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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 22.11.2004
Aktenzeichen: 1 U 56/04
Rechtsgebiete: VOB/A, ZPO, VOB/B, BGB


Vorschriften:

VOB/A § 25 Abs. 2
VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 1
VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 2
VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 1
ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 540 Abs. 2
VOB/B § 5 Nr. 4
VOB/B § 6 Nr. 6
VOB/B § 8
VOB/B § 8 Nr. 2 Satz 1
VOB/B § 8 Nr. 3 Abs. 1
VOB/B § 8 Nr. 3 Abs. 2
BGB § 242
1. Die Vergabestelle hat keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung (positives Interesse) gegen einen Bieter, auf dessen Angebot sie selbst den Zuschlag nicht erteilt hat. Dies gilt auch dann, wenn sie zum Ausscheiden des Angebots verpflichtet war, weil das Angebot wegen einer Fehlkalkulation des Bieters einen unangemessen niedrigen Preis aufwies, § 25 Nr. 3 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/A.

2. Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung nach VOB/A trägt grundsätzlich der Bieter das Risiko der Fehlkalkulation bei Erstellung seines Angebotes. Der Vergabestelle ist die Erteilung des Zuschlags auf ein fehlkalkuliertes Angebot nicht á priori verwehrt; der Bieter ist nicht zur Anfechtung seines Angebotes berechtigt.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 56/04 OLG Naumburg

Verkündet am 22. November 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm sowie den Richter am Amtsgericht Fölsing auf die mündliche Verhandlung vom 22. November 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 8. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Halle vom 19.07.2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt 20.000,00 € nicht.

Gründe:

I.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat im Ergebnis keinen Erfolg.

Auf die Voraussetzungen des vom Landgericht geprüften Anspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen kommt es zwar nicht an, die Abweisung der Klage erweist sich aber aus anderen Gründen im Endergebnis als richtig.

1. Die Voraussetzungen eines Anspruch des Auftraggebers auf Ersatz der Mehrkosten, die nach der Entziehung des Auftrages infolge der Nichterfüllung der Werkleistungen durch Beauftragung eines Drittunternehmens entstanden sind, richtet sich nach §§ 5 Nr. 4, 8 Nr. 3 Abs. 1 und 2 Satz 1 VOB/B. Das von dem Landgericht allein geprüfte Rechtsinstitut des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.) kann hier nicht zur Anwendung kommen, weil die Bestimmungen der VOB/B die Schadensersatzansprüche des Auftraggebers bei Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers abschließend regeln. Außerdem macht die Klägerin gerade keinen Vertrauensschaden geltend, sondern Schadensersatz wegen Nichterfüllung.

a) Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung eines Auftrages nach VOB/A trägt grundsätzlich der Bieter das Risiko einer Fehlkalkulation bei der Erstellung seines Angebotes. Ein Kalkulationsirrtum berechtigt den Bieter deshalb grundsätzlich nicht zur Anfechtung seines Angebotes (vgl. BGH, MDR 1999, 216 und Beschl. v. 13.11.1997, VII ZR, 245/96). Zieht ein Bieter nach dem Eröffnungstermin innerhalb der Bindefrist sein Angebot zurück, bleibt es dem Auftraggeber unbenommen, auf das ohne rechtfertigenden Grund angefochtene Angebot den Zuschlag zu erteilen (vgl. Heiermann in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkomm. z. VOB, 10. Aufl. 2003, § 19 VOB/A, Rdn. 15). Erfüllt der Zuschlagsempfänger den Vertrag nicht, ergeben sich die Schadensersatzansprüche des Auftraggebers aus §§ 5 Nr. 4, 8 Nr. 3 Abs. 2 und gegebenenfalls auch § 6 Nr. 6 VOB/B.

b) Indessen besteht ein Anspruch des Auftraggebers aus c.i.c. in solchen Fällen entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht. Dies geht auch deutlich aus den Entscheidungen hervor, die der Einzelrichter in der angefochtenen Entscheidung selbst zitiert hat (vgl. z.B. BGH, NJW 1998, 3192 ff.). Der BGH hat einen Gegenanspruch des Bieters aus c.i.c. bejaht, wenn ein Auftraggeber, der einen Kalkulationsirrtum des Anbieters vor Vertragsschluss erkennt, den Anbieter darauf nicht hinweist (vgl. BGH, NJW 1980, 180). Dieses vorvertragliche Verschulden des Auftraggebers führt dazu, dass er den Auftragnehmer gemäß § 242 BGB nicht am Vertrag festhalten darf (vgl. BGH, a.a.O. und MDR 1999, 216), seine Ansprüche aus § 8 VOB/B nicht durchsetzen kann (vgl. alle oben zitierten Entscheidg. d. BGH) und dem Bieter unter Umständen auch zum Schadensersatz verpflichtet ist (vgl. Rusam in Heiermann/pp., a.a.O., § 25 VOB/A, Rdn. 44).

