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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 21.05.2007
Aktenzeichen: 1 U 33/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
1. Im Rahmen der Eingriffsaufklärung vor einer offenen Biopsie eines Brustwirbelkörpers muss über das Risiko einer vorübergehenden Lähmung aufgeklärt werden.

2. Ein beiläufiger Hinweis auf mögliche "Muskelfunktionsstörungen" oder "Gefühlsstörungen" unmittelbar nach der Operation genügt den inhaltlichen Anforderungen an eine Eingriffsaufklärung nicht.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 33/06 OLG Naumburg

verkündet am: 21. Mai 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom

16. April 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 22. Februar 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg, 9 O 1712/04, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten wegen ihrer außergerichtlichen Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer übersteigt 20.000 EUR.

und beschlossen:

Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 52.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten zu 1) als Krankenhausträgerin und vom Beklagten zu 2) als damaligen Leitenden Oberarzt in der Orthopädischen Abteilung und als Operateur Schmerzensgeld (mindestens 50.000 EUR) und die Feststellung der Einstandspflicht für künftige Schäden für einen angeblichen Behandlungsfehler sowie eine - mangels wirksamer Einwilligung - rechtswidrige Entnahme von Knochenmaterial in Höhe des Brustwirbelkörpers 11 (künftig hier: BWK 11) mit einer Hohlnadel.

Der Kläger leidet seit dem Frühjahr 2003 an Rückenschmerzen. Zu dieser Zeit befand er sich im dritten Ausbildungsjahr als Straßenbauer. Er führte die phasenweise auftretenden Rückenschmerzen zunächst auf die körperlichen Anstrengungen bei der Arbeit zurück. Alsbald traten die Schmerzen jedoch belastungsunabhängig auf. Eine konservative Schmerzbehandlung in den Phasen der Schmerzschübe blieb erfolglos.

Im August 2003, kurz vor dem Abschluss der Lehre - der Kläger hatte nach eigenen Angaben eine gute Chance, vom Lehrbetrieb in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden -, traten erneut heftige Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in den Bereich der linken Körperflanke auf. Hinzu kamen eine Gewichtsabnahme und ständige Müdigkeit. Der Kläger wurde zur Diagnose und Behandlung stationär im Kreiskrankenhaus St. aufgenommen. Die Ursachenforschung und die Schmerzbehandlung führten nicht zu brauchbaren Ergebnissen. Es erfolgte eine Überweisung und Verlegung des Klägers in die Fachorthopädische Klinik V. . Die Ärzte dieser Klinik konnten die Schmerzursache jedoch ebenfalls nicht finden. Es wurden Erkrankungen im Bauchraum ausgeschlossen. In der Klinik war zunächst der Verdacht auf eine (chronische) Spondylitis, d.h. auf eine Wirbelentzündung geäußert worden. Bei späteren Untersuchungen des Blutbildes hatten sich jedoch die Entzündungsparameter spontan zurückgebildet. Der Kläger wurde sodann an die Orthopädische Klinik der Universität M. überwiesen, deren heutiger Träger, auch in Rechtsnachfolge des vorherigen Trägers, die Beklagte zu 1) ist.

