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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 14.08.2001
Aktenzeichen: 1 U 106/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 203
BGB § 852 Abs. 1
BGB § 852 Abs. 2
BGB § 203 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 270 Abs. 3
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
1. Als Zeitpunkt der Kenntnis vom Behandlungsverlauf und vom darin liegenden Abweichen vom medizinischen Standard ist nicht schon der Zeitpunkt anzunehmen, in dem der in Folge des Behandlungsfehlers in Lebensgefahr schwebenden Patientin gegenüber im Rahmen der Aufklärung über die Notwendigkeit intensiv - medizinischer Folgebehandlung Äußerungen über die Ursache der Komplikationen gemacht werden.

2. Eine Hemmung nach § 203 BGB tritt ein, wenn der Gläubiger außerstande ist, die Kosten des Rechtsstreits selbst aufzubringen und er rechtzeitig Prozesskostenhilfe beantragt. Verzögerungen, die durch unnötige Rückfragen des Gerichts entstehen, dürfen nicht zu Lasten der bedürftigen Partei gehen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 106/00

verkündet am: 14.08.2001

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 14. August 2001 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink, den Richter am Oberlandesgericht Geib und den Richter am Landgericht Wiedemann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11. Oktober 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal (Geschäftsnummer: 21 O 381/96) soweit zum Nachteile der Klägerin erkannt wurde und im Kostenpunkt teilweise abgeändert.

Der Beklagte wird - über den Umfang der Verurteilung durch das Landgericht in vorgenanntem Urteil hinaus - verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 01. 10. 1998 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 7/20 und der Beklagte 13/20 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Klägerin und des Beklagten übersteigt 60.000 DM jeweils nicht.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und wurde insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. In der Sache hat sie teilweise Erfolg, da der Klägerin ein unverjährter Schmerzensgeldanspruch in zuerkannter Höhe (§§ 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB), sowie hierauf entfallender Verzugszinsen zusteht.

1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch zu. Die bei dem Beklagten beschäftigten Ärzte haben als dessen Erfüllungsgehilfen die Klägerin an der Gesundheit verletzt, indem sie anlässlich der Ausschabung am 25. Oktober 1990 die Reste eines Intrauterinpessars (IUP) nicht entfernten, so dass diese in der Gebärmutter der Klägerin verblieben und dort zu entzündlichen Prozessen und der Bildung eines (nicht malignen) Konglomerattumors führten. Der Beklagte hat die unvollständige Entfernung des IUP bestritten. Der Senat schließt sich insoweit jedoch den überzeugenden und ausführlichen Ausführungen in Ziffer II des angefochtenen Urteils an.

2. Unter Würdigung aller Umstände erachtet der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 DM für erforderlich, aber auch für ausreichend. Dabei waren insbesondere die erhebliche Schmerzhaftigkeit des Tumors, der über den Bereich der Gebärmutter hinaus namentlich den Dickdarm erfasste, die umfangreichen zur Behandlung erforderlichen operativen Maßnahmen, die durch den Fehler hervorgerufene lebensbedrohende Situation der Klägerin sowie die Dauer der Krankenhausbehandlungen - teilweise auch intensivmedizinisch - zu berücksichtigen. Andererseits hat die Klägerin die Kausalität des Fehlers für weitere von ihr behauptete Gesundheitsbeeinträchtigungen (Diabetes) weder durch Atteste dargelegt noch hierzu Beweis angeboten. Das Attest des Kreiskrankenhaus B. vom 15. 09. 1994, welches die Klägerin in den Rechtsstreit eingeführt hat (GA Bd. 1 Bl. 32, 33) widerlegt vielmehr, dass diese Folgen auf die Fehlbehandlung zurückzuführen sind. Die mit einer Totaloperation bei einer Frau einhergehende Konsequenz der Unfruchtbarkeit spielt in Anbetracht des Alters und der persönlichen Situation der Klägerin hier nur eine untergeordnete Rolle

