Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 28.11.2001
Aktenzeichen: 1 U 161/99
Rechtsgebiete: StPO, BGB, ZPO, BRAGO


Vorschriften:

StPO § 170 Abs. 2
StPO § 153 a Abs. 2
StPO § 153 a Abs. 1
BGB § 847
BGB § 278
BGB § 831
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 92
ZPO § 100
ZPO § 287
ZPO § 141
ZPO § 308
ZPO § 447
ZPO § 448
ZPO § 323
ZPO § 546
ZPO § 711 S. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 4
ZPO § 708 Nr. 10
BRAGO § 6 Abs. 1 S. 1
1. Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei einem Geburtsschaden (hier: 500.000,00 DM Kapitalbetrag und 600,00 DM monatliche Geldrente).

2. Ein völlig uneinsichtiges vorgerichtliches und prozessuales Verhalten des Schadensersatzpflichtigen (bzw. der ihn vertretenden Versicherung) kann eine signifikante Erhöhung des Schmerzensgeld-Kapitalbetrages rechtfertigen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 161/99 Oberlandesgericht Naumburg

verkündet am: 28.11.2001

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Geib und die Richter am Landgericht Gester und Wiedemann auf die mündliche Verhandlung vom

10. September 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten zu 1) und zu 4) das am 27. August 1999 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau, Az.: 8 O 1233/95, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten zu 1) und zu 4) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Schmerzensgeld-Kapitalbetrag iHv. insgesamt 500.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 07. Februar 1996 zu zahlen.

Die Beklagten zu 1) und zu 4) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 66.600,00 DM (rückständige Schmerzensgeld-Rente) zu zahlen.

Die Beklagten zu 1) und zu 4) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin eine monatliche Schmerzensgeld-Rente in Höhe von 600,00 DM, beginnend ab dem 01. November 2001 und zahlbar jeweils vierteljährlich im Voraus, jeweils zum 01. Februar, 01. Mai, 01. August und zum 01. November eines jeden Jahres, zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und zu 4) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf die fehlerhafte ärztliche Behandlung ihrer Mutter sowie von ihr selbst anlässlich der Entbindung in der Zeit vom 01. August 1992 bis zum 02. August 1992, gegen 05:00 Uhr, resultieren und die nicht mit der Netzhauterkrankung und der dadurch eingetretenen Blindheit zusammen hängen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz hat die Klägerin auf die gerichtlichen Kosten und Auslagen einen Betrag in Höhe von 20,00 DM und auf die außergerichtlichen Auslagen der Beklagten zu 2) und zu 3) jeweils einen Betrag in Höhe von 900,00 DM (brutto) zu zahlen; im Übrigen haben die Beklagten zu 1) und zu 4) die weiteren gerichtlichen Kosten, die außergerichtlichen Auslagen der Klägerin sowie ihre eigenen außergerichtlichen Auslagen zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu 1) und zu 4) zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten zu 1) und zu 4) können die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 650.000,00 DM abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat. Ihnen bleibt nachgelassen, die Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Die Beschwer der Beklagten zu 1) und zu 4) übersteigt jeweils 60.000 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin macht in zweiter Instanz gegen die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 4) Ansprüche auf Schadenersatz wegen ärztlicher Behandlungsfehler anlässlich ihrer Geburt am 01.08.1992 im Städtischen Klinikum - Frauenklinik - in D. geltend; sie begehrt Schmerzensgeld, eine Schmerzensgeldrente sowie die Feststellung der Einstandspflicht beider Beklagter für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin aus dieser fehlerhaften Behandlung. Die Klage gegen die Beklagten zu 2) und zu 3) ist in erster Instanz abgewiesen worden; dieser Teil der Entscheidung ist bereits in Rechtskraft erwachsen.

Im Ergebnis der persönlichen Anhörung der Mutter der Klägerin als deren gesetzliche Vertreterin und der Beklagten zu 1) durch den Senat am 10. September 2001 in Anwesenheit und unter teilweiser Einschaltung der vorgerichtlichen und gerichtlichen Sachverständigen und unter Einbeziehung des schriftsätzlichen Vorbringens, soweit die Prozessparteien hiervon in ihrer Anhörung vor dem Senat nicht abgewichen sind, ist von folgendem Sach- und Streitstand auszugehen:

Die Mutter der Klägerin stellte sich während ihrer Schwangerschaft am 01.08.1992 gegen 9:30 Uhr in der B. - Klinik in W. bei Dr. med. H. K. , damals Assistenzärztin, vor, weil sie das Gefühl hatte, dass etwa seit 04:00 Uhr Fruchtwasser abgegangen sei. Die Mutter der Klägerin war zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt. Ihre letzte Regel war am 02.02.1992 aufgetreten, woraus sich als voraussichtlicher Geburtstermin der 09.11.1992 errechnete; mithin befand sich die Mutter der Klägerin nach der Regel in der 26. Schwangerschaftswoche (25 vollendete Schwangerschaftswochen und 5 Tage). Dr. K. untersuchte die Mutter der Klägerin klinisch. Dabei stellte sie fest, dass die Fruchtblase vorzeitig gesprungen, das Kindsköpfchen bereits sehr tief gelegen und der Muttermund 2 cm geöffnet war; es ging klares Fruchtwasser ab. Mittels Cardiotokografie (im Folgenden: CTG) stellte sie weiter fest, dass der Fetus regelgerechte Herztöne aufwies und bei der Kindesmutter keine Wehentätigkeit vorlag. Eine von ihr ebenfalls durchgeführte Ultraschalluntersuchung zeigte fetale Bewegungen und ergab eine Femurlänge (d.h. Länge des Oberschenkelknochens) beim Fetus von 4,6 cm, die einem Gestationsalter von 25 vollendeten Schwangerschaftswochen und 3 Tagen entspricht; danach war der Fetus regelgerecht entwickelt. Der biparietale (d.h. der quere Scheitelbein-) Kopfdurchmesser wurde mit 6,1 cm ermittelt, was einem Gestationsalter von 23 vollendeten Schwangerschaftswochen und 2 Tagen entspricht. Die Ergebnisse der geburtshilflichen Ultraschalldiagnostik vermerkte Dr. K. vollständig auf einer Karteikarte (vgl. Ablichtung Bl. 124 Bd. II der Beiakte 121 Js 19516/92 der Staatsanwaltschaft Dessau = Cs 289/97 des Amtsgerichts Dessau; im Folgenden BeiA). Sie informierte die Mutter der Klägerin darüber, dass die Gefahr einer Frühgeburt bestehe und dass die B. - Klinik - insbesondere mangels ausreichender eigener Erfahrungen - nicht in der Lage sei, in diesem Falle für ein so extrem Frühgeborenes eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Dr. K. wies die Mutter der Klägerin darauf hin, dass zur Verbesserung der Chancen des Neugeborenen eine Verlegung entweder in die Frauenklinik des S. Krankenhauses in H. oder in das Städtische Klinikum in D. notwendig sei; auf Nachfrage bei dem Oberarzt des Hintergrunddienstes schlug sie - insbesondere wegen des kürzeren Verlegungsweges - eine Verlegung nach D. vor. Die Mutter der Klägerin stimmte einer Verlegung nach D. im Vertrauen darauf zu, dass in D. bessere Möglichkeiten zur Versorgung ihres Kindes bestünden.

Das Städtische Klinikum in D. , dessen Trägerin die Beklagte zu 4) ist, hatte sich zu dieser Zeit als Perinatales Zentrum geriert, u.a. hatte es in der Vergangenheit Patientinnen der B. - Klinik , bei denen das Risiko einer Frühgeburt bestanden hatte, zur geburtshilflichen Behandlung übernommen. Dies wurde in der Regel so gehandhabt, dass auf telefonische Anfrage der B. - Klinik das Städtische Klinikum in D. jeweils bekannt gab, ob eine entsprechende Aufnahmekapazität vorhanden war oder nicht; im erstgenannten Falle wurde dann jeweils die Verlegung nach D. durchgeführt.

Im Städtischen Klinikum D. war die Frauenklinik entsprechend dem Standard einer geburtshilflichen Abteilung ausgestattet, insbesondere war neben dem Kreißsaal ein so genannter Reanimationsraum für Neugeborene eingerichtet, u.a. mit einem Inkubator und entsprechenden technischen Möglichkeiten für die Beatmung, Wärmeversorgung und ggfs. Infusionstherapie. Die Kinderklinik befand sich in ca. 7 bis 10 km Entfernung innerhalb des Stadtgebietes von D. (Fahrzeit ca. 10 bis 20 Minuten, je nach Verkehrslage). In der Kinderklinik war ein pädiatrischer Bereitschaftsdienst eingerichtet, der teilweise routinemäßig die Frauenklinik aufsuchte und im Übrigen auf telefonische Anforderung der Frauenklinik hinzugezogen werden konnte. Im Falle einer anstehenden Frühgeburt war es üblich, telefonisch vorab die Kapazitäten der Intensivstation der Kinderklinik zu prüfen, den Bereitschaftsdienst zu informieren und der Kinderklinik damit auch die Gelegenheit zu geben, einen etwa notwendig werdenden Transport des Frühgeborenen von der Frauenklinik zur Kinderklinik vorab organisatorisch sicher zu stellen.

Die Beklagte zu 1) war Assistenzärztin, und zwar im 4. Ausbildungsjahr zur Fachärztin für Gynäkologie, in der Frauenklinik des Städtischen Klinikums D. ; im so genannten Hintergrunddienst war als Stationsarzt der in erster Instanz als Beklagter zu 2) prozessbeteiligte Oberarzt Dr. med. H. - G. W. tätig (im Folgenden: Beklagter zu 2)). Chefarzt der Frauenklinik war der in erster Instanz als Beklagter zu 3) am Prozess beteiligte Dr. med. D. U. (im Folgenden: Beklagter zu 3)). Die Beklagte zu 1) bestätigte auf telefonische Anfrage der Dr. K. , dass die Voraussetzungen für eine Übernahme der Mutter der Klägerin als Patientin im Städtischen Klinikum D. gegeben seien. Anlässlich dieses Telefongespräches wurde sie von Dr. K. darüber informiert, dass eine Schwangerschaft in der 25. vollendeten Schwangerschaftswoche vorliege und wegen des vorzeitigen Blasensprungs einschließlich des Abgangs von klarem Fruchtwasser sowie wegen der Öffnung des Muttermundes um 2 cm die Gefahr einer Frühgeburt bestehe. Die Mutter der Klägerin wurde sodann per Krankentransport unter Tokolyse in die Frauenklinik nach D. verlegt, wo sie gegen 10:15 Uhr eintraf. Die Beklagte zu 1) führte gegen 10:50 Uhr eine Aufnahmeuntersuchung durch. Dabei stellte sie fest, dass eine Schwangerschaft in der vollendeten 25. Schwangerschaftswoche vorlag, dass die ungeborene Klägerin sich in Schädellage in der Gebärmutter befand sowie dass inzwischen reichlich gelbes Fruchtwasser abging. Es wurden Laborbefunde erhoben, die u.a. jeweils leicht erhöhte Leukozytenwerte (17.500 / ?l; Grenzwert bei Schwangeren: 15.000 / ?l) und CRP-Konzentrationen (91,1 mg/l statt - normal - 6 mg/l) ergaben. Eine erneute Ultraschalluntersuchung wurde nicht durchgeführt. Insoweit übernahm die Beklagte zu 1) die Befunde aus den von Dr. K. übersandten Unterlagen zur geburtshilflichen Ultraschalldiagnostik. Eine Überprüfung der Wehentätigkeit der Mutter der Klägerin sowie der Herztätigkeit beim ungeborenen Kind durch CTG wurde weder bei Aufnahme noch später geschrieben; die Beklagte zu 1) behauptet insoweit, sie sei vom Beklagten zu 2), mit dem sie sich unstreitig nach der Aufnahmeuntersuchung telefonisch in Verbindung gesetzt hatte, dem entsprechend angewiesen worden. Die Beklagte zu 1) entschied sich nach Rücksprache mit dem Beklagten zu 2) für eine Fortsetzung der wehenhemmenden Therapie. Zudem ordnete sie die Gabe von Antibiotika im Hinblick auf die Anzeichen einer beginnenden Infektion aus den Laborbefunden an. Die Beklagte zu 1) behauptet weiter, dass sie die Mutter der Klägerin zu diesem Zeitpunkt über die Risiken einer Frühgeburt und über gegebenenfalls erforderliche therapeutische Maßnahmen im Falle einer Frühgeburt aufgeklärt habe. In den Krankenunterlagen der Mutter der Klägerin ist eine solche Aufklärung nicht dokumentiert. Hierzu behauptet die Beklagte zu 1), dass es in der Frauenklinik üblich gewesen sei, eine solche Aufklärung bei Aufnahme durchzuführen, jedoch habe man sich nicht alles unterschreiben lassen.

Während der gesamten Phase der Aufnahme der Mutter der Klägerin in der Frauenklinik in D. wurde die im Hause anwesende Kinderärztin Dr. med. M. G. durch die Beklagte zu 1) nicht hinzugezogen. Die vorgenannte Kinderärztin hielt sich noch bis ca. 18.00 Uhr in der Frauenklinik auf, ohne im Rahmen der Behandlung der Mutter der Klägerin von der Beklagten zu 1) konsultiert zu werden. Von der Beklagten zu 1) wurde der Bereitschaftsdienst der Kinderklinik lediglich vormittags telefonisch darüber informiert, dass eine neue Patientin mit Frühgeburtsrisiko auf der Frauenklinik eingetroffen sei.

An diesem Tage hatte ab 13:30 Uhr bis 22:00 Uhr die Hebamme K. Sch. Dienst auf der Station. Die Klägerin behauptet, diese Hebamme habe ihrer Mutter am Nachmittag des 01.08.1992 mehrfach zu verstehen gegeben, dass es mit dieser Schwangerschaft "nichts werde" und dass das Kind nicht überleben werde.

Gegen 17:30 Uhr bzw. 18:00 Uhr besuchte der Vater der Klägerin deren Mutter in der Frauenklinik. Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter der Klägerin nicht in der Lage, diesem konkrete Auskünfte über das Risiko einer Frühgeburt, über die Überlebenschancen und das Risiko bleibender Behinderungen im Falle einer Frühgeburt bzw. über die Art und den Umfang der solchenfalls u.U. erforderlichen Therapiemaßnahmen, einschließlich der Notwendigkeit intensivmedizinischer Maßnahmen für Mutter und für das Kind, zu geben. Die Klägerin bestreitet, dass bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt ein Aufklärungsgespräch des vorgenannten Inhalts erfolgt sei. Sie habe sich zu diesem Zeitpunkt jedoch "in guten Händen" gefühlt. Unstreitig hat die Mutter der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt keine Fragen nach dem weiteren Behandlungsverlauf gestellt. Während des Besuches des Vaters der Klägerin stellte sich bei deren Mutter Übelkeit ein. Der Vater der Klägerin informierte darauf hin das Klinikpersonal und verließ sodann das Krankenhaus.

