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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 11.07.2006
Aktenzeichen: 1 U 24/06 (Kart)
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 20 Abs. 1
1. Eine Taxigenossenschaft, die eine zentrale Funkvermittlung für Beförderungsaufträge betreibt und damit in einer Stadt bzw. in einer Region marktbeherrschend ist, ist kartellrechtlich grundsätzlich auch zur Auftragsvermittlung an Nichtmitglieder verpflichtet, wenn diese die Vermittlung in Anspruch nehmen wollen und bereit sind, die Nutzungsbedingungen zu akzeptieren. Allein die genossenschaftliche Zweckbestimmung kann die Anwendung der kartellrechtlichen Bestimmungen nicht ausschließen.

2. Ob Behinderungen anderer Taxi-Unternehmen im Wettbewerb durch die Verweigerung der Vermittlung von Beförderungsaufträgen an sie als unbillig i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB zu beurteilen sind, ist im konkreten Einzelfall durch Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Kartellrechts sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 24/06 (Kart) OLG Naumburg

verkündet am: 11. Juli 2006

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (Kartellsache)

hat der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Trojan und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das am 19. Januar 2006 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg, 7 O 2898/05, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den vier Taxis der Verfügungsklägerin mit den Ordnungsnummern 258, 259, 260 und 261 sofort über Funk nach Maßgabe ihrer "Betriebs- und Funkordnung" und der Verordnung der Stadt H. über Beförderungsentgelte und Beförderungsbedingungen für Taxis Beförderungsaufträge zu vermitteln.

Für den Fall, dass die Verfügungsbeklagte dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wird ihr ein Zwangsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 EUR, hilfsweise Zwangshaft, zu vollstrecken am Vorstandsvorsitzenden der Verfügungsbeklagten, angedroht.

Der Verfügungsklägerin wird aufgegeben, binnen eines Monats ab Zustellung dieser Entscheidung Klage in der Hauptsache zu erheben.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte nach §§ 33 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 20 Abs. 1 und 2 GWB einen Anspruch auf die vorläufige Einbeziehung ihrer vier Taxis in die Funkvermittlung von Beförderungsaufträgen bis zur endgültigen Klärung der Streitfragen über die Art und Weise des Zustandekommens einer Mitgliedschaft der Verfügungsklägerin in der Genossenschaft.

1.1. Die Verfügungsbeklagte ist das marktbeherrschende Unternehmen auf dem regionalen Markt für die Übermittlung von Beförderungsaufträgen für Taxis durch Telefon und Funk in der Stadt H. . Der von ihr betriebenen Vermittlungszentrale sind die überwiegende Zahl der von der Stadt H. zugelassenen Taxis angeschlossen. Neben der "Taxizentrale" der Verfügungsbeklagten unter einprägsamen und seit mehr als zehn Jahren eingeführten Telefonrufnummern mit mehr als 200 angeschlossenen Taxis existiert nur ein Unternehmen in der Stadt, welches an sechzehn Taxis Funkaufträge vermittelt.

1.2. Die Verfügungsbeklagte verweigert der Verfügungsklägerin seit dem 7. November 2005, ca. 16:00 Uhr, die Inanspruchnahme ihrer Vermittlungszentrale, obwohl die Verfügungsklägerin die Nutzungsbedingungen anerkennt und bereit ist, die vorgesehenen Nutzungsentgelte bzw. Provisionen an die Verfügungsbeklagte zu zahlen. Hierin liegt eine Wettbewerbsbehinderung, weil die Verfügungsklägerin auf dem nachgelagerten Markt der Beförderungsdienstleistungen durch Taxis ohne Funkvermittlung durch die Verfügungsbeklagte nur noch vereinzelt Beförderungsaufträge akquirieren und den überwiegenden Teil des bisher erwirtschafteten Umsatzes nicht mehr realisieren kann. Ihre Geschäftstätigkeit als Taxiunternehmen in H. ist stark beeinträchtigt.

1.3. Die Verweigerung der Inanspruchnahme ihrer Vermittlungszentrale stellt sich als unbillige Behinderung der Geschäftstätigkeit der Verfügungsklägerin i.S.v. § 20 Abs. 1 und 2 GWB dar, weil ein sachlich gerechtfertigter Grund hierfür fehlt.

Ob Behinderungen anderer Unternehmen im Wettbewerb als unbillig zu beurteilen sind, ist im konkreten Einzelfall durch Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Kartellrechts sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden.

