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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.05.2007
Aktenzeichen: 6 St 01/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 129b
1. § 129b StGB ist verfassungsgemäß.

2. § 129a StGB schützt die Rechtsgüter, die durch den Versuch und die Vollendung derjenigen Straftaten, welche vom Vereinigungszweck umfasst sind, beeinträchtigt würden. Diese Rechtsgüter müssen zwar noch nicht notwendigerweise verletzt sein,, jedoch lässt der Täter bereits erkennen, dass er es zumindest in Kauf nimmt und unterstützt, dass sie verletzt werden, wenn die Vereinigung entsprechend ihrer Zweckbestimmung aktiv wird. Diesen Schutz des § 129a StGB weitet § 129b StGB auf Gefährdungen dieser Rechtsgüter durch international tätige terroristische Vereinigungen aus.

3. Das in § 129b Abs. 1 S. 3 - 5 StGB enthaltene Erfordernis einer Ermächtigung zur Verfolgung durch das Bundesministerium der Justiz ist nicht an sich verfassungswidrig.


Tatbestand:

Im Hauptverhandlungstermin vom 4.4.2007 haben die Verteidiger des Angeklagten F. beantragt, "das Verfahren gegen den Angeklagten einzustellen und den Haftbefehl aufzuheben." Die Vorschrift des § 129b StGB sei verfassungswidrig, weshalb ein Normenkontrollverfahren "angeregt" werde. Diesen Antrag hat der Senat abgelehnt.

Gründe:

I.

1. Ein Verfahrenshindernis, das zur Einstellung des Verfahrens zu führen hätte, liegt nicht vor. Auch aus der Antragsbegründung ergeben sich hierfür keinerlei Anhaltspunkte.

2. Vielmehr hat ein Gericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz für verfassungswidrig hält. In diesem Sinn ist aufgrund der Antragsbegründung entsprechend dem allgemeinen Gedanken des § 300 StPO der gestellte Antrag auszulegen.

II.

Der Senat hält die Vorschrift des § 129b StGB trotz gegebener Formulierungsschwächen (vgl. Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl., § 129b Rn. 2 ff.) für nicht verfassungswidrig. Damit scheidet eine Vorlage im Normenkontrollverfahren aus.

1. Der am 30.8.2002 in Kraft getretene § 129b StGB ist durch das 34. StrÄndG vom 22.8.2002 (BGBl. I S. 3390) in das StGB eingefügt wurden. Damit reagierte der Gesetzgeber auf europarechtliche Vorgaben:

(1) Art. 4 Abs. 1 der "Gemeinsamen Maßnahme vom 21.12.1998 - vom Rat aufgrund Artikel K.3 des Vertrags über die europäische Union angenommen - betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union" (Abl. EG Nr. L 351 S.1, 2 vom 29.12.1998) verpflichtete die nationalen Gesetzgeber, die Strafbarkeit des in Art. 2 Abs. 1 beschriebenen Verhaltens sicherzustellen, sofern die kriminelle Vereinigung in einem EU-Mitgliedstaat ihre Operationsbasis hat oder ihre strafbare Tätigkeit ausübt, d.h. die nach der Vereinigungsabrede zum Vereinigungszweck gehörenden Straftaten dort begangen werden sollen (zur Ungenauigkeit der Textfassung Kreß JA 2005, 220, 221).

(2) Art. 2 Abs. 2 des auf die Angleichung der mitgliedstaatlichen Strafbestimmungen abzielenden Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.6.2002 (Abl. EG Nr. L 164 S. 3, 5 vom 22.6.2002) verpflichtete die Mitgliedstaaten, im Inland begangene Taten des "Anführens einer terroristischen Vereinigung" oder der "Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung" unabhängig vom Ort der Operationsbasis der Vereinigung und unabhängig vom Tatort der zum Vereinigungszweck gehörenden Straftaten der eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen (zu den EU-Vorgaben als Anlass der Neuregelung näher Stein GA 2005, 433, 442 ff.).

