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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 17.04.2002
Aktenzeichen: 1 U (Baul) 4/00
Rechtsgebiete: EntG LSA, BauBG, BauGB, FStrG, StBauFG, ZPO


Vorschriften:

EntG LSA § 31
EntG LSA § 39
BauBG § 221
BauGB § 87 Abs. 1
FStrG § 1 Abs. 4
FStrG § 18 f Abs. 1
FStrG § 18 f Abs. 5
FStrG § 18 f Abs. 1 Satz 3
StBauFG § 57 Abs. 2
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
1. Voraussetzung für die vorzeitige Besitzeinweisung ist, dass der Träger des Straßenbauvorhabens mit dem Betroffenen über die Besitzüberlassung zur Durchführung des geplanten Straßenbaus gütlich verhandelt hat und dieser sich weigert, die Bauerlaubnis zu erteilen. Eines angemessenen Kaufangebots über die Höhe der Entschädigung bedarf es nicht.

2. Ohne Bedeutung ist bei Straßenplanungen nach dem Bundesfernstraßenrecht, ob ein Enteignungsverfahren bereits eingeleitet worden ist. Die Voraussetzungen in § 18 f Abs. 1 FStrG sind abschließend.

3. Das enteignungsrechtliche Übermaßverbot verbietet den Rechtsverlust durch Enteignung dann, wenn der Enteignungszweck mit einem den Eigentümer weniger belastenden Mittel erreicht werden kann. Erfordert das Wohl der Allgemeinheit den Rechtsverlust am Eigentum, so sind die rechtlichen Mittel Verkauf des Grundstücks gegen einen angemessenen Kaufpreis und Enteignung gegen eine angemessene Entschädigung nicht wesentlich unterschiedlich.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 U (Baul) 4/00 OLG Naumburg

Verkündet am: 17.April 2002

In der Baulandsache mit den Beteiligten

wegen

Vorzeitiger Besitzeinweisung

hat der Senat für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 17.April 2002 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink, den Richter am Oberlandesgericht Geib und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Janßen für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beteiligten zu 1) bis 4) gegen das am 20. Oktober 2000 verkündete Urteil der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beteiligten zu 1) bis 4) als Gesamtschuldner. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) können die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Beteiligten zu 1) bis 4) nicht Sicherheit vor der Vollstreckung leisten.

Die Revision findet nicht statt.

Tatbestand:

Die Beteiligten zu 1) bis 4) sind als Erbengemeinschaft Eigentümer des Grundstücks in der Gemarkung K. , Flur 5, Flurstück 115/14, eingetragen im Grundbuch von K. , Blatt 1111.

Durch den zum inzwischen rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluß des Antragsgegners gehörenden Grunderwerbsplan vom 22.07.1999 wurde dieses Grundstück zum Straßenbau benötigt. Auf dem Grundstück sollte teilweise ein Brückenpfeiler für eine Brücke der B 181 über die BAB A 9 errichtet werden. Diese Brücke wurde für den Ausbau der BAB A 9, km 125,05 bis 127,35 mit der Anschlußstelle L. und dem Anschluß der B 181 bis zur Landesgrenze Sachsen-Anhalt in den Gemeinden K. und G. , Landkreis M. benötigt. Gleichzeitig sollte auf dem Grundstück ein Regenrückhaltebecken für die Brücke und die BAB A 9 errichtet werden.

Die Beteiligte zu 6) beantragte mit Datum vom 20.08.1999 die vorzeitige Besitzeinweisung für dieses Grundstück. Sie legte dar, daß mit den Baumaßnahmen am 01.11.1999 begonnen werden müsse. Wegen Einzelheiten wird auf den Antrag verwiesen. Den Beteiligen zu 1) bis 4) wurde der Antrag ohne die Anlagen mit dem Hinweis, daß die Anlagen im Regierungspräsidium eingesehen werden könnten, übermittelt. Am 16.09.1999 wurde den Beteiligten zu 1) bis 4) die Ladung des Beklagten zur mündlichen Verhandlung zugesandt. In der mündlichen Verhandlung vom 11.10.1999 konnte eine Einigung zwischen den Beteiligten nicht getroffen werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verhandlungsniederschrift Bezug genommen.

