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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 11.07.2006
Aktenzeichen: 1 U 1/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 301 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 313 a Abs. 1 S. 1
ZPO § 448
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 538 Abs. 1
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 2
1. Grundsätzlich ist Beweisantritten der Patientin, die darauf gerichtet sind, die Richtigkeit der Eintragungen in der Patientenakte des Krankenhauses zum Zeitpunkt und zum Inhalt eines ärztlichen Aufklärungsgespräches (hier insbesondere über die Tragweite einer Tubensterilisation) zu widerlegen, nachzugehen.

Eine weitere Sachaufklärung ist jedenfalls geboten, wenn die Patientin bestreitet, dass die dokumentierte Aufklärung ihrem Inhalt nach ausreichend war.

2. Die Übernahme einer medizinischen Behandlung, die regelmäßig in einer Spezialklinik (hier Perinatalzentrum) erfolgen soll, durch ein Krankenhaus der allgemeinen Versorgung löst für sich allein genommen eine Arzthaftung wegen eines Behandlungsfehlers noch nicht aus, sondern nur bei Abweichung vom Standard der medizinischen Versorgung in der Spezialklinik.

3. Die Anwendung von Medikamenten mit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung lediglich für Erwachsene und Jugendliche kann im Bereich der Neonatologie gleichwohl Standard der kinderärztlichen Behandlung sein (off-label-use) und den haftungsrechtlichen Maßstab bestimmen, wenn ausdrücklich für Kinder zugelassene Alternativmedikamente fehlen und im Rahmen einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung der mögliche Nutzen der Medikation einerseits deren Risiken und vor allem das Risiko der Nichtbehandlung andererseits überwiegen.

4. Zur Therapiewahl bei Feststellung eines offenen Ductus arterioses bei einer Frühgeborenen (hier auch unter Berücksichtigung einer vermeintlichen Leitlinien-Empfehlung nicht beanstandet).

5. Ist schon der Nachweis der Auslösung einer Infektion durch körperfremde Bakterien unmöglich, sondern demgegenüber eine Auslösung durch körpereigene Bakterien sehr wahrscheinlich, so ist dem Parteivorbringen zur mangelnden Hygiene auf der Krankenhausstation nicht weiter nachzugehen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 1/06 OLG Naumburg

verkündet am: 11. Juli 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Trojan und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung

vom 11. Juli 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22. November 2005 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau, 4 O 1020/04, insoweit aufgehoben, als über Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1), die Beklagte zu 3) und den Beklagten zu 5) wegen der vermeintlich rechtswidrigen Tubensterilisation am 15. Juni 2002 befunden worden ist. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung hierüber und über die Kosten des Berufungsverfahrens insgesamt zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten zu 1) als Krankenhausträgerin und vom Beklagten zu 4) als dem behandelnden Kinderarzt ihrer Tochter Kiara-Anne Schmerzensgeld (Antrag zu Ziffer 1a) und materiellen Schadenersatz (Antrag zu Ziffer 1 d) aus übergegangenem Recht ihrer verstorbenen Tochter kraft gesetzlicher Erbfolge und z.T. zugleich aus abgetretenem Recht des Kindesvaters wegen einer angeblich fehlerhaften pädiatrischen Behandlung.

Sie begehrt weiter von der Beklagten zu 1) als Krankenhausträgerin, von der Beklagten zu 3) als Stationsärztin der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses und vom Beklagten zu 5) als Operateur im Rahmen ihrer eigenen gynäkologischen Behandlung Schmerzensgeld (Antrag zu Ziffer 1b), materiellen Schadenersatz (Antrag zu Ziffer 1 c) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden (Antrag zu Ziffer 1e) jeweils aus eigenem Recht wegen einer vermeintlich rechtswidrig durchgeführten Tubensterilisation.

Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau hat die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre Klageforderungen unvermindert weiter verfolgt.

Von einer weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache nur teilweise Erfolg.

Die Klägerin rügt zu Recht eine unzureichende gerichtliche Sachaufklärung zu den näheren Umständen der Einwilligung der Klägerin in die Durchführung der Tubensterilisation. Insoweit war die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und auf den Hilfsantrag der Klägerin zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Dessau zurückzuverweisen. Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme keine für den Tod der Kiara-Anne ursächlichen Fehler der kinderärztlichen Behandlung ersichtlich sind.

1. Zur gynäkologischen, d.h. frauenärztlichen Behandlung der Klägerin

1.1. Die gynäkologische Behandlung der Klägerin im Krankenhaus der Beklagten zu 1) umfasste zwei Eingriffe. Wesentliche Teile des Behandlungsgeschehens sind nicht Gegenstand der Auseinandersetzung der Prozessparteien.

Hinsichtlich der vom Beklagten zu 5) vorgenommenen Schnittentbindung (Sectio caesarea) erhebt die Klägerin schon keinerlei Beanstandungen, weder gegen Indikation und Durchführung des Eingriffs noch gegen Art, Umfang und Zeitpunkt der Aufklärung hierüber. Fehler dieser medizinischen Behandlung sind auch sonst nicht ersichtlich. Dieser Eingriff steht auch lediglich im zeitlichen Zusammenhang mit dem weiteren Eingriff, nicht aber in einem funktionalen Zusammenhang.

Für die durchgeführte Durchtrennung der Eileiter der Klägerin zur Herbeiführung der Unfruchtbarkeit (Tubensterilisation) resultierte die Indikation für den Eingriff vor allem aus dem unstreitig von der Klägerin geäußerten entsprechenden Behandlungswunsch. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Durchführung des Eingriffs. Der Streit der Prozessparteien bezieht sich allein auf die Frage, ob die Klägerin durch die Beklagte zu 3) vor der Durchführung des Eingriffs hinreichend aufgeklärt worden ist, um zu einer informierten Risikoabwägung in der Lage zu sein.

1.2. Das angefochtene Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau beruht, soweit über die geltend gemachten Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte zu 1), die Beklagte zu 3) und den Beklagten zu 5) wegen der angeblich unzureichenden Aufklärung über die Tubensterilisation zu befinden war, auf wesentlichen Verfahrensmängeln.