2. Ob es sich bei dem diese Vorgaben umsetzenden § 129b StGB um eine Qualifikation gegenüber §§ 129, 129a StGB handelt, kann dahinstehen. Für eine Bewertung als Qualifikation könnte sprechen, dass Personenzusammenschlüsse unter den Begriff "Vereinigung" (§§ 129, 129a StGB) unabhängig davon fallen, ob ihre Organisationsstruktur im Inland oder im Ausland belegen ist. Auch wenn man die Vorschrift im Hinblick auf ihre Entstehungsgeschichte und ihren Regelungsgehalt als eine vorrangig die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts betreffende und auf diesem Weg den Vereinigungsbegriff der §§ 129, 129a StGB ausweitende Norm verstehen würde, wäre das Ergebnis die Erstreckung auf Vereinigungen im Ausland (vgl. auch SK-StGB/Stein (Stand: März 2005) § 129b Rn. 2; LK/v. Bubnoff, 11. Aufl., § 129b Rn. 6 f.; MüKo StGB Miebach/Schäfer § 129b Rn. 9).

Insofern - also in Bezug auf die Regelung zum räumlichen Geltungsbereich insbesondere in § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB - ist der Senat der Ansicht, dass die Vorschrift nicht im Sinne einer abschließenden, die §§ 3 ff. StGB verdrängenden Spezialregelung zu verstehen ist. Vielmehr stellt Satz 2 für Taten, die sich auf Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland beziehen, Geltungsvoraussetzungen auf, die - soweit sie dort nicht ohnehin erfasst sind - zu denjenigen der §§ 3 ff. StGB hinzutreten (Altvater NStZ 2003, 179; Kindhäuser StGB Lehr- und Praxiskommentar, 3. Aufl., § 129b Rn. 5 ff.; MüKo StGB Miebach/Schäfer § 129b Rn. 9, 17 ff.; Stein GA 2005, 433, 455 f.; SK-StGB/Stein (Stand: März 2005) § 129b Rn. 3 f.; Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl., § 129b Rn. 4, nicht ganz eindeutig aber Rn. 7 ff.). Bei einem solchen Verständnis lassen sich die unter Berufung auf Tröndle/Fischer (StGB, 54. Aufl., § 129b Rn. 4) in der Antragsbegründung behaupteten "abwegigen Ergebnisse" vermeiden.

3. Der abstrakte Gefährdungs- und Organisationstatbestand des § 129b StGB verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinn), verstanden als Schranke gegenüber staatlichen Eingriffen, die über ein legitimes Maß hinausgehen, und genügt bei verfassungskonformer Auslegung dem in Art. 103 Abs. 2 GG und einfachgesetzlich in § 1 StGB verankerten Bestimmtheitsgebot. Es gelingt sehr wohl, die spezifische Schutzaufgabe der §§ 129a, 129b StGB in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise herauszuarbeiten und sodann die einzelnen Merkmale des Tatbestands durch eine (auch) an dieserm Schutzgut ausgerichtete Auslegung zu bestimmen.

Die sich ausschließlich auf die im Strafgesetzbuchkommentar von Tröndle/Fischer formulierten Bedenken stützende Antragsbegründung belässt es dabei, die dort geäußerte Kritik aufzugreifen, ohne zu erwähnen, dass die Kommentierung trotz alledem im Ergebnis die Norm gleichwohl nicht als verfassungswidrig einstuft.

a) Das den §§ 129a und 129b StGB zugrunde liegende gemeinsame Rechtsgut lässt sich bestimmen, ohne gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot zu verstoßen.

