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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 10.04.2001
Aktenzeichen: 1 U 22/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
In Möbelhäusern sind Schränke so aufzustellen, dass sie durch ein vierjähriges Kind auch dann nicht zum Unfallen gebracht werden können, wenn dieses sich in einem unbeobachteten Moment unsachgemäß verhält.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 22/01 OLG Naumburg

verkündet am: 10.04.2001

In dem Rechtsstreit

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2001 durch den Richter am Oberlandesgericht Geib, die Richterin am Oberlandesgericht Mertens und den Richter am Landgericht Wiedemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Dezember 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg (Geschäftsnummer: 10 O 1147/00) wird zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und wurde insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Das Landgericht hat - obschon in der Begründung nicht rechtsfehlerfrei, so doch im Ergebnis zutreffend - die Klage abgewiesen.

1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB) zu. Die Beklagte hat eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt, wodurch die Klägerin eine Gesundheitsbeschädigung erlitt. Auf den Ablauf des Unfallherganges im Einzelnen kommt es dabei - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht an. In Möbelhäusern sind Schränke so aufzustellen, dass sie durch ein vierjähriges Kind auch dann nicht zum Umfallen gebracht werden können, wenn dieses sich in einem unbeobachteten Moment unsachgemäß verhält. Es ist Möbelgeschäften und darin befindlichen "Fundgruben" zu eigen und gewollt, dass die Aufmerksamkeit der Eltern durch das Angebot an Mobilar auf dieses gelenkt und von den Kindern abgelenkt wird. Es ist Kindern zu eigen, dass diese kurze Momente der Unaufmerksamkeit nutzen, um entsprechend dem ihnen eigenen Spieltrieb die interessante Umgebung zu erkunden, ohne die gebotene oder auch nur irgendeine Vorsicht walten zu lassen. Möbelgeschäfte haben sich hierauf einzurichten und ihre Verkehrssicherungspflicht so wahrzunehmen, dass Kinder nicht durch umfallende Schränke verletzt werden.

2. Der Höhe nach übersteigt der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin den Betrag nicht, der bereits vorprozessual gezahlt wurde. Der Anspruch ist daher durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen.

a) Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes geht der Senat geht zum einen von dem - zwischen den Parteien nicht streitigen - Umstand aus, dass die Klägerin eine Riss- und Quetschwunde von ca. 2 cm am rechten Ohrläppchen erlitt. Die Behandlung der Verletzung verlief komplikationslos, eine gravierende optische Beeinträchtigung besteht nach Ausheilung nicht mehr. Zwar ist eine solche Verletzung schmerzhaft, jedoch würde sie für sich genommen noch kein Schmerzensgeld in Höhe der vorprozessualen Zahlung rechtfertigen.

b) Der Senat geht allerdings auch davon aus, dass auf den Unfall eine psychische Beeinträchtigung der Klägerin zurückzuführen ist. Der Senat legt dabei den Befundbericht der Zeugin Dr. R. vom 10. 02. 1998 (GA Bd. 1 Bl. 84), den Bericht der Zeugin Dr. M. vom 07. 10. 1997 (Anlage K2, GA Bd. 1 Bl. 6) und die schriftliche Aussage der Zeugin Dr. K. vom 29. 03. 2001 zugrunde. Einer persönlichen Vernehmung der o.g. Zeuginnen bedurfte es nicht, da hinsichtlich der Zeuginnen Dr. R. und Dr. M. keine über vorgenannte Berichte hinausgehende Tatsachen in deren Wissen gestellt wurden und die schriftliche Aussage der Zeugin Dr. K. detailliert und ausführlich ist. Da keine Bedenken bezgl. der Glaubwürdigkeit bestehen, konnte von einer persönlichen Vernehmung abgesehen werden.

Aus vorgenannten Erkenntnisquellen ergibt sich, dass die Klägerin zwar infolge des Unfalles psychische Beeinträchtigungen erlitten hat, so dass es der Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens hierzu nicht bedurfte. Nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind jedoch alle bereits vorher vorhandenen psychischen Beeinträchtigungen und Auffälligkeiten. So bekundete die Zeugin Dr. K. , dass die Klägerin bereits vor dem erlittenen Unfall gestottert hat; auch die "Essstörungen" und die "Appetitlosigkeit" sowie die "Schlafstörungen" bestanden bereits vor dem Unfall. Dem steht der Bericht der Frau Dr. M. nicht entgegen, da diese keine eigenen Feststellungen zu dem Zustand der Klägerin vor dem Unfall traf, sondern ihre Kenntnisse aus Angaben der Kindesmutter bezog. Für den Bericht der Frau Dr. R. gilt nichts anderes, da dieser auf der durchgeführten Psychotherapie und damit den Erkenntnissen der Fr. Dr. M. aufbaut.

Die Feststellung der Zeugin Dr. K. , wonach die Klägerin Ende Juli "deutlich verhaltensgestört" war, stark stotterte und Angst hatte, bezieht sich auf eine kurz zuvor erneut erlittene Verletzung am Ohr. Obschon nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieses erneute Ereignis allein zur Aufrechterhaltung psychischer Auffälligkeiten geführt hat, geht der Senat zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass das streitgegenständliche Unfallereignis an den Angeststörungen zumindest mitursächlich war.

Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich jedoch zur Überzeugung des Senats auch, dass der streitgegenständliche Unfall von dem Kind innerhalb weniger Monate verarbeitet wurde. So führte die Zeugin Dr. K. auf, dass die Klägerin am 14.10.1997 unbeeinträchtigt, psychisch gelockert war und auch nicht mehr so stark stotterte. Dem entspricht auch der psychotherapeutische Befundbericht von Fr. Dr. M. , woraus sich ergibt, dass das traumatische Erlebnis im Möbelkaufhaus nachgespielt und therapeutisch bearbeitet werden konnte. Die Klägerin beruft sich ausdrücklich auf diese Berichte, stellt deren Richtigkeit also nicht in Abrede.

c) Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung, in welche auch einzubeziehen ist, dass ein zügiger Ausgleich für die erlittenen Schmerzen geleistet wurde und das Verschulden der Beklagten lediglich als leichte bis allenfalls mittlere Fahrlässigkeit einzustufen ist, geht der Senat davon aus, dass die vorprozessual gezahlte Summe als ausreichend anzusehen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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