Der Kläger befand sich vom 30. August 2003 bis zum 1. Oktober 2003 in stationärer Behandlung bei den Beklagten. Die Behandlung war unterbrochen durch Wochenendurlaube und Ausgänge. Es wurde eine umfangreiche Diagnostik vorgenommen. Am 30. August erfolgte eine umfangreiche Aufnahmeuntersuchung einschließlich Anamnese. Bei dieser Untersuchung war der Kläger schmerzfrei. Die vorhandenen Röntgenaufnahmen und der bisherige Krankheitsverlauf wurde von einem Ärzteteam besprochen. Am 2. September fand eine eigene radiologische Untersuchung statt, in deren Ergebnis festgestellt wurde, dass eine Spondylitis eher unwahrscheinlich sei. Es waren zwar Veränderungen im Bereich des 11. und 10. Brustwirbelkörpers sowie des 2. Lendenwirbelkörpers und eine geringe Mehrbelegung des BWK 11 darstellbar, aber keine Höhenminderungen oder Beeinträchtigungen der Bandscheiben. Der Radiologe empfahl weitere Untersuchungen (Verlaufs-MRT und hämatologische Abklärung) und ggfs. eine Punktion der entsprechenden Wirbelkörper. Am Folgetag wurde der Kläger einem Hämatologen vorgestellt. Dieser äußerte den Verdacht auf einen entzündlichen Prozess. Nach umfangreichen Blut- und Urinuntersuchungen empfahl er die Durchführung einer Biopsie an den betroffenen Wirbelkörpern. Die Raumforderung im Bereich der Brustwirbelkörper 10 und 11 und des Lendenwirbelkörpers 2 wurde nochmals am 8. September durch MRT beobachtet, es fanden fortlaufend Laboruntersuchungen u.a. des Blutbildes statt. Eine schlüssige Erklärung für die Entstehung der Raumforderung konnte gleichwohl nicht gefunden werden. Insbesondere konnte kein Nachweis für eine Entzündung geführt werden. Es verstärkte sich der Verdacht auf ein tumoröses Geschehen.

Am 15. September 2003 führte der Stationsarzt Dr. C. S. mit dem Kläger ein Aufklärungsgespräch über das weitere diagnostische Vorgehen. Über den Inhalt des Gesprächs liegt ein vom Kläger unterzeichnetes Protokoll (Anlage K 1, GA Bd. I Bl. 19) vor. Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Prozessparteien streitig. Der Kläger willigte in die Durchführung einer Biopsie ein. Er unterzeichnete außerdem am 17. September 2003 ein Protokoll über eine Aufklärung zur Anästhesie für Erwachsene (pro Compliance 8/2000).

Am 18. September 2003 führte der Beklagte zu 2) die offene Biopsie durch. Er entnahm eine Knochenmaterialprobe am Wirbel BWK 11. Die pathologische Untersuchung der Probe bestätigte den Verdacht auf einen Knochentumor. Es wurden Infiltrate eines Tumors nachgewiesen und der Verdacht auf ein sog. EWING-Sarkom geäußert, d.h. auf eine bösartige Krebserkrankung, die schnell über die Blutbahnen metastasiert. Zur weiteren Verdachtsklärung nahm die Klinik Kontakt mit einem anderen Universitätsklinikum zur Untersuchung eventueller chromosomaler Translokationen auf.

Nach der Operation beklagte der Kläger Schmerzen und Taubheitsgefühle an beiden Beinen. Nach radiologischer Untersuchung fand eine Revisionsoperation zur Ausräumung eines Hämatoms im Operationsgebiet statt. Danach verblieben Gefühlsstörungen im rechten Bein sowie eine verminderte Kraftentwicklung. Der Kläger wurde am 1. Oktober 2003 entlassen und zur Durchführung einer stationären neurologischen Rehabilitation vorgesehen. Am 6. Oktober 2003 wurde der Kläger wegen des verstärkten Verdachts auf ein EWING-Sarkom in die Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie aufgenommen. Im Rahmen der Untersuchungen des Blutbildes fiel eine Veränderung im Vergleich zu den früheren Ergebnissen während der stationären Behandlung in der Orthopädischen Klinik auf. Es wurde der Verdacht auf Leukämie geäußert. Zur Verdachtsabklärung fand mit Einwilligung des Klägers, deren Wirksamkeit er nicht in Frage stellt, eine Knochenmarkuntersuchung durch Sternalpunktion statt. Hierdurch wurde der Verdacht auf Leukämie bestätigt. Das Vorliegen eines EWING-Sarkoms konnte ausgeschlossen werden. Der Kläger wurde mit Chemotherapie und Bestrahlung behandelt, bis im Januar 2004 eine Knochenmarkstransplantation vorgenommen werden konnte.

Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, dass die offene Biopsie nicht indiziert gewesen sei. Die tatsächlich vorhandene Leukämie wäre allein durch die Beobachtung des Blutbildes zu erkennen gewesen, eines solch riskanten Eingriffs, wie ihn die offene Biopsie darstellte, hätte es nicht bedurft. Die Verdachtsdiagnose Leukämie hätte wesentlich früher gestellt werden können; diesen Falls wäre eine Biopsie nicht vorgenommen worden. Darüber hinaus hat der Kläger in erster Instanz auch die Auffassung vertreten, dass die Biopsie rechtswidrig durchgeführt worden sei. Er habe zwar seine Einwilligung für den diagnostischen Eingriff gegeben, diese sei aber wegen mangelnder Aufklärung über das Risiko einer Lähmung nicht wirksam. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er dem Eingriff nicht zugestimmt, sondern darauf bestanden, dass lediglich weniger riskante Untersuchungsmethoden angewandt werden. Hierfür hat er seine Parteivernehmung angeboten bzw. seine Anhörung angeregt.

Die Zivilkammer hat Beweis erhoben durch Einholung des schriftlichen fachorthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. med. habil. W. H. , Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Orthopädie und Physikalische Medizin der Universität H. (künftig: gerichtlicher Sachverständiger) vom 15. Juni 2005 (GA Bd. I Bl. 68 ff.) sowie eines Ergänzungsgutachtens vom 11. August 2005 (GA Bd. I Bl. 90 ff.). Der gerichtliche Sachverständige hat sein Gutachten im Termin der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2006 erläutert (vgl. Sitzungsniederschrift, GA Bd. I Bl. 122 ff.).

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der widerstreitenden Rechtsauffassungen der Parteien des Rechtsstreits und wegen des Verlaufs des Verfahrens in erster Instanz, nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht Magdeburg hat die Klage abgewiesen und diese Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler bestünden. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, denen die Kammer im Ergebnis folgt, seien die vorhandenen Befunde mehrdeutig gewesen, insbesondere hätten sie nicht auf eine Leukämie hingewiesen. Die von den Beklagten geprüften Arbeitsdiagnosen seien zutreffend gewesen. Eine Ergänzung des Gutachtens, insbesondere durch einen Kinderarzt, erachtete die Kammer nicht als erforderlich. Die Durchführung der Operation und der Revisionsoperation sei nicht zu beanstanden. Die Operation sei schließlich auch "nach zutreffender Aufklärung" vorgenommen worden, was im Urteil nicht weiter ausgeführt ist.

Der Kläger hat gegen das ihm am 28. Februar 2006 zugestellte Urteil mit einem am 28. März 2006 beim Oberlandesgericht vorab per Fax eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufung innerhalb der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist auch begründet.

Der Kläger greift die Feststellungen zum fehlenden Nachweis eines Behandlungsfehlers nur noch insoweit an, als er die späte Diagnose der Leukämie für pflichtwidrig hält. Er meint, dass Widersprüche zwischen dem Gutachten und dem Ergänzungsgutachten des gerichtlichen Sachverständigen vorlägen, denen das erstinstanzliche Gericht hätte nachgehen müssen, ggfs. durch Einholung eines Obergutachtens.

Der Kläger wendet sich jedoch vor allem gegen die Abweisung der Klage, soweit diese auf eine fahrlässige Verletzung der Pflicht zur Eingriffsaufklärung gestützt wird. Der Kläger behauptet erstmals, dass ein Aufklärungsgespräch gar nicht stattgefunden habe (vgl. Berufungsbegründung S. 5, GA Bd. II Bl. 24), ohne allerdings den Widerspruch zu dem von ihm selbst vorgelegten Protokoll über dieses Gespräch vom 15. September 2003 zu erklären. Er behauptet, dass die Aufklärung jedenfalls inhaltlich unzureichend gewesen sei, weil sie sich auf allgemeine Risiken einer stationären Behandlung und einer offenen Operation beschränkt habe. Eine ausdrückliche Belehrung über das Risiko einer Lähmung bis hin zu einer Querschnittslähmung sei nicht erfolgt. Er behauptet weiter, dass er in der Abwägung zwischen einem Lähmungsrisiko und einer Verzögerung der Diagnose Leukämie seine Einwilligung in die Biopsie verweigert hätte.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens in Höhe von 50.000 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. September 2004 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus der Behandlung im Zeitraum vom 30. August 2003 bis zum 1. Oktober 2003 nach dem letzten Tag der mündlichen Verhandlung entstehen oder noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Magdeburg zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Die Beklagten behaupten insbesondere, dass Dr. S. den Kläger auf das Risiko einer Lähmung hingewiesen habe. Er habe den Inhalt der Aufklärung nur verkürzt dokumentiert.