Zwar ist es im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG den Gerichten verwehrt, die Entscheidung des Gesetzgebers, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will, zu korrigieren (vgl. BVerfG Kammerbeschluss vom 19.3.2007 - 2 BvR 2273/06, BeckRS 2007, 22325; BGH NStZ 2005, 105, 106). Jedoch hat der Senat bei der Entscheidung über den gestellten Antrag auf Durchführung eines Normenkontrollverfahrens die Vereinbarkeit der Norm mit der Verfassung zu prüfen.

aa) Jedes strafrechtliche Ge- oder Verbot greift (auch) in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG ein und bedarf deshalb einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Rechtfertigung. Dabei fungiert die als Übermaßverbot gedeutete Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn als verfassungsrechtliche Schranke für den Einsatz des Strafrechts (Hassemer, in: Hefendehl, v. Hirsch, Wohlers (Hrsg.) Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 57, 59; vgl. auch Böse ebenda, S. 89, 91; Sternberg-Lieben ebenda, S. 65; Ellbogen ZRP 2006, 190, 192; Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, S. 83 ff. sowie zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung BVerfGE 80, 109, 120). "Im Übermaßverbot kommt die klassische Tradition der Grundrechte, Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen zu begründen, zur Geltung. Dieses Verbot realisiert die Schranke staatlicher Eingriffe, die über ein legitimes Maß hinausgehen" (Hassemer a.a.O. S. 57, 59). Dieses "legitime Maß" bestimmt sich wiederum im Sinne einer spezifisch strafrechtlichen Rechtfertigung durch das Rechtsgüterschutzprinzip. Jede strafbegründende Norm muss sich deshalb auf die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts berufen können (Hassemer a.a.O. S. 57, 60; vgl. zum Ganzen auch Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl., § 2 Rn. 86 ff.).

bb) Nach Auffassung des Senats liegen § 129a StGB die Rechtsgüter zugrunde, die durch den Versuch und die Vollendung derjenigen Straftaten, die vom Vereinigungszweck umfasst sind, beeinträchtigt würden. Diese Rechtsgüter müssen zwar noch nicht notwendigerweise verletzt sein, jedoch lässt der Täter bereits erkennen, dass er es zumindest in Kauf nimmt und unterstützt, dass sie verletzt werden, wenn die Vereinigung entsprechend ihrer Zweckbestimmung aktiv wird. Diesen Schutz des § 129a StGB weitet § 129b StGB - legitimiert auch durch die eingangs angeführten europarechtlichen Vorgaben - auf Gefährdungen dieser Rechtsgüter durch international tätige terroristische Vereinigungen aus.

(1.) Zwar verfolgen die §§ 129a und 129b StGB zumindest auch präventive Zielsetzungen. Diese Strafbestimmungen dienen der Gefahrenabwehr und sind damit zumindest auch Polizeirecht in strafrechtlicher Gestalt. Man mag diese "polizeirechtlichen Verschmutzungen des Strafrechts" (Jakobs ZStW 117 (2005), 839, 840) bedauern, der Gesetzgeber nimmt dies gleichwohl in Kauf, "um den internationalen Terrorismus effektiv zu bekämpfen" (BT-Drucksache 14/8893 S. 1).

Die generelle Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes in das Vorbereitungsstadium bei §§ 129, 129a und 129b StGB ist vom Gesetzgeber bezweckt (so ausdrücklich für § 129 StGB: BGHSt 28, 110, 116). Ziel der genannten Bestimmungen ist es nämlich, im Zuge einer Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes den von inländischen oder ausländischen kriminellen bzw. terroristischen Vereinigungen ausgehenden erhöhten Gefahren zu begegnen, die im Falle der Planung und Begehung von Straftaten seitens fest gefügter Organisationen aufgrund der ihnen innewohnenden Eigendynamik für die öffentliche Sicherheit ausgehen können (so zu § 129 StGB: BGHSt 41, 47, 51 m.w.N.).