3. Der Schmerzensgeldanspruch ist nicht verjährt.

3.1. Die 3-jährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB beginnt mit Kenntnis des Gläubigers von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen, wobei in Arzthaftungssachen auch die Kenntnis von den Umständen des Behandlungsverlaufs und die Kenntnis des Abweichens von dem medizinischen Standard erforderlich ist (BGH NJW 1991, 2350; 1999, 2734). Die Klägerin selbst hat eingeräumt, diese Kenntnisse am 17. 10. 1993 erlangt zu haben. Der Beklagte konnte nicht nachweisen, dass die Klägerin bereits vor diesem Zeitpunkt wusste, dass der Konglomerattumor und die diesen verursachenden Entzündungsprozesse auf die fehlende Entfernung der Reste des IUP zurückzuführen sind. Zwar hat der Zeuge Dr. B. in seiner Vernehmung vor dem Landgericht bekundet, dass er bereits vor diesem Zeitpunkt Aufklärungsgespräche geführt hat, nämlich am 08. und 09. 10. 1993. Es mag auch so sein, dass er den Zusammenhang zwischen der Spirale und dem Tumor "zumindest angedeutet" (sic!) hat. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass die Klägerin die erforderliche positive Kenntnis oben genannter Umstände hatte. Selbst wenn der Zeuge den Zusammenhang dargestellt haben sollte, was sich aus der oben zitierten Aussage nicht ergibt, würde der Senat im übrigen keinen früheren Beginn der Verjährung annehmen. Immerhin befand sich die Klägerin in einem lebensbedrohlichen Zustand und der Sinn und Zweck des Gespräches lag darin, sie über die jetzt notwendigen medizinischen Maßnahmen, insbesondere deren Notwendigkeit und Risiken aufzuklären. Bei dieser Sachlage ist es nicht ausgeschlossen, dass Äußerungen über die Ursache der Erkrankung, auch wenn sie gefallen sein sollten, nicht dergestalt in das Bewusstsein der Klägerin gelangten, dass von einer positiven Kenntnis gesprochen werden kann.

Gänzlich unergiebig ist die Aussage des Zeugen Prof. Dr. V. , der in seiner Vernehmung am 13. 09. 2000 bekundete, keine konkret Erinnerung mehr an die durchgeführten Gespräche zu haben und es - im Gegenteil - sogar "eher für wahrscheinlich" hielt, dass er "die Aufklärung über den Kausalzusammenhang zwischen dem vorgefundenen IUP und dem bei der Klägerin vorgefundenen Befund dem Gynäkologen überlassen" habe (GA Bd. 2 Bl. 33).

3.2. Die Verjährung trat daher nicht vor dem 16. 10. 1996 ein, als die Klageschrift bei Gericht einging. Da die Haftpflichtversicherung des Beklagten für diesen mit Schreiben vom 08. 01. 1997 (GA Bd. 1 Bl. 78) bis zum 31. 12. 1997 auf die Einrede der Verjährung verzichtete, soweit sie - wie hier - bis zum "Zeitpunkt der Anspruchserhebung" noch nicht eingetreten war, konnte Verjährung erst nach diesem Zeitpunkt eintreten, zumal die Parteien durch die Vereinbarung eines Schlichtungsverfahrens in Verhandlungen eingetreten sind, wodurch die Verjährung gemäß § 852 Abs. 2 BGB gehemmt war.

3.3. Bis zu welchem Zeitpunkt die Hemmung der Verjährung nach § 852 Abs. 2 BGB andauerte ist unklar: Relevant ist insoweit der Zeitpunkt, zu dem einer der Partner das Scheitern der Verhandlungen klar zu erkennen gibt. Dies ist nicht mit dem Schreiben des Klägervertreters vom 29. 12. 1997 (GA Bd. 1. Bl. 56) anzunehmen, da dessen Sinn und Zweck ersichtlich darin lag, den Eintritt der Verjährung vor dem Hintergrund des zeitlich befristeten Verjährungsverzichts zu verhindern. Der Wille, das Schiedsverfahren zu beenden, ist hieraus nicht zu entnehmen. Entsprechendes gilt auch für die Reaktion des Beklagten hierauf mit Schreiben vom 22. 10. 1998.

Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass zum Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift am 01. 02. 1999 (GA Bd. 1 Bl. 88) die Hemmungswirkung noch andauerte. Letztendlich kann dies jedoch offen bleiben, zumal der Beklagte vorgetragen hat, er habe das Schlichtungsverfahren durch Zurücknahme der Zustimmung beendet, ohne dies jedoch zeitlich einzugrenzen (Schriftsatz vom 09. 06. 1999, S. 6, GA Bd. 1 Bl. 157).

3.4. Die Verjährung war ungeachtet der Vorschrift des § 852 Abs. 2 BGB auch nach dem 31. 12. 1997 bis zu dem Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift nach § 203 Abs. 1 BGB gehemmt. Es ist unumstritten, dass eine Hemmung nach § 203 BGB eintritt, wenn der Gläubiger außerstande ist, die Kosten des Rechtsstreits selbst aufzubringen und er rechtzeitig Prozesskostenhilfe beantragt. Dies hat die Klägerin mit der Klageschrift vom 16.10.1996 und dem Schriftsatz vom 29.12.1997 getan, wobei insbesondere auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausreichend dargetan und glaubhaft gemacht wurden.