Der Senat hat am 16. April 2007 mündlich zur Sache verhandelt. Im Termin wurden der Kläger persönlich zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs vom 15. September 2003 sowie zu einem möglichen Entscheidungskonflikt angehört und der Zeuge Dr. C. S. zum Inhalt der Aufklärung vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls des Senats vom selben Tage (vgl. GA Bd. II Bl. 55 ff.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass der Kläger einen Behandlungsfehler der Beklagten nicht hat nachweisen können. Die hierzu getroffenen Feststellungen halten den Angriffen der Berufung stand.

Soweit der Kläger seine Klageforderungen auf ein Aufklärungsversäumnis stützt, rügt er zwar zu Recht die unzureichende Sachaufklärung durch die Zivilkammer. Der Senat hat die Anhörung des Klägers und die Vernehmung des hierzu von den Beklagten benannten Zeugen selbst nachgeholt. Im Ergebnis war jedoch festzustellen, dass der Kläger gegen die Beklagten keinen Schadenersatzanspruch aus Vertrag oder Delikt wegen einer unzureichenden Eingriffsaufklärung hat.

1. Der Nachweis eines Behandlungsfehlers ist nicht geführt; das Beweisergebnis spricht vielmehr für eine sorgfältige und intensive diagnostische Aufklärung.

Allerdings hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass das Tatgericht möglichen inhaltlichen Widersprüchen in einem Gutachten kritisch nachgehen muss. Die angeblichen, vom Kläger bezeichneten Widersprüche in den Äußerungen des gerichtlichen Sachverständigen bestehen aber tatsächlich nicht.

Der Kläger sieht einen Hinweis auf eine "verspätete" Diagnose der Leukämie in den Ausführungen auf Seite 9 des Gutachtens vom 15. Juni 2005 (GA Bd. I Bl. 76). In direkter Beantwortung der Frage nach einer früheren Diagnose der Leukämie gibt der Sachverständige zunächst an, dass eine Diagnose mehr als einen Monat nach stationärer Aufnahme (Aufnahme am 30. August, Verdachtsdiagnose am 7. Oktober 2003) prinzipiell zu einer Bejahung der Frage nach einer Verspätung führen muss. Sodann wägt er die Einzelumstände der hier vorliegenden Behandlung ab und schließt mit der Beurteilung, dass hier "ein Verlauf mit diagnostischen Maßnahmen von einem Monat zwar eben mehr als vier Wochen sind, aber unter Berücksichtigung der Tatsache, dass weitere Diagnosen auszuschließen waren, durchaus akzeptabel ist." Diese Aussage ist bereits eindeutig; eine akzeptable Diagnosedauer ist nicht pflichtwidrig. Auf Nachfrage der Kammer hat der gerichtliche Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 11. August 2005 auch folgerichtig bestätigt, dass die Behauptung, dass die Diagnose Leukämie wesentlich früher hätte gestellt werden können, realitätsfern sei. Es hätten vorrangig z. Bsp. die in Betracht kommenden Entzündungskrankheiten ausgeschlossen werden müssen (vgl. Seite 3, GA Bd. I Bl. 92). Hierin liegt kein Widerspruch.