Gegen 19:30 Uhr wurde bei der Mutter der Klägerin ein Temperaturanstieg, zunächst auf 38,9 oC, kurz darauf auf 39,2 oC, festgestellt. Die Beklagte zu 1) wertete diesen Temperaturanstieg - zutreffend - als Anzeichen eines am Amnioninfektionssyndroms, ordnete die Beendigung der wehenhemmenden Therapie an und informierte den Beklagten zu 2). Dieser bestätigte den Abbruch der Tokolyse. Die Beklagten zu 1) und zu 2) entschieden sich übereinstimmend für die Einleitung der Vaginalgeburt unter der Verdachtsdiagnose eines septischen Abortes (d.h. einer fieberhaften Fehlgeburt). Der Beklagte zu 2) erachtete seine Anwesenheit in der Frauenklinik damals für nicht erforderlich. Inzwischen, etwa gegen 20:00 Uhr, war die Temperatur der Mutter der Klägerin auf 39,4 oC gestiegen. Entsprechend der Absprache mit dem Beklagten zu 2) leitete die Beklagte zu 1) eine wehenfördernde Therapie ein. Die Mutter der Klägerin verblieb dabei im Überwachungsraum und wurde nicht in den Kreißsaal der Frauenklinik verlegt. Ein CTG wurde nicht geschrieben. Die Beklagte zu 1) erwog auch nicht, den Bereitschaftsdienst der Kinderklinik zu informieren bzw. eine Kinderärztin hinzuzuziehen.

Die Beklagte zu 1) hat angegeben, dass sie keine konkrete Erinnerung daran habe, ob sie die Mutter der Klägerin zu diesem Zeitpunkt über die vorgesehene Behandlung sowie über die Chancen des Kindes auf ein Überleben aufgeklärt habe; jedenfalls habe es zum damaligen Zeitpunkt keine Festlegung des Krankenhauses darüber gegeben, welche Aufklärung in einer solchen Situation erforderlich sei.

Mit der kurz nach Einleitung der Geburt erreichten vollständigen Eröffnung des Muttermundes und dem raschen Einsetzen der Presswehen bei der Mutter der Klägerin gab die Beklagte zu 1) die Erwartung einer Lebendgeburt vollständig auf.

Gegen 20:10 Uhr kam die Klägerin im Wege einer spontanen Geburt zur Welt, sie wog 800 g und war 37 cm lang. Sie wies eine einfache Nabelschnurumschlingung um den Hals auf; bei der Geburt trat "gelb/braunes" Fruchtwasser aus. An der Klägerin war unmittelbar nach Abnabelung kein Lebenszeichen zu erkennen, d.h. sie schrie nicht und zeigte kein äußeres Anzeichen einer Atmung. Sie war jedoch äußerlich ohne Beeinträchtigungen. Auf die Frage der Mutter der Klägerin: "Was ist es denn ?" antwortete die an der Entbindung mitwirkende Hebamme K. Sch. : "Es war ein Mädchen!". Die Mutter der Klägerin hat in ihrer Anhörung vor dem Senat geschildert, dass aufgrund dieser Äußerung ihre bis dahin bestehenden großen Hoffnungen auf ein lebendes Kind schlagartig "gestorben" seien. Die Hebamme Sch. brachte die Klägerin, eingehüllt in sterile Tücher, in einen "Nebenraum".

Dieser "Nebenraum" wurde in der Klinik als "Spülraum" bezeichnet. Dabei handelte es sich nicht um den Reanimationsraum, der neben dem Kreißsaal befindlich war, sondern um einen Raum, in dem sich lediglich ein Tisch, eine Waage und zwei Spülbecken befanden.

Die Beklagte zu 1) behauptet, sie habe sich gemeinsam mit der Hebamme Sch. in diese im Prozess von den Beklagten als "Nebenraum" bezeichnete Räumlichkeit begeben. Die Mutter der Klägerin sei für diese Zeit allein im Überwachungsraum verblieben bzw. mit einer weiteren Hebamme, sofern diese nicht anderweitig auf der Station beschäftigt gewesen sei. Die Beklagte zu 1) behauptet weiter, dass sie die Klägerin mit Stethoskop abgehört und dabei keine Herztöne festgestellt und dass sie die Reflexe der Klägerin - ohne Erfolg - geprüft habe. Die Hebamme Sch. ermittelte unstreitig Masse und Länge der Klägerin. Die Beklagte zu 1) ging im weiteren Behandlungsverlauf am 01.08.1992 davon aus, dass die Klägerin tot geboren worden sei. Die Klägerin wurde wieder in Tüchern eingewickelt und in der Spüle des "Nebenraumes" abgelegt. Dort verblieb die Klägerin sodann etwa neun Stunden allein und medizinisch unversorgt. Weitere ärztliche oder nichtärztliche Untersuchungen der Klägerin fanden in dieser Zeit - entgegen dem Inhalt der Krankenunterlagen der Klägerin (vgl. dazu unten) - nicht statt, eine Überwachung wurde nicht veranlasst.

Die Beklagte zu 1) wandte sich sodann ausschließlich der Behandlung der Mutter der Klägerin zu. Da sich bei der Mutter der Klägerin die Plazenta nicht löste, informierte die Beklagte zu 1) den Beklagten zu 2), der daraufhin in der Station erschien. Gegen 20:35 Uhr wurde die Mutter der Klägerin im OP-Saal des Nachbargebäudes vom Beklagten zu 2) im Beisein der Beklagten zu 1) operiert, die Plazenta wurde manuell abgelöst und eine Nachcurettage durchgeführt. Sodann wurde die Mutter der Klägerin in den Kreißsaal zur Überwachung verbracht.

Etwa neun Stunden nach der Geburt, am 02.08.1992 gegen 5:00 Uhr, bemerkte eine Hebamme während der Vorbereitungen zum Transport der Klägerin, dass diese eine Schnappatmung aufwies. Hierüber wurde der Beklagte zu 2) sofort informiert, die Klägerin wurde in einen Inkubator gelegt und mit Sauerstoff versorgt. Gegen 5:35 Uhr wurde die Kinderärztin Dr. G. informiert, die ca. 10 Minuten später in der Frauenklinik eintraf. Die Klägerin atmete zu diesem Zeitpunkt und versuchte zu schreien; sie bewegte sich. Ihre Körpertemperatur lag unter 32oC und war daher mit dem Digitalthermometer nicht messbar. Der APGAR-Wert lag bei 5 bis 6 Punkten. Der Entwicklungsstand der Klägerin wurde zu diesem Zeitpunkt als geringer bzw. gleichwertig der 27. Schwangerschaftswoche eingeschätzt. Nach Stabilisierung des Zustandes der Klägerin, insbesondere durch Beatmung und Wärmeversorgung, wurde sie gegen 8:00 Uhr in die Kinderklinik in D. verlegt, wo zunächst die weitere Versorgung erfolgte. Am 15.10.1992 wurde die Klägerin sodann wegen akuter Veränderungen der Netzhaut zur Behandlung in die Kinderklinik des S. Krankenhauses in H. verlegt. Von dort wurde sie am 02.11.1992 entlassen.

Die Klägerin leidet heute an Amaurose (totaler Blindheit) aufgrund beidseitiger Netzhautablösung, die eine operative Entfernung beider Linsen (stationär in B. ) in der Zeit vom 03. bis 09.12. 1992 erforderlich gemacht hatte. Sie ist in ihrer geistigen Entwicklung stark verzögert, was sich u.a. in einer stark eingeschränkten sprachlichen Artikulation (lediglich Ausdrücken von Wohlbefinden oder Unbehagen sowie Reaktion auf einfache Fragen) zeigt. Als Ursache hierfür wurde bei ihr eine schwere frühkindliche Hirnschädigung in Gestalt einer Kleinhirnatrophie (d.h. Verkleinerung des Kleinhirns) sowie einer Zyste im hinteren Bereich des Occipitallappens (d.h. Hohlraum im Großhirn) festgestellt. Desweiteren liegt bei der Klägerin eine cerebrale Bewegungsstörung in Form einer spastischen Diplegie (d.h. krampfende doppelseitige Lähmung) der Beine vor; dies bedeutet, dass die Klägerin lediglich sitzen und sich kriechend fortbewegen kann. Ein aufrechter Gang ist ihr ohne fremde Hilfe versagt; Ortsveränderungen sind nur durch Tragenlassen, Schieben eines Rollstuhls oder durch Fahren im Pkw, in den sie ohne Hilfe nicht einsteigen kann, möglich. Die Klägerin leidet an Enuresis (Einnässen) und Enkopresis (Einkoten), weshalb sie auch heute noch gewindelt werden muss. Sie wird nie für sich selbst sorgen können und lebenslang auf eine umfassende Pflege und Betreuung durch Dritte angewiesen sein.

Im Verlaufe des 02.08.1992 legte die Hebamme Sch. in der Frauenklinik die Krankenunterlagen für die Klägerin an. Hierin trug sie ein, dass die Leitung der Geburt als "Spätabort (23. Schwangerschaftswoche nach Ultraschall, 25. Schwangerschaftswoche nach Regel)" durchgeführt wurde. Als Ergebnis der Untersuchungen der Klägerin kurz nach der Geburt vermerkte sie, dass eine Erhebung der APGAR-Werte jeweils eine Minute, fünf Minuten, zehn Minuten und sechzig Minuten nach der Entbindung vorgenommen und dabei jeweils der Gesamtwert Null ermittelt worden sei.

Am 29.09.1992 erließ der Beklagte zu 3) eine hausinterne Anweisung, wonach bei Schwangerschaften ab der 18. Schwangerschaftswoche bis zur 28. Schwangerschaftswoche die Geburt ausschließlich in allen Entscheidungen durch einen Facharzt zu leiten sei und das ab der 26. Schwangerschaftswoche (+/- 2 Wochen) bis zur 36. Schwangerschaftswoche in jedem Fall der Pädiater rechtzeitig hinzuzuziehen sei (vgl. Anlage 7, Bl. 11 Bd. III GA; Unterstreichungen durch den Senat).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 15.10.1992 forderte die Klägerin den ärztlichen Direktor der Frauenklinik unter Fristsetzung bis zum 10.11.1992 auf, Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter Behandlung der Klägerin am 01.08.1992 dem Grunde nach anzuerkennen. Dieses Ansinnen lehnte die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 4) im Namen aller Beklagten mit Schreiben vom 30.06.1993 ab (vgl. Anlagen K 2 und K 4, Bl. 14, 16 f. Bd. I GA). Im Schreiben des Kommunalen Schadenausgleichs der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom 30.06.1993 heißt es u.a.:

"Nach Prüfung des Vorganges können wir Ihnen mitteilen, daß unseres Erachtens ein Fehler in der ärztlichen Versorgung nicht vorliegt.

Nach Vollendung der 25. Schwangerschaftswoche hat Ihre Mandantin ihre Tochter, G. P. , zur Welt gebracht. Bei dem Kind konnten weder Herztöne noch Atemgeräusche festgestellt werden. Außerdem wurden die Apgarwerte 0-0-0 festgestellt. Das bedeutet, daß 5, 10 und 60 Minuten nach der Geburt kein Lebenszeichen vorhanden war.

Aufgrund des fehlenden Herzschlages und der fehlenden Lungenatmung wurde eine Totgeburt diagnostiziert. Reanimationsversuche sind bei Kindern mit unter 1000 Gramm Gewicht und in diesem frühen Stadium der Schwangerschaft äußerst problematisch, so daß von den Ärzten eine Abwägung vorgenommen werden mußte. Aufgrund der nach der Geburt festgestellten Schädelgröße des Kindes hatte dies den Reifegrad wie nach der 23. Schwangerschaftswoche. Aufgrund des Geburtsgewichtes war mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 % mit einer Schädigung des Kindes zu rechnen. Als weiterer Risikofaktor kam die schwere Infektion der Mutter hinzu (Amnion-infektionssyndrom). Dieser Umstand ist nach der herrschenden Meinung der medizinischen Literatur ein Risikofaktor für eine Schädigung des Kindes, der mit 20 % veranschlagt wird. Zu diesen problematischen Faktoren kam hinzu, daß das Fruchtwasser bei der Aufnahme der Patientin verfärbt war.

Dies ist ein Hinweiszeichen dafür, daß Wochen vorher während der bestehenden Schwangerschaft ein Zustand mit mangelnder Sauerstoffversorgung bestanden hat.

Aufgrund der aufgeführten Umstände wurde ärztlicherseits die Entscheidung getroffen, keine Reanimationsmaßnahmen bei dem Kind durchzuführen. Diese Entscheidung ist nicht zu beanstanden.

Nach unserer Kenntnis sind bisher bei dem Kind auch keine Schäden festgestellt worden, die bei einer frühzeitigeren künstlichen Beatmung hätten vermieden werden können. Die Sehbehinderung bzw. Erblindung des Kindes ist vermutlich zurückzuführen auf eine erhöhte Sauerstoffgabe nach der Geburt. Dabei hat sich ein typisches Risiko der künstlichen Beatmung verwirklicht. Wäre auf die Sauerstoffgabe verzichtet worden, hätte das für das Kind Lebensgefahr bedeutet." (vgl. Anlage K 4, Bl. 16 f GA; Hervorhebungen durch den Senat)

Im November 1992 erstattete die Klägerin Strafanzeige gegen die Beklagten zu 1) bis zu 3) unter allen rechtlichen Gesichtspunkten. Bei der Staatsanwaltschaft Dessau wurde ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung unter dem Aktenzeichen 121 Js 19561/92 gegen die Beklagten zu 1), zu 2) und zu 3) durchgeführt. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurden u.a. ein gynäkologisches Gutachten des Oberarztes der Frauenklinik der Medizinischen Hochschule H. , Dr. med. H. - H. G. , vom 06.07.1995 sowie ein pädiatrisches Gutachten des Oberarztes der Klinik für Kinder und Jugendliche des E. - Kinderkrankenhauses in Oldenburg, Dr. med. M. H. , vom 14.03.1996 eingeholt. Das Ermittlungsverfahren wurde, soweit es gegen die Beklagten zu 2) und zu 3) geführt wurde, mangels Nachweises eines strafbaren Verhaltens jeweils nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (vgl. Verfügung vom 22.05.1997, Bl. 232 f. Bd. I BeiA). Gegen die Beklagte zu 1) wurde ein Strafbefehlsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung beim Amtsgericht Dessau unter dem Aktenzeichen Cs 289/97 eingeleitet. Das nach Einspruch der Beklagten zu 1) durchgeführte Strafverfahren endete nach Durchführung einer Hauptverhandlung mit ausführlicher Beweisaufnahme (u.a. auch Anhörung der beiden vorgerichtlichen Sachverständigen) mit einer zunächst vorläufigen Einstellung des Verfahrens nach § 153 a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO. Nach Erfüllung der Auflage, nämlich einer Zahlung von 6.000,00 DM durch die Beklagte zu 1) an die hiesige Klägerin, wurde das Verfahren mit Verfügung vom 15.05.1998 endgültig eingestellt (vgl. Bl. 171 Bd. II BeiA).

Im Juli 1995, also nach Teileinstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Dessau und vor Abschluss des Strafverfahrens gegen die Beklagte zu 1) beim Amtsgericht Dessau hat die Klägerin den vorliegenden Rechtsstreit mittels eines Prozesskostenhilfegesuchs eingeleitet.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass sowohl ihre Entbindung als auch die unmittelbar nachfolgende medizinische Versorgung am 01.08.1992 im städtischen Klinikum in D. als grob fehlerhaft zu bewerten sei. Sie hat hierzu im Einzelnen u.a. behauptet, dass anlässlich der Behandlung ihrer Mutter frühzeitig die Hinzuziehung des Beklagten zu 2) als Facharzt sowie die Hinzuziehung der Kinderärztin Dr. G. im Rahmen des Bereitschaftsdienstes der Kinderklinik erforderlich gewesen sei. Die Durchführung der Entbindung als Vaginalgeburt sei eine fehlerhafte ärztliche Therapiewahl gewesen; demgegenüber hätte die Durchführung einer Sectio (d.h. einer Schnittentbindung) erwogen und als die für das Kind weniger risikobelastete Therapie gewählt werden müssen. Zudem sei es fehlerhaft gewesen, während der Entbindung die Prüfung der vitalen Herzfrequenz zu unterlassen und die Lebensfähigkeit des Fetus gar nicht in Erwägung zu ziehen. Unmittelbar nach der Geburt hätte eine sofortige Reanimation erfolgen müssen. Die Klägerin behauptet weiter (insoweit noch den Inhalt der Krankenunterlagen als zutreffend zugrunde legend), dass die APGAR-Wertbestimmung nach der Geburt fehlerhaft gewesen sei.