(2.) Die Umschreibung gesetzlicher Zielvorstellungen begründet jedoch noch kein legitimierendes Rechtsgut (Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl., § 2 Rn. 14 ff.). Vielmehr ist es auch und gerade bei den Gefährdungsdelikten als spezifische Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, die die Strafbarkeitsgrenzen des klassischen Verletzungsdelikts überschreiten, erforderlich, das von dem betreffenden Delikt geschützte Rechtsgut zu bestimmen (vgl. auch Wohlers Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 311 ff.; ders. GA 2002, 15, 20). Das gelingt bei §§ 129a, 129b StGB in ausreichender Weise.

(2.1) Die höchstrichterliche Rechtsprechung nennt als Rechtsgut der §§ 129, 129a StGB ohne nähere Konkretisierung die "innere Sicherheit und Ordnung" (BGH NStZ 1982, 198 mit Anm. Rudolphi) und auch die "öffentliche Sicherheit" (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51; vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ 1994, 86, 87: "öffentlicher Frieden, der bereits durch die bloße Existenz krimineller Vereinigungen und die diesen innewohnende Eigendynamik gefährdet ist"; OLG Düsseldorf NStZ 1998, 249: "öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung, also der staatliche Frieden").

Dieser Rechtsprechung hat sich ein Teil der Literatur auch für § 129b StGB angeschlossen (LK/v. Bubnoff, 11. Aufl., § 129b Rn. 5: "öffentliche Sicherheit einschließlich des allgemeinen Rechtssicherheitsgefühls in dem gemeinsamen Europäischen Rechtsraum"; wohl auch MüKo StGB /Miebach/Schäfer § 129b Rn. 2).

Die Gesetzesmaterialien zu § 129b StGB berufen sich auf das Ziel, "den internationalen Terrorismus effektiv zu bekämpfen" (BT-Drucksache 14/8893 S. 1; zust. Brähler in: Thiel (Hrsg.) Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 250, 268; Lackner/Kühl StGB, 25. Aufl., § 129b Rn. 1).

(2.2) Ein allein auf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder Europas bezogenes Rechtsgut kann nach Auffassung des Senats infolge der Einbeziehung ausländischer, weltweit aktiver terroristischer Vereinigungen durch § 129b StGB keine Geltung mehr beanspruchen (gleichsam als "öffentlicher Frieden auf der ganzen Welt"; vgl. Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben StGB, 27. Aufl., § 129b Rn. 2; nach Kindhäuser Strafrecht Besonderer Teil I, 3. Aufl., § 41 Rn. 5 hat der Gesetzgeber mit der Einführung des § 129b StGB "die bisherige Begrenzung des Schutzbereichs der §§ 129, 129a StGB auf die innere Sicherheit und Ordnung aufgegeben"; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl., § 129b Rn. 3). Hinzu kommt, dass die Anknüpfung an ein so diffus bestimmtes Rechtsgut ins Uferlose führen würde, weil der Rechtskreis des Täters völlig ausgeblendet wird: "Der Täter wird nur dadurch definiert, dass er dem Rechtsgut gefährlich werden kann, wobei sich der Beginn der Gefahr grenzenlos vorverlagern lässt" (Jakobs ZStW 97 (1985), 751, 753). Ein Abstellen auf die Sicherheit und Ordnung enthält für die Vorverlagerung des Strafrechts kein eingrenzendes Kriterium und ist deshalb abzulehnen (NK/Ostendorf, 2. Aufl., § 129b Rn. 3; vgl. auch Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl., § 2 Rn. 46 ff.: "Schutzobjekte von ungreifbarer Abstraktheit sind keine Rechtsgüter"; Schönke/Schröder/Lenckner StGB, 27. Aufl., § 129b Rn. 2; Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl., § 129b Rn. 3 a.E.).