Der Beteiligte zu 5) (Enteignungsbehörde) erließ am 05.11.1999 einen Besitzeinweisungbeschluß und wies die Beteiligte zu 6) antragsgemäß in den Besitz des bezeichneten Grundstücks mit Wirkung zum 11.11.1999 ein.

Mit Datum vom 15.11.1999 beantragten die Beteiligten zu 1) bis 4) beim Beteiligten zu 5) im Wege der gerichtlichen Entscheidung den Besitzeinweisungsbeschluß aufzuheben und mit Datum vom selben Tag die aufschiebende Wirkung ihres Antrags auf gerichtliche Entscheidung anzuordnen. Der Antrag wurde mit Beschluß des Landgerichts Halle vom 22.11.1999 zurückgewiesen. Am 29.08.2000 stellte die Beteiligte zu 6) den Enteignungsantrag. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) haben am 03.12.1999 Klage beim Landgericht Halle erhoben. Sie begründen ihre Klage wie folgt: Der Besitzeinweisungsbeschluß leide an formellen Mängeln. Es sei keine gütliche Einigung versucht, die Frage nach dem Verkehrswert des Grundstückes nur am Rande gestreift worden. Das Protokoll des Besitzeinweisungsverfahrens sei nicht zugestellt worden. Die zwei Wochenfrist zwischen mündlicher Verhandlung und dem Erlaß des Besitzeinweisungsbeschlusses sei nicht eingehalten; ebenso nicht die zwei Wochenfrist zwischen der Zustellung des Beschlusses und dessen Inkrafttreten.

Die Beklagte habe nicht sämtliche Anlagen des Antrags an sie übersandt. Sie seien in den Ladungen zur mündlichen Verhandlung nicht richtig belehrt worden. Der Beklagte habe die Dringlichkeit des Baubeginns nicht richtig nachgewiesen und keine Abwägung ihrer Interessen vorgenommen.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) haben beantragt,

den Besitzeinweisungsbeschluß vom 05.11.1999 aufzuheben.

Der Beteiligte zu 5) und die Beteiligte zu 6) haben keinen Antrag gestellt.

Durch das am 20.10.2000 verkündete Urteil der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Halle wurde der Antrag der Beteiligten zu 1) bis 4) zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 5) habe aus den zutreffenden Gründen des Beschlusses vom 05.11.1999 eine vorläufige Besitzeinweisung vorgenommen. Zwar sei bei dem Erlass des Besitzeinweisungsbeschlusses am 05.11.1999 die Zweiwochenfrist des § 18 f Abs. 4 Satz 3 des Bundesfernstraßengesetzes zwischen mündlicher Verhandlung und dem Erlass des Besitzeinweisungsbeschlusses und dessen Inkrafttetens nicht eingehalten worden.

Dieser Mangel sei jedoch unbeachtlich, da diese Frist der Beschleunigung des Besitzeinweisungsverfahrens und nicht dem Schutz der Betroffenen diene. Auch die Frist von zwei Wochen zwischen dem Besitzeinweisungsbeschluß und dessen Inkrafttreten sei nicht verletzt. Der Wortlaut "höchstens zwei Wochen" zeige, dass diese Frist nicht zwingend eingehalten werde müsse. Durch die kurze Frist würden den Beteiligten keine Rechte abgeschnitten. Die angeblich fehlerhafte Belehrung hätte bei den Beteiligten zu keinen Nachteilen geführt. Sie hätten der mündlichen Verhandlung beigewohnt, in der ihnen rechtliches Gehör gewährt worden sei. Der Beklagte habe auch nicht fehlerhaft gehandelt, indem er den Beteiligten den Besitzeinweisungsantrag nicht mit allen Anlagen, zugesandt habe. Da diese sehr umfangreich gewesen seien, hätte der Hinweis auf die Möglichkeit der Akteneinsicht ausgereicht. Die Ermittlung des Zustands des Grundstückes nach § 18 f Abs. 5 FStrG vor der Besitzeinweisung sei nicht erforderlich, da das Grundstück unbebaut gewesen sei. Auch daß den Beteiligten kein Protokoll der mündlichen Verhandlung zugestellt worden sei, sei kein Verfahrensfehler, der die Aufhebung des Besitzeinweisungsbeschlusses rechtfertigen würde.