Die Klägerin hat behauptet, dass ihre Mutter vor der Durchführung der Entbindung nicht ordnungsgemäß über die sich etwa ergebende Möglichkeit intensivtherapeutischer Betreuung des Neugeborenen aufgeklärt worden sei.

Sämtliche bei ihr festgestellten Gesundheitsschäden seien auf die ärztlichen Behandlungsfehler der Beklagten zurückzuführen.

Die Klägerin hat mit ihrer den Beklagten am 06.02.1996 zugestellten Klage beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch in Höhe von 200.000,00 DM, nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagten zu 1) bis zu 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 600,00 DM ab dem 01.08.1995, zahlbar vierteljährlich im Voraus jeweils zum 01.08., 01.11., 01.02. und 01.05. eines jeden Jahres, zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) bis zu 4) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche materielle und immaterielle Schäden aus dem Vorfall vom 01.08.1992 in der Frauenklinik der Beklagten zu 4) in D. zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagten zu 1) bis zu 4) haben übereinstimmend beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben in erster Instanz - insoweit in erheblichem Umfange abweichend von dem inzwischen unstreitigen Sachvorbringen der Klägerin, der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 4) - zum Behandlungsablauf Folgendes vorgetragen:

Die Beklagte zu 1) sei bei Aufnahme der Mutter der Klägerin davon ausgegangen, dass objektiv eine Schwangerschaft in der 23. Schwangerschaftswoche vorliege; die sonografischen Vorbefunde der B. - Klinik hätten nicht vorgelegen (vgl. insbesondere Schriftsatz vom 02.11. 1995, Bl. 47, 49 Bd. I GA). Sowohl wegen dieses geringen Gestationsalters als auch wegen des hohen Infektionsrisikos für das Kind angesichts der vorhandenen Infektion der Mutter habe die Beklagte zu 1) davon ausgehen dürfen, dass das Kind nahezu keine Überlebenschancen, zumindest aber hohe Chancen einer ganz erheblichen Behinderung gehabt habe. In Stellungnahme zu dem im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eingeholten pädiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. med. H. haben die Beklagten dessen abweichende Angaben zu den Überlebenschancen als "willkürlich" und von "fehlender Sachkunde" des Gutachters getragen bewertet. Angesichts dieser Ausgangslage habe eine Entscheidung über den Entbindungsmodus nicht angestanden, vielmehr entspräche die Durchführung der Entbindung als Spätabort dem fachärztlichen Standard.

Die Beklagten haben bestritten, dass nach der Entbindung der Klägerin Reanimations-"Überlegungen" überhaupt medizinisch angezeigt gewesen seien (vgl. Schriftsatz vom 21.09. 1995, Bl. 35 Bd. I GA). Angesichts des Umstandes, dass bei der Klägerin nach der Entbindung keinerlei Lebenszeichen vorgelegen hätten, wäre eine künstliche Beatmung sinnlos gewesen (Schriftsatz vom 23.07.1996, Bl. 151 Bd. I GA). Im Übrigen habe die Mutter der Klägerin auch nicht auf einer intensivmedizinischen Behandlung ihres Kindes bestanden; dies wolle sie nun nur nicht mehr wahr haben (Bl. 152 Bd. I GA).

Die Beklagten haben ärztliche Fehler bei der Todesfeststellung bestritten und dagegen behauptet, sie hätten bei der Klägerin alle notwendigen Befunde erhoben, um sicher von deren Tod ausgehen zu dürfen. Die Beklagten haben zunächst behauptet, dass das Kind "aufgrund seiner Geburt zwischen der 23. Schwangerschaftswoche (Schädelgröße) und der 25. Schwangerschaftswoche (angegebene Tragezeit) aufgrund seiner Unreife an der absoluten Grenze der Lebensfähigkeit" (Bl. 36 Bd. I GA) gelegen habe, weshalb eines Todesfeststellung durch das Abhorchen mit dem Stethoskop ausreichend gewesen sei. Im Übrigen wurde auf die in den Krankenunterlagen dokumentierten Befunde bei der Ermittlung der APGAR-Werte verwiesen. Diesen Werten stünde die spätere Reanimation nicht entgegen. Mit Schriftsatz vom 02.11.1995 haben die Beklagten behauptet, dass die Todesfeststellung auskultatorisch (durch Abhorchen) mit dem Stethoskop sowie klinisch (durch Ermittlung der APGAR-Werte) erfolgt sei; auch die Kontrolle nach einer Stunde habe keinerlei Lebenszeichen ergeben (Bl. 49 Bd. I GA). Diesen Sachvortrag hat sie mit Schriftsatz vom 23.07.1996 dahin bekräftigt, dass insbesondere die APGAR-Werte ordnungsgemäß befundet und dokumentiert worden seien (Bl. 153 Bd. I GA). Sie hat in diesem Zusammenhang dem pädiatrischen Gutachter Dr. H. fehlende Sachkunde und eine spekulative Gutachtenerstattung vorgeworfen.

Die Beklagten haben weiter die Kausalität der behaupteten Behandlungsfehler für die Schädigung der Klägerin bestritten und hierzu im Einzelnen behauptet, dass bei Einleitung der Geburt bereits zu 80 % mit einer Schädigung des Kindes zu rechnen gewesen sei, insbesondere habe "das Liegenlassen des Kindes nach der Geburt bis zur Aufnahme in der Kinderklinik ... zu keinen weiteren Schäden geführt" (Bl. 37 Bd. I sowie Bl. 154 Bd. I GA). Insbesondere führe jede Sauerstoffgabe zu einem sehr hohen Prozentsatz zur völligen Blindheit (Bl. 38 Bd. I GA).

Die Beklagten haben auch den Vorwurf unzureichender Aufklärung der Mutter der Klägerin vor Einleitung der Geburt bestritten und hierzu behauptet, dass mit der Mutter der Klägerin über die Überlebenschancen "eines objektiv in der 23. Schwangerschaftswoche geborenen Kindes" gesprochen worden sei (Bl. 49 Bd. I GA). Vor Einleitung des "septischen Abortes" sei über nichts aufzuklären gewesen, weil es nur noch um die Rettung des Lebens der Mutter der Klägerin gegangen sei (Bl. 232 Bd. I GA).

Das erstinstanzliche Gericht hat Beweis erhoben durch die Beiziehung der Akten der Staatsanwaltschaft Dessau 121 Js 19516/92, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und aus denen insbesondere die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. med. G. vom 06.07.1995 und des Dr. med. H. vom 14.03.1996 zu Beweiszwecken verwertet worden sind, sowie durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Direktors der Universitätsklinik und -Poliklinik für Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin der M. -Universität zu H. , Prof. Dr. med. F. R. , vom 17.10.1998. Der letztgenannte Sachverständige wurde im Termin der mündlichen Verhandlung vom 03.08.1999 ergänzend zu seinem schriftlichen Gutachten angehört.

Das Landgericht Dessau hat der Klage mit seinem am 27.08.1999 verkündeten Urteil teilweise stattgegeben und die Beklagten zu 1) und zu 4) als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Kapitalbetrag von 150.000,00 DM als Schmerzensgeld sowie eine Schmerzensgeldrente ab Geburt der Klägerin in Höhe von 600,00 DM zu zahlen; dabei hat es die bis zum 31.08.1999 angefallene Schmerzensgeldrente (Rückstand) beziffert ausgewiesen. Das Landgericht Dessau hat die Klägerin darüber hinaus Prozesszinsen auf die Summe des Kapitalbetrages des Schmerzensgeldes und der Rückstände zugesprochen. Schließlich hat das Landgericht Dessau festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und zu 4) verpflichtet sind, der Klägerin 80 % der materiellen und immateriellen Schäden, die nicht mit der Netzhauterkrankung und der dadurch eingetretenen Blindheit zusammenhängen, aus dem Vorfall vom 01.08.1992 in der Frauenklinik der Beklagten zu 4) als Gesamtschuldner zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind. Im Übrigen hat das Landgericht Dessau die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte zu 1) den Nachweis nicht geführt habe, dass sie die Mutter der Klägerin ordnungsgemäß über die Alternative zwischen einer vaginalen Entbindung als septischen Abort und einem Kaiserschnitt aufgeklärt habe. Insoweit sei hier auch nicht von einer mutmaßlichen Einwilligung der Mutter der Klägerin auszugehen.

Weiter habe die Beklagte zu 1) die Klägerin unmittelbar nach der Entbindung nicht gründlich genug untersucht. Für diese Feststellung hat sich das Landgericht Dessau insbesondere auf die Ausführungen im schriftlichen Gutachten des Dr. H. berufen, wonach es nicht vorstellbar sei, dass die Klägerin überlebt habe, wenn sie innerhalb einer Stunde nach ihrer Entbindung keinerlei Lebenszeichen von sich gegeben hätte. Das erstinstanzliche Gericht hat die Auffassung vertreten, dass wegen der unzureichenden Aufklärung der Klägerin hinsichtlich des kausalen Zusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden Beweiserleichterung nach § 287 ZPO zugute kämen. Bei sorgfältigerer Untersuchung der Klägerin nach ihrer Entbindung wäre eine zeitnähere Reanimation zu erwarten gewesen, so dass zumindest die Hirnschäden und die Bewegungsstörungen als Folge des Sauerstoffmangels hätten vermieden werden können. Als nicht kausal hat das Landgericht die zur Blindheit führende Netzhautablösung angesehen und sich hierfür vor allem auf das schriftliche Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. berufen. Hinsichtlich der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das erstinstanzliche Gericht ausgeführt, dass allenfalls von einfacher Fahrlässigkeit auszugehen sei, zumal sich die Beklagte zu 1) im Notdienst intensiv um die behandlungsbedürftige Mutter der Klägerin zu kümmern und zudem noch durch den geplanten Geburtsablauf nicht mit einem lebensfähigen Kind zu rechnen hatte. Hierbei sei jedoch das Entscheidungsrecht der Mutter der Klägerin wegen ihrer unzureichenden Aufklärung verletzt worden. Die Höhe des Schmerzensgeldes sowie die Festsetzung der Rente in beantragter Höhe berücksichtige die starke Reduzierung der Entfaltungsmöglichkeiten der Klägerin in geistiger und körperlicher Hinsicht sowie des erhöhten Bedarfes an intensiver Betreuung.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 05.10.1999 zugestellte Urteil mit einem am 04.11.1999 vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und für die zweite Instanz Prozesskostenhilfe beantragt. Sie hat ihre beabsichtigte Berufung mit einem am 03.12.1999 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Beklagte hat gegen das ihr ebenfalls am 05.10.1999 zugestellte erstinstanzliche Urteil mit einem am 05.11.1999 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 03.12.1999 eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 02.05.2001 Prozesskostenhilfe für die Durchführung der eigenen Berufung sowie für die Verteidigung gegen die gegnerische Berufung gewährt.

Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung ausgeführt, dass sie das erstinstanzliche Urteil nicht angreife, soweit hierin die mit der Netzhauterkrankung zusammenhängenden Schäden, insbesondere die hierdurch eingetretene Blindheit, nicht als kausal zu den behaupteten bzw. festgestellten Behandlungsfehlern beurteilt worden seien. Die Klägerin begehrt eine Erhöhung des Kapitalbetrages des Schmerzensgeldes unter Berufung auf die unermesslichen Schmerzen, den Kummer und die Sorgen der Klägerin unmittelbar nach ihrer Geburt in einem neunstündigen einsamen Überlebenskampf sowie insbesondere auf die erheblichen alltäglichen Behinderungen der Klägerin. Sie greift die Beschränkung des Vorbehalts der Einstandspflicht der Beklagten zu 1) und zu 4) für künftige materielle und immaterielle Schäden auf 80 % als nicht nachvollziehbar an. Schließlich vertritt sie die Auffassung, dass die erstinstanzliche Kostenentscheidung (unter Anwendung der BaumbachŽschen Formel) die Klägerin über Gebühr belaste, weil die Beklagten durch einen gemeinsamen Rechtsanwalt vertreten werden und sich die gerichtlichen Kosten und Auslagen durch die Klageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und zu 3) nur marginal erhöht hätten.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten zu 1) und zu 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, über das vom Landgericht Dessau zugesprochene Schmerzensgeld von 150.000,00 DM und die aufgelaufenen Schmerzensgeldrente von 29.400,00 DM hinaus ein weiteres Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, jedoch nicht weniger als weitere 50.000,00 DM;

2. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und zu 4) verpflichtet sind, der Klägerin über die bereits zuerkannten 80 % weitere 20 % der materiellen und immateriellen Schäden, die nicht mit der Netzhauterkrankung und der dadurch eingetretenen Erblindung zusammenhängen, aus dem Vorfall vom 01.08.1992 in der Frauenklinik der Beklagten zu 4) als Gesamtschuldner zu ersetzen, sowie die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind;

3. die Berufung der Beklagten zu 1) und zu 4) zurückzuweisen.

Die Beklagten zu 1) und zu 4) beantragen übereinstimmend,

1. unter Abänderung des am 27.08.1999 verkündeten Urteils des Landgerichts Dessau die Klage insgesamt abzuweisen,

2. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagten bestreiten mit ihrer Berufung nach wie vor, dass das Geburtsmanagemant bei der Klägerin medizinisch fehlerhaft gewesen sei. Die Beklagten berufen sich insoweit darauf, dass die Beklagte zu 1) bei Aufnahme der Mutter der Klägerin von einem Gestationsalter von 23 vollendeten Schwangerschaftswochen und zwei Tagen und mithin von einem Gewicht von 550 g ausgegangen sei. Dies habe auf den Angaben der überweisenden B. - Klinik zum biparietalen Kopfumfang beruht; auf diese Angaben habe die Beklagte zu 1) auch vertrauen dürfen. Insbesondere sei eine nochmalige Ultraschalluntersuchung nicht erforderlich gewesen, da die B. - Klinik über eine bessere gerätetechnische Ausstattung verfüge. Durch die gegen 19:30 Uhr eintretenden Komplikationen sei die schlagartige Umstellung der Therapie auf eine Beendigung der Schwangerschaft im Sinne eines septischen Abortes medizinisch korrekt gewesen; insbesondere sei eine Schnittentbindung sogar kontraindiziert gewesen. Die Einleitung einer sofortigen Fehlgeburt sei die einzige Möglichkeit gewesen, das Leben der Mutter der Klägerin zu retten.

Nachdem sich die Beklagte zu 1) für die Richtigkeit ihres Vorgehens zunächst auf die Dienstanweisung des Beklagten zu 3) vom 29.09.1992 berufen hatte, hat sie zuletzt vorgetragen, dass diese Dienstanweisung natürlich erst nach der Geburt der Klägerin erteilt worden sei, weshalb davon auszugehen sei, dass vor der Geburt der Klägerin keine entsprechende Dienstanweisung existiert habe. Im Übrigen habe die Geburt der Klägerin ja "in den Händen" des Beklagten zu 2) gelegen (vgl. Bl. 19 Bd. III GA).

