Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 01.11.2007
Aktenzeichen: 1 U 59/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 313 a Abs. 1 S. 1
ZPO § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 2
Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € bei Fehlern der unfallchirurgischen Behandlung, die mindestens eine um 21 Monate verzögerte Wundheilung eines Unterschenkelschafttrümmerbruchs sowie zusätzliche ärztliche Behandlungen und psychische Beeinträchtigungen verursacht haben.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 59/07 OLG Naumburg

Verkündet am 1. November 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung

vom 25. Oktober 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 15. Mai 2007 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau, 4 O 104/06, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer übersteigt 20.000 EUR nicht.

und beschlossen:

Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.051,32 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung des Klägers ist überwiegend zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Hinsichtlich der materiellen Schadensposition zu einem Betrage von 51,32 EUR ist die Berufung allerdings mangels ausreichender Begründung bereits unzulässig. Die Kammer hatte die Abweisung dieses Zahlungsantrages u.a. auch darauf gestützt, dass der Kläger den Eintritt eines entsprechenden Vermögensschadens bei sich selbst durch Bezahlung, die bestritten worden war, nicht nachgewiesen hatte. Insoweit hat der Kläger das Urteil nicht angegriffen und im Termin der mündlichen Verhandlung erklärt, dass ein Berufungsangriff nicht etwa versehentlich unterblieben wäre, sondern deswegen, weil er einen Zahlungsbeleg nicht beibringen könne.

Soweit sie zulässig ist, hat die Berufung in der Sache keinen Erfolg. Die Ermessensausübung durch die Kammer zur Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes lässt weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht Fehler erkennen. Ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 10.000 EUR ist auch im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die nach seinem eigenen Bekunden vor dem Senat für den Kläger maßgebliche Zielstellung der Rechtsverfolgung ist bereits dadurch eingetreten, dass die Kammer den Schadenersatzanspruch des Klägers dem Grunde nach als gerechtfertigt angesehen hat. Die Kammer hat festgestellt, dass sich die Heilung der Unfallverletzungen des Klägers ganz erheblich dadurch verzögert hat, dass bei der unfallchirurgischen Versorgung dieser Verletzungen im Februar und Mai 2000 diverse Behandlungsfehler aufgetreten sind. Bei der Operation am 17. Februar 2000 ist bereits eine falsche, weil geringere Heilungschancen versprechende Behandlungsmethode gewählt worden. Diese Methode ist zudem fehlerhaft ausgeführt worden, weil die zur Stabilisierung der Trümmerzone ausgewählte Knochenplatte zu kurz, d.h. zur Stabilisierung ungeeignet, gewesen ist und deren Befestigung an ungeeigneter, weil selbst noch zertrümmerter Knochenstelle versucht worden ist. Darüber hinaus ist entgegen dem Standard einer fachchirurgischen Behandlung die stabile Wiederherstellung des Wadenbeins unterlassen worden. In der Operation am 15. Mai 2000 ist die Bruchzone unzureichend stabilisiert worden, so dass die Herausbildung und Entwicklung eines falschen Gelenks befördert worden ist, deren Beseitigung den Heilungsprozess weiter erheblich verzögert hat. Gleichwohl folgt der Senat dem Kläger darin, dass über diese Feststellungen hinaus auch das Schmerzensgeld u.a. die Funktion hat, dem Kläger in angemessenem Verhältnis Genugtuung für die erlittenen Fehlbehandlungen und für die aus seiner Sicht erlebte Ignoranz oder Gleichgültigkeit gegenüber seinen laienhaften Fragen und Bedenken zu verschaffen. Gleiches gilt für die psychischen Belastungen, die der Kläger nochmals im Termin der mündlichen Verhandlung geschildert hat und die daraus entstanden sind, dass der Kläger sich häufig bei Bewerbungsgesprächen und ähnlichen Anlässen sowie anlässlich der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber seiner Krankenkasse in einem Rechtfertigungszwang für die überdurchschnittliche Dauer des Heilungsprozesses befunden hat. Diese Gesichtspunkte sind für die Festsetzung eines angemessenen Schmerzensgeldes natürlich zu berücksichtigen.