Gegen dieses Urteil haben die Beteiligten zu 1) bis 4) form - und fristgerecht Berufung eingelegt. In der Berufungsinstanz wiederholen und vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und tragen ergänzend vor: Im Besitzeinweisungsverfahren würde Zivilprozeßrecht gelten; das Landgericht habe aber den Amtsermittlungsgrundsatz angewandt. Eine Güterabwägung habe nicht stattgefunden. Die Würdigung eines zeitgleichen und -nahen Antrags auf Durchführung eines Enteignungsverfahrens habe das Gericht dementsprechend auch nicht vorgenommen. Zu den Voraussetzungen eines rechtmäßigen Besitzeinweisungsbeschlusses gehöre, daß eine spätere Enteignung auch zulässig sei. Die Zulässigkeit einer Enteignung hänge nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch davon ab, daß die Enteignungsbehörde ein amgemessenes Kaufpreisangebot unterbreitet habe; daran fehle es hier. Eine Enteignung sei daher unzulässig. Dies führe auch zur Rechtswidrigkeit der Besitzeinweisung.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) beantragen,

das angefochtene Urteil des Landgerichts Halle zu ändern und

den Besitzeinweisungsbeschluß vom 05.11.1999 aufzuheben.

Der Beteiligte zu 5) und die Beteiligte zu 6) stellen keinen Antrag.

Zur Erwiderung verweist der Beteiligte zu 5) auf seinen Besitzeinweisungsbeschluß und die Gründe des angefochtenen Urteils.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und wegen des Sachverhalts im übrigen auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Urteil des Landgerichts gibt zu Beanstandungen keinen Anlaß. Der angefochtene Besitzeinweisungsbeschluß ist rechtmäßig.

Er findet seine Grundlage in § 18 f Abs. 1 Satz 1 des (Bundes-) Fernstraßengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 19.04.1994 (BGBl I 854) ( FStrG ( und hält sich an die Voraussetzungen dieser Regelung.

Die Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung erfordert einen in seiner Vollziehbarkeit nicht gehemmten Planfeststellungsbeschluss bzw. eine vollziehbare Plangenehmigung. Dies liegt hier vor.

Ferner muß der sofortige Baubeginn geboten sein. Dies ist dann der Fall, wenn das Wohl der Allgemeinheit ohne die vorzeitige Besitzeinweisung in erheblicher, nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt würde.

Ein Überwiegen des Wohls der Allgemeinheit kann nicht schon allein deshalb angenommen werden, weil die Inanspruchnahme des Grundstücks der Beteiligten zu 1) bis 4) sich zwingend aus dem vollziehbaren Planfeststellungbeschluß ergibt.

Damit steht nämlich noch nicht fest, daß das Wohl der Allgemeinheit es gebietet, ein bestimmtes Grundstück diesem Zweck zwangsweise durch Enteignung gerade im jetzigen Zeitpunkt zuzuführen. Die Enteignung des Grundstücks der Beteiligten zu 1) bis 4) ist demnach trotz des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses nur zulässig, wenn es zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben unumgänglich ist, das Eigentum in die Hand des Staates zu bringen. Es muß über das öffentliche Interesse an der Planung hinaus ein Zurücktreten des Eigentümers hinter das Gemeinwohl erforderlich sein (vgl BGHZ 105, 94,97 zur insoweit vergleichbaren Rechtslage zu § 87 Abs.1 BauGB).