Die Beklagten zu 1) und zu 4) bestreiten weiter, dass ohne erkennbare Lebenszeichen bei der Klägerin eine sofortige Reanimation nötig gewesen sei. Der Beklagten zu 1) sei bei der postnatalen Untersuchung der Klägerin kein Behandlungsfehler unterlaufen. Hierzu haben die Beklagten zu 1) und zu 4) in der Berufungsbegründung vom 01.12.1999 ausdrücklich behauptet, dass die Klägerin "nach 1, 5, 10, 60 Minuten jeweils APGAR-Werte Null" aufgewiesen habe (vgl. Bl. 98 Bd. II GA). Die Klägerin sei scheintot gewesen (Bl. 100 Bd. II GA); alle gegenteiligen Erwägungen der Sachverständigen seien spekulativ. Im Übrigen ergebe sich die Richtigkeit des Vorgehens der Beklagten zu 1) im Umkehrschluss aus § 29 der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes; danach bestehe in Fällen, wie dem vorliegenden, eine gesetzliche Fiktion der Totgeburt bzw. des Versterbens während der Geburt. Mit Schriftsatz vom 04.02.2000 haben die Beklagten ihren Sachvortrag dahin modifiziert, dass die Beklagte zu 1) alle notwendigen Untersuchungen sofort nach der Geburt durchgeführt habe. Soweit die Hebamme K. Sch. im Strafverfahren angegeben habe, sie habe die Eintragungen in die Krankenunterlagen der Klägerin nachträglich vorgenommen, lasse dies keinen gegenteiligen Schluss zu. Die Beklagte zu 1) habe aber keinen Anlass gesehen, nach 30 oder 60 Minuten die Befunde noch einmal zu erheben (Bl. 159 Bd. II GA). Mit Schriftsatz vom 03.05.2000 haben die Beklagten zu 1) und zu 4) ihren Sachvortrag erneut geändert und nunmehr behauptet, dass die dokumentierten Untersuchungen sämtlichst durchgeführt worden seien, sie seien eben nur nachträglich dokumentiert worden (Bl. 1, 3 Bd. III GA). Der von der Klägerin hieraus gezogene Schluss, die Eintragungen seien gegebenenfalls unwahr, sei "sehr befremdlich" und "völlig abwegig" (Bl. 2 Bd. III GA); vielmehr hätten hier überobligatorisch auch noch 5, 10 und 30 Minuten nach der Entbindung entsprechende Untersuchungen stattgefunden. Eine Untersuchung der Klägerin nach einer Stunde sei danach nicht mehr indiziert gewesen (ebenda).

Die Beklagten zu 1) und zu 4) vertreten die Ansicht, dass das Landgericht der Klägerin zu Unrecht Beweiserleichterungen hinsichtlich der Kausalität der festgestellten Behandlungsfehler für die Behinderungen der Klägerin zugebilligt habe. Die Beklagten zu 1) und zu 4) behaupten, dass alles im vorliegenden Falle darauf hindeute, dass die Behinderungen der Klägerin auf vorgeburtlicher Schädigung beruhten, d.h. auf einen Sauerstoffmangel bereits in der Gebärmutter, was ein typisches Risiko einer Frühgeburt darstelle. Aus der Verfärbung des Fruchtwassers bei der Mutter der Klägerin bereits während ihres Transportes von der B. - Klinik in die Frauenklinik in D. sei auf einen solchen Sauerstoffmangel zu schließen.

Die Beklagten zu 1) und zu 4) bestreiten eine unzureichende Aufklärung der Mutter der Klägerin; sie behaupten dagegen, mit der Mutter der Klägerin sei ein ausführliches Gespräch über die Überlebenschancen des Fetus und die wahrscheinlichen Behinderungen des Kindes im Falle des Überlebens geführt worden. Die Mutter der Klägerin habe während des Aufklärungsgespräches "zu verstehen gegeben", dass sie keine intensivmedizinische Behandlung der Klägerin im Falle einer Totgeburt wünsche (Bl. 101 f. Bd. II GA). Es sei lediglich die Dokumentation dieses Aufklärungsgespräches wegen der Dringlichkeit der Situation unterblieben (Bl. 103 Bd. II GA).

Mit Schriftsatz vom 04.02.2000 haben die Beklagten - in Reaktion auf den Vortrag der Klägerin - behauptet, das Aufklärungsgespräch habe nach der Aufnahme der Mutter der Klägerin und der ersten Rücksprache der Beklagten zu 1) mit dem Beklagten zu 2) stattgefunden (Bl. 160 Bd. II GA); die Aufklärung sei nicht formgebunden. Diesen Sachvortrag haben die Beklagten zu 1) und zu 4) mit Schriftsatz vom 03.05.2000 dahin bekräftigt, dass die Mutter der Klägerin ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei und nie Unwillen gegen die beabsichtigte Behandlung gezeigt habe (Bl. 6 Bd. III GA). Dies ergebe sich auch aus dem Schreiben der Klägerin vom 15.10.1992, worin sie selbst einräume, dass ihr vor Einleitung der Wehen mitgeteilt worden sei, dass das Fruchtwasser bereits grün sei und sie das Kind verlieren werde. Jede gegenteilige Behauptung entspringe dem Wunschdenken bei der Mutter der Klägerin (Bl. 20 Bd. III GA).

Die Beklagten vertreten schließlich die Ansicht, dass das vom Landgericht festgesetzte Schmerzensgeld (Kapitalbetrag zzgl. Geldrente) "völlig überhöht" sei (Bl. 109 Bd. II GA), weil die Geburt medizinisch korrekt als septischer Abort durchgeführt worden und die einzige Möglichkeit zur Rettung des Lebens der Mutter der Klägerin gewesen sei.

Der Senat hat im Termin der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2001 die o.g. Akten der Staatsanwaltschaft Dessau beigezogen und zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht. Er hat desweiteren die Mutter der Klägerin als deren gesetzliche Vertreterin sowie die Beklagte zu 1) als Prozesspartei nach § 141 ZPO angehört. Der Senat hat zu Beginn der Beweisaufnahme zudem die Klägerin selbst in Augenschein genommen. Die Klägerin verließ im Verlaufe der Sitzung den Sitzungssaal. Sodann hat der Senat weiteren Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. H. - G. W. [in erster Instanz: Beklagter zu 2)], Dr. H. K. und K. Sch. , sämtlichst in Anwesenheit der Sachverständigen Dr. G. , Dr. H. und Prof. Dr. R. . Den genannten Zeugen wurden dabei teilweise auch ihre Angaben in dem o.g. Strafverfahren vorgehalten. Schließlich hat der Senat die drei vorgenannten Sachverständige jeweils zu medizinischen Einzelfragen sowie insgesamt resümierend zum Behandlungsverlauf, zur medizinischen Bewertung der Geburtsdurchführung durch die Beklagten zu 1) und zu 2) sowie zu Kausalitätsfragen angehört. Wegen des Inhalts der Anhörung der Parteien und der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.09.2001 (vgl. Leseabschrift Bl. 78 bis 94 Bd. III GA) Bezug genommen.

Im Rahmen der Stellungnahme der Parteien zum Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Prozessvertreter der Beklagten zu 1) und zu 4) in der Sitzung des Senates erklärt, die Beklagten zu 1) und zu 4) beabsichtigten, der Klägerin ein "attraktives Vergleichsangebot" zu machen; die Klägerin hat hierzu mit Schriftsatz vom 10.10.2001 angegeben, dass ein Vergleichsangebot "im eigentlichen Sinne" nicht unterbreitet worden sei.

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung hat der Versicherer der Beklagten zu 4) am 27.09.2001 einen Betrag von 200.000,00 DM unter dem Vorbehalt der freien Verrechnung auf das Schmerzensgeldkapital bzw. auf die Schmerzensgeldrente gezahlt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Klägerin einerseits und der Beklagten zu 1) und zu 4) andererseits sind jeweils zulässig; insbesondere wurden sie jeweils form- und fristgemäß eingelegt und begründet. In der Sache hat die Berufung der Klägerin gegen die Beklagten zu 1) und zu 4) Erfolg, während die Berufung der beiden vorgenannten Beklagten zurückzuweisen war.

Die Beklagten zu 1) und zu 4) haben nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung des medizinischen Behandlungsvertrages sowie nach § 823 Abs. 1 BGB für die gesundheitlichen Schäden der Klägerin einzustehen, wobei der Vorbehalt der Einstandspflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden nach § 308 ZPO einzuschränken war. Die geburtshilfliche Behandlung der Mutter der Klägerin sowie der Klägerin selbst in der Zeit vom 01.08.1992 bis zum 02.08.1992, ca. 05:00 Uhr, ist als fahrlässig pflichtwidrig und für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin als ursächlich anzusehen. Der Anspruch auf Schmerzensgeld in Kombination von Kapitalbetrag und Geldrente ergibt sich aus § 847 BGB.

1. Die Beklagte zu 1) hat bei der geburtshilflichen Behandlung der Mutter der Klägerin sowie der Klägerin selbst am 01.08.1992 fahrlässig mehrfach, zum Teil grob gegen den fachärztlichen Standard verstoßen, woraus sich ihre vertragliche und deliktische Einstandspflicht ergibt. Behandlungsfehler hat die Beklagte zu 1) dabei bereits während der Aufnahme und der Phase der Fortführung der wehenhemmenden Therapie (dazu unter 1.1.), sodann während der Geburtseinleitung und -durchführung (dazu unter 1.2.) sowie schließlich während der nachgeburtlichen Versorgung der Klägerin (dazu unter 1.3.) begangen. Diese sind der Beklagten zu 4) im Rahmen der vertraglichen Haftung nach § 278 BGB zurechenbar; darüber hinaus haftet die Beklagte zu 4) auch deliktisch nach § 831 BGB. In seiner Gesamtschau ist das Behandlungsgeschehen bis zum 02.08.1992 gegen 05:00 Uhr ebenfalls als grob fehlerhaft zu bewerten. Im Einzelnen:

1.1. Die Beklagte zu 1) verstieß bei der medizinische Versorgung der Mutter der Klägerin am 01.08.1992 bereits während der ersten beiden Phasen der Behandlung, nämlich der Aufnahme (dazu unter 1.1.1. und 1.1.2.) und der auf ein Hinausschieben der Entbindung gerichteten Therapie (dazu unter 1.1.3.), gegen die nach dem fachärztlichen Standard gebotene Sorgfalt.

1.1.1. Ein schuldhafter Behandlungsfehler liegt zur Überzeugung des Senats bereits darin, dass die Beklagte zu 1) am 01.08.1992 die Behandlung der Mutter der Klägerin überhaupt übernommen hat.

Die am Vormittag des 01.08.1992 beabsichtigte Verlegung der Mutter der Klägerin von der B. - Klinik in W. in eine andere Klinik war von der Intension einer Erhaltung der Schwangerschaft und des Überlebens des Neugeborenen im Falle der Frühgeburt getragen. Bereits anlässlich der telefonischen Anfrage der Dr. K. hätte die Beklagte zu 1) hier die Übernahme der Behandlung ablehnen müssen. Zwar hat der Beklagte zu 3) die Frauenklinik gegenüber anderen geburtshilflichen Kliniken stets als Perinatales Zentrum, d.h. als eine auf die Bewältigung von Frühgeburten und die nachfolgende Betreuung von Frühgeborenen besonders ausgerichtete Klinik, gepriesen. Die Klägerin hat sich insoweit die Zeugenaussage des Beklagten zu 2) vor dem Senat zu Eigen gemacht; die Beklagten sind diesem Vorbringen nicht entgegen getreten. Im Ergebnis der Beweisaufnahme des Senats, und zwar insbesondere unter Würdigung der Angaben der Beklagten zu 1) selbst (vgl. Sitzungsprotokoll S. 3, Bl. 80 Bd. III GA) und der Zeugenaussage des vormaligen Beklagten zu 2) vor dem Senat (vgl. Sitzungsprotokoll S. 10, Bl. 87 Bd. III GA) sowie der hierzu vom gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. ausgeführten medizinischen Bedenken (vgl. Sitzungsprotokoll S. 12, Bl. 89 Bd. III GA), ist jedoch festzustellen, dass die Frauenklinik in D. zu dieser Zeit - entgegen dem werbenden Auftreten ihres Chefarztes gegenüber anderen geburtshilflichen Kliniken - nicht hinreichend auf die Bewältigung einer derart risikoreichen Frühgeburt, wie sie im Falle der Klägerin am Vormittag des 01.08.1992 zu besorgen stand, eingerichtet war. Zwar war im Städtischen Klinikum D. grundsätzlich eine Zusammenarbeit von frauen- und kinderärztlichen Fachärzten zur kompetenten neonatologischen Betreuung organisiert, sie stand aber stets unter der Einschränkung der erheblichen räumlichen Trennung von Frauen- und Kinderklinik, die zu einer weiteren Risikoerhöhung für das Neugeborene durch den Transport zwischen beiden Kliniken führte. Zudem verfügte die Frauenklinik, insbesondere aber auch die Beklagte zu 1) selbst, über keine hinreichenden Erfahrungen in der Behandlung derart Frühgeborener. Für die Beklagte zu 1) ergibt sich dies aus ihren gleichlautenden Angaben sowohl bei der Anhörung durch den Senat am 10.09.2001 (vgl. Sitzungsprotokoll S. 5 f., Bl. 82 f. Bd. III GA) als auch in ihrer Einlassung im Rahmen der Hauptverhandlung am 26.02.1998 vor dem Amtsgericht -Strafrichter - in Dessau (vgl. Bl. 98, 99 Bd. II BeiA), wonach sie über keinerlei eigene geburtshilfliche Erfahrungen mit Frühgeburten unter den hier gegebenen kritischen Umständen verfügt habe und lediglich während des 6. Studienjahres ihres Medizinstudiums in einer Kinderklinik mit Frühgeborenen in Kontakt gekommen sei. Für die Frauenklinik schlussfolgert der Senat dies aus den o.a. Aussagen des vormaligen Beklagten zu 2) in seinen Zeugenvernehmungen am 10.09.2001 vor dem Senat sowie - gleichlautend - am 26.02.1998 im Strafverfahren (vgl. Bl. 104 u. 104 Rs. Bd. II BeiA), worin er u.a. auch die damalige Selbsteinschätzung der Frauenklinik wiedergibt, der zu Folge bei Frühgeburten Aussichten auf ein Überleben des Neugeborenen erst ab einer erwarteten Masse von mindestens 1000 g bestanden, während bei kleineren Feten die Geburtsführung als Abort erfolgt war.

Die gegen eine Übernahme der Behandlung der Mutter der Klägerin sprechenden Aspekte waren für die Beklagte zu 1) auch mindestens erkennbar.

Zur Realisierung einer optimalen Versorgung der Klägerin hätte dem gegenüber nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die Möglichkeit bestanden, die Mutter der Klägerin am Vormittag des 01.08.1992 von W. nach H. in das dortige S. Krankenhaus verlegen zu lassen, das unstreitig sowie auch nach sachverständiger Einschätzung (so Prof. Dr. R. im Zusammenhang mit seinen auf S. 12 des Sitzungsprotokolls beurkundeten Angaben, Bl. 89 Bd. III GA) wesentlich bessere äußere Bedingungen für diese Behandlung bot (unmittelbare räumliche Nähe von Frauen- und Kinderklinik [benachbarte Gebäudekomplexe; kurze, direkte Wege], bessere gerätetechnische Ausstattung) und über weit umfangreichere Erfahrungen in der Versorgung frühst geborener Kinder verfügt. Zwar hatte sich Dr. K. von der B. - Klinik in W. nach Rücksprache mit dem Oberarzt im Hintergrunddienst und unter Einbeziehung der Mutter der Klägerin für eine Verlegung in das näher gelegene D. entschieden, medizinisch vertretbar wäre nach ihren Angaben jedoch auch eine Verlegung nach H. gewesen, insbesondere dann, wenn die Frauenklinik in D. die Übernahme abgelehnt hätte.

1.1.2. Die Beklagte zu 1) hat es fahrlässig unterlassen, bereits nach ihrer Aufnahmeuntersuchung einen Pädiater, z. Bsp. die den pädiatrischen Bereitschaftsdienst in der Frauenklinik versehende Dr. G. , zu konsultieren. Eine solche Konsultation wäre hier medizinisch erforderlich gewesen, weil die Beklagte zu 1) selbst nach eigenen Angaben nicht über hinreichende pädiatrische, insbesondere neonatologische Kenntnisse und Erfahrungen für eine derart vorzeitige Frühgeburt verfügte. Dies gilt umso mehr, als sich nach den Laborwerten bereits erste Anzeichen einer aufsteigenden Infektion bei der Mutter der Klägerin ergaben (Leukozyten, CRP-Protein-Konzentration), die u.U. ein schnelles ärztliches Eingreifen notwendig machen konnten; dieses Risiko hat sich am Abend des 01.08.1992 schließlich verwirklicht. Angesichts dessen wäre eine möglichst frühzeitige Abstimmung mit einem Pädiater über das notwendig gemeinsame Vorgehen in der Behandlung geboten gewesen und hätte bereits in dieser frühen Behandlungsphase eine angemessene Berücksichtigung der Belange des noch ungeborenen Kindes gewährleistet. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. in seiner Anhörung vor dem Senat (vgl. Sitzungsprotokoll S. 13, Bl. 90 Bd. III GA).

1.1.3. Die - gemessen am fachärztlichen Standard der übernommenen Behandlung - unzureichende Erfahrung der Beklagten zu 1) wirkte sich während der Fortsetzung der Tokolyse in der ungenügenden eigenen Prüfung der Vitalität des Feten aus.

Im Hinblick auf die Vitalität der ungeborenen Klägerin wurden letztlich von der Beklagten zu 1) keinerlei Befunde erhoben bzw. deren Erhebung veranlasst. Die Beklagte zu 1) hat insbesondere keine nochmalige Ultraschalluntersuchung zur möglichst exakten Bestimmung des Reifegrades des Feten und seiner voraussichtlichen Masse vorgenommen und kein bzw. kein auswertbares CTG zur Kontrolle der Herztätigkeit des Feten schreiben lassen. Soweit der vormalige Beklagte zu 2) in seiner Zeugenvernehmung vor dem Senat am 10.09. 2001 - übereinstimmend mit seinen Angaben in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens gegen die Beklagte zu 1) am 26.02.1998 und entgegen der Behauptung der Beklagten zu 1) in diesem Rechtsstreit - angegeben hat, dass über mehrere Stunden nach Aufnahme ein CTG bei der Mutter der Klägerin geschrieben und dann wegen ungenügender Ableitungen abgestellt worden sei, haben sich die Beklagten zu 1) und zu 4) diese Sachdarstellung schon nicht zu Eigen gemacht. Im Übrigen hätte ein solches unbefriedigendes Ergebnis gerade Veranlassung zur Erhebung der Befunde in anderer Weise geben müssen.

Die vorgenannten Befunderhebungen waren zur Überzeugung des Senats hier medizinisch notwendig. Dies ergibt sich aus den eindeutigen Ausführungen des pädiatrischen Sachverständigen Dr. H. in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.03.1996 im Strafverfahren (dort insbesondere S. 5 und 7, vgl. Bl. 113, 115 Bd. I GA), welches im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird und auf dass er sich neben seinen Ergänzungen in seiner Anhörung als gerichtlicher Sachverständiger vor dem Senat am 10.09.2001 berufen hat (vgl. Sitzungsprotokoll, insbesondere S. 13, Bl. 90 Bd. III GA). Dem steht nicht entgegen, dass sowohl der (insoweit sachverständige) Zeuge Dr. W. als auch der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. R. eine ärztliche Pflicht zur Prüfung der Vitalität des Feten nur für den Fall bejahen, dass bei Auftreten lebensbedrohender Zustände beim Feten auch die Durchführung eines invasiven Eingriffs, d.h. einer Schnittentbindung, in Betracht kommt. Denn diese Voraussetzung hätte hier jedenfalls vorgelegen.

Allerdings hat der Zeuge Dr. W. angegeben, dass in der Frauenklinik D. zur damaligen Zeit Schnittentbindungen erst ab einer erwarteten Geburtsmasse von mindestens 1000 g durchgeführt worden sind (siehe unter Abschnitt 1.1.1. dieser Entscheidungsgründe). Diese innerklinische Übung widersprach jedoch dem fachärztlichen Standard der Geburtshilfe im August 1992. Die Beklagten zu 1) und zu 4) können sich insoweit nicht auf die Regelungen des Personenstandsrechts berufen. Denn diese Regelungen sind nicht maßgeblich für den Standard des ärztlichen Handelns; maßgeblich ist insoweit allein der Stand der medizinischen Forschung und Praxis. Hierzu aber haben alle drei gerichtlichen Sachverständigen in ihrer Anhörung vor dem Senat am 10.09.2001 übereinstimmend angegeben, dass nach dem Standardwerk von Obladen, Neugeborenen-Intensivpflege, 4. Aufl. 1989, als Grenzwert für ein aktives Bemühen um die Lebenserhaltung des Feten eine voraussichtliche Masse von mindestens 600 g bzw. die Vollendung der 24. Schwangerschaftswoche galt. Tatsächlich hatten sich, was für die Bewertung der ärztlichen Tätigkeiten der Beklagten wegen des notwendigen Abstellens auf deren Sicht und möglichen Kenntnisstand z.Zt. der Behandlung unerheblich ist, aber einen interessanten Trend erkennen lässt, die Überlebens- und Unversehrtheitschancen von Frühgeborenen zu diesem Zeitpunkt noch erhöht und zu einer weiteren Absenkung des vorgenannten Grenzwerts geführt. Dies haben der Sachverständige Dr. H. in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.03.1996 (dort S. 5 und Anhang, vgl. Bl. 113, 122 ff. Bd. I GA) sowie er und der Sachverständige Prof. Dr. R. in ihrer Anhörung vor dem Senat überzeugend ausgeführt (vgl. Sitzungsprotokoll S. 15, Bl. 92 Bd. III GA); es hat u.a. auch Niederschlag in der 5. Aufl. des o.a. Standwerkes von Obladen (1994) gefunden. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 17.10.1998 ergänzend ausgeführt, dass - dem medizinischen Fortschritt nachfolgend - gerade deshalb zum 01.04.1994 eine Gesetzesänderung im Personenstandsrecht erfolgt sei (vgl. Bl. 214 Bd. I GA). Im Übrigen ist der Zeugenaussage der Dr. G. in der Hauptverhandlung vom 26.02.1998, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird, zu entnehmen, dass im fraglichen Zeitraum auch in der Kinderklinik in D. mit Erfolg mehrere Frühgeborene unter 1000 g behandelt worden sind (vgl. S. 25 des Hauptverhandlungsprotokolls, Bl. 108 Rs. Bd. II BeiA).

Beide - alternativen - Voraussetzungen lagen hier bei der Mutter der Klägerin - kumulativ - vor: Sie befand sich nach Ansicht der sie behandelnden Ärzte, der Beklagten zu 1) und - ausschließlich von dieser informiert - des Beklagten zu 2), in der 26. Schwangerschaftswoche mit einer erwarteten Masse des Feten um ca. 800 g. Diese Ansicht war im Übrigen, wie sich aus den Untersuchungen der Klägerin nach ihrer Geburt ergibt und wie alle drei gerichtlichen Sachverständigen in ihrer Anhörung am 10.09.2001 bestätigt haben (vgl. Sitzungsprotokoll S. 15, Bl. 92 Bd. III GA), objektiv auch zutreffend. Soweit die Beklagten schriftlich und schriftsätzlich mit zunehmender Prozessdauer immer nachdrücklicher darauf verwiesen haben, dass objektiv eine Schwangerschaft in der 23. (vollendeten) Schwangerschaftswoche mit einer Massenerwartung von 550 g vorgelegen habe (die Unrichtigkeit dieses Vorbringens zeigt sich im Übrigen auch in den späteren Befunden der neugeborenen Klägerin), entspricht dies gerade nicht der Einschätzung der Beklagten zu 1) und zu 2) am 01.08.1992. Das lässt sich sowohl aus den Stellungnahmen der Beklagten zu 1) vom 29.01. bzw. 08.02.1993 (vgl. Bl. 133 Bd. II BeiA sowie Bl. 13 Bd. I GA) und des vormaligen Beklagten zu 2) vom 05.02.1993 (Bl. 11d Bd. II GA) als auch aus deren persönlichen Angaben in der o.a. Hauptverhandlung entnehmen und wurde so auch von beiden in der Sitzung des Senats am 10.09.2001 bestätigt. Mithin hätte im vorliegenden Falle bei fachgerechter Behandlung die Möglichkeit einer Schnittentbindung zumindest durch die behandelnden Ärzte, also auch durch die Beklagte zu 1), erwogen werden müssen. Diese Feststellung haben die drei gerichtlichen Sachverständigen auf Nachfrage des Senats in ihrer Anhörung am 10.09.2001 übereinstimmend bestätigt.

Zur Überzeugung des Senats hätte die Mutter der Klägerin im o.g. Falle eines ansonsten lebensbedrohenden Zustandes ihres Kindes ihr Einverständnis mit einer Schnittentbindung erteilt. Die Mutter der Klägerin hat dem Senat nicht nur in ihrem schriftsätzlichen Sachvortrag, sondern vor allem auch in ihrer persönlichen Anhörung glaubhaft den Eindruck vermittelt, dass sie - auch aus der maßgeblichen Sicht des Vormittags des 01.08.1992 - bereit gewesen wäre, zugunsten der Überlebenschancen ihres Kindes und dessen Chancen auf eine Entwicklung, frei von körperlichen oder geistigen Behinderungen, eigene Unannehmlichkeiten und Risiken in Kauf zu nehmen. Dies manifestiert sich nicht zuletzt auch in ihrer sofortigen Zustimmung zu einer Verlegung von W. nach D. , mit der sie gerade dem Kind bessere Chancen geben wollte.

Im Falle der Erhebung dieser Befunde wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit die nachfolgende Unterschätzung der Vitalität der (noch ungeborenen) Klägerin vermeidbar gewesen.

1.2. Die Entscheidung der Beklagten zu 1) zur Einleitung der Geburt am Abend des 01.08.1992 war medizinisch richtig; im Rahmen der Geburtsleitung verstieß die Beklagte zu 1) jedoch erneut mehrfach, z.T. in grober Weise, gegen den Standard fachärztlicher Geburtshilfe.

1.2.1. Die Beklagte zu 1) hat es fahrlässig pflichtwidrig unterlassen, spätestens anlässlich der Entscheidung für eine Geburtseinleitung bei der Mutter der Klägerin einen Pädiater hinzuziehen, der sich arbeitsteilig sofort um die Belange des Neugeborenen, eines Risikopatienten, hätte bemühen und hierdurch der Beklagten zu 1) für die u.U. nötige weitere Behandlung der Kindesmutter Handlungsspielraum hätte verschaffen können. Dies gilt umso mehr, als das Köpfchen des Neugeborenen bereits sehr weit im Beckeneingang und die aufsteigende Infektion bei der Kindesmutter für die Klägerin in dieser Lage besonders bedrohlich war. Eine medizinisch indizierte kompetente neonatologische Betreuung von Anfang an war hier nur durch die Einschaltung eines Pädiaters zu gewährleisten.

Dieses Versäumnis der Beklagten zu 1) bewertet der Senat als einen groben Behandlungsfehler. Dabei stützt der Senat sich darauf, dass alle drei Sachverständigen in ihrer Anhörung am 10.09.2001 übereinstimmend ausgeführt haben, dass die unterlassene Hinzuziehung eines Pädiaters aus fachärztlicher Sicht schlichtweg unverständlich sei (vgl. Sitzungsprotokoll S. 14, Bl. 91 Bd. III GA). Die Einschätzungen der drei Sachverständigen werden im Übrigen nachhaltig bestätigt durch zwei weitere Umstände: Der Beklagte zu 2) hat vor dem Senat ausgesagt, dass er anlässlich des Telefongespräches mit der Beklagten zu 1) gegen 19:40 Uhr eine ausdrückliche Anweisung zur Hinzuziehung des pädiatrischen Bereitschaftsdienstes nicht gegeben habe, weil er dies für selbstverständlich gehalten habe. Auf Vorhalt hat er hierzu erklärt, dass die Beklagte zu 1) in der Frauenklinik keinen Bereitschaftsdienst hätte übernehmen dürfen, wenn er nicht hätte darauf vertrauen dürfen, dass sie in den gebotenen Fällen, wie im vorliegenden, von sich aus einen Kinderarzt hinzuzieht (vgl. Sitzungsprotokoll S. 10, Bl. 87 Bd. III GA). Der vormalige Beklagte zu 3) verfasste unter dem 29.09.1992, also im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Schadensfall, eine innerklinische Anweisung, die die rechtzeitige Hinzuziehung eines Pädiaters in jedem Falle einer drohenden Frühgeburt ab der 26. Schwangerschaftswoche (+/- zwei Wochen) bis zur 36. Schwangerschaftswoche vorschreibt (vgl. Bl. 11 Bd. III GA).

1.2.2. Die Beklagte zu 1) hat es weiter fahrlässig versäumt, den im Hintergrunddienst tätigen vormaligen Beklagten zu 2) als Facharzt über die erfolgte telefonische Absprache hinaus zur Leitung der Geburt der Klägerin hinzuziehen. Der Beklagten zu 4) fällt insoweit zusätzlich zur Last, dass der Beklagte zu 2) nicht selbst erkannt hat, dass im vorliegenden Falle seine Anwesenheit vor Ort notwendig gewesen wäre.

Denn bei der anstehenden Entbindung lagen eine Reihe von Risikofaktoren vor, die nach übereinstimmender Auffassung aller drei gerichtlichen Sachverständigen die Anwesenheit eines voll ausgebildeten Facharztes erforderten: Die Mutter der Klägerin war eine im medizinischen Sinne "alte Erstgebärende"; die Entbindung in der 26. Schwangerschaftswoche stellte eine extreme Frühgeburt dar; über den Zustand des Feten lagen keine Informationen vor; hinzu kamen die deutlichen Anzeichen einer aufsteigenden Infektion bei der Kindesmutter, die ein schnelles und geübtes Vorgehen bei der Entbindung verlangten. Der vormalige Beklagte zu 2) hat im Rahmen seiner Zeugenvernehmung vor dem Senat am 10.09.2001 eingeräumt, dass seine damalige Entscheidung, die Geburtsleitung der Beklagten zu 1) allein zu überlassen, fehlerhaft war (vgl. Sitzungsprotokoll S. 10, Bl. 87 Bd. III GA).

1.2.3. In unmittelbarer Folge der unterlassenen Hinzuziehung eines Pädiaters sowie unzureichender eigener Kenntnisse und Erfahrungen auf diesem Gebiete gelangte die Beklagte zu 1) zu einer falschen Prognose für die Überlebens- und Unversehrtheitschancen der Klägerin; hieraus resultierte, dass die Beklagte zu 1) die Geburtsleitung von Anfang an nicht nur unter der Verdachtsdiagnose "septischer Abort", sondern zugleich unter pflichtwidriger vollständiger Vernachlässigung der Belange der Klägerin durchführte.

