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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 29.08.2008
Aktenzeichen: 1 Verg 1/08 (2)
Rechtsgebiete: RVG VV


Vorschriften:

RVG VV Nr. 2300
Unangemessenheit einer 2,5-fachen Gebühr und Festsetzung einer 2,0-fachen Gebühr nach VV Nr. 2300 RVG für ein Nachprüfungsverfahren, betreffend die Vergabe der kaufmännischen und technischen Betriebsführung der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie der Besorgung laufender Verbandsgeschäfte eines Abwasserzweckverbandes für maximal zwanzig Jahre.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 1/08 OLG Naumburg

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 5. Mai 2007 (S 87), berichtigt am 5. Juni 2007 (S 105), ausgeschriebene Vergabe des Dienstleistungsauftrags "Betriebsführung der Wasserver- und Abwasserentsorgung des Wasserverbandes B. (WVB)",

hier: Kostenfestsetzung im Beschwerdeverfahren zu Gunsten der Antragstellerin

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm und den Richter am Landgericht Pikarski

am 29. August 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Erinnerung der Antragstellerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 4. Juli 2008 teilweise abgeändert und, wie folgt, neu gefasst:

Die auf Grund des Beschlusses des Vergabesenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 31. März 2008, dort Absatz 4 des Beschlusstenors, vom Antragsgegner und der Beigeladenen zu 1) an die Antragstellerin zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 13.636,60 EUR.

Im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; eine Erstattung der außergerichtlichen Auslagen findet nicht statt.

Der Kostenwert des Erinnerungsverfahrens wird auf 6.655,20 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Erinnerung der Antragstellerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Oberlandesgerichts Naumburg ist nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG zulässig. Sie hat in der Sache auch teilweise Erfolg.

Allerdings ist der Rechtspfleger, insoweit den Stellungnahmen des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 1) im Kostenfestsetzungsverfahren folgend, zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall der Ansatz einer 2,5-fachen Gebühr nach VV Nr. 2300 RVG durch die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin nicht verbindlich ist, weil sie unbillig i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG ist. An die Stelle der unverbindlichen Gebührenberechnung tritt daher eine gerichtliche Bestimmung des angemessenen Gebührenansatzes. Die Festsetzung einer 1,3-fachen Gebühr durch den Rechtspfleger wird jedoch den für die Bestimmung der Höhe der Rahmengebühren maßgeblichen Umständen des vorliegenden Mandats nicht gerecht, so dass sie vom Senat zu erhöhen war.

Die Geschäftsgebühr nach VV Nr. 2300 RVG ist eine Rahmengebühr zwischen 0,5 und 2,5 Gebühren, bei der ein Ansatz von mehr als 1,3 Gebühren nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Für die Bestimmung der hier angemessenