem Sondereigentum beeinträchtigt, so genügt dessen Zustimmung neben der Zustimmung des Verwalters.

Im Übrigen gilt § 22 WEG.

Die Teilungserklärung sieht in II. 5) für Nutzungsänderungen und Vermietungen die Möglichkeit vor, einen Beschluss der Eigentümerversammlung herbeizuführen, wenn der Verwalter die Zustimmung verweigert.

Eine Zustimmung der Verwalterin wurde hier nicht eingeholt.

Am 15.5.2002 befasste sich die Eigentümerversammlung laut Protokoll wie folgt mit der Pergola:

Die Miteigentümerin Frau S. (Antragsgegnerin) hat ohne Zustimmung der Eigentümergemeinschaft im Bereich ihrer Terrasse im Erdgeschoß eine großflächige Holzkonstruktion mit Dachabdeckung aufgestellt.

Verschiedene Meinungen wurden kontrovers diskutiert.

Die anwesenden Eigentümer sprachen sich dafür aus - ohne hierüber förmlich einen Beschluss zu formulieren -, dass die Konstruktion geduldet wird. Diese Duldung kann jederzeit in kommenden Eigentümerversammlungen widerrufen werden. Für auftretende Schäden hat Frau S. einzustehen. Frau S. erklärte sich bereit, die seitlichen Bauteile zu begrünen.

In der Eigentümerversammlung vom 1.7.2004 wurde unter Tagesordnungspunkt (TOP) 6 ein Antrag auf Widerruf der Duldung der Pergola mehrheitlich abgelehnt. Auf der Eigentümerversammlung vom 15.6.2005 wurde erneut beschlossen, dass die Eigentümergemeinschaft die Pergola in jederzeit widerruflicher Weise duldet.

Die Antragsteller haben neben einem anderen Beschlussgegenstand den Eigentümerbeschluss zu TOP 6 vom 1.7.2004 angefochten und zugleich beantragt, die Antragsgegnerin zur Beseitigung des Vordachs samt Holzunterbau zu verpflichten. Das Amtsgericht hat durch insoweit inzwischen rechtskräftigen Beschluss vom 20.6.2005 den Antrag auf Ungültigerklärung des zu TOP 6 gefassten Beschlusses abgewiesen. Gleichzeitig hat es die Antragsgegnerin zur Entfernung der Pergola und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands verpflichtet. Die gegen die letztgenannte Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Landgericht durch Beschluss vom 19.1.2006 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Antragsgegnerin sei zur Beseitigung der Pergola verpflichtet. Bei der Pergola handele es sich um eine bauliche Veränderung, die grundsätzlich der Zustimmung aller Eigentümer bedürfe. Aus der Teilungserklärung ergebe sich nichts anderes. Die Regelung in VII. 3) in Verbindung mit II. 5) bedeute nicht, dass die nach § 22 WEG erforderliche Entscheidung aller Wohnungseigentümer durch eine Mehrheitsentscheidung abbedungen werden könne. Die Pergola falle nicht unter den Begriff der "ähnlichen Anlage" in VII. 2). Diese Bestimmung gebe der Verwalterin zudem nicht die Befugnis, gleichsam stellvertretend und zu Lasten des benachteiligten Wohnungseigentümers die erforderliche Zustimmung zu geben, was durch VII. 4) der Teilungserklärung bestätigt werde. Die Antragsteller seien unabhängig davon in ihren Rechten beeinträchtigt. Ihr Ausblick vom Balkon aus sei besonders durch die Überdachung gestört. Aus den vorgelegten Lichtbildern ergebe sich ferner eine nachteilige architektonische Veränderung des äußeren Gesamteindrucks der Anlage. Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, dass die Einheitlichkeit der Fassade durch die bereits vorhandenen Blumenkästen, Markisen, Katzengitter und Dächer nicht mehr gewährleistet sei, da eine "Aufrechnung" baulicher Veränderungen nicht in Betracht komme und die genannten Veränderungen mit der Pergola nicht vergleichbar seien. Es bestünden auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Beseitigungsverlangen treuwidrig oder schikanös sei.

2. Die Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

Rechtsfehlerfrei ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragsgegnerin zur Beseitigung der Pergola verpflichtet ist (§ 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 15 Abs. 3, § 14 Nr. 1 WEG).

a) Bei der Errichtung einer Pergola handelt es sich um eine bauliche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung hinausgeht (vgl. OLG München OLG-Report 2005, 833 und 2006, 130; Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 22 Rn. 99 m.w.N.).

b) Das grundsätzlich bestehende Zustimmungserfordernis nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG ist nicht durch die Teilungserklärung (VII.) abbedungen oder auf den Verwalter übertragen. Nach dem maßgeblichen objektiven Inhalt und Sinn dieser Regelung, wie er sich für den unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergibt (BGHZ 160, 354, 362; BGH WuM 2006, 270 jeweils m.w.N.), sind weder die Bestimmungen zu VII. 1) noch zu VII. 2) einschlägig. Die Regelung in VII. 1) betrifft lediglich "Sondereigentumsräume", nicht jedoch zur Sondernutzung zugewiesene Gemeinschaftsflächen. Zu VII. 2) hat die Beschwerdekammer zutreffend ausgeführt, dass die Terrassenüberdachung nicht unter den Begriff "ähnliche Anlagen" fällt, da die vorliegende bauliche Veränderung sowohl vom Umfang als auch von ihrer Üblichkeit her nicht mit den dort genannten Einrichtungen wie Reklameschilder, Markisen u.ä. vergleichbar ist. Abgesehen davon, dass eine Zustimmung der Verwalterin nicht vorliegt, würde eine solche hier, wie aus VII. 4) der Teilungserklärung ersichtlich ist, dem Beseitigungsverlangen nicht entgegenstehen, wenn eine bauliche Veränderung einen anderen Wohnungseigentümer in seinen Rechten beeinträchtigt.

c) Der inzwischen bestandskräftige Eigentümerbeschluss vom 1.7.2004 und der nachfolgende, ebenfalls bestandskräftige Eigentümerbeschluss vom 15.6.2005 sind nach ihrem objektiven Inhalt sowie nach Wortlaut und Sinn, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergibt (BGHZ 139, 288/292), dahingehend auszulegen, dass die Eigentümergemeinschaft bzw. die für diese handelnde Verwalterin derzeit keine Maßnahmen zur Beseitigung der Pergola ergreift. Bereits aus diesem Grund stehen die Eigentümerbeschlüsse Individualansprüchen einzelner Eigentümer aus § 1004 BGB, § 15 Abs. 3 WEG nicht entgegen. Darauf, ob die Eigentümerversammlung die Zulässigkeit baulicher Veränderungen im konkreten Fall überhaupt regeln könnte (vgl. KK-WEG/Drabek § 22 Rn. 19 ff.), kommt es nicht an.

d) Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht auch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragsteller durch die Pergola über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 WEG). Als Nachteil im Sinne von § 14 Abs. 1 WEG ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung zu verstehen. Entscheidend ist hierbei, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in einer entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann (BGHZ 116, 392/396; BayObLG ZMR 2003, 514). Die Feststellung obliegt in erster Linie tatrichterlicher Würdigung (BayObLG WuM 2004, 744/LS) und ist vom Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt nachprüfbar. Rechtsfehlerfrei und für den Senat bindend (§ 27 Abs. 1 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO) geht das Beschwerdegericht aufgrund der bei den Akten befindlichen aussagekräftigen Lichtbilder davon aus, dass die Antragsteller durch die Pergola über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden. Das Landgericht hat hierbei unter fallbezogener Abwägung der sich gegenüberstehenden beiderseitigen Grundrechte der Beteiligten aus Art. 14 GG (BVerfG NZM 2005, 182/183) darauf abgestellt, dass sowohl die Aussicht der Antragsteller von ihrem im ersten Stockwerk gelegenen Balkon aus erheblich gestört ist als auch der optische Gesamteindruck der Fassade als solcher nachhaltig verändert wurde (s.a. BayObLG NZM 2001, 771/LS). Dass das Gesamtbild der Anlage aufgrund der vorhandenen unterschiedlichen Markisen, Blumenkästen, Katzengitter u.ä. bereits uneinheitlich ist (vgl. dazu Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 22 Rn. 18), spielt schon deswegen keine Rolle, weil diese Veränderungen optisch weniger ins Gewicht fallen und der Eindruck der Uneinheitlichkeit durch die Pergola letztlich noch verstärkt wird (s.a. OLG Düsseldorf NZM 2001, 243). Hinzu kommt, dass durch eine dauerhaft überdachte Terrassenkonstruktion typischerweise eine intensivere und damit "störendere" Nutzung ermöglicht wird als durch eine nicht überdachte Terrasse (vgl. OLG München OLG-Report 2005, 833). Im Übrigen gibt es keine "Aufrechnung" nachteiliger Veränderungen (Weitnauer/Lüke WEG 9. Aufl. § 22 Rn. 19 m.w.N.).

Das Landgericht musste die baulichen Maßnahmen nicht an Ort und Stelle in Augenschein nehmen. Die bei den Akten befindlichen Lichtbilder geben die örtlichen Verhältnisse hinreichend anschaulich wieder (OLG Düsseldorf aaO; OLG Hamm NZM 2000, 910; Niedenführ/Schulze § 22 Rn. 19).

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 47 WEG. Es entspricht der Billigkeit, der in allen Rechtszügen in dieser Sache unterlegenen Antragsgegnerin nicht nur die gerichtlichen, sondern auch die den obsiegenden Antragstellern erwachsenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Maßgebend sind nicht nur die reinen Materialkosten der Pergola, sondern die etwa auch die Arbeitsleistung umfassenden konkreten Einbau-/Beseitigungskosten (BayObLG WuM 1998, 688/689), die der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf 3.000 EUR schätzt.

Ende der Entscheidung

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