Im Vordergrund steht für die Bemessung des Schmerzensgeldes jedoch die sog. Ausgleichsfunktion, d.h. die Wiedergutmachung von Schäden nicht vermögensrechtlicher Art. Hierfür kommt es auf das Maß der Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten an. Der Kläger musste hier infolge der medizinischen Falschbehandlung hinnehmen, dass sich der Heilungsprozess seines unfallbedingten Körperschadens nicht sechs bis neun Monate, sondern etwa zweieinhalb Jahre ausdehnte mit entsprechenden Begleiterscheinungen, wie zusätzlicher ärztlicher Behandlungen, Schmerzen und psychischen Beeinträchtigungen, wie das Gefühl der Hilflosigkeit und der Ohnmacht gegenüber dem viel zu langsam verlaufenden Heilungsprozess. Dem gegenüber sind andere Umstände, die der Kläger als schmerzensgelderhöhend ansieht, nicht zu berücksichtigen. Dies betrifft zunächst die möglichen Einbußen des Klägers finanzieller Art durch den Ausfall von Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten. Soweit solche Vermögensschäden eingetreten sein sollten, wäre es erforderlich gewesen, diese im Wege der Leistungsklage als materiellen Schadenersatz geltend zu machen. Fehlte es, was der Senat nicht beurteilen kann, an Möglichkeiten zur gerichtlichen Durchsetzung des Ersatzes dieser materiellen Schäden, sei es aus Beweisnot, sei es aus noch unzureichender Verbindlichkeit der Anstellungsgespräche, so rechtfertigte dies nicht eine Kompensation über die Geltendmachung eines höheren sog. Schmerzensgeldes, welches lediglich immaterielle Schäden ausgleichen soll. Unberücksichtigt muss auch dasjenige Vorbringen des Klägers bleiben, welches ohne Substanz geblieben ist, wie der Verweis auf nicht vereinzelte "Einbußen im privaten, intimen und sozialen Bereich". Hierzu konnte schon der Beklagte nicht sinnvoll Stellung nehmen; auch dem Gericht fehlt jede Möglichkeit der Einordnung und der Bewertung bei derart pauschalen Angaben.

Der Senat hat eine vergleichende Betrachtung mit der bisher ergangenen Rechtsprechung zur Höhe des Schmerzensgeldes angestellt und dabei auch die vom Kläger erstinstanzlich angeführten Entscheidungen einbezogen. Dieser Vergleich lässt die Ermessensausübung der Kammer ebenfalls nicht als fehlerhaft oder unvertretbar erscheinen. Insoweit ist zunächst darauf zu verweisen, dass die nationale Rechtsprechung bei der Bemessung der Höhe eines Schmerzensgeldes insgesamt einen eher zurückhaltenden Ansatz verfolgt. Ein vollständiger Ausgleich aller Leiden ist allein durch finanzielle Zuwendungen ohnehin nicht zu erreichen. Bei der Abwägung wird allerdings auch berücksichtigt, dass eine im Einzelfall patientengünstigere Rechtsprechung letztlich zur Kostensteigerung jeder Heilbehandlung führte, weil jeder Arzt und jeder Träger medizinischer Behandlungen dann einer umfangreicheren Berufshaftpflichtversicherung bedürfte, deren Kosten auf die Patienten umzulegen wären. Dieser Ansatz der Rechtsprechung bewirkt mitunter, dass sich die - teilweise u.U. auch durch die Kenntnis vereinzelter ausländischer Gerichtsentscheidungen geprägten - Vorstellungen der Allgemeinheit von der Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes und die im Haftungsfall tatsächlich zuerkannten Beträge unterscheiden können und letztere als zu niedrig angesehen werden. Für den hier vorliegenden Fall ist insbesondere zu berücksichtigen, dass gegenüber vielen anderen Entscheidungen mit vergleichbarem Verletzungsbild, bei denen Schmerzensgeldbeträge im Bereich zwischen 9.000 und 12.000 EUR für angemessen erachtet worden sind, der Trümmerbruch des linken Unterschenkelschafts im Bereich des Schien- und des Wadenbeins selbst und dessen Auswirkungen nicht auf die Behandlungsfehler der Ärzte des Beklagten zurückzuführen sind, sondern auf den vorangegangenen Unfall. Ein großer Teil der vom Kläger vor allem im Jahre 2000 erlittenen Schmerzen und Beeinträchtigungen seiner Lebensführung ist Folge des Unfalls; dies gilt ebenso für zwei der später nötig gewordenen Operationen. Dieser Umstand ist durch einen entsprechenden "Abschlag" zu berücksichtigen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von diesen Fällen weiter dadurch zu Ungunsten des Klägers, dass die Fehlgelenksbildung inzwischen vollständig ausgeheilt ist und die jetzt beklagten Spätfolgen auf den Bruch selbst zurückzuführen sind. Dies bedeutet, dass die Behandlungsfehler - glücklicher Weise - keinen dauerhaften Körperschaden verursacht haben, was sich in den angeführten Fällen jeweils erheblich auf die Bemessung des Schmerzensgeldes ausgewirkt hatte. Bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung aller für die Höhe des Schmerzensgeldes berücksichtigungsfähiger Umstände ist das Ergebnis der Kammer nachvollziehbar und vertretbar; es gibt daher keinen Anlass für dessen Abänderung.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 47, 48 GKG und ergibt sich hier aus der Summe des Wertes des unbezifferten Antrags auf Zahlung eines angemessenen weiteren Schmerzensgeldes, den der Senat nach den Vorstellungen des Klägers mit 5.000 EUR festgesetzt hat, und des Wertes des bezifferten Antrags auf Zahlung weiterer 51,32 EUR.

Ende der Entscheidung

Zurück