(2.3) Nach Auffassung des Senats liegen § 129a StGB die Rechtsgüter zugrunde, die durch den Versuch und die Vollendung derjenigen Straftaten, die vom Vereinigungszweck umfasst sind, beeinträchtigt würden. Diese Rechtsgüter müssen zwar noch nicht notwendigerweise verletzt sein, jedoch lässt der Täter bereits erkennen, dass er es zumindest in Kauf nimmt und unterstützt, dass sie verletzt werden, wenn die Vereinigung entsprechend ihrer Zweckbestimmung aktiv wird. Um den Schutz dieser Rechtsgüter bereits im Vorbereitungsstadium geht es. Die Funktion der §§ 129a und 129b StGB besteht - ähnlich wie beim Versuch der Beteiligung nach § 30 StGB - deshalb darin, die Strafbarkeit auf Verhaltensweisen zu erstrecken, die im materiellen Sinn zum Vorbereitungsstadium jener Straftaten gehören, ohne dass einzelne Taten bereits konkret geplant sein müssen (Bottke JR 1985, 122, 123; Martin Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, 1989, S. 68; Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, 287 ff.; ders. StV 2005, 156, 160; Kreß JA 2005, 220, 227; Krüger Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, 2000, S. 165 ff.; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, 1987, S. 150 ff.; Müssig Schutz abstrakter Rechtsgüter, 1994, S. 216 ff., 241; NK/Ostendorf, 2. Aufl., § 129 Rn. 5; Ostendorf JA 1980, 499, 500; ders. JZ 1979, 252, 253; Rudolphi Bruns-Festschrift, 1978, S. 315, 317 f.; ders. ZRP 1979, 214, 216; SK-StGB/Rudolphi/Stein (Stand: März 2005) § 129 Rn. 3; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB)?, 1997, S. 25 ff.; F.-C. Schroeder Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9 ff.; ähnlich in der Sache BGHSt 49, 268, 271 f.).

Dies findet seine Rechtfertigung in Bezug auf §§ 129a, 129b StGB zum einen im Gewicht der in § 129a Abs. 1 und 2 StGB aufgeführten Straftaten und der Bedeutung der durch sie geschützten Rechtsgüter. Zum anderen schafft bereits die Existenz einer terroristischen Vereinigung ein erhöhtes Gefährdungspotenzial, weil ihre organisatorischen Strukturen die Begehung von Straftaten erheblich erleichtern und das persönliche Verantwortungsgefühl des Einzelnen aufgrund der gegenseitigen Stimulierung, kriminellen Durchdringung und Enthemmung der Mitglieder herabsetzen können (vgl. BGHSt 49, 268, 271; Hofmann NStZ 1998, 249, 250; Rudolphi Bruns-Festschrift, 1978, S. 315, 317).

b) An der ausreichenden Bestimmtheit der Tatbestandsmerkmale der §§ 129a, 129b StGB hat der Senat keine Zweifel.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 92, 1, 11 ff.; neuerdings wieder BVerfG Kammerbeschluss vom 19.3.2007 - 2 BvR 2273/06, BeckRS 2007, 22325) verpflichtet das Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder sich jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen.

Allerdings schließt dies nicht aus, dass der Gesetzgeber Begriffe verwendet, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen ist es unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat an Hand der gesetzlichen Vorschrift aber voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen genügt dagegen, dass er wenigstens das Risiko einer Strafbarkeit erkennen kann (BVerfG Kammerbeschluss vom 19.3.2007 - 2 BvR 2273/06, BeckRS 2007, 22325). Vor allem in solchen Fällen kann durch eine gefestigte Rechtsprechung eine unbestimmte Norm die notwendige Bestimmtheit gewinnen (BVerfGE 93, 266, 292).

bb) Das ist aufgrund der umfangreichen Rechtsprechung zu §§ 129, 129a StGB der Fall (a.A. Rudolphi ZRP 1979, 214, 219, 221; bei SK-StGB/Rudolphi/Stein (Stand: März 2005) § 129 Rn. 3 findet sich der Vorwurf mangelnder Bestimmtheit nicht mehr). Dies gilt insbesondere auch für das Unterstützen einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung.

