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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 06.06.2005
Aktenzeichen: 1 U 7/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 313 a Abs. 1 S. 1
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 2
1. Bei der Wahl der Therapie ist dem Arzt ein weites Ermessen eingeräumt. Die ärztliche Entscheidung ist nur dahin zu überprüfen, ob die gewählte Therapie dem Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und fachärztlichen Erfahrungen entspricht, ob sie zur Erreichung des Behandlungsziels geeignet und erforderlich ist, und regelmäßig auch, ob sie sich in der fachärztlichen Praxis bewährt hat.

2. Ist die Behandlung einer Handgelenksverletzung mit mehreren medizinisch gleichermaßen indizierten Methoden konservativ und operativ möglich, ist aber die konservative Behandlung weitaus üblicher und hat sie gleiche oder zumindest nahezu gleiche Erfolgschancen, so stellt die Möglichkeit einer operativen Therapie für den Patienten keine Alternative dar, über die er vernünftigerweise mitentscheiden muss.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 7/05 OLG Naumburg

verkündet am: 06.06.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink, den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und den Richter am Oberlandesgericht Grimm auf die mündliche Verhandlung

vom 6. Juni 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 22. Dezember 2004 verkündete Urteil des Landgerichts Halle, 7 O 223/03, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer übersteigt 20.000 EUR nicht.

Gründe:

I.

Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass die Klägerin gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld hat. Der Beklagte hat bei der ambulanten chirurgischen Behandlung der distalen Radiustrümmerfraktur des rechten Handgelenks, also des Bruches der körperfernen Speiche mit streckseitiger Trümmerzone, im September und Oktober 1998 seine ärztlichen Pflichten nicht verletzt. Er hat auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens weder gegen den fachchirurgischen Behandlungsstandard verstoßen noch gegen seine Verpflichtung zur Eingriffsaufklärung.

1. Die Wahl der konservativen, d.h. auf die Selbstheilung des Körpers setzende Behandlung der Handgelenksverletzung der Klägerin durch den Beklagten ist unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Bei der Wahl der Therapie ist dem Arzt ein weites Ermessen eingeräumt. Die Bewertung der ärztlichen Therapiewahl ist aus dem Blickwinkel des Behandlungszeitpunkts, nicht etwa unter Berücksichtigung nachfolgender Erkenntnisse, vorzunehmen. Die Beurteilung der Gegebenheiten des konkreten Behandlungsfalls ist häufig nur eingeschränkt rekonstruierbar. Der Arzt kann und soll insbesondere seine eigenen Erfahrungen in die Behandlung einbringen. Daher ist die Wahl der Therapiemaßnahme regelmäßig vor allem dahin zu überprüfen, ob die gewählte Therapie dem Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und fachärztlichen Erfahrungen entspricht, ob sie zur Erreichung des Behandlungsziels geeignet und erforderlich ist, und regelmäßig auch, ob sie sich in der fachärztlichen Praxis bewährt hat. Diese Voraussetzungen sind hier eindeutig gegeben.

Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen gibt es keinen medizinwissenschaftlichen Nachweis, dass eines der alternativen chirurgischen operativen Verfahren, insbesondere auch die Plattenosteosynthese bzw. die Spickdrahtosteosynthese, eine höhere Heilwirkung bzw. -chance haben. Trotz einer Vielzahl von einfachen, empirischen Studien sind diese Methoden gerade nicht evidenzbasiert, d.h. es ist bisher nicht gelungen, eine höhere Heilungschance durch qualifizierte Untersuchungsreihen nachzuweisen. Die primär konservative Behandlung auch komplizierter Handgelenksbrüche ist in der chirurgischen Praxis weit verbreitet und hat nach der fachärztlichen Erfahrung gleiche oder nahezu gleiche Erfolgschancen.