Das Landgericht stellt allerdings zu Unrecht darauf ab, dass die Klägerin auf die gerichtlichen Verfügungen vom 28. 05. 1998 und vom 03. 09. 1998 nicht reagiert und daher das Verfahren nicht gefördert habe. Es verkennt dabei, dass Verzögerungen, die durch unnötige Rückfragen des Gerichts entstehen, gerade nicht zu Lasten der Partei gehen dürfen (so für den vergleichbaren Fall des § 270 Abs. 3 ZPO: Zöller-Greger, ZPO, 22. Auflage, § 270 Rn. 10a unter Hinweis auf BGH NJW 1984, 242). Dies gebietet schon der Grundsatz eines fairen Verfahrens, der gem. Art. 2 Abs. 1 GG sowie aufgrund des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) bei der Auslegung des § 270 Abs. 3 ZPO (hierzu ausdrücklich BVerfG NJW 1994, 1853) und des § 203 BGB zu beachten ist. Vorliegend hatte die Klägerin mit dem Schriftsatz vom 29. 12. 1997 alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfüllt. Sie hatte namentlich ihre Bedürftigkeit in ausreichendem Maße dargelegt und glaubhaft gemacht. Die erneute Einreichung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war nicht geboten, da ihr Anwalt ausdrücklich versichert hat, dass sich diese nicht geändert haben. Der Verweis auf ein früher eingereichtes Formular ist im Zusammenhang mit der Versicherung der Partei oder des Rechtsanwalts, dass sich an den Verhältnissen nichts geändert habe, selbst in der Folgeinstanz noch ausreichend (Zöller-Philippi, ZPO, 22. Auflage, § 119 Rn. 53 unter Hinweis auf die ständige (!) Rechtsprechung des BGH), erst Recht also bei der Fortführung des PKH- Verfahrens in gleicher Instanz. Hinzu kommt hier, dass im Hinblick auf den Charakter der Haupteinnahmequelle der Klägerin (Erwerbsunfähigkeitsrente) kaum davon auszugehen war, dass sich die Verhältnisse der Klägerin gebessert haben.

Statt den vorliegenden Antrag nunmehr zeitnah einer Entscheidung zuzuführen - wie verfassungsrechtlich geboten (BVerfG a.a.O.) - hat das Landgericht annähernd 5 Monate überhaupt nicht reagiert und sodann eine überflüssige und sinnlose Auflage getätigt. Dies gilt auch, soweit das Landgericht Schlüssigkeitsfragen beanstandete. Es hätte ohne weiteres die Möglichkeit bestanden, in eingeschränktem Umfange Prozesskostenhilfe zu gewähren, zumal auch für das Landgericht unmissverständlich aus den Schriftsätzen des Klägervertreters hervorging, dass gerade im Hinblick auf die Schmerzensgeldforderung, hinsichtlich derer keine Bedenken bestanden, Verjährung drohte.

Im übrigen ist zu beachten, dass das Landgericht auch nach Ablauf der gesetzten Frist nicht entschieden hat, sondern mehr als 3 Monate später erneut eine Frist zur Abgabe der (überflüssigen) Erklärungen setzte. Entschieden wurde der PKH- Antrag erst mit Beschluss vom 17. 12. 1998, annähernd 1 Jahr nach Entscheidungsreife.

Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin die ihr obliegenden Auflagen nicht erfüllt hat. Dies hätte das Landgericht jedoch nicht daran hindern dürfen, pflichtgemäß den entscheidungsreifen PKH- Antrag in angemessener Zeit zu bescheiden. Wäre dies erfolgt, so hätte - selbst bei einer für die Klägerin negativen Entscheidung - für diese die Möglichkeit bestanden, bei gleichem Sachstand durch Einlegung eines Rechtsmittels eine Korrektur herbeizuführen, ohne der Rechtswirkung des § 203 BGB verlustig zu gehen. Ungeachtet der in der Berufung aufgezeigten persönlichen Umstände der Klägerin ist eine derartige Sachbehandlung durch das Landgericht geeignet, den Zugang zu den Gerichten gerade für bedürftige Parteien unangemessen zu erschweren, was mit oben genannten verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen ist.

3.5. Soweit nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine Zustellung nicht unverzüglich erfolgte, sondern (offenbar in der irrtümlichen Annahmen, die Klage sei bereits zugestellt) erst am 01.02. 1999 ist dies auch nach dem Rechtsgedanken des § 270 Abs. 3 ZPO unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift ist zwar keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift selbst möglich, da durch die auf beiderseitigen Antrag erfolgte Anordnung des Ruhens des Verfahrens die Zustellung nicht "demnächst" im Sinne dieser Vorschrift erfolgte. Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe wurde jedoch die Zustellung der Klageschrift ausschließlich aus Gründen verzögert, die ihre Ursache in der Sphäre des Gerichts haben, so dass ab diesem Zeitpunkt der Rechtsgedanke des § 270 Abs. 3 ZPO eingreift.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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