2. Die Voraussetzungen eines Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Mehrkosten, die durch Beauftragung eines Drittunternehmens entstanden sind (§§ 5 Nr. 4, 8 Nr. 2 Satz 1 VOB/B), liegen nicht vor, denn die Klägerin hat dem Beklagten den Zuschlag nicht erteilt. Es fehlt daher an einer vertraglichen Bindung zwischen den Parteien, die Voraussetzung eines jeden Anspruchs wegen Nichterfüllung ist.

Um ihre Rechte zu wahren, hätte die Klägerin den Beklagten nicht nur zur Erklärung auffordern müssen, ob er zu seinem Angebot stehen werde. Vielmehr hätte sie - wenn sie den Kalkulationsirrtum für unbeachtlich hielt - dem Beklagten zunächst den Zuschlag auf sein Angebot erteilen müssen, um ihn vertraglich zu binden und eine Grundlage für Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung zu schaffen. Erst dann hätte sie bei einer Verweigerung der Vertragserfüllung die Rechte aus §§ 5 Nr. 4, 8 Nr. 2 Satz 1 VOB/B geltend machen und einen Dritten beauftragen dürfen.

3. Aber selbst wenn man dem nicht folgen wollte und entgegen der Ansicht des Senates eine vertragliche Bindung zwischen den Parteien nicht als Anspruchsvoraussetzung ansehen wollte, hätte die Klage keinen Erfolg, denn der angebotene Einheitspreis war unangemessen niedrig und die Klägerin kannte den Irrtum des Beklagten.

a) Der Bieter hat zwar auch keinen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber sein Angebot wegen eines zu niedrigen Preises in der dritten Wertungsstufe, der Preisprüfung gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 1, 2 und 3 S. 1 VOB/A, ausscheidet. Denn die Bestimmung in § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A dient nicht in erster Linie dem Schutz des Bieters, der ein zu niedriges Angebot abgibt, sondern vor allem dem Schutz des Auftraggebers, der bei Zuschlagserteilung auf ein Unterangebot Gefahr läuft, dass der Auftrag wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Auftragnehmers nicht ordnungsgemäß zu Ende geführt wird (vgl. BGH, NJW 1980, 180).

b) Wenn der Auftraggeber aber - wie im vorliegenden Fall - vor der Auftragserteilung durch den Bieter auf den konkreten Kalkulationsfehler hingewiesen wird, so darf er diesen nicht in den Auftrag zwingen (vgl. OLG Nürnberg, NJW-RR 1998, 595). Tut er es trotzdem und verweigert der Bieter daraufhin die Ausführung, so kann er grundsätzlich keinen Schadensersatz wegen der Mehraufwendungen bei Übertragung der Bauleistung an einen anderen Bieter verlangen (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Köln, NJW 1985, 1475; Rusam, a.a.O., § 25 VOB/A, Rdn. 42).

c) Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Die Klägerin kannte den Kalkulationsirrtum der Beklagten vor der Auftragsvergabe, da sie ausdrücklich darauf hingewiesen hat. Die Klägerin konnte auch ohne Weiteres erkennen, dass der Einheitspreis für die Position 12.03.0012 (Naturschiefer) unangemessen niedrig war. Die Auffälligkeit bestand nicht nur darin, dass das Angebot der Beklagten für Naturschiefer wider Erwarten deutlich niedriger war als der Preis für Kunstschiefer. Vielmehr kommt noch hinzu, dass der angebotene Einheitspreis für Naturschiefer mit 58,40 DM/qm weit (44 %) unter dem Preis von 104,89 DM/qm lag, den die Fa. H. hierfür angeboten hat.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf § 26 Nr. 7 und 8 EGZPO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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