Danach ist hier das Interesse der Verfügungsbeklagten an der Vermeidung einer einstweiligen Einbeziehung der Verfügungsklägerin in die Vermittlung von Beförderungsaufträgen als gering zu bewerten.

Zwar ist ein Interesse der Verfügungsbeklagten daran anzuerkennen, dass sich ihr Geschäftsbetrieb, insbesondere der Betrieb einer Vermittlungszentrale für Beförderungsaufträge, originär der Befriedigung der Bedürfnisse der Genossenschaftsmitglieder dienen soll. Beherrscht eine Taxigenossenschaft den Markt für die Vermittlung von Beförderungsaufträgen an Taxifahrer, wie hier die Verfügungsbeklagte den entsprechenden Markt in H. , so kann allein diese genossenschaftliche Zweckbestimmung jedoch die Anwendung der kartellrechtlichen Bestimmungen nicht ausschließen (vgl. BGH, Beschluss v. 28. Juni 1977, KVR 2/77 "Autoruf-Genossenschaft" - WM 1977, 1257; BGH, Beschluss v. 18. November 1986, KVZ 1/86 - zitiert nach juris, dort Rn. 6 m.w.N.). Der genossenschaftliche Aspekt ist dann nur ein Umstand, der bei der Prüfung der Frage der Berechtigung der Leistungsverweigerung beachtet werden muss.

Die Verfügungsbeklagte führt selbst nicht an, dass ihr die Einräumung der Mitbenutzung der Vermittlungszentrale durch die Verfügungsklägerin tatsächlich oder rechtlich unmöglich sei. Gegen eine tatsächliche Unmöglichkeit spricht darüber hinaus, dass die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin zuvor über einen Zeitraum von mehr als acht Monaten problemlos in die Funkvermittlung von Beförderungsaufträgen einbezogen hatte. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt hier selbst dann nicht vor, wenn die Verfügungsklägerin derzeit nicht sofort als Mitglied der Verfügungsbeklagten anzuerkennen wäre, sei es durch Überleitung der Mitgliedschaft ihres Ehemannes oder durch Neubegründung der Mitgliedschaft. Nach § 2 Nr. 4 der Satzung der Verfügungsbeklagten ist eine Ausdehnung der Vermittlung von Beförderungsaufträgen auf Nichtmitglieder ausdrücklich zugelassen. Selbst wenn jedoch eine entsprechende Satzungsbestimmung nicht existierte, dann verstieße der faktische Zwang zur Mitgliedschaft bei der Verfügungsbeklagten gegen die von Art. 9 Abs. 1 GG garantierte, als Wertsetzung auch im Zivilrecht zu berücksichtigende Grundfreiheit, einer Vereinigung fernzubleiben (s.g. negative Vereinigungsfreiheit, vgl. BVerfGE 50, 290; ebenso für den Zwang zur Mitgliedschaft in einer Taxigenossenschaft OLG München, Urteil v. 30. März 2006, U (K) 4148/05 - zitiert nach juris, Rn. 60 m.w.N.).

Zu berücksichtigen ist, dass die Verfügungsklägerin hier lediglich eine einstweilige Regelung bis zur Klärung der streitigen Fragen um die Art und Weise ihrer Aufnahme als Mitglied bei der Verfügungsbeklagten - Überleitung ohne Pflicht zur Zahlung eines Eintrittsgeldes oder Neubegründung der Mitgliedschaft - begehrt. Der einstweilige Zugang der Verfügungsklägerin zur Auftragsvermittlung durch die Verfügungsbeklagte belastet letztere im weitaus geringen Maße als eine endgültige Regelung (ähnlich OLG Düsseldorf, Beschluss v. 1. September 1987, U (Kart) 3/87 - zitiert nach juris). Darüber hinaus ist dies geeignet, etwaige Schadenersatzansprüche der Verfügungsklägerin gegen die Verfügungsbeklagte nach § 33 Abs. 3 GWB wegen einer fahrlässigen Fehleinschätzung der kartellrechtlichen Rechtslage zu vermeiden bzw. zu reduzieren.

Ungeachtet der bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise der Erlangung der Mitgliedschaft durch die Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte keine durchgreifenden inhaltlichen Bedenken gegen eine künftige Mitgliedschaft der Verfügungsklägerin bei ihr vorgebracht. Die inhaltlichen Voraussetzungen für eine Aufnahme liegen vor. Die Verfügungsklägerin erkennt die Satzung und sonstigen Bedingungen der Mitgliedschaft an. Sie verfügt über eine bestandskräftige Genehmigung zum Betrieb eines Taxiunternehmens, denn ihre Anfechtungsklage ist isoliert gegen einzelne Nebenbestimmungen der Genehmigung gerichtet. Sie hat den gewerblichen Betrieb eines Taxiunternehmens angemeldet.