1.2.3.1. Die Beklagte zu 1) hat angegeben, dass sie zum Zeitpunkt der Einleitung der Geburt davon ausgegangen sei, dass das Kind die Geburt nicht überleben werde, jedoch ohne zu diesem Zeitpunkt das Kind bereits völlig aufgegeben zu haben. Die hierin liegende, für die Klägerin außerordentlich ungünstige Prognose war - auch unter Berücksichtigung der bei Bewertung solcher "Entscheidungen" gebotenen Zurückhaltung - fehlerhaft.

Die gerichtlichen Sachverständigen haben ausgeführt, dass die Beklagte zu 1) nach den ihr bekannten Daten über die Klägerin bei zutreffender Prognose von einer Überlebenswahrscheinlichkeit der Klägerin von 50 bis 60 % bzw. von 60 bis 70 % (insoweit schwanken die Angaben der drei Sachverständigen je nach Anknüpfungspunkt), mithin jedenfalls von einer Überlebenschance von 50 % und von einer relativen Unversehrtheitschance von ca. 30 % hätte ausgehen müssen. Die Sachverständigen haben diese Werte nachvollziehbar an Hand von verschiedenen Untersuchungen zur Mortalität (d.h. Versterben) und Morbidität (d.h. Überleben, aber mit Behinderungen) von Frühgeborenen belegt, die zum Behandlungszeitpunkt bereits veröffentlicht waren. Der Senat hat auch insoweit keine Zweifel an der Sachkunde aller drei am 10.09.2001 angehörten Sachverständigen (vgl. insbesondere Sitzungsprotokoll S. 13, Bl. 90 Bd. III GA). Vielmehr erscheint vor dem Hintergrund der nachvollziehbaren und durch allseits unwidersprochen gebliebene Untersuchungsergebnisse belegten Ausführungen dieser Sachverständigen das prozessuale Vorbringen der Beklagten, wonach der Klägerin aus pränataler Sicht quasi keinerlei Überlebenschancen hätten eingeräumt werden können, nicht nur objektiv falsch, sondern in Anbetracht des Umstandes, dass die Beklagten fachkundig sind, als schlechterdings unverständlich.

1.2.3.2. Die Beklagte zu 1) hat es versäumt, in unmittelbarer Umgebung des Überwachungsraums Vorkehrungen für eine Erstversorgung des Neugeborenen zu treffen, insbesondere die Bereitstellung eines Inkubators unter Sicherstellung von Beatmung, Wärmezufuhr und ggfs. infusionstherapeutischen Maßnahmen. Sie hat es auch unterlassen, den Bereitschaftsdienst der Kinderklinik telefonisch aufzufordern, ein Transportteam für den Fall einer Lebendgeburt und der - hier nicht fern liegenden - Notwendigkeit intensivtherapeutischer Maßnahmen für das Neugeborene bereit zu halten. Alle diese Aufgaben obliegen zwar grundsätzlich dem hinzuzuziehenden Pädiater; hier aber war die Beklagte zu 1) mangels Einschaltung eines Pädiaters "kraft Übernahme" verpflichtet, selbst entsprechende organisatorische Voraussetzungen zu schaffen. Der Senat folgt den Ausführungen aller drei gerichtlicher Sachverständiger, dass der Beklagten zu 1) trotz der Eilbedürftigkeit der Geburtseinleitung vom Zeitpunkt der Feststellung eines inakzeptablen Temperaturanstiegs bei der Mutter der Klägerin gegen 19:30 und der Geburtseinleitung gegen 20:00 Uhr ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Verfügung gestanden habe, entsprechende Anordnungen zu erlassen.

Die vorstehend aufgeführten Versäumnisse haben bereits vorgezeichnet, dass die Klägerin nach ihrer erfolgten Entbindung gegen 20:10 Uhr keine Versorgung und Pflege erfuhr.

1.3. Die Beklagte zu 1) hat im Rahmen ihrer geburtshilflichen Tätigkeit unmittelbar nach der Entbindung der Klägerin gegen 20:10 Uhr ihre Behandlungspflichten gegenüber der Klägerin fahrlässig verletzt.

1.3.1. Der Senat geht im Ergebnis seiner Beweisaufnahme davon aus, dass die Beklagte zu 1) sofort nach der Geburt der Klägerin verpflichtet gewesen wäre, ohne weitere Untersuchungen unverzüglich Reanimationsmaßnahmen zur Rettung der Klägerin zu ergreifen; dies hat sie unstreitig nicht getan.

Der Sachverständige Dr. H. hat anlässlich der Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. R. zur Frage der Fehlerhaftigkeit der Vitalitätsprüfung durch die Beklagte zu 1) nach der Geburt der Klägerin spontan eingewandt, dass vor einer jeden Untersuchung der Lebensfunktionen der Klägerin zunächst eine Reanimation des scheinbar leblosen Neugeborenen zu erfolgen habe. Er hat die am 01.08.1992 gegen 20:10 Uhr bestehende Situation - für den Senat eindrucksvoll und ohne Weiteres nachvollziehbar - mit der Notwendigkeit lebensrettender Erste-Hilfe-Maßnahmen nach einem Verkehrsunfall mit schwerem Personenschaden verglichen: In beiden Situationen existierten keine hinreichenden Erkenntnisse über das Bestehen / Fortbestehen der Lebensfunktionen des Hilfebedürftigen, in beiden Fällen dürfe der Beginn der Reanimation keine Sekunde verzögert werden, um optimale Ergebnisse zu erreichen. Die beiden Sachverständigen Prof. Dr. R. und Dr. G. haben sich diesem Einwurf sofort und ohne Abstriche angeschlossen (vgl. Sitzungsprotokoll S. 14 f., Bl. 91 f. Bd. III GA).

Der Senat sieht im vorgenannten Versäumnis einen weiteren groben Behandlungsfehler der Beklagten zu 1). Auch hierbei stützt er sich auf sachverständige Beratung. Alle drei Sachverständigen haben dem Senat auf Nachfrage bestätigt, dass die Beklagte zu 1) angesichts fehlender Erkenntnisse über den Zustand des Kindes unter der Geburt (kein CTG, keine sonstigen überwachenden Befunderhebungen) auch bei dessen scheinbarer Leblosigkeit von einem lebenden Neugeborenen hätte ausgehen müssen. Bei einem dann erkennbar als lebensbedrohlich zu wertenden Befund müsse jedes weitere Zuwarten als mit einer korrekten ärztlichen Behandlung schlechthin unvereinbar bewertet werden (vgl. Sitzungsprotokoll S. 15, Bl. 92 Bd. III GA).

1.3.2. Der Senat geht im Ergebnis seiner Beweisaufnahme weiter davon aus, dass die Beklagte zu 1) auch die Untersuchung der Vitalität der Klägerin nach der Geburt nicht mit der kinderfachärztlich gebotenen Sorgfalt, die sie hier "kraft Übernahme" schuldete, vorgenommen hat.

Alle drei Sachverständigen haben, wiederum übereinstimmend, ausgeführt, dass angesichts des Umstandes, dass unter der Geburt kein CTG geschrieben worden und auch sonst keinerlei Erkenntnissquellen für den Zustand des Neugeborenen in dieser Phase vorhanden gewesen seien, die Prüfung der Vitalität des Neugeborenen nach seiner Entbindung mit besonderer Sorgfalt und unter Beachtung der pflegerischen Voraussetzungen (Inkubator !) hätte durchgeführt werden müssen. Der Sachverständige Dr. H. hat unter Bezugnahme auf eigene Erfahrungen anschaulich geschildert, dass beim Vorliegen eines asphyktischen Zustandes (d.h. beim Nichteinsetzen der Lungenatmung bei oder nach der Geburt) die hierfür typische langsame und leise Herztätigkeit nur bei äußerst sorgfältigem Abhorchen hörbar sei. Diese Sorgfalt hat die Beklagte zu 1) zur Überzeugung des Senats nicht beachtet. Statt dessen hat sich die Beklagte zu 1) auf eine einmalige, oberflächliche und die bereits erwartete Totgeburt lediglich bestätigen sollende Untersuchung der Klägerin beschränkt. Hierfür spricht, dass die Beklagte zu 1) nach ihren eigenen Angaben in der Anhörung vor dem Senat das Neugeborene bereits innerlich aufgegeben hatte, bevor die Klägerin überhaupt das Licht der Welt erblickt hatte, nämlich zum Zeitpunkt der vollständigen Eröffnung des Muttermundes und des Einsetzens der Presswehen (vgl. Sitzungsprotokoll S. 6, Bl. 83 Bd. III GA). Hinzu kommt, dass auch die an der Entbindung beteiligte Hebamme K. Sch. der Kindesmutter bereits vor der Untersuchung der Klägerin jede Hoffnung auf ein lebendes Kind genommen hatte. Für den Senat ist in diesem Zusammenhang auch die Örtlichkeit beredt, in der die Untersuchung der Klägerin stattfand: Dies war nicht etwa der in der Frauenklinik vorgehaltene Reanimationsraum für Neugeborene, sondern ein "Spülraum", welcher im Falle der Feststellung von Lebenszeichen keinerlei Möglichkeiten einer auch nur annähernd sachgerechten Versorgung und Pflege der extrem Frühgeborenen geboten hätte. Zudem stand die Beklagte zu 1) bei ihrer Untersuchung der Klägerin unter einem erheblichen zeitlichen und psychischen Druck, denn ihre Hauptsorge galt nach ihren eigenen Angaben der Bewältigung der schwierigen Situation der Mutter der Klägerin, die fiebernd im Überwachungsraum lag, einer Nachbehandlung bedurfte und für die Zeit der Untersuchung der Klägerin ohne ärztliche Versorgung blieb. Schließlich spricht gegen eine sorgfältige Untersuchung der Klägerin durch die Beklagte zu 1), dass die Klägerin die Geburt trotz ungünstigster äußerer Bedingungen dennoch überlebt hat. Keiner der drei Sachverständigen konnte aus eigener Erfahrung, nach Erkundigung im Kollegenkreis und nach Recherche in der internationalen Literatur Anhaltspunkte dafür finden, dass sich ein Frühgeborenes, welches nach der Geburt gänzlich ohne Lebenszeichen ist, nach neun Stunden ohne äußere Hilfe autogen reanimiert.

Der Senat ist davon überzeugt, dass eine sorgfältige klinische Untersuchung der Klägerin, insbesondere die Durchführung des APGAR-Testes, unter den gebotenen pflegerischen Voraussetzungen zu einer wesentlich frühzeitigeren Entdeckung der minimalen Lebensfunktionen bei der Klägerin und mithin zu einer Verkürzung der Phase der Unversorgtheit geführt hätte. Hierbei stützt er sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. .

1.3.3. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass die Ablage eines lebenden, aber in einer akuten Notfallsituation befindlichen Neugeborenen in einem "Spülraum" ohne Wärmezuführung, Beatmung und sonstige pflegerische und ärztliche Betreuung nicht dem ärztlichen Behandlungsstandard einer Geburtshilfe entspricht.

2. Die Beklagten zu 1) und zu 4) haben darüber hinaus nicht nachzuweisen vermocht, dass die Beklagte zu 1) die Mutter der Klägerin am 01.08.1992 rechtzeitig vor der künstlichen Einleitung der Geburt umfassend über die Behandlungsalternativen bei der Geburtsleitung (Abort, Vaginalgeburt bzw. Schnittentbindung) einschließlich der hieraus für Mutter und Kind jeweils resultierenden unterschiedlichen Risiken sowie über die Behandlungsoptionen hinsichtlich des Kindes nach der Geburt (intensiv-medizinische Maßnahmen) aufgeklärt hat.

2.1. Die Beklagte zu 1) war verpflichtet, die Mutter der Klägerin nach Abschluss der Aufnahmeuntersuchung über den Behandlungsverlauf, und zwar auch über den möglichen Behandlungsverlauf bei Fehlschlagen der wehenhemmenden Therapie bzw. bei Auftreten einer Komplikation (hier insbesondere einer Infektion) aufzuklären. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden, durch das Berufungsvorbringen der Beklagten zu 1) und zu 4) nicht entkräfteten Argumente im angefochtenen Urteil (S. 7 ff. UA) Bezug. Ergänzend ist anzumerken:

Der Senat geht davon aus, dass Pflicht der Beklagten zu 1) zur Aufklärung über den Behandlungsverlauf auch eine allgemeine Aufklärung über die Risiken einer Frühgeburt für die Kindesmutter und über die Chancen und Risiken für das Kind sowie über potentiell notwendige intensivmedizinische Maßnahmen umfasst. Für die Mutter der Klägerin, besser noch: für beide Eltern der Klägerin hätte hier eine echte Wahlmöglichkeit zwischen den Behandlungsalternativen bestanden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. G. in seinem schriftlichen Gutachten vom 06.07.1995, die er sich zu Eigen macht, wonach die Schnittentbindung auch und gerade aus pränataler Sicht geeignet gewesen wäre, die Chancen der Klägerin zu verbessern und deren Risiken, insbesondere eines Sauerstoffmangels unter der Geburt, zu minimieren.

Die gebotene Aufklärung hatte auch zum frühst möglichen Zeitpunkt, hier nach Abschluss der Aufnahmeuntersuchung, zu erfolgen, um den Eltern der Klägerin Gelegenheit zur Abwägung der bestehenden Alternativen und zur Entscheidungsfindung zu geben.

2.2. Die gebotene Aufklärung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Senats nicht erfolgt.

2.2.1. Eine entsprechende Aufklärung ist in den Krankenunterlagen der Mutter der Klägerin nicht dokumentiert.

2.2.2. Zwar kann ein Arzt im Falle einer Dokumentationslücke den sich hieraus ergebenden ersten Anschein eines Unterlassens der nicht dokumentierten Maßnahme widerlegen; an diesen Nachweis sind auch keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Die Beklagte zu 1) konnte jedoch schon im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO den Senat nicht davon überzeugen, die o.g. Aufklärung durchgeführt zu haben. Sie war nicht in der Lage, konkrete Angaben zum Inhalt der behaupteten Aufklärung sowie über den Zeitpunkt des angeblichen Aufklärungsgesprächs zu machen. Selbst wenn der Senat unterstellt, dass die von ihr geschilderte "übliche" Aufklärung über die wehenhemmende Therapie und die Antibiotika-Gabe erfolgt ist, genügte dies den oben angeführten Anforderungen an eine vollständige Aufklärung über den Behandlungsverlauf nicht. Das Berufungsvorbringen ihrer Prozessbevollmächtigten, wonach die Mutter der Klägerin "zu verstehen gegeben habe", dass sie eine intensivmedizinische Behandlung der Klägerin ablehne, hat die Beklagte zu 1) in ihrer Anhörung nicht bestätigt. Im Ergebnis erfolglos blieben auch weitere Nachweisversuche der Beklagten.