Dem steht nicht entgegen, dass der Gutachter im Schlichtungsverfahren vor dem Hintergrund seiner eigenen klinischen Erfahrungen eine operative Behandlungsmethode mit einem aufwendigen Zugang zum Operationsgebiet gewählt hätte. Diese Behandlungsmethode stand dem Beklagten für den Fall eines unbefriedigenden Heilungsverlaufs, insbesondere einer zunehmenden Instabilität des Handgelenks, noch zur Verfügung. Der Beklagte durfte bei seiner Entscheidung berücksichtigen, dass eine operative Versorgung der Verletzung einen wesentlich größeren Eingriff in die körperliche Integrität der Klägerin dargestellt hätte und erhebliche zusätzliche Risiken (Infektionen, Entzündungen, Embolien etc.) barg. Die spätere Ausbildung eines - für die Klägerin schmerzhaften - Karpaltunnelsyndroms konnte der Beklagte bei Behandlungsbeginn am 10. September 1998 noch nicht absehen. Dieses - verwirklichte - Risiko steht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang allein mit dem Unfalltrauma und der hierdurch verursachten Schwellung, jedenfalls nicht mit der Fehlstellung der Speiche. Es bestand daher unabhängig davon, ob der Beklagte - wie geschehen - konservativ oder operativ behandelte. Wegen der Determination dieses Syndroms durch den Unfall kann auch offen bleiben, inwieweit neben dem Unfalltrauma auch anatomische Veranlagungen bzw. die von ihr selbst angeführte eigene Übergewichtigkeit eine Rolle für die Herausbildung gespielt haben.

Der Therapiewahl des Beklagten steht schließlich auch nicht entgegen, dass die spätere operative Behandlung des Karpaltunnel-Syndroms bei der Klägerin offensichtlich erfolgreich verlaufen ist. Dies konnte der Beklagte ebenfalls nicht voraussehen.

2. Die Fortführung der konservativen Behandlung nach ersten radiologischen Anhaltspunkten für eine zunehmende knöcherne Fehlstellung entsprach dem fachärztlichen Standard.

Der gerichtliche Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass ab der zweiten Woche nach dem Unfalltag erkennbar war, dass die Trümmerfraktur zunehmend in Fehlstellung verheilte. Er hat aber weiter ausgeführt, dass eine operative Korrektur der Fehlstellung nur indiziert gewesen wäre, wenn hieraus funktionell beeinträchtigende Bewegungseinschränkungen des rechten Handgelenks der Klägerin resultiert hätten. Die funktionellen Beschränkungen bei der Klägerin waren jedoch viel zu gering, als dass sie einen Eingriff hätten rechtfertigen oder gar als geboten erscheinen lassen können.

Soweit die Klägerin meint, eine operative Korrektur wäre im Hinblick auf ihre Schmerzen angezeigt gewesen, haben die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen den Senat davon überzeugt, dass die von der Klägerin erlittenen Schmerzen auf das Karpaltunnel-Syndrom zurückzuführen waren und dass dessen Behandlung zunächst noch nicht indiziert war. Wegen der wahrscheinlichen Verursachung durch eine vorübergehende, mit dem Unfall zusammenhängende Schwellung des Gelenks war es sachgerecht, zunächst bis zur Abschwellung abzuwarten, wie hier geschehen.

3. Dem Beklagten ist schließlich auch hinsichtlich seiner Eingriffsaufklärung kein Versäumnis vorzuwerfen.

Das auf eine Aufklärungspflichtverletzung gerichtete Berufungsvorbringen der Klägerin ist nach § 531 Abs. 2 ZPO schon nicht zuzulassen, weil nicht ersichtlich ist, wieso die Klägerin nicht bereits in erster Instanz hätte vortragen können, dass sie angeblich nicht darüber aufgeklärt worden sei, dass auch eine operative Versorgung der Handgelenksverletzung in Betracht komme.

Selbst wenn es zuzulassen gewesen wäre, wäre es schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil die Klägerin nicht einmal ansatzweise dargelegt hat, dass sie im Falle einer Aufklärung über die Option einer Plattenosteosynthese diese Behandlungsmethode gewünscht hätte bzw. zumindest in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre.

Schließlich ist aber darauf hinzuweisen, dass der Beklagte in der vorliegenden Konstellation zu einer Aufklärung über die Möglichkeit invasiver Behandlungsmethoden nicht verpflichtet war. Ist die Behandlung einer Handgelenksverletzung - wie hier - mit mehreren medizinisch gleichermaßen indizierten Methoden konservativ und operativ möglich, ist aber die konservative Behandlung weitaus üblicher und hat sie gleiche oder zumindest nahezu gleiche Erfolgschancen, so stellt die Möglichkeit einer operativen Therapie für den Patienten keine Alternative dar, über die er vernünftiger Weise mitentscheiden muss.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nrn. 7 und 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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