Allerdings ist das Landgericht unausgesprochen, aber zu Recht davon ausgegangen, dass der Wunsch der Klägerin nach und ihre Einwilligung in die Durchführung einer Tubensterilisation nur dann geeignet ist, dem Eingriff als selbstbestimmte medizinische Behandlung Rechtmäßigkeit zu verleihen, wenn die Klägerin die Tragweite ihrer Zustimmung zur Zeit der Abgabe der Erklärung kannte. Die Vermittlung der Entscheidungsgrundlagen obliegt grundsätzlich den behandelnden Ärzten, hier den behandelnden Frauenärzten der Beklagten zu 1), es sei denn, dass die Ärzte über sichere Anhaltspunkte für eine bereits bestehende Kenntnis bei der Patientin verfügen. Hinsichtlich der zu stellenden Anforderungen an die ärztliche Aufklärung der Klägerin ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Tubensterilisation nicht absolut indiziert war, d.h. dass sie nicht überlebensnotwendig war, und dass sie nachhaltige, nur bedingt reversible Folgen haben würde.

1.2.1. Das Landgericht hat zu der Frage, ob die Klägerin nur mittels des in den Patientenunterlagen der Beklagten zu 1) vorhandenen perimed (r) - Aufklärungsbogens "Sterilisation der Frau" (Ausgabe: 2/2000) aufgeklärt oder ob ein persönliches ärztliches Aufklärungsgespräch im Vorfeld der Tubensterilisation geführt worden ist, keine genügende Tatsachenfeststellung vorgenommen. Die Kammer hat insbesondere versäumt, die an dem angeblichen Gespräch beteiligten Prozessparteien, also die Klägerin und die Beklagte zu 3), persönlich anzuhören und die gegenbeweislich benannten Zeuginnen zu vernehmen. Dies ist hier aber geboten.

Denn die Klägerin hat eingewandt, dass mit ihr kein ärztliches Gespräch über den vorgenannten Eingriff geführt worden sei. Sie habe lediglich einen Aufklärungsbogen erhalten, zu dem sie Nachfragen nicht hätte stellen können. Die Beklagte zu 3) habe zwar während der Anfertigung eines CTG-Protokolls und bei Beginn der Lektüre des Aufklärungsbogens etwas erzählt, wovon die Klägerin - auch wegen des Akzents der Ärztin - kaum ein Wort verstanden habe. Sie habe sodann angekündigt, später noch einmal wiederzukommen, dies habe sie jedoch nicht eingehalten. Der unterschriebene Bogen sei von der Schwester mitgenommen worden. Ein ärztliches Gespräch habe bis zur Durchführung der Operation nicht stattgefunden. Diesem Bestreiten war in tatsächlicher Hinsicht nachzugehen.

Die Beklagte, die für die näheren Umstände der Aufklärung, also insbesondere über den Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs und über dessen Inhalt, die Darlegungs- und Beweislast trägt, hat ein Gespräch am 7. Juni 2002 behauptet und sich hinsichtlich eines angeblich stattgefundenen zweiten Gesprächs auf das undatierte, von der Klägerin am 11. Juni 2002 unterschriebene Protokoll zum Aufklärungsgespräch bezogen. Die Klägerin hat substantiiert bestritten, dass es im Gespräch vom 7. Juni 2002 um Fragen im Zusammenhang mit der Sterilisation gegangen sei. Hinsichtlich des von den Beklagten zeitlich nicht näher eingeordneten zweiten Gesprächs ist sie bei ihrem eingangs geschilderten Bestreiten geblieben und gegenbeweislich ihre eigene Anhörung angeregt und zwei Mitpatientinnen und ihre Mutter als Zeuginnen benannt (vgl. GA Bd. I Bl. 18). Insoweit war eine Beweisaufnahme erforderlich. Diese hat das Landgericht nicht vorgenommen.

Über den Umstand, ob ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, kann Tatsachenfeststellung im Wege des Urkundsbeweises stattfinden, hier etwa unter Verwertung des von der Klägerin unterschriebenen Aufklärungsbogens mit der schriftlichen Erklärung der Klägerin, dass ein Gespräch mit der Beklagten zu 3) stattgefunden habe, und handschriftlichen Eintragungen, die nach erstem Anschein von der Beklagten zu 3) stammen. Ergänzend mag der Behandlungsbericht des Beklagten zu 5) an die niedergelassene Frauenärztin der Klägerin und an deren Hausarzt vom 16. Juli 2002 zu verwerten sein. Wird die Richtigkeit des Inhalts einer oder mehrerer Privaturkunden jedoch substantiiert bestritten, wie hier, so ist eine weitere Beweiserhebung erforderlich. Die Kammer hat bereits versäumt, die von den Beklagten als Gesprächspartnerin benannte Beklagte zu 3) persönlich anzuhören sowie - aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit - dann auch die Klägerin selbst als Partei anzuhören. Darüber hinaus hatte die Klägerin, zu deren Lasten die gerichtliche Würdigung der urkundliche Beweise erfolgt ist, konkrete Gegenbeweise angetreten. Diesen Beweisantritten war jedenfalls bei der beabsichtigten vorläufigen Beweiswürdigung zwingend nachzugehen.

Eine tatsächliche Aufklärung über den Inhalt der angeblichen Aufklärungsgespräche konnte angesichts des Vorbringens der Beklagten, die eine über den Inhalt des Aufklärungsbogens hinausgehende Aufklärung behauptet haben, nicht allein auf der Grundlage des Urkundsbeweises erfolgen. Hierzu war wiederum zumindest die Anhörung der beiden Gesprächsteilnehmerinnen, also der Beklagten zu 3) und der Klägerin, erforderlich.

1.2.2. Die vorgenannte Beweiserhebung ist weiter auch deshalb notwendig, weil die Klägerin hilfsweise gerügt hat, dass eine etwaige Aufklärung am 15. Juni 2002, also am Tage der Operation selbst, nicht rechtzeitig gewesen wäre. Diesem Hilfsvorbringen zu einer nicht rechtzeitigen Aufklärung liegt die Behauptung zugrunde, dass die Entscheidung zur Schnittentbindung erst am Morgen des 15. Juni 2002 getroffen worden sei. Die unmittelbaren Operationsvorbereitungen für die Sterilisation hätten ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt begonnen. Selbst wenn ein ärztliches Aufklärungsgespräch zur Sterilisation - ebenso wie zu den Maßnahmen der Anästhesie - am Morgen des 15. Juni 2002 stattgefunden hätte, genügte dies den Anforderungen an eine dem Facharztstandard gerechte Aufklärung nicht. Denn ihr wäre nicht genügend Zeit zur Überlegung und keine Gelegenheit mehr zur Beratung mit ihrem Ehemann und ihrer Mutter verblieben.