2.2.3. Die Beklagten haben sich in zweiter Instanz zum Beweis der pflichtgemäßen Aufklärung auf die Parteivernehmung der Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) berufen; letzteres Beweisangebot war angesichts des Wechsels von der Partei- zur Zeugenstellung als Angebot der Zeugenvernehmung umzudeuten. Der Beklagte zu 2) konnte aus eigener Kenntnis keine Angaben zum Zeitpunkt und Inhalt eines Aufklärungsgespräches machen. Für eine Parteivernehmung der Beklagten zu 1) lagen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 447 ZPO (Einver-ständnis der Klägerin) bzw. des § 448 ZPO (insbesondere eine bereits bestehende gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Beweisbehauptung) nicht vor. Eine solche gewisse Wahrscheinlichkeit ergibt sich insbesondere nicht aus dem Schreiben der Klägerin vom 15.10.1992, auf das sich die Beklagten zu 1) und zu 4) bezogen haben. In diesem Schreiben hat die Mutter der Klägerin lediglich angegeben, dass ihr vor Einleitung der Wehen mitgeteilt worden sei, dass sie das Kind verlieren werde (vgl. Bl. 22 Bd. III GA). Zweifelhaft ist schon, ob sich dies nicht nur auf eine der Äußerungen der Hebamme Sch. bezieht, denn im Schreiben ist die Informationsquelle insoweit nicht benannt. Im Zusammenhang gelesen spricht diese frühe Äußerung der Kindesmutter zum Behandlungsverlauf jedoch eher gegen eine erfolgte umfangreiche Aufklärung, denn die "Aufklärung" beschränkte sich danach offensichtlich auf die Mitteilung der (vermeintlich) ungünstigen Prognose. Schließlich sprechen die Angaben der Mutter der Klägerin in ihrer Anhörung als gesetzliche Vertreterin einer Prozesspartei gegen die Richtigkeit der Beweisbehauptung der Beklagten. Dies gilt insbesondere für den von ihr glaubhaft geschilderten Umstand, dass sie dem Kindsvater bei dessen Besuch am Abend des 01.08.1992 praktisch nichts über den möglichen weiteren Behandlungsverlauf bzw. über solche von ihnen gemeinsam zu treffenden Entscheidungen im Hinblick auf die Schwangerschaft und die anstehende Frühgeburt mitteilen konnte.

3. Da der Senat, wie ausgeführt, von einer fundamental unzureichenden, im Einzelnen teilweise und insbesondere auch in ihrer Gesamtheit grob fehlerhaften Behandlung der Mutter der Klägerin sowie der Klägerin selbst durch die Beklagte zu 1) ausgeht, kommt der Klägerin hinsichtlich der Kausalität zwischen dem Behandlungsverlauf und den bei ihr festgestellten körperlichen und geistigen Behinderungen eine Beweiserleichterung in Form einer Beweislastumkehr zugute. Die Beklagten zu 1) und zu 4) konnten den nunmehr ihnen obliegenden Beweis, dass die ihnen zuzurechnenden Behandlungsfehler bei der Geburtshilfe im Zeitraum vom 01.08.1992 bis 02.08.1992 gegen 05:00 Uhr nicht ursächlich für die bei der Klägerin vorliegenden Behinderungen geworden sind, nicht führen.

3.1. Im Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme besteht kein Zweifel daran, dass alle festgestellten Behinderungen der Klägerin als unmittelbare Folgen der vorerkannten Behandlungsfehler erklärt werden können.

Der Senat hat über die Frage der Kausalität auch hinsichtlich der totalen Blindheit der Klägerin Beweis erhoben. Zwar hat die Klägerin im Rahmen ihres schriftsätzlichen Berufungsvorbringens die Behauptung einer Kausalität zwischen den von ihr behaupteten Behandlungsfehlern und ihrer Blindheit nicht mehr aufrecht erhalten; der Senat geht jedoch davon aus, dass die Klägerin im Ergebnis der Beweisaufnahme zum Vorliegen von ärztlichen Behandlungsfehlern, die für sie überraschende Erkenntnisse zu Tage brachte, konkludent zu der erstinstanzlich bereits aufgestellten Behauptung zurück gekehrt ist. Dies entnimmt der Senat vor allem auch den Fragen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Sachverständigen Dr. H. . Der Senat hat diese Form der (wieder aufgegriffenen) Tatsachenbehauptung insbesondere unter Berücksichtigung des im Arzthaftungsprozess geltenden Grundsatzes, dass an die Substantiierungspflichten des Patienten maßvolle und verständige Anforderungen zu stellen sind (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl. 1997, Rn. 579 bis 583 mwN.), als ausreichend erachtet.

3.1.1. Die Ursache der Blindheit der Klägerin liegt, wie insbesondere die Sachverständigen Prof. Dr. R. und Dr. H. - beide Neonatologen - in ihrer Anhörung vom 10.09.2001, teilweise unter Bezugnahme auf ihre jeweiligen entsprechenden Ausführungen in ihren schriftlichen Gutachten, ausgeführt haben, in einem zu hohen Sauerstoff-Partialdruck auf aussprossende Blutgefäße in der Netzhaut der Klägerin (vgl. v.a. S. 9 des schriftlichen Gutachtens Dr. H. vom 14.03.1996, Bl. 177 Bd. I GA; Sitzungsprotokoll S. 16, Bl. 93 Bd. III GA). Dieser zu hohe Sauerstoff-Partialdruck ist hier auf die künstliche Beatmung der Klägerin nach ihrem Auffinden am 02.08.1992 zurückzuführen. Bei der künstlichen Beatmung besteht die Schwierigkeit in der Wahl des richtigen Ausmaßes: ein Zuviel an Beatmung löst die vorbeschriebenen Folgen aus, ein Zuwenig bedroht die Sauerstoffversorgung insbesondere des Gehirns mit ebenfalls dramatischen Auswirkungen. Die Medizin hatte bis 1992 in der Justierung einer optimalen Sauerstoffgabe sowie in der Verkürzung der Beatmungszeiten durch medikamentöse Förderung der Lungenentwicklung bereits erhebliche Fortschritte gemacht, was sich darin zeigt, dass in Deutschland die Fälle dauerhafter schwerer Sehstörungen (Stadien IV und V) auch bei Frühgeborenen unter 1.700 g bzw. unter der 28. Schwangerschaftswoche in einen Bereich von ca. 0,5 % gesenkt werden konnten. Diese von den Sachverständigen belegten statistischen Angaben widersprechen im Übrigen erheblich dem von den Beklagten außergerichtlich gegenüber der Klägerin und prozessual fortwährend erweckten Eindruck, dass die Blindheit der Klägerin nahezu unausweichliche Folge ihrer extremen Unreife bei Geburt gewesen sei.

Die vorgenannten Sachverständigen halten es für sehr wahrscheinlich, dass der zu hohe Sauerstoff-Partialdruck in der ersten Phase der Beatmung, der Reanimationsphase, aufgetreten sei, weil gerade in dieser Phase die Sauerstoffbedürftigkeit nicht sicher zu ermitteln gewesen sei, dies u.a. aufgrund des Schockgeschehens unter der Geburt und der extremen Unterkühlung der Klägerin nach der Geburt. Danach wären die festgestellten Behandlungsfehler der Beklagten zumindest mitursächlich für den zur Blindheit führenden Vorgang geworden. Zudem habe die relativ lange Sauerstoffunterversorgung über einen Zeitraum von ca. neun Stunden dazu geführt, dass sich eine fehlerhafte Lungenfunktion bei der Klägerin habe manifestieren können mit der Folge, dass insgesamt eine länger andauernde Beatmung bis zur Stabilisierung der Lungenfunktion erforderlich geworden sei (vgl. ebenda). Diesen gutachterlichen Einschätzungen folgt der Senat.

Zwar konnten die Sachverständigen auch auf Nachfrage des Senats nicht ausschließen, dass der zur Schädigung der Netzhaut führende zu hohe Sauerstoff-Partialdruck auch zu späteren Beatmungsphasen (24-tägige Intensivtherapie mit maschineller Beatmung, 4-wöchige bedürftigkeitsabhängige Beatmung) eingetreten sei; dies genügt - unabhängig davon, inwieweit diese späteren Beatmungsphasen nicht gerade aufgrund der langen Phase der Unversorgtheit der Klägerin beruhen - jedenfalls nicht zur Führung eines Gegenbeweises durch die Beklagten zu 1) und zu 4).

3.1.2. Die Störung der motorischen und geistigen Entwicklung der Klägerin hat ihre Ursache nach den den Senat überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. (schrift-liches Gutachen vom 14.03.1996, S. 10 f., Bl. 118 f Bd. I GA; Sitzungsprotokoll S. 16 f., Bl. 93 f Bd. III GA), die durch gleichlautende Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. in seinem schriftlichen Gutachten vom 17.10.1998 bestätigt werden (dort S. 7 f. und S. 12 f., Bl. 209 f., 215 f. Bd. I GA; Sitzungsprotokoll S. 17, Bl. 94 Bd. III GA), am wahrscheinlichsten in einer Gehirnblutung. Bei der Klägerin sind nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. H. Druckschwankungen unter der Geburt auf den Kopf nicht auszuschließen; jedenfalls hätten Blutdruckschwankungen nach der Geburt, z.Bsp. in Folge des Schockgeschehens, stattgefunden, die ihrerseits typische Auslöser von inneren Gehirnblutungen seien. Bei Gehirnblutungen III. und IV. Grades, so der Sachverständige Dr. H. , müsse immer mit negativen Folgen für die Entwicklung des Neugeborenen gerechnet werden. Die Darlegungen des Sachverständigen Dr. H. sind vor dem Hintergrund der in den Krankenunterlagen der Klägerin dokumentierten Befunden sehr plausibel. Bei der Klägerin ist am 03.08.1992 erstmals der Verdacht einer Gehirnblutung "II. oder III. Grades" geäußert worden; tatsächlich wurden später Befunde festgestellt, die sich mit einer Gehirnblutung III. Grades in die Gehirnkammern, im Occipitalbereich und im Bereich des Kleinhirns, erklären lassen. Dieser Krankheitsverlauf spricht für eine Ursächlichkeit der festgestellten Behandlungsfehler der Beklagten zu 1) und zu 4) für die motorischen und geistigen Entwicklungsstörungen bei der Klägerin, wenngleich nach den nachvollziehbaren Angaben beider o.g. Sachverständigen nicht auszuschließen sei, dass gleiche Schäden auch bei einer sofortigen Reanimation der Klägerin eingetreten wären.

Beide vorgenannte Sachverständigen haben jeweils übereinstimmend ausgeführt, dass als kumulative Ursache der o.g. Entwicklungsstörungen auch ein Sauerstoffmangel bei der Neugeborenen in Betracht käme. Hierbei käme jedoch der Gehirnblutung der deutlich überwiegende Anteil an der schadvollen Entwicklung der Klägerin zu (vgl. insbesondere Dr. H. , schriftliches Gutachten vom 14.03.1996, S. 12, Bl. 120 Bd. I GA; Sitzungsprotokoll S. 16 f., Bl. 93 f). Letzterem folgend, ist - unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des Sauerstoffmangels - eine abweichende Bewertung der Kausalität in rechtlicher Hinsicht nicht gerechtfertigt.

3.2. Soweit die Beklagten zu 1) und zu 4) behaupten, dass die festgestellten Schäden der Klägerin in gleicher Weise bei einer dem geschuldeten fachärztlichen Standard entsprechenden Geburtshilfe aufgetreten wären, konnten sie die Richtigkeit dieses Vorbringens nicht beweisen. Insbesondere haben sie nicht nachgewiesen, dass die Behinderungen der Klägerin auf einen pränatalen, intrauterinen Sauerstoffmangel zurückzuführen sind. Allein der Umstand, dass eine solche pränatale Schädigung der Klägerin auch nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. R. und Dr. H. nicht auszuschließen ist, genügt diesen Nachweisanforderungen nicht (vgl. stets Sitzungsprotokoll S. 16 f, Bl. 93 f. Bd. III GA).

3.2.1. Alle drei Sachverständigen haben übereinstimmend ausgeführt, dass angesichts der Unreife der Klägerin z.Zt. der Geburtseinleitung die Chancen für ein gesundes Überleben keineswegs garantiert waren. Auch die Dauer der stationären Behandlung der Klägerin bis zu ihrer erstmaligen Entlassung war im Wesentlichen nicht durch die bei ihr aufgetretenen Komplikationen, sondern durch ihre Unreife bestimmt.

3.2.2. Die Sachverständigen Prof. Dr. R. und Dr. H. haben bereits im Verfahren erster Instanz überzeugend dargelegt, dass weder der vorzeitige Blasensprung noch die dokumentierten Färbungen des Fruchtwassers seriöse Rückschlüsse auf eine pränatale Schädigung der Klägerin zulassen (vgl. insbesondere Anhörung Prof. Dr. R. vor dem Landgericht Dessau am 03.08.1999, Bl. 10 Bd. II GA). Dem sind die Beklagten zu 1) und zu 4) mit ihrem Berufungsvorbringen sachlich nicht entgegen getreten. Beide Sachverständige haben in ihrer Anhörung vor dem Senat wiederholt, dass es keinerlei in den Krankenunterlagen der Mutter der Klägerin bzw. der Klägerin selbst dokumentierte Befunde gibt, die auf eine pränatale Schädigung auch nur hindeuten könnten. Gegen die Richtigkeit der o.g. Behauptung der Beklagten zu 1) und zu 4) spricht im Übrigen, dass Reife und Masse der Klägerin bei Geburt dem Gestationsalter nach der Regel entsprachen, sich mithin in diesen "harten" Fakten eine altersgerechte pränatale Entwicklung manifestiert.

3.2.3. Zwar haben beide vorgenannten Sachverständigen bestätigt, dass ein Sauerstoffmangel bei der Klägerin unter der Geburt sehr wahrscheinlich sei und u.U. sogar schon kurz vor Geburtseinleitung bestanden haben könnte (siehe einfache Nabelschnurumschlingung, erhöhter Sauerstoffbedarf durch Temperaturanstieg bei der Mutter). Gleichwohl gehen beide Sachverständige mit absoluter Sicherheit davon aus, dass ein erheblich schwererer Sauerstoffmangel erst nach der Geburt, nämlich durch die zunächst unterlassene Reanimation eingetreten ist (Gutachten R. , S. 7 f, Bl. 210 f. Bd. I GA; Gutachten H. , S. 13, Bl. 121 Bd. I GA; Sitzungsprotokoll S. 16 f., Bl. 93 f. Bd. III GA).

3.3. In Gesamtschau der vorstehenden Erkenntnisse kommt der Senat zu dem Schluss, dass die Schäden der Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die festgestellten Behandlungsfehler der Beklagten zu 1) und zu 4) verursacht bzw. maßgeblich mitverursacht worden sind.

Der Sachverständige Dr. H. hat sich - auch auf Nachfrage des Senats - zwar zurück gehalten, selbst eine Einschätzung hierüber abzugeben. Diese Zurückhaltung ist vor dem Hintergrund der teilweisen Unaufklärbarkeit der zeitlichen Abläufe gut verständlich. Auf Vorhalt der - in den Entscheidungsgründen des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils nicht näher begründeten - Schätzung der dieser Wahrscheinlichkeit mit 80 % hat er angegeben, dass er dies für eine "ordentliche" Schätzung halte (vgl. Sitzungsprotokoll S. 16, Bl. 93 Bd. III GA).

Jedenfalls haben die Beklagten zu 1) und zu 4) den ihnen obliegenden Gegenbeweis nicht zu führen vermocht.

4. Der Senat erachtet einen Schmerzensgeld-Kapitalbetrag in Höhe von insgesamt 500.000,00 DM sowie eine daneben lebenslang zu zahlende Schmerzensgeld-Rente ab Geburt in Höhe von monatlich 600,00 DM für angemessen, § 847 BGB.

Der Senat hat in seiner Entscheidungsformel die Zahlung der Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 1) und zu 4) unberücksichtigt gelassen, weil die Zahlung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung bewirkt und zudem lediglich unter Vorbehalt erfolgt ist.