Ein solches gesteigertes öffentliches Interesse ist hier zu bejahen. Der Ausbau der BAB A 9, Anschlußstelle L. und des Anschlusses der B 181 war dringlich. Daß dem Brückenbauwerk 68 Ü 1 eine Schlüsselposition für den gesamten Ausbau der Anschlußstelle L. zukommt, hat der Beteiligte zu 5) zur Überzeugung des Senats dargelegt. Ohne Inanspruchnahme des Grundstücks der Beteiligten zu 1) bis 4) ließe sich die Anschlußstelle L. nicht realisieren. Den gewählten Ausbau rechtfertigt zum einen der Ausbau der BAB A 9 als auch die Zufahrt zum Großeinkaufszentrum "S. " .

Zwar verlangt § 2 Abs. 2 FStrG nicht, dass Bundesfernstraßen im Eigentum des Trägers der Straßenbaulast stehen, weil dafür die Zustimmung des Grundstückseigentümers ausreicht. Die vollständige Entziehung des Eigentums liegt hier jedoch im Interesse der Beteiligten zu 1) bis 4), da die Zweckbestimmung der Bundesfernstraßen eine wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks ausschließt und deshalb die Belastung mit einem dinglichen Recht gegenüber der Entziehung in der Auswirkung zu keinem wesentlich anderen Eingriff führt. Aus diesem Grund begegnet die Wahl der Entziehung des Eigentums keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.08.1964 - I C 48.63 - BVerwGE 19, 171). Gemäß § 1 Abs. 4 FStrG gehören Brücken zum Straßenkörper. Das verbleibende Restgrundstück hat wirtschaftlich keine eigenständige Bedeutung. Deshalb wäre eine Teilinanspruchnahme des Grundstücks der Beteiligten zu 1) bis 4) kein geringstmöglicher Eingriff, weil er für die Grundstückseigentümer zu einem unbilligen Ergebnis führen würde.

Auch dafür, daß die Baumaßnahmen zum damaligen Zeitpunkt notwendig waren, hat der Beteiligte zu 5) genügend Anhaltspunkte geltend gemacht.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) berufen sich zu Unrecht auf eine Verknüpfung der Besitzüberlassung gegen den Vorbehalt der späteren Entschädigungsregelung.

Voraussetzung für die vorzeitige Besitzeinweisung ist, daß der Träger des Straßenbauvorhabens mit dem Betroffenen über die Besitzüberlassung zur Durchführung des geplanten Straßenbaus gütlich verhandelt hat und dieser - wie hier - sich weigert, die Bauerlaubnis zu erteilen. Eines angemessenen Kaufangebots über die Höhe der Entschädigung - wie die Beteiligten zu 1) bis 4) meinen - bedarf es nicht.

Entschädigungsforderungen, die gerade vorbehalten bleiben, kann der Eigentümer der Besitzeinweisung nicht mit Erfolg entgegensetzen. Das ergibt sich eindeutig aus § 18 f Abs. 1 Satz 3 FStrG, der deutlich macht, daß die in den zuvor genannten beiden Sätzen benannten Voraussetzungen abschließend die vorläufige Besitzeinweisung rechtfertigen. Ohne Bedeutung ist bei Straßenplanungen nach dem Bundesfernstraßenrecht schließlich, ob ein Enteignungsverfahren bereits eingeleitet worden ist (OVG LSA, Urt. vom 22.01.1997 - C 2 S 365/96 - sowie Aust, in: Kodal/Krämer Straßenrecht, 5. Aufl., S. 1187 [RdNr. 38]). Die Voraussetzungen in § 18 f Abs. 1 FStrG sind abschließend. Dafür, daß die vorläufige Besitzeinweisung mit der Entschädigungsregelung verknüpft ist, gibt der Wortlaut des § 18f Abs. 1 FStrG nichts her. Auch Sinn und Zweck der Regelung über die vorläufige Besitzeinweisung sprechen gegen eine solche Auslegung. Zur Berechnung der Entschädigung bedarf es in der Regel eingehender und auch zeitraubender Ermittlungen, deren Ergebnis wegen der Dringlichkeit der Baumaßnahmen nicht abgewartet werden kann. Dies entspricht auch den Vorstellungen des Gesetzgebers; wie es die Entstehungsgeschichte der Norm belegt (Amtl. Begründung BT-Drucks. 7/1265 S. 54).