1.2.3. Das Landgericht hat weiter verabsäumt, dem Vorbringen der Klägerin zu einem vermeintlich erweiterten Umfang der notwendigen Aufklärung nachzugehen. Den entsprechenden Sachvortrag der Klägerin hat das Landgericht vollständig ignoriert.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass sie sich in einer besonderen Situation mit erhöhtem Aufklärungsbedarf befunden habe, weil sie ihren Sterilisationswunsch während einer Schwangerschaft und bezogen auf den Zeitpunkt unmittelbar nach der Entbindung von einem frühgeborenen Kind geäußert habe. Sie hat behauptet, dass es der Facharztstandard in dieser Situation erfordert habe, dass sie nicht nur über die Folgen einer Sterilisation im Allgemeinen hätte aufgeklärt werden müssen, sondern auch über die Wahrscheinlichkeit einer Geburt vor der Schwangerschaftswoche 35, über mögliche Wachstumsrückstände des FetusŽ und deren Folgen einschließlich der Morbiditätsrisiken bei früherer Geburt. Sie selbst sei aufgrund der Schätzung des möglichen Geburtsgewichts vom 9. Juni 2002 und der damals geäußerten Prognose einer Entbindung in Schwangerschaftswoche 35 irrtümlich davon ausgegangen, dass die Risiken für die bestehende Schwangerschaft gering seien.

Dieses Vorbringen ist nach der von der Kammer vertretenen Auffassung entscheidungserheblich, weil die Klägerin damit bestreitet, dass eine Aufklärung, wie im Aufklärungsbogen und in der Niederschrift über den Inhalt des angeblichen Aufklärungsgespräches dokumentiert, ausreichend ist. Die Kammer hätte mithin nach ihren tatsächlichen Feststellungen zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs dieser Frage nachgehen müssen, und zwar durch Einholung eines schriftlichen oder auch mündlichen gynäkologischen Gutachtens.

1.2.4. Das Landgericht hat zu Ungunsten der Klägerin auch deren Parteivorbringen zu ihren Vorkenntnissen fehlerhaft behandelt.

Woher die Kammer trotz des entgegen stehenden Vortrags der Klägerin entnimmt, dass der Klägerin - und auf deren Sicht kommt es für die Frage der wirksamen Einwilligung in einen medizinischen Eingriff an - das Sterberisiko ihres Kindes bewusst war, ist nicht ersichtlich. Beweiserhebungen hierzu haben nicht stattgefunden. Soweit die Kammer dies aus den Eintragungen im Protokoll über das Aufklärungsgespräch zur Schnittentbindung vom 10. Juni 2002 schließt, ist dies schon deshalb fehlerhaft, weil die Klägerin deren Richtigkeit bestritten hat. Insoweit war eine Beweiserhebung, z. Bsp. durch Anhörung der Beklagten zu 3) als Ausstellerin der Erklärung, geboten. Die Eintragung "Sterilisationswunsch auch bei der zu erwartenden Frühgeburt" ist zudem lediglich ein Beweisanzeichen für ein entsprechendes Gespräch; auch über dessen Inhalt im Einzelnen wäre Beweis zu erheben gewesen.

1.2.5. Soweit das Landgericht schließlich als Hilfsbegründung anführt, dass die Klägerin auch bei nur unterstellt pflichtgemäßer Aufklärung hypothetisch in den Eingriff eingewilligt hätte, bezieht es sich auf die - nach dem Parteivorbringen unstreitig rechtmäßig durchgeführte - Schnittentbindung. Die Hilfsbegründung ist auf die hier im Streit stehende Rechtmäßigkeit der Sterilisation gerade nicht übertragbar, weil die Beklagten vorgetragen haben, dass sie die Sterilisation für verfrüht bewertet und der Klägerin von diesem Eingriff abgeraten hätten.

1.3. Das Klage abweisende Urteil hinsichtlich der auf die Rechtswidrigkeit der Sterilisation gestützten Anträge der Klägerin kann keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist insoweit noch nicht entscheidungsreif. Der Senat hat ausnahmsweise davon abgesehen, diesen Teil in zweiter Instanz weiter zu verhandeln und zu entscheiden.

Auf den - hilfsweise gestellten - Antrag der Klägerin wird dieser Teilrechtsstreit wegen der notwendigen umfangreichen weiteren Beweisaufnahme nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und unter Abwägung aller für und wider die Zurückverweisung sprechenden Umstände zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückgewiesen.

1.3.1. Die vorzunehmende Sachverhaltsaufklärung ist außerordentlich aufwändig, wobei der Aufwand im Falle einer Durchführung vor dem Senat für die betroffenen Parteien und Zeuginnen wegen der größeren Entfernungen noch höher wäre.

Zur ordnungsgemäßen Sachaufklärung wird das Tatgericht zunächst den Prozessparteien Gelegenheit zu geben haben, ergänzend vorzutragen. Die Beklagten zu 1), zu 3) und zu 5) werden nochmals klarzustellen haben, wann welche Aufklärungsgespräche mit der Klägerin geführt worden sein sollen, von wem und mit welchem Inhalt. Ihnen ist ausdrücklich Gelegenheit zu geben, zur Frage des notwendigen Umfangs der Eingriffsaufklärung der Klägerin vor der Durchführung der Tubensterilisation Stellung zu nehmen sowie ggf. ergänzend zu möglichen Vorkenntnissen der Klägerin, etwa durch Gespräche mit der überweisenden Frauenärztin F. , vorzutragen und ggf. Beweis anzubieten. Die Klägerin muss danach Gelegenheit zur Erwiderung erhalten sowie zur Ergänzung ihres Vorbringens zu einem möglichen Entscheidungskonflikt im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung. Hierzu ist der Klägerin aufzugeben, die Motive ihrer frühen, bereits zu Beginn der Schwangerschaft getroffenen Entscheidung zur Eileiterdurchtrennung darzustellen. Auch wird sich die Klägerin dazu zu erklären haben, inwieweit eine Haftung des Beklagten zu 5) überhaupt in Betracht kommt. Denn falls der Beklagte zu 5) mangels entgegen stehender positiver Kenntnisse von der Richtigkeit der Patientenunterlagen der Klägerin und mithin von einer wirksamen Einwilligung der Klägerin in die Durchführung der Sterilisation ausgehen durfte, wofür der derzeitige Sach- und Streitstand spricht, dann handelte er bei der Operation in einem das Verschulden ausschließenden Tatbestandsirrtum.