Um nicht vom Verletzungsstrafrecht in eine verfassungswidrige gesinnungsethische Konzeption des Strafrechts abzugleiten, darf Anknüpfungspunkt insofern nicht der bloße Plan der Tat, sondern muss der Täter bzw. die Organisation sein, in die der Täter eingegliedert ist (Hefendehl StV 2005, 156, 160). Denn ein Verhalten, das strafrechtlich schon in den Blick gerät, wenn lediglich die Interna des Täters bekannt sind, kann keine Strafbarkeit auslösen; denn Strafgrund wären ansonsten einzig die Interna (Jakobs ZStW 97 (1985), 751, 762; sehr anschaulich Zachariä Die Lehre vom Versuche des Verbrechens, 1. Theil, 1836, S. 210). Wie bei allen Vorverlagerungen des Strafrechtsschutzes ist deshalb mit Rücksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine restriktive Norminterpretation geboten (vgl. BGHSt 41, 47, 56; Geppert Jura Kartei 1996, § 129/5).

Dem trägt die Rechtsprechung Rechnung, indem sie als tatbestandsmäßige Unterstützung nur solche Handlungen ansieht, die das spezifische Gefährdungspotenzial der Vereinigung fördern, stärken oder absichern und die für die Organisation vorteilhaft sind (vgl. die Nachweise bei Tröndle/Fischer § 129 Rn. 30; MüKo StGB Miebach/Schäfer § 129 Rn. 81 ff.)

4. Schließlich ist das in § 129b Abs. 1 S. 3 - 5 StGB enthaltene Erfordernis einer Ermächtigung zur Verfolgung durch das Bundesministerium der Justiz nicht an sich verfassungswidrig. Im Fall des Angeklagten Ahmad sind ferner - was ohnehin nicht Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein könnte - keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar und von den Antragstellern auch nicht vorgetragen, dass die Ermächtigung zur Verfolgung objektiv willkürlich erteilt wurde.

a) Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die Strafverfolgung durch das Erfordernis eines Strafantrags, eines Strafverlangens oder einer Ermächtigung gemäß § 77e StGB einzuschränken.

Für den Normadressaten müssen zwar Tragweite und Anwendungsbereich der Strafvorschrift "schon aus dem Gesetz selbst" erkennbar sein (BVerfGE 105, 135, 153), so dass er jedenfalls im Regelfall die Strafbarkeit seines Verhaltens vorhersehen, im Grenzfall wenigstens das Risiko der Strafbarkeit erkennen können muss (BVerfGE 92, 1, 12; vgl. auch BGHSt 34, 171, 178). Jedoch dient das Bestimmtheitsgebot nicht dazu, dem Straftäter vorweg die Möglichkeit zu eröffnen, bereits vor der Tat über das Ob und Wie der Verfolgbarkeit einer Straftat "sicher" informiert zu sein (vgl. SK-Rudolphi § 1 Rn. 10 m.w.N.), etwa ob eine erforderliche Ermächtigung erteilt werden wird oder nicht. Die ausschließlich die Verfolgungsvoraussetzungen betreffenden Vorschriften unterfallen nach einhelliger Auffassung nicht dem Bestimmtheitsgebot, jedenfalls soweit es nicht um eine Rückwirkung geht (umfangreiche Nachweise bei MünchKommStGB/Schmitz § 1 Rn. 17).

b) Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die vom Bundesministerium der Justiz allgemein in Bezug auf A a I und J A a S erteilte und damit auch den Angeklagten betreffende Verfolgungsermächtigung willkürlich oder in ansonsten verfassungswidriger Weise erteilt wurde.