Der Einwand der Beteiligten zu 1) bis 4) die Enteignung sei unzulässig und eine vorzeitige Besitzeinweisung, ohne daß die Zulässigkeit einer späteren Enteignung festgestellt werden könne, verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes ( GG ( , ist nur vom Ansatz her zutreffend.

Den Beteiligten zu 1) bis 4) muß zwar eingeräumt werden, daß das hier insoweit wegen Spezialitätsgesichtspunkten nicht anwendbare Enteignungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 13. April 1994 ( LSA GVBl 508) Landes ( EntG LSA ( für sonstige Enteignungen in § 31 - wie auch andere neuere Enteignungsgesetze - ausdrücklich vorschreibt, eine vorzeitige Besitzeinweisung sei nur zulässig, wenn auch eine Enteignung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zulässig sei.

Selbst wenn man diesen Rechtsgedanken auf das FStrG überträgt, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung. Denn die weitere Annahme der Beteiligten zu 1) bis 4), die Enteignung sei unzulässig, trifft nicht zu. Dies ergibt sich aus folgendem:

Die Beteiligten zu 1) bis 4) halten nämlich die Enteignung ihres Grundstücks deshalb für unzulässig, weil der Beteiligte zu 5) ihnen kein angemessenes Kaufpreisangebot unterbreitet habe und berufen sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.01.1984 (Urt. v. 12.04.1984 - III ZR 103/82 - NJW , 1984, 1879). Zu den damals geltenden bauplanungsrechtlichen Enteigungsvorschriften führt der BGH in dieser Entscheidung aus: "Da die Enteignung voraussetzt, daß der Antragsteller sich ernsthaft um den freihändigen Erwerb des Grundstücks zu angemessenen Bedingungen bemüht hat (§ 57 Abs. 2 StBauFG; § 87 Abs. 2 1 BBauG), muß dem betroffenen Eigentümer jedenfalls bis zur Einleitung des Enteignungsverfahrens die Möglichkeit eröffnet werden, durch Annahme eines angemessenen Erwerbsangebots der öffentlichen Hand die Enteignung abzuwenden" (S. 1880 a.a.O.). Der BGH ließ es in dieser Entscheidung dahingestellt, "ob beim Fehlen eines angemessenen Angebots die Baulandgerichte den ergangenen Enteignungsbeschluß aufzuheben, wie das BerGer. meint ( sowohl auch BVerwGE 19, 171; vgl. aber auch BVerwG, BRS 26 Nr. 80) oder aber die Enteignung zu angemessenen Bedingungen auszusprechen habe (dafür Lange-Vogel, StBauFG, § 57 Rdnr. 32 und Brügelmann-Pohl, BBauG, § 87 Anm. II 1b cc).".

Nur letztere Ansicht ist hingegen nach Auffassung des Senats die zutreffende. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.08.1964 - I C 48.63 - ist vom BGH zumindest mißverständlich referiert worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung zwar ausgeführt: "Die Gewährleistung des Eigentums durch Art. 14 Abs. 1 GG wäre ohne den rechtsstaatlichen Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs in das Eigentum unvollständig. Dieser Grundsatz besagt, dass die Enteignung nur als letztes Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks in Betracht kommt. Sie ist daher unzulässig, wenn der Zweck, dem sie dienen soll, auch auf eine andere, weniger schwer in die Rechte des Betroffenen eingreifende Weise erreicht werden kann (BVerwGE 1, 140 [143]; 2, 36 [38]; 13, 75 [77]). Eine Enteignung ist vor allem dann nicht erforderlich, wenn der Enteignungszweck im Wege freier Vereinbarung (z.B. durch Grundstückskauf oder -tausch) unter angemessenen Bedingungen verwirklicht werden kann. Das enteignungsrechtliche Verbot des Übermaßes gilt aber nicht nur für die Frage der Abwendbarkeit eines hoheitlichen Eingriffs durch die Bereitschaft des Betroffenen zum Abschluß eines zivilrechtlichen Vertrages und für die Auswahl und den Umfang der durch Enteignung zu beschaffenden Fläche, sondern auch für die Frage, auf welche Art in das Eigentum eingegriffen werden darf.