Anschließend wird nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand zumindest eine Beweiserhebung durch Anhörung der Klägerin und der Beklagten zu 3) persönlich darüber erforderlich sein, wann welche Patientenaufklärung mit welchem Inhalt erfolgt ist, wobei die Patientendokumentation in die Beweiserhebung einzubeziehen und deren inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen ist. U.U. wird weiter eine Vernehmung der drei von der Klägerin benannten Zeuginnen erforderlich werden. Ggf. werden weitere Beweismittel benannt bzw. es liegen auch die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO vor.

Zu prüfen ist, inwieweit eine Entscheidung die Einholung eines frauenärztlichen Gutachtens erfordert. Ein geeigneter gerichtlicher Sachverständiger wäre erst noch auszuwählen, weil der bisherige gerichtliche Sachverständige als Facharzt für Kinderheilkunde hierfür nicht in Betracht kommt.

Für den Fall, dass die Kammer eine Aufklärungspflichtverletzung feststellen sollte, ist die Klägerin zwingend persönlich zu ihrem Entscheidungskonflikt anzuhören. Die Klägerin hat insoweit in zweiter Instanz einen weiteren Beweis durch Vernehmung ihres Ehemannes angetreten. Inwieweit weitere Beweisantritte sich auch auf dieses Beweisthema beziehen, ist zu prüfen bzw. durch Nachfrage zu klären.

1.3.2. Der Senat erachtet es auch unter Abwägung aller weiteren Umstände für zweckmäßig, die Sache teilweise zurückzuweisen.

Allerdings gebieten der Konzentrations- und der Beschleunigungsgrundsatz regelmäßig eine eigene Verhandlung und Entscheidung durch den Senat, § 538 Abs. 1 ZPO. Dem Konzentrationsgrundsatz steht hier schon entgegen, dass mit der Klage objektiv voneinander unabhängige Klageforderungen, die ursprünglich auch subjektiv verschiedenen Rechtsträgern zuzuordnen waren, gesammelt geltend gemacht werden. Ob eine Beschleunigung durch eine Beweisaufnahme vor dem Senat zu erreichen ist, ist im vorliegenden Falle zweifelhaft. Angesichts des Umfangs der zu leistenden Aufklärungsarbeit fällt der Zeitverlust durch die Zurückverweisung kaum ins Gewicht. Eine Beweiserhebung "vor Ort" ist für die Zeuginnen, die z.T. Mütter von kleinen Kindern sind, u.U. leichter zu organisieren, als eine Vernehmung in Naumburg. Dem gegenüber wiegt der Verlust der primären Tatsacheninstanz hier besonders schwer, weil der Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Sterilisation in einen sehr frühen Verfahrensstand, nämlich quasi in ein schriftliches Vorverfahren, zurückversetzt wird.

2. Zur pädiatrischen, d.h. kinderärztlichen Behandlung der Kiara-Anne Sch.

Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass Ansprüche der Klägerin aus übergegangenem Recht gegen die Beklagten auf Schadenersatz wegen fehlerhafter kinderärztlicher Behandlung und medizinischer Versorgung ihrer Tochter Kiara-Anne nicht bestehen. Die Klägerin hat ganz überwiegend nicht nachweisen können, dass die Ärzte der Beklagten zu 1), insbesondere der Beklagte zu 4), bei der Behandlung der Kiara-Anne gegen den von ihnen geschuldeten fachärztlichen Standard verstoßen hätten. Sowohl die Frage, ob die schwangere Klägerin von Anfang an bzw. Kiara-Anne zu einem früheren Zeitpunkt, als tatsächlich geschehen, in ein anderes Krankenhaus hätte verlegt werden müssen, als auch die weitere Frage, ob die organisatorischen Maßnahmen der Beklagten zu 1) im pflegerischen Bereich ausreichend waren, konnte der Senat offen lassen, weil die Klägerin jedenfalls den Nachweis nicht führen konnte, dass sich etwaige Fehler in irgendeiner Form nachteilig auf den Gesundheitszustand der Kiara-Anne ausgewirkt haben.

2.1. Es kann offen bleiben, ob die Übernahme der geburtshilflichen Behandlung der Klägerin durch das Krankenhaus der Beklagten zu 1) im Hinblick auf die spätere kinderärztliche Behandlung der Tochter der Klägerin als Behandlungsfehler zu bewerten ist. Nach dem derzeitigen Sachstand wäre dies wohl zu verneinen. Selbst wenn jedoch die Übernahme dieser Behandlung objektiv fehlerhaft gewesen wäre, so ist nicht bewiesen, dass sich hieraus nachteilige Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Kiara-Anne ergeben hätten. Insbesondere ist die Übernahme der Behandlung durch das Krankenhaus der Beklagten zu 1) nicht, auch nicht anteilig ursächlich für den Tod des Mädchens gewesen.

a) Allerdings beruft sich die Klägerin zu Recht darauf, dass jedes Krankenhaus und jeder Arzt bei der Übernahme einer medizinischen Behandlung zu prüfen hat, ob die behandelnden Ärzte die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse besitzen und die für die konkrete Behandlung erforderliche technisch-apparative Ausstattung vorhanden ist, um die voraussichtlich erforderliche Behandlung entsprechend dem Standard des betroffenen medizinischen Fachgebietes durchzuführen. Als Behandlungsfehler ist zu bewerten, wenn ein Arzt vor der Durchführung der Behandlung hätte erkennen müssen, dass die Behandlung die Grenzen seiner persönlichen Fähigkeiten oder die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses überschreitet, das s.g. Übernahmeverschulden. Übernimmt ein Arzt bzw. ein Krankenhaus die Behandlung, so schuldet er bzw. es den fachärztlichen Standard und kann sich später nicht darauf berufen, dass bei ihm die Voraussetzungen für eine standardgerechte medizinische Behandlung nicht vorgelegen hätten. Daraus folgt, dass ein s.g. Übernahmeverschulden nicht nur isoliert, sondern stets auch im Zusammenhang mit anderen konkreten Behandlungsfehlervorwürfen zu prüfen ist und ggf. den Verschuldensnachweis erleichtert.

b) Ob hier ein Übernahmeverschulden durch die Übernahme der geburtshilflichen Betreuung der Klägerin am 9. Juni 2002 durch das Krankenhaus der Beklagten zu 1) vorliegt, wie die Klägerin geltend macht, ist zumindest sehr zweifelhaft.