Im Übrigen schließt sich der Senat den Feststellungen der Kammer an. Alle bekannten Krankheitssymptome, wie Gewichtsabnahme, Schmerzen und Müdigkeit, aber auch das periphere Blutbild, waren vieldeutig. Sie gaben insbesondere keinen eindeutigen Hinweis auf eine Leukämie. Aus Sicht der behandelnden Ärzte kam in der ersten Hälfte des September 2003 sowohl die ursprüngliche Verdachtsdiagnose Spondylitis als auch die eigene differentialdiagnostische Erwägung eines tumorösen Geschehens als auch weitere Erkrankungen, so eine Leukämie, in Betracht. Die Ursachenerforschung für die Krankheit des Klägers konnte nur durch einen schrittweisen Ausschluss möglicher Verdachtsdiagnosen erfolgen, wie es geschehen ist. Dabei war die Biopsie zur Entnahme von Knochenmaterial ein medizinisch notwendiger Zwischenschritt, um die Zahl der Deutungsmöglichkeiten zu verringern und bei optimalem Verlauf die zutreffende Diagnose sofort stellen zu können.

2. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Rechtswidrigkeit der offenen Biopsie mangels wirksamer Einwilligung berufen.

2.1. Allerdings hat der Kläger zu Recht beanstandet, dass die Kammer eine Beweisaufnahme zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs nicht durchgeführt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes und auch des erkennenden Senats sind bei behaupteten Abweichungen zwischen dem dokumentierten Inhalt des Aufklärungsgesprächs und dem angeblichen Inhalt dieses Gesprächs nach der Darstellung des Patienten grundsätzlich der Patient selbst und der aufklärende Arzt anzuhören bzw. zu vernehmen. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - auch die ärztliche Prozesspartei behauptet, dass inhaltlich mehr besprochen als aufgezeichnet worden sei und es auf diese Ergänzung ankommt.

2.2. Über das Risiko einer möglichen schlaffen Lähmung, welches sich hier beim Kläger verwirklicht hat, musste aufgeklärt werden. Eine Lähmung stellt schon im Allgemeinen eine erhebliche Beeinträchtigung der künftigen Lebensführung dar. Dies gilt hier umso mehr, als der Kläger nach seinen Berufsplänen auf eine hohe körperliche Leistungsfähigkeit angewiesen war. Diese Aufklärung durfte nicht verharmlosend und bagatellisierend erfolgen. Es kommt nicht darauf an, dem Patienten ungefragt statistische Erkenntnisse zu vermitteln, wohl aber darauf, dem Patienten "im Großen und Ganzen" ein zutreffendes Bild von den Relationen zwischen Risiken und Chancen des Eingriffs zu präsentieren. Letztlich geht es darum, dem Patienten die - zuvor geprüfte und festgestellte - medizinische Notwendigkeit des Eingriffs zu vermitteln, ohne ihn mit medizinischen Detailinformationen zu überfordern.

2.3. Der Senat hat keine Überzeugung davon gewinnen können, dass der Kläger in einer für ihn verständlichen Weise über die medizinische Notwendigkeit der offenen Biopsie aufgeklärt worden ist.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist zwar davon auszugehen, dass der Stationsarzt Dr. S. , wie gewohnt, das Risiko von Lähmungen angesprochen hat. In den Notizen über den Inhalt des Gesprächs ist als Gesprächsgegenstand "Nerven- ... Schädigung" aufgeführt. Er hat aber insoweit von "Muskelfunktionsstörungen" oder "Gefühlsstörungen" gesprochen. Weil er den Eingriff für relativ risikolos hielt, hat er nach eigenen Angaben deutlichere Hinweise auf Lähmungen nicht für erforderlich erachtet. Die nach diesem Beweisergebnis von ihm gebrauchten Begriffe haben gegenüber dem Begriff der "Lähmung" eine weit geringere Signalwirkung für den Patienten, aufzuhorchen, nachzudenken und ggfs. nachzufragen. Sie genügen den o.a. Anforderungen an die Eingriffsaufklärung nicht.

Die Anhörung des Klägers war im Hinblick auf den Inhalt des Aufklärungsgesprächs völlig unergiebig, denn der Kläger hatte keinerlei Erinnerungen an Gespräche mit Konsiliarärzten oder dem Zeugen Dr. S. mit Ausnahme, dass er sich sicher war, dass er nichts über ein Lähmungsrisiko gehört habe und auch nichts über eine mögliche Tumorerkrankung.

2.4. Der Senat ist nach Anhörung des Klägers davon überzeugt, dass dieser sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung der medizinisch notwendigen Untersuchung durch offene Biopsie nicht entzogen, sondern darin eingewilligt hätte.