Auch wenn das Verlangen der Verfügungsbeklagten auf Erfüllung bestimmter formeller Anforderungen für eine Entscheidung über die Aufnahme der Verfügungsklägerin als Mitglied gerechtfertigt ist, steht dies einer vorläufigen Einbeziehung der Taxis der Verfügungsklägerin in die Funkvermittlung von Beförderungsaufträgen bis zur Klärung der Rechtslage um die Überleitung bzw. Neubegründung der Mitgliedschaft der Verfügungsklägerin bei ihr auf einer vertraglichen - statt mitgliedschaftlichen - Grundlage nicht entgegen. Umstände, aus denen auf eine Unzumutbarkeit des Abschlusses eines vorläufigen entgeltlichen Mitbenutzungsvertrages für die Verfügungsbeklagte zu schließen sein könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Dem gegenüber ist das Interesse der Verfügungsklägerin an der Vermeidung der Behinderung ihrer gewerblichen Tätigkeit bis zur endgültigen Beilegung oder Entscheidung der Streitigkeiten als schwer wiegend zu beurteilen. Die durch den Ausschluss der Taxis der Verfügungsklägerin von der Vermittlung von Beförderungsaufträgen verursachten Wettbewerbsbeschränkungen sind erheblich und gefährden die Existenz des Unternehmens, wie sich aus der Zahl der Beförderungsaufträge seit dem Ausschluss vom 7. November 2005, der vorübergehenden Stillegung der Fahrzeuge und der Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit den angestellten Fahrern des Unternehmens ergibt. Diese Wirkungen widersprechen der Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, freie Betätigungsmöglichkeiten aller Unternehmen im Wettbewerb zu gewährleisten.

2. Der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist trotz des Prozessverhaltens der Verfügungsklägerin im Berufungsverfahren dringlich i.S.v. §§ 935, 940 ZPO.

Allerdings verweist die Verfügungsbeklagte zutreffend darauf, dass die Verfügungsklägerin selbst im Berufungsverfahren alle gesetzlichen Fristen voll ausgeschöpft und zudem Fristverlängerungen in Anspruch genommen hat, was ihre Darlegungen zur Eilbedürftigkeit einer einstweiligen Regelung konterkariert. Gleichwohl ist nach dem Prozess-Stoff objektiv zu besorgen, dass die Klärung des Streits zwischen den Prozessparteien um die Mitgliedschaft der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten ohne die begehrte einstweilige Anordnung obsolet und die Verwirklichung vermeintlicher Rechte der Verfügungsklägerin vereitelt wird. Wie sich aus den Vorausführungen ergibt, ist die wirtschaftliche Existenz des Taxiunternehmens der Verfügungsklägerin durch den Ausschluss aus der Vermittlung von Beförderungsaufträgen durch die Vermittlungszentrale der Verfügungsbeklagten erheblich gefährdet. Dem gegenüber ist zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin die erheblichen unverständlichen Verzögerungen im Verfahren in erster Instanz nicht nur nicht zu vertreten hat, sondern nahezu ohnmächtig erdulden musste.

Im Rahmen von Verhältnismäßigkeitserwägungen ist zudem zu berücksichtigen, dass die Verfügungsbeklagte den Taxis der Verfügungsklägerin über acht Monate hinweg Beförderungsaufträge über ihre Taxirufzentrale vermittelt hat.

3. Der Urteilsausspruch umfasst die Verpflichtung der Verfügungsbeklagten zur Vermittlung von Beförderungsaufträgen an die vier genannten Taxis der Verfügungsklägerin zu den festgeschriebenen Vermittlungsbedingungen.

Die angeordnete Verpflichtung ist eine nicht vertretbare Handlung i.S. des § 888 ZPO, deren Durchsetzung im Weigerungsfalle durch die Anordnung von Zwangsgeld erfolgt. Die Androhung der Verhängung eines Zwangsgeldes, ersatzweise Zwangshaft, erfolgt lediglich deklaratorisch. Im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist eine konstitutive Androhung des Zwangsmittels ausdrücklich ausgeschlossen.

Die Anordnung der Klageerhebung in der Hauptsache beruht auf §§ 936, 926 Abs. 1 ZPO. Die Hauptsache ist derzeit noch nicht anhängig, so dass diese Anordnung zur Sicherung des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung erforderlich ist.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

2. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nrn. 7 und 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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