4.1. Nach den Feststellungen des Senats haben mehrfache, z.T. grobe ärztliche Behandlungsfehler zu den Schwerstschäden geführt, unter denen die Klägerin von Geburt an leidet und in Zukunft immer leiden wird. Dem Leben der Klägerin wurde durch die Fehlerhaftigkeit der Geburtshilfe im Krankenhaus der Beklagten zu 4) von Anfang an die typische Perspektiven- und Erlebnisvielfalt eines unbehinderten jungen Lebens für immer genommen; das Leben der Klägerin wird stets relativ arm an Erfahrungen und Entfaltungsmöglichkeiten und voll von Einsamkeit sein. Im Vordergrund der Erlebniswelt der Klägerin werden - bewusst und unbewusst - die Beschränkung der eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten sowie insbesondere die Abhängigkeit und die Ohnmacht stehen, die ein Mensch empfindet, wenn er nahezu keinen Wunsch, und sei er auch noch so bescheiden, ohne fremde Hilfe verwirklichen kann. Die notwendige immer währende Anwesenheit von Helfern und Pflegepersonen wird es der Klägerin unmöglich machen, sich eine eigene, intime Sphäre aufzubauen; ihr werden dadurch solche für jedes Leben ganz wesentliche Erfahrungen verwehrt bleiben. Offenkundig ist, dass die schweren körperlichen und geistigen Behinderungen der Klägerin, die den Beklagten zu 1) und zu 4) nach den Feststellungen des Senats vollständig als Folgen ihrer grob fehlerhaften Behandlung zuzurechnen sind, zu einer erheblichen Einschränkung und Begrenzung der Bildungs- und Berufschancen (sofern eine Berufsausübung überhaupt möglich werden wird) führen werden. Neben den sich hieraus ergebenden und für die Schmerzensgeldbemessung außer Ansatz zu lassenden materiellen Nachteilen sind damit auch erhebliche immaterielle Schäden verbunden, wie eine eingeschränkte Berufswahl, eine u.U. erheblich geringere innere Befriedigung bei der Berufsausübung und auch eine Beschränkung der Möglichkeiten zur Erlangung sozialer Anerkennung. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes haben auch die stark verminderten Chancen des Aufbaus enger persönlicher Bindungen zu Menschen außerhalb des helfenden und betreuenden Umfeldes einschließlich stark verminderter Heiratsaussichten bzw. Aussichten auf Gründung einer eigenen Familie besondere Bedeutung. Schließlich berücksichtigt der Senat, dass der Klägerin vielfältige Möglichkeiten einer Freizeitgestaltung, welcher für das geistige, körperliche und vor allem das seelische Wohlbefinden eines Menschen eine hohe Bedeutung zukommt, verloren gegangen sind. Bereits dieses Ausmaß der erlittenen Schäden muss unter Berücksichtigung der Ausgleichsfunktion dazu führen, dass das zuzubilligende Schmerzensgeld an den höchsten bisher von der Rechtsprechung überhaupt zugestandenen Beträgen zu orientieren ist.

4.2. Der Kapitalbetrag des Schmerzensgeldes bedurfte unter dem Aspekt der Genugtuungsfunktion einer signifikanten Erhöhung. Hier ist neben der Schwere der ärztlichen Fehlleistungen insbesondere das völlig uneinsichtige bisherige Verhalten der Beklagten kompensationsbedürftig, welches die Klägerin angesichts der besonders schwerwiegenden Behandlungsfolgen direkt und indirekt (vermittelt über ihre Eltern als unmittelbares persönliches Umfeld) ganz erheblich belastet hat. Nach den Feststellungen des Senats ist es völlig unverständlich, dass die Beklagten bzw. der hinter diesen stehende Haftpflichtversicherer neun lange Jahre lang jegliche Verantwortlichkeit für die Geburtshilfeschäden der Klägerin nicht nur vehement bestritten, sondern teilweise gar auf die Mutter der Klägerin abzuschieben versucht haben.

4.2.1. Der Senat verkennt nicht, dass die Beklagte zu 1) aus eigenen Mitteln einen Betrag von 6.000,00 DM an die Klägerin zur Abwendung weiterer strafrechtlicher Verfolgung gezahlt hat; dies wirkt sich hier jedoch nicht auf die Bemessung des Schmerzensgeldes aus (vgl. BGHZ 128, 117 ff; BGH NJW 1996, 1591 ff.); dieser Betrag ist auch nicht etwa als Teilleistung auf den Gesamtbetrag in Abzug zu bringen. Der Senat anerkennt ausdrücklich die zwar sehr späte, aber nunmehr offene und teilweise für sie selbst sicher schmerzliche Auseinandersetzung des vormaligen Beklagten zu 2) und - mit Einschränkungen - der Beklagten zu 1) mit ihrem Verhalten im Rahmen der streitgegenständlichen Behandlung im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 10.09.2001. Die Beklagte zu 1) hat jedoch nach Einschätzung des Senats bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eine ehrliche, selbstkritische Bewertung ihres damaligen Verhaltens nicht abgeschlossen. Den Behandlungsfehlern der Beklagten zu 1) vom 01.08.1992 liegt eine permanente, sich steigernde Überschätzung der eigenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zugrunde; diese hatte die die Beklagte zu 1) auch zum Zeitpunkt ihrer Anhörung durch den Senat noch nicht überwunden (vgl. Sitzungsprotokoll S. 5, Bl. 82 Bd. III GA).

4.2.2. Schmerzensgeld erhöhend war das vorgerichtliche und prozessuale Verhalten der Beklagten gegenüber der Klägerin zu berücksichtigen. Die Beklagten haben die Fehlerhaftigkeit ihres Vorgehens am 01.08.1992 zumindest teilweise bereits frühzeitig erkannt, was sich u.a. in der Anweisung des Beklagten zu 3) an die Beklagte zu 1) vom 29.09.1992 zeigt. Insbesondere der mit der möglichen Schadensregulierung befasste Haftpflichtversicherer hatte aber nicht nur Gelegenheit, sondern vor allem mehrfach erhebliche Veranlassung, den eigenen - ablehnen-den - Standpunkt einer Überprüfung zu unterziehen und durch Sachaufklärung in der eigenen Sphäre, z.Bsp durch eine Befragung der Beklagten zu 1) und zu 2) sowie der Hebamme K. Sch. in der Weise, wie sie der Senat am 10.09.2001 vorgenommen hat, den wahren Behandlungsverlauf aufzuklären. Statt dessen haben die Beklagten bzw. ihr Haftpflichtversicherer zunächst eine Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen überhaupt und später eine weitere Aufklärung des Behandlungsverlaufs und der Schadensentwicklung durch vermeintlich fachkundige, objektiv aber unwahre Behauptungen behindert und hierauf selbst dann noch beharrt, als bereits deutliche gegen die Richtigkeit dieser Behauptung sprechende Erkenntnisse aus sachverständiger Begutachtung vorlagen. Die Beklagten haben damit die gebotene zeitnahe Entschädigung bzw. zumindest teilweise Entschädigung unangemessen hinausgezögert. Diese Haltung der Beklagten bzw. ihres Haftpflichtversicherers hat sich im Übrigen selbst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat fortgesetzt; trotz eines mehr als eindeutigen Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem Senat haben die Beklagten Schriftsatznachlass auf die Angaben der Beklagten zu 1) begehrt, haben der Klägerin entgegen ihrer vollmundigen Ankündigung in der Sitzung des Senats von sich aus eben kein akzeptables Vergleichsangebot unterbreitet und eine Teilzahlung ausdrücklich unter Vorbehalt und unter Aufrechterhaltung ihres eigenen, auf komplette Klageabweisung (!) gerichteten Rechtsmittels vorgenommen.

4.2.3. Hinsichtlich des zugesprochenen Kapitalbetrages des Schmerzensgeldes waren dem Senat schließlich durch den Antrag der Klägerin und die hierin enthaltene Angabe eines Mindestbetrages auch nach oben keine Grenzen iSv. § 308 ZPO gezogen (vgl. BGHZ 132, 341 ff).

4.3. Neben dem o.a. Kapitalbetrag, gewissermaßen als Sockelbetrag eines angemessenen Schmerzensgeldes, war der Klägerin hier eine Schmerzensgeld-Rente zuzuerkennen, wie es bereits das erstinstanzliche Gericht getan hat. Denn die schweren und lebenslangen körperlichen und geistigen Behinderungen der Klägerin, insbesondere der totale Verlust des Augenlichts und die erhebliche Reduzierung der Fähigkeiten zur gezielten Einsetzung ihres Bewegungsapparates sowie zur Ausbildung eines selbständigen Sprachvermögens, können nicht durch einen einmaligen Betrag abgegolten werden (vgl. BGH VersR 1976, 967 ff). Die Zuerkennung einer Geldrente eröffnet zudem unter den Voraussetzungen des § 323 ZPO die Möglichkeit einer Anpassung. Schließlich berücksichtigt der Senat insoweit auch, dass es die Klägerin aufgrund der ihr durch die Beklagte zu 1) und die Frauenklinik des Krankenhauses der Beklagten zu 4) zugefügten Schwerstschäden zeit ihres Lebens schwer haben wird, ihre ihr angeborene Menschenwürde in unserer Leistungsgesellschaft fortdauernd zu behaupten. Dem zuzubilligenden Schmerzensgeld kommt daher auch die besondere Aufgabe zu, gewissermaßen symbolhaft zu bestätigen, dass die Klägerin trotz der ihr zugefügten körperlichen und geistigen Behinderungen ihre Menschenwürde nicht verloren hat.

Die Höhe der Schmerzensgeld-Rente bewegt sich, isoliert betrachtet, im Rahmen vergleichbarer Entscheidungen anderer Gerichte (vgl. nur Thüringer OLG Jena OLG-NL 1994, 150 ff.; Schleswig-Holsteinisches OLG VersR 1994, 310 ff.; ebenfalls jeweils monatlich 600,00 DM bei vergleichbar schweren Geburtsschäden).

4.4. Das der Klägerin zuerkannte Schmerzensgeld bewegt sich auch in seiner Gesamtheit im Rahmen einer angemessenen Entschädigung. Der Senat verkennt nicht, dass bei der Schmerzensgeldbemessung auch die wirtschaftlichen Belange auf Seiten des Ersatzpflichtigen und, darüber hinaus, das gesellschaftliche Interesse an einer Aufrechterhaltung eines bezahlbaren medizinischen Versorgungssystems grundsätzlich auch in Fällen, wie dem vorliegenden, eine besondere Zurückhaltung gebieten.

Unter Berücksichtigung eines Zinsfaktors von 5 % würde die Kapitalisierung der Schmerzensgeld-Rente bei Anwendung eines Faktors von 19,888 (Kapitalisierungsfaktor einer lebenslänglichen Leibrente für Frauen: 19,804 zzgl. eines Zuschlags von 0,084 wegen der hier bestimmten Zahlungsweise "quartalsweise im Voraus"; Tabellenwerte nach: Wussow/ Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 6. Aufl. 1996, dort Anhang) auf den Jahreswert der Rente von 7.200,00 DM einen Betrag von 143.193,60 DM ergeben, woraus sich für das Schmerzensgeld ein Gesamtbetrag von 643.193,60 DM ergeben würde. Dieser Betrag erscheint dem Senat unter Berücksichtigung der vorstehenden Umstände angemessen. Dabei hat der Senat insbesondere die nachfolgenden Entscheidungen, alle bezogen auf schwere Schäden Neugeborener bzw. Kleinkinder, in seine vergleichenden Betrachtungen einbezogen:

LG Berlin (unveröffentlicht) ADAC* 19./Nr. 2391 = 20./Nr. 2677 (1995: 300.000,00 DM und 800,00 DM - ohne besondere Genugtuungsfunktion)

OLG Köln NJW-RR 1996, 281; zugleich ADAC* 19./Nr. 2393 = 20./Nr. 2679 (1995: 350.000,00 DM und 650,00 DM - ohne besondere Genugtuungsfunktion)

LG Bremen DAR 1992, 65; zugleich ADAC* 19./Nr. 2397 = 20./Nr. 2684 (1995: 420.000,00 DM und 500,00 DM - ohne besondere Genugtuungsfunktion)

LG Hanau ZfS 1995, 211; zugleich ADAC* 19./Nr. 2399 = 20./Nr. 2686 (1996: 500.000,00 DM und 500,00 DM - Produzentenhaftung)

(ADAC*, d.h. hier ADAC-SchmerzensgeldBeträge, zitiert jeweils 19. und 20. Aufl.).

4.5. Hinsichtlich des Schmerzensgeld-Kapitalbetrages verbleibt es bei der erstinstanzlich zu Recht erfolgten, mit der Berufung der Beklagten zu 1) und zu 4) auch nicht angegriffenen Zuerkennung von Prozesszinsen. Soweit das erstinstanzliche Gericht im Tenor seiner angefochtenen Entscheidung diese Zinspflicht auch auf den bezifferten Rückstand der Schmerzensgeld-Rente erstreckt hat, handelt es sich um einen offensichtlichen Formulierungsfehler, wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt; diesen hat der Senat von Amts wegen berichtigt.

4.6. Die von der Klägerin begehrte Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten zu 1) und zu 4) für künftige Schäden ist in dem in zweiter Instanz geltend gemachten Umfange begründet. Aufgrund des erheblichen, schweren Krankheitsbildes bei der Klägerin besteht kein Zweifel, dass auch in Zukunft mit dauerhaften materiellen und immateriellen Schäden zu rechnen ist.

5. Die Kostengrundentscheidung in erster Instanz beruht auf §§ 92, 100 ZPO.

Die vorgenannten Vorschriften regeln den hier vorliegenden Fall eines Unterliegens einzelner von mehreren Streitgenossen, die noch dazu nur teilweise Parteien des Rechtsmittelverfahrens geworden sind, nicht. In der gerichtlichen Praxis ist in diesen Fällen die Anwendung der so genannten BaumbachŽschen Formel gebräuchlich; auch der erkennende Senat wendet sie grundsätzlich an. Es ist jedoch auch weitgehend unumstritten, dass die so genannte BaumbachŽsche Formel, die der Vereinfachung der Kostengrundentscheidung dient, im Einzelfall zu Kostenungerechtigkeiten im Hinblick auf das im Kostenrecht im Übrigen vorherrschende Verursachungsprinzip führen kann; diese werden von der Rechtsprechung grundsätzlich bewusst hingenommen (vgl. Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Komm. z. ZPO, 59. Aufl. 2001, § 100 Rn. 30, 52; Herget in: Zöller, Komm. z. ZPO, 22. Aufl. 2001, § 91 Rn. 13 "Streitgenossen", dort lit. 3 c, auch § 100 Rn. 7 f.). Denn die Kostengrundentscheidung orientiert sich grundsätzlich gerade nicht am konkreten Gebührenanfall, sondern allein am Obsiegen und Unterliegen der Prozessparteien.

Im vorliegenden Falle erscheint die Kostenquote, die sich unter Anwendung der BaumbachŽschen Formel ergibt, gegenüber den tatsächlich durch die Klägerin verursachten Mehrkosten des Rechtsstreits, beschränkt im Übrigen auf die erste Instanz, als extrem unbillig. Der Senat hat daher ausnahmsweise von einer Anwendung der BaumbachŽschen Formel abgesehen und statt dessen die Kostenlast der Klägerin entsprechend der Höhe der durch die Erstreckung der Klage auf die Beklagten zu 2) und zu 3) verursachten Mehrkosten (im Wesentlichen gerichtliche Auslagen für Zustellungen und die auf die beiden vorgenannten Beklagten jeweils entfallenden Erhöhungsgebühren nach § 6 Abs. 1 S. 1 BRAGO) begrenzt.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 546 ZPO. Dabei ist der Senat hinsichtlich der Höhe der Sicherheitsleistung vom gesamten Kapitalbetrag des Schmerzensgeldes, vom Betrag der rückständigen Schmerzensgeld-Rente und weiterer sechs Monate Rentenzahlung sowie von der Höhe der außergerichtlichen Auslagen der Klägerin in beiden Instanzen ausgegangen; der nach Schluss der mündlichen Verhandlung unter Vorbehalt gezahlte Betrag wurde nicht berücksichtigt.

Ende der Entscheidung

Zurück