Dabei hat der Senat unterstellt, dass dem Kläger zunächst die aktuelle Diagnosesituation und die hohen Erkenntnismöglichkeiten einer Biopsie verständlich erklärt worden wären. Seine Situation war dadurch gekennzeichnet, dass er heftige Schmerzschübe erlitten hatte, die ihn am Lehrabschluss hinderten, und dass solche Schmerzschübe auch in Zukunft zu erwarten waren. Alle bisherigen Therapieversuche waren gescheitert, weil die Ursache der Schmerzen nicht gefunden worden war. Das Repertoire der klinischen, bildgebenden und Laboruntersuchungen war ausgeschöpft, ohne eindeutige Ergebnisse erbracht zu haben. In Betracht kamen neben entzündlichen Prozessen im Bereich der Wirbelsäule vor allem bösartige Krebserkrankungen mit der Gefahr einer schnellen Ausbreitung im gesamten Körper und damit auch einer erheblichen Verkürzung der Lebenszeit. Die Entnahme einer Gewebeprobe war geeignet, eine Reihe von lebensbedrohlichen Erkrankungen entweder schnell zu erkennen oder aber ausschließen zu können. Sie war in jedem Falle geeignet, die Suche nach einer wirksamen Behandlung zu unterstützen.

Der Kläger wirkte nach dem Eindruck des Senats sichtlich betroffen von dieser Aufklärung. Der Ernst der damaligen Lage war ihm offensichtlich nicht bewusst. Auf die direkte Frage des Senats, wie er sich nach einer solchen Aufklärung entschieden hätte, antwortete der Kläger, dass er die Biopsie hätte machen lassen.

Der Senat sieht diese Angaben durch weitere Umstände bestätigt. Im Vordergrund der ursprünglichen Klagebegründung stand der Vorwurf der fehlerhaften Indikation der Biopsie. Dieser wiederum resultierte aus der späteren Erkenntnis, dass für die Diagnose der Leukämie das Ergebnis der Biopsie nicht erforderlich war. Die Leukämie wurde aufgrund einer späteren Veränderung des peripheren Blutbildes erkannt, so dass im vorliegenden Fall in der Tat bloßes Abwarten zu gleichen Erkenntnissen geführt hätte. Dies ist aber nicht maßgeblich für die Frage der Arzthaftung. Aus der Sicht der behandelnden Ärzte kamen andere Schmerzursachen und Ursachen für die Raumforderungen im Wirbelsäulenbereich BWK 10, 11 und LWK 2 in Betracht, die dringend der Abklärung bedurften. Ein bloßes Abwarten wäre pflichtwidrig gewesen, gerade weil man die Ursache der Erkrankung noch nicht kannte. Es ist zwar nachvollziehbar, dass der Kläger aus rückschauender Betrachtung die Biopsie gern vermieden hätte und dass er, nachdem das Vorgehen der Ärzte als dem Facharztstandard entsprechend bewertet worden ist, die Vermeidung durch Verweigerung der Einwilligung in Betracht zieht. Dies wird der Behandlungssituation Mitte September 2003 aber nicht gerecht. Das hat der Kläger in seiner persönlichen Anhörung eingeräumt.

Schließlich ist auch darauf zu verweisen, dass der Kläger der Anästhesie zugestimmt hat, obwohl im dortigen Aufklärungsbogen die Gefahr einer vorübergehenden Lähmung ausdrücklich aufgeführt ist, und dass der Kläger nach Aufkommen des Leukämieverdachts in die zur Verdachtsbestätigung notwendige Stermalpunktion eingewilligt hat, obwohl auch dort gleichartige Risiken bestanden.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Die Festsetzung des Kostenwerts erfolgte nach §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Der Senat hat den Wert des Antrags zu Ziffer 1) nach dem Mindestbetrag des begehrten Schmerzensgeldes mit 50.000 EUR und den Wert des Antrags zu Ziffer 2) mit 2.000 EUR geschätzt. Die Einzelwerte waren zu addieren (§ 39 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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