Die Erteilung oder Rücknahme der Ermächtigung steht im Ermessen des Bundesministeriums der Justiz. Die Kriterien für die zu treffende, jedoch nicht begründungspflichtige Ermessensentscheidung (Altvater NStZ 2003, 179, 182; Lackner/Kühl StGB, 25. Aufl., § 129b Rn. 4; MüKo StGB/Miebach/Schaefer § 129b Rn. 25; Stein GA 2005, 433, 458) nennt Absatz 1 Satz 5 nicht abschließend, stellt also letztlich auf eine Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände ab und lässt damit eine einzelfallorientierte, auch überwiegend politische Bewertung zu. Zweck des Ermächtigungsvorbehalts ist es, dem Bundesministerium der Justiz die Möglichkeit einzuräumen, auf die Durchführung eines Strafverfahrens zu verzichten, wenn dieses unverhältnismäßige außenpolitische Nachteile mit sich bringen würde. Daneben soll auf diese Weise die Strafverfolgung auf schwerwiegende Sachverhalte konzentriert werden und nicht strafwürdig erscheinende Verhaltensweisen von der Strafbarkeit ausgenommen werden können (vgl. BT-Drucksache 14/8893 S. 17; Altvater NStZ 2003, 179, 181; zu sog. Befreiungsbewegungen Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl., § 129b Rn. 13; ferner BVerfG NStZ 2001, 187; BGH NJW 2000, 3079). Eine Missachtung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich.

5. Die Verfassungsmäßigkeit des § 129b StGB ist bisher vom Bundesverfassungsgericht und dem Bundesgerichtshof nicht in Frage gestellt worden, entspricht vielmehr deren Rechtsprechung, und ist auch die Auffassung der strafrechtlichen Großkommentare sowie Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats.

a) In zwei Fällen zulässiger Verfassungsbeschwerden hat sich das Bundesverfassungsgericht - soweit ersichtlich - mit § 129b StGB befasst (BVerfGE 109, 38; 113, 273). In keiner der beiden Entscheidungen ist die Verfassungsmäßigkeit der Norm in Zweifel gezogen worden. Die Strafnorm des § 129 StGB ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, also jedenfalls nicht von vornherein verfassungswidrig (BVerfGE 17, 155, 165 ff.). Dass es im Bereich der Terrorismusbekämpfung jedenfalls um legitimen staatlichen Rechtsgüterschutz geht, hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt (BVerfG NVwZ-RR 2004, 613 unter Hinweis auf BVerfGE 80, 315, 339).

b) Der Bundesgerichtshof (3. Strafsenat) hat sich in den veröffentlichten Beschlüssen vom 28.10.2004, 8.9.2005 und 21.12.2005 (NStZ-RR 2005, 73; 2006, 240; StraFo 2006, 377) mit § 129b StGB befasst und ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert. Für die im Juli 1984 geltende Fassung des § 129a StGB hat der Bundesgerichtshof ebenfalls eine restriktive verfassungskonforme Auslegung vorgenommen (BGHSt 33, 16, 18).

c) Die Großkommentare zum StGB gehen jedenfalls im Ergebnis, selbst wenn die Frage der gesetzlichen Bestimmtheit erörtert wird, von der Verfassungsmäßigkeit des § 129b StGB aus (vgl. LK/v. Bubnoff, 11. Aufl., § 129b Rn. 5 ff.; Kindhäuser StGB Lehr- und Praxiskommentar, 3. Aufl., § 129b Rn. 1 ff.; MüKo StGB/Miebach/Schäfer § 129b Rn. 2; NK/Ostendorf, 2. Aufl., § 129b Rn. 5; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben StGB, 27. Aufl., § 129b Rn. 1 ff.; SK-StGB/Stein (Stand: März 2005) § 129b Rn. 1; vgl. im Übrigen auch Lackner/Kühl StGB, 25. Aufl., § 129b Rn. 1; Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl., § 129b Rn. 2 - 4).

d) Der Senat hat nach Inkrafttreten des § 129b StGB die erste darauf gestützte Anklage nach Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Norm zur Hauptverhandlung zugelassen und den Angeklagten mit Urteil vom 12.1.2006, rechtskräftig seit 20.1.2006, u.a. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt. Auch das OLG Stuttgart hat zwischenzeitlich eine u.a. auf § 129 b StGB gestützte Anklage zugelassen.

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