Ein angemessenes Kaufpreisangebot ist aber keine andere Art in der Terminologie des Bundesverwaltungsgerichts im Vergleich zu einer den Anforderungen des Art. 14 GG entsprechenden Enteignung. Beide Verfahrensweisen führen zum Verlust ein und desselben Rechts, nämlich des Eigentums am Grundstück. Bei beiden Verfahrensweisen sind auch die den Rechtsverlust kompensierenden Mittel,

der angemessene Kaufpreis und die angemessene Entschädigung, gleich. Das enteignungsrechtliche Übermaßverbot hat hingegen einen anderen Inhalt. Es verbietet den Rechtsverlust durch Enteignung dann, wenn der Enteignungszweck mit einem den Eigentümer weniger belastenden Mittel erreicht werden kann. Dementsprechend führt das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 18.08.1964 auch aus: "Von der Entziehung des Eigentums ("Vollenteignung") ist mithin abzusehen, wenn der Eingriff in das Eigentum durch Belastung mit einem dinglichen Recht genügt und der Betroffene trotz dieser Belastung das Eigentum an dem Grundstück behalten will, weil er beispielshalber mehr an laufenden Einnahmen interessiert ist. Da jede über das unumgänglich notwendige Maß hinausgehende Belastung des Eigentümers den verfassungsmäßigen Schutz des Eigentums verletzt, hat aber auch die Belastung des Grundstücks mit einem dinglichen Recht zu unterbleiben, wenn die Begründung eines obligatorischen Nutzungsverhältnisses zur Verwirklichung des Enteignungszwecks ausreicht und den Eigentümer weniger beschwert als die dingliche Belastung des Grundstücks. Nur wenn die in Betracht kommenden Enteignungsformen für den Betroffenen keinen wesentlich verschiedenen Eingriff in seine Rechtssphäre bedeuten, hat die Enteignungsbehörde die Wahl, durch welches rechtliche Mittel sie die von ihr erstrebte Änderung der Nutzungsberechtigung herbeiführen will."

Erfordert aber das Wohl der Allgemeinheit den Rechtsverlust am Eigentum, so sind die rechtlichen Mittel Verkauf des Grundstücks gegen einen angemessenen Kaufpreis und Enteignung gegen eine angemessene Entschädigung nicht wesentlich unterschiedlich. Dementsprechend ist, selbst wenn die Zulässigkeit der Enteignung auch eine selbständige Voraussetzung für eine vorzeitige Besitzeinweisung nach dem Bundesfernstraßengesetz wäre, ein angemessenes Kaufpreisangebot keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Enteignung und damit auch nicht für die Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung.

Die Zulässigkeit der Enteignung als Voraussetzung des § 31 EntG LSA ist demnach nur die einfachrechtliche Formulierung eines verfassungsrechtlichen Grundsatzes und hat, da dieser Grundsatz naturgemäß auch für das FStrG gilt, gegenüber der Gesetzesformulierung für die vorzeitige Besitzeinweisung nach Landesrecht keine neue, andersartige Bedeutung. Ebenso verbietet schon die Verfassung eine vorläufige Regelung der Eigentumsverhältnisse, wenn die endgültige Regelung, Enteignung, nicht zulässig wäre. Auch andere Prozeßordnungen wie die Verwaltungsprozeßordnung (§ 123 VwGO) stellen bei den Regelungen über eine einstweilige Anordnung auf das streitige Rechtsverhältnis in der Hauptsache ab.

Soweit die Beteiligten zu 1) bis 4) Verfahrensfehler im Besitzeinweisungsverfahren rügen, sind diese unbeachtlich. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 39 EntG LSA i. V. m. § 221 BauBG i.V.m. § 97 ZPO, die weitere Nebenentscheidung ergibt sich aus § 39 EntG LSA i.V.m. § 221 BauBG i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht statthaft. (§ 39 Ent LSA; §§ 230, 221 Abs. 1 S. 1 BauGB i.V.m. 542 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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