Pädiatrischer (und gynäkologischer) Facharztstandard ist es, dass Risikoschwangerschaften regelmäßig in einem s.g. Perinatalzentrum behandelt werden sollen, d.h. in einem Krankenhaus, welches interdisziplinär sowohl auf eine Maximalversorgung im Bereich der Geburtshilfe als auch im Bereich der Behandlung von Neugeborenen spezialisiert und eingerichtet ist. Die regelmäßige Zuweisung von Risikoschwangerschaften an Perinatalzentren soll durch die Konzentration der Behandlungsfälle auf wenige Krankenhäuser auch der Verbesserung der neonatologischen, also Neugeborenen-Behandlung und der Qualitätssicherung dieser Behandlung dienen. Eine Risikoschwangerschaft lag hier bei der Klägerin vor: Die Schwangerschaft war bislang problematisch verlaufen, denn die Klägerin litt an einem langsam verlaufenden Bluthochdruck (s.g. chronische Hypertonie); sie erbrach häufig und erkrankte im März 2002 an einem fieberhaften Infekt. Im April 2002 war der Stoffaustausch zwischen Mutter und Fetus beeinträchtigt (s.g. Plazentainsuffizienz, hier mit pathologischer Plazentadurchblutung). Es bildete sich eine s.g. Schwangerschaftsvergiftung (Gestose) heraus. Bei Aufnahme der Klägerin in die stationäre Behandlung wies der Fetus Entwicklungsrückstände (eine s.g. Retardierung) aufgrund der Plazenta-Unterfunktion auf. Schließlich bestand bei der Klägerin, die sich zum Zeitpunkt der Aufnahme in die stationäre Behandlung in Schwangerschaftswoche 29 befand, ein erhöhtes Risiko einer Frühgeburt (also vor der Schwangerschaftswoche 32). Das Krankenhaus der Beklagten zu 1) ist nach dem Krankenhausplan des Landes Sachsen-Anhalt kein Perinatalzentrum.

Ebenso ist jedoch Facharztstandard, dass jeweils im Einzelfall abgewogen werden muss, ob eine Verlegung in ein Perinatalzentrum einen Gewinn bringt gegenüber den Risiken und Nachteilen des Transports und der Behandlung in einer weiter vom sozialen Umfeld der Mutter entfernten Klinik. Ein solcher Gewinn der Verlegung ist hier derzeit nicht feststellbar. Im Hinblick auf die vorgenannte Abwägung durften die Beklagten nämlich berücksichtigen, dass in ihrem Krankenhaus eine langjährige, intensive Erfahrung auch mit der Geburtshilfe bei Risikoschwangerschaften besteht. Vor der Einrichtung spezieller Perinatalzentren hatte das Krankenhaus der Beklagten zu 1) unstreitig langjährig eine gleichartige Stellung inne. Der gerichtliche Sachverständige, selbst Direktor eines Perinatalzentrums im Lande Sachsen-Anhalt, hat bestätigt, dass sowohl das ärztliche Personal, insbesondere die Chefärzte und die Oberärzte, als auch das sonstige Stammpersonal der frauenärztlichen und der kinderärztlichen Abteilungen im Krankenhaus der Beklagten zu 1) über eine ausreichende Kenntnis und Erfahrung verfügen und dass die apparative und technische Ausstattung nicht zu beanstanden ist. Er hat weiter bestätigt, dass der medizinische Aufwand, der tatsächlich zur Rettung der Kiara-Anne betrieben wurde, auch in seiner Klinik einer höheren Versorgungsstufe nicht übertroffen worden wäre. Soweit er in seinem Gutachten vom 11. September 2003 die Übernahmeentscheidung gleichwohl als fehlerhaft bewertet, stützt er dies darauf, dass theoretisch stets auf das "schwächste Glied in der Kette", also u.U. eine diensthabende, im Umgang mit Frühgeborenen unerfahrene Krankenschwester abzustellen sei (vgl. BeiA Bl. 61). Demgegenüber hat er zu den - unstreitig bestanden habenden - Risiken und Nachteilen einer Verlegung und deren Relevanz für eine Verlegungsentscheidung bislang keine Ausführungen gemacht. Bereits bei der ersten Untersuchung der Klägerin am 7. Juni 2002 bestand dringender Verdacht auf eine Plazentainsuffizienz; das Aufnahme-CTG war präpathologisch und somit kontrollbedürftig. Die Blutdruckwerte der Kindesmutter lagen sowohl bei der vorangegangenen ambulanten frauenärztlichen Behandlung (RR 170/110), bei der stationären Erstuntersuchung (RR 150/100) als auch bei der Aufnahme am 9. Juni 2002 (RR 175/124) jeweils im pathologischen Bereich. Die bereits am 7. Juni 2002 vorgeschlagene, weil medizinisch notwendige Aufnahme zur stationären Behandlung hatte die Klägerin zunächst im Hinblick auf die Koordination der Versorgung ihrer beiden Kinder abgelehnt. Eine ergänzende Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen zu den vorgenannten Aspekten ist jedoch entbehrlich.

c) Die Klägerin kann jedenfalls den Nachweis, dass sich hier die Übernahme der Behandlung durch die Beklagten auch nur anteilig nachteilig auf den Behandlungsverlauf bei ihrer Tochter Kiara-Anne ausgewirkt hat, nicht führen. Denn der gerichtliche Sachverständige hat zunächst pauschal angeführt, dass das Versorgungsniveau und die Einzelmaßnahmen der Beklagten sich nicht von dem unterschieden hätten, was in einem Perinatalzentrum zu erwarten gewesen wäre. Die Prüfung der Einzelmaßnahmen durch den Senat führt zum selben Ergebnis.

2.2. Es kann dahin stehen, ob es die von der Klägerin geschilderte starke Beschränkung der Kontaktmöglichkeiten zwischen Mutter und Kind im Krankenhaus der Beklagten zu 1) gegeben hat und ob solche Kontakteinschränkungen, falls es sie gegeben hat, nicht nur "nicht mehr zeitgemäß" sind, sondern hierin auch ein Behandlungsfehler zu sehen ist. Der gerichtliche Sachverständige hat die Behandlung der Kiara-Anne in Kenntnis dieses Behandlungsfehlervorwurfs der Klägerin nicht beanstandet; das Landgericht hat allerdings auch nicht ausdrücklich nachgefragt. Einschlägige Rechtsprechung hat der Senat nicht finden können. Jedenfalls vermochte die Klägerin den Nachweis, dass ein intensiverer Kontakt zwischen ihr und ihrer Tochter Kiara-Anne etwas am Krankheitsverlauf geändert hätte, nicht zu führen. Insoweit mag allenfalls ein statistischer Zusammenhang belegbar sein, im konkreten Einzelfall bleibt die Auswirkung eines fiktiven intensiveren Kontakts zwischen Mutter und Kind spekulativ. Eine Beweiserleichterung kommt der Klägerin nicht zugute, weil selbst in einer als wahr unterstellten Kontaktbeschränkung durch ärztliche Anordnung kein grober Behandlungsfehler läge.

2.3. Die bei Kiara-Anne angewandte Medikation ist unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Standard der kinderärztlichen Behandlung und somit haftungsrechtlicher Maßstab ist, dass auch eine Vielzahl von Medikamenten, die lediglich über eine arzneimittelrechtliche Zulassung für Erwachsene und Jugendliche verfügen, im Bereich der Neonatologie angewendet werden (s.g. off-label-use). Für diese Medikamente gilt jeweils, dass solche ausdrücklich für Kinder zugelassene Alternativmedikamente fehlen, aber dass die Nützlichkeit der Anwendung dieser Medikamente auch für kindliche Patienten außer Streit steht und dass im Hinblick auf die Vermeidung bzw. Reduzierung unerwünschter Nebenwirkungen langjährige Erfahrungen mit der Dosierung existieren. Im Rahmen einer jeweils im Einzelfall gebotenen Nutzen-Risiko-Analyse können dann die Vorteile der Medikation deren Risiken und vor allem das Risiko der Nichtbehandlung überwiegen.

Der Senat verkennt nicht, dass ein Kinderarzt dadurch in eine Pflichtenkollision gerät bzw. geraten kann zwischen seinen berufsständischen und vertraglichen Behandlungspflichten einerseits, die die Gabe dieser häufig erfolgreich angewandten Medikamente gebieten, und den arzneimittelrechtlichen Beschränkungen der Verkehrsfähigkeit von Medikamenten und vor allem den sozialrechtlichen Beschränkungen in der Kostenerstattung andererseits. Er wird dadurch bei seiner Therapiewahl mit Unsicherheiten belastet, die weder aus seiner Sphäre kommen noch von ihm beherrschbar sind. Für all diejenigen Fälle, in denen die Anwendung die Chance auf einen medizinischen Nutzen, insbesondere Heilung oder Linderung der Beschwerden, bietet, ist jedoch im Rahmen einer Güterabwägung dem Interesse des Patienten Vorrang vor den abstrakten ordnungspolitischen Grundsätzen bzw. finanzpolitischen Erwägungen einzuräumen.

Der gerichtliche Sachverständige hat im Einzelnen erörtert, dass für alle von der Klägerin aufgeführten Medikamente, mit denen Kiara-Anne therapiert worden ist, gilt, dass ihre Anwendung im Bereich der Neonatologie pädiatrischer Facharztstandard ist (vgl. Ergänzungsgutachten vom 8. August 2005, GA Bd. II Bl. 19, 23 f.). Hinsichtlich der Medikamente Kybernin (r), Dormicum (r) und Dolantin (r) hat der gerichtliche Sachverständige auch deren korrekte Dosierung und eine z.T. überobligatorisch schonende Verabreichung bestätigt. Diese überzeugenden Ausführungen macht sich der Senat zu Eigen. Die Klägerin hat den Vorwurf einer fehlerhaften Medikation im Rahmen ihrer Berufung auch nur noch pauschal aufgegriffen.

2.4. Dem Beklagten zu 4) ist im Hinblick auf den offenen Ductus arterioses bei Kiara-Anne kein Behandlungsfehler - weder in Form eines Diagnosefehlers noch in Form eines Therapiefehlers - unterlaufen.

a) Entgegen der Behauptung der Klägerin ergibt sich aus den Behandlungsunterlagen der kinderärztlichen Behandlung von Kiara-Anne und aus deren fachärztlicher Bewertung durch den gerichtlichen Sachverständigen eindeutig, dass der Beklagte zu 4) bereits am dritten Lebenstag, d.h. am 17. Juni 2002, eine Ultraschalluntersuchung des Herzens hat durchführen lassen; bei dieser Untersuchung wurde eine kleine bis mittelgroße unverschlossene Öffnung im Ductus-Gefäß gefunden. Der entsprechende Befund ist rechtzeitig erhoben und dokumentiert sowie inhaltlich zutreffend bewertet worden.

b) Die Entscheidung des Beklagten zu 4), den unvollständigen Verschluss des Ductus-Gefäßes zunächst nicht zu therapieren und lediglich für den 21. Juni 2002 eine Kontrolluntersuchung vorzusehen, entsprach dem fachärztlichen Standard. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass Frühgeborene in der Regel einen mehr oder weniger offenen Ductus arteriosus aufwiesen, über dessen Behandlungsbedürftigkeit die Kreislaufwirksamkeit entscheide. Jeder Eingriff birgt neben der Chance zur Heilung auch das Risiko einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes der Frühgeborenen in sich. Hier hatte, wie der Senat nachvollziehen kann, für einen medikamentösen oder operativen Verschluss dieses DuctusŽ am 17. Juni 2002 und in den nachfolgenden Tagen zunächst keine medizinische Notwendigkeit bestanden, weil Kiara-Anne im Zeitraum vom 17. Juni bis zum Abend des 20. Juni 2002 kreislauf- und atemstabil war (vgl. Ergänzungsgutachten vom 8. August 2005, GA Bd. II Bl. 22 f.).

Dem Vorstehenden steht die spätere Entscheidung zur Operation nicht entgegen, denn dieser Therapieentscheidung lag eine erhebliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes der Tochter der Klägerin zugrunde.

c) Nur hilfsweise ist darauf zu verweisen, dass selbst dann, wenn am 18. Juni 2002 sofort ein operativer Verschluss des offenen Ductus-Gefäßes bei Kiara-Anne durchgeführt worden wäre, nach den Ausführungen des Sachverständigen "mit hoher Wahrscheinlichkeit" kein anderer Krankheitsverlauf zu erwarten gewesen wäre (vgl. Ergänzungsgutachten vom 8. August 2005, GA Bd. II Bl. 23), d.h. dass die Klägerin selbst dann, wenn man das Absehen von einer Therapie als Behandlungsfehler bewertete, jedenfalls den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zum Tod der Kiara-Anne nicht geführt hat.

2.5. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 4) gegen den fachärztlichen Standard verstoßen hat, indem er die maschinelle Beatmung der Kiara-Anne, die s.g. Intubation, erst am 21. Juni 2002 gegen 18:30 Uhr begonnen hat.

a) Der Beklagte zu 4) hatte bei seiner Entscheidung über die anzuwendende Therapie im Hinblick auf die am 20. Juni 2002 gegen 20:00 Uhr eintretende Sepsis abzuwägen zwischen dem Nutzen und den Risiken der maschinellen Beatmung und dies in ein Verhältnis zu setzen zu anderen, u.U. schonenderen Behandlungsmöglichkeiten. Die Wahl der Therapie hat er nach eigenem Ermessen anhand seiner eigenen Erfahrungen und Fertigkeiten und der hier vorliegenden konkreten Behandlungssituation zu treffen. Dies bedeutet, dass ihm bereits ein Beurteilungsspielraum bei der Bewertung der damals vorhandenen, nur eingeschränkt rekonstruierbaren klinischen Ausgangssituation einzuräumen ist und dass er darüber hinaus bei der Auswahl der geeigneten Therapie einen Ermessensspielraum besitzt, der ebenfalls nur eingeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.

b) Der Beklagte zu 4) hat die Ausgangssituation hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit und ihrer unverzüglichen Behandlungsbedürftigkeit zutreffend eingeschätzt. Dies wird von der Klägerin nicht in Abrede gestellt.

c) Seine Therapiewahl ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte zu 4) durfte und musste berücksichtigen, dass die maschinelle Beatmung ein höchst invasiver Eingriff ist, der u.a. das erhebliche Risiko des Auftretens von inneren Blutungen, auch im Schädel, in sich birgt. Mit anderen Worten: Die bei Kiara-Anne später eingetretene Hirnblutung ist auch ein typisches Risiko der Intubation, es ist durchaus möglich, dass die Hirnblutung bei Kiara-Anne durch die spätere, zunächst unterlassene Intubation ausgelöst worden ist. Die vom Beklagten zu 4) zunächst gewählte medikamentöse Therapie stellte demgegenüber einen weniger intensiven, gleichwohl Erfolg versprechenden Therapieweg dar, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat (vgl. Ergänzungsgutachten vom 8. August 2005, GA Bd. II Bl. 20).

d) Dem steht nicht entgegen, dass der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, dass er als Direktor eines Perinatalzentrums sofort eine maschinelle Beatmung eingeleitet hätte. Der gerichtliche Sachverständige hat auf Nachfrage deutlich gemacht, dass er insoweit differenziert zwischen dem fachärztlichen Standard, der hier eingehalten worden sei, und seiner persönlichen Handhabung (vgl. Anhörung am 1. November 2005, GA Bd. II Bl. 48), sei es im Hinblick auf etwaige größere Fertigkeiten bei der Intubation, sei es wegen einer ggf. größeren Neigung zu Radikaltherapiemaßnahmen wegen der häufigeren Behandlung von Extremfällen in seiner Klinik.

e) Schließlich steht dem auch der Inhalt der Leitlinie 024/013 der AWMF nicht entgegen.

Die Leitlinien der AWMF haben ungeachtet ihrer wissenschaftlichen Fundierung lediglich Informationscharakter für die Ärzte selbst. Sie stellen keine verbindliche oder quasiverbindliche Handlungsanleitung für den behandelnden Arzt dar (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur OLGR Naumburg 2002, 381). Die Leitlinien geben einen Hinweis auf den Stand der medizinischen Wissenschaft, wobei der jeweilige Evaluierungsgrad einer Leitlinie (hier bislang nur die Entwicklungsstufe 2) und vor allem der Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung zu berücksichtigen ist. Im Arzthaftungsprozess bieten die Inhalte einer Leitlinie regelmäßig erhebliche Anhaltspunkte für den üblichen Krankheitsverlauf, für die Art und den Erkenntnisgehalt der typischerweise zu erhebenden Befunde und für die Therapiemöglichkeiten in ihren Abstufungen. Weil sich die medizinische Behandlung im Einzelfall wegen der individuellen Besonderheiten eines jeden Patienten und eines Krankheitsverlaufs einer strengen Regulierung entziehen, können die Empfehlungen einer Leitlinie sich allenfalls daran orientieren, welche Maßnahmen regelmäßig die höchste Aussicht auf einen Behandlungserfolg versprechen. Im Einzelfall kann aber gleichwohl eine hiervon abweichende Behandlung geboten bzw. zumindest vertretbar sein. Im Arzthaftungsprozess kommt hinzu, dass auch die jeweilige konkrete Behandlungssituation z.T. nur eingeschränkt rekonstruierbar ist, z. Bsp. hinsichtlich des klinischen Erscheinungsbildes oder der Angaben des Patienten in der Anamnese, so dass die tatsächlichen Grundlagen der Therapieauswahl ex ante abweichen von den nachträglich gesammelten Informationen.

Ungeachtet dieser allgemeinen Einschränkungen ist der o.a. Leitlinie die von der Klägerin behauptete Empfehlung einer unverzüglichen Intubation auch nicht zu entnehmen. Die dort enthaltene Aufführung von Therapieoptionen wird bereits eindeutig relativiert, indem sie wie folgt eingeleitet wird:

"Da die Langzeitauswirkung von rezidivierenden Apnoen letztlich unbekannt ist, können keine auf kontrollierten Studien beruhende Therapieindikationen gegeben werden." (Unterstreichung durch den Senat)

Sodann empfehlen die Autoren der Leitlinie u.a. eine medikamentöse Behandlung von Apnoe-Anfällen bei Frühgeborenen, wie sie hier vorgenommen wurde. Den Therapieempfehlungen ist - auch entgegen einer missverständlichen Äußerung des gerichtlichen Sachverständigen in seiner Anhörung (vgl. GA Bd. II Bl. 47) gerade nicht zu entnehmen, dass die maschinelle Beatmung in jedem Falle innerhalb von sechs Stunden zur Anwendung gebracht werden muss. Vielmehr ist der Umstand, dass eine Maskenbeatmung zur Beherrschung der Atemprobleme notwendig wird, Voraussetzung für die Therapieindikation der Apnoe. Der vom Sachverständigen in Bezug genommene Satz lautet nämlich:

"In dieser Leitlinie wird empfohlen, bei sechs Hypoxämien und / oder Bradykardien innerhalb von sechs Stunden eine Behandlung zu beginnen bzw. eine bereits begonnene Therapie zu intensivieren, bei Notwendigkeit einer Maskenbeatmung ggf. auch eher, d.h. bereits nach dem 1. oder 2. Ereignis." (Unterstreichung durch den Senat)

Der von der Klägerin gezogene Schluss, dass spätestens sechs Stunden nach dem ersten Auftreten der Apnoe eine Maskenbeatmung einzuleiten gewesen wäre, lässt sich hieraus gerade nicht ziehen.

2.6. Soweit die Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz als behandlungsfehlerhaft rügt, dass Kiara-Anne nicht bereits nach ihrer Geburt, aber vor dem 21. Juni 2002 in ein Perinatalzentrum verlegt worden ist, ist das Vorbringen neu i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO und seine Einführung erst mit der Berufungsschrift nicht entschuldigt; es kann nicht zugelassen werden.

Selbst wenn es aber zulässig wäre, so wäre es unbegründet. Denn für eine Verlegung von Mutter und / oder Kind nach der Erstentscheidung für das Krankenhaus der Beklagten zu 1) bestand bis zum Abend des 20. Juni 2002 keinerlei Anlass.

Ergänzend wird darauf verwiesen, dass auch am 21. Juni 2002 ein solcher Anlass zunächst nicht bestand. Denn nach Einleitung der medikamentösen Therapie durfte und musste der Beklagte zu 4) zunächst abwarten, wie die Therapie "anschlägt". Nach Auftreten der ersten Symptome für ein Fehlschlagen der medikamentösen Therapie am 21. Juni 2002 gegen 17:00 Uhr wurde die maschinelle Beatmung eingeleitet und zugleich die Verlegung vorbereitet.

2.7. Es kann schließlich offen bleiben, ob die Beklagte zu 1) für eine ausreichende Hygiene in ihrem Krankenhaus Sorge getragen hat, d.h. ob ein Organisationsfehler der Beklagten zu 1) vorliegt, denn die Klägerin kann den Nachweis nicht führen, dass die Infektion bei Kiara-Anne überhaupt von außen, d.h. durch mangelnde Hygiene in der Umgebung der Frühgeborenen, an sie herangetragen wurde. Eine Verursachung der Infektion durch den Beklagten zu 4) i.S. eines einfachen Behandlungsfehlers macht die Klägerin nicht geltend.

Bei Kiara-Anne ist eine Infektion mit dem Bakterium Klebsiella oxytoca festgestellt worden. Dieses Bakterium ist ein körpereigenes Stäbchenbakterium in der Darmflora, welches selbst krankheitsbildend wirken kann (s.g. fakultativ-pathogenen Mikroorganismen). Der gerichtliche Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass nachträglich nicht mehr nachzuweisen ist, ob bei Kiara-Anne entweder primär, also den Krankheitsverlauf auslösend, eine von außen verursachte Sepsis auftrat, deren Folge dann sekundär die Darminfektion war, oder ob bei der Patientin primär eine Darminfektion vorlag, die aus einer inneren Störung der Darmflora entstanden war und die dann ihrerseits sekundär eine Sepsis auslöste. Nur im Falle des Nachweises einer von außen initiierten Infektion hätte die Beklagte zu 1) u.U. haftungsrechtlich einzustehen. Die Beweisantritte der Klägerin in der Berufungsbegründung sind danach für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Selbst wenn der Senat als wahr unterstellte, dass die Beklagte zu 1) Hygienestandards verletzt hätte, wofür derzeit keine Anhaltspunkte existieren, fehlte der der Klägerin obliegende Nachweis, dass ein Hygienemangel zum Auftreten des Bakteriums Klebsiella oxytoca in der Umgebung der Patientin geführt und diese körperfremden Bakterien wiederum die Sepsis der Kiara-Anne ausgelöst haben.

Nur ergänzend weist der Senat auf die weiteren, nach dem Vorstehenden nicht mehr entscheidungserheblichen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen hin: Bei rückschauender Betrachtung spricht der gut dokumentierte Krankheitsverlauf sehr viel mehr für eine primäre Darminfektion mit sekundärer Sepsis, d.h. für ein schicksalhaftes Auftreten der Infektion und gegen deren Fremdverursachung. Denn Anzeichen einer "Bauchsymptomatik" sind bereits vor dem Auftreten der Sepsis dokumentiert. Zudem hatte die Darminfektion z.Zt. der Aufnahme der Kiara-Anne in Halle eine derart starke Ausprägung erreicht, dass diese auf einen zeitlichen Vorlauf des Krankheitsgeschehens im Darm gegenüber der Sepsis hindeutet.

3. Über die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 1) und den Beklagten zu 4) auf Schadenersatz im Zusammenhang mit der kinderärztlichen Behandlung von Kiara-Anne konnte der Senat nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO abschließend im Wege des Teilurteils entscheiden. Dieser Teil der Klageforderung ist nicht nur inhaltlich von der Schadenersatzforderung im Zusammenhang mit der gynäkologischen Behandlung der Klägerin abtrennbar, sondern über ihn kann vor allem auch unabhängig von der restlichen Klageforderung und ohne die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen befunden werden. Der Teilrechtsstreit ist insoweit auch entscheidungsreif. Die Teilentscheidung ist geeignet, die Übersichtlichkeit des umfangreichen Prozess-Stoffes durch dessen Begrenzung zu erhöhen; sie dient damit der Vereinfachung und ggf. auch der Beschleunigung des Rechtsstreits.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens ist dem Schlussurteil vorbehalten.

2. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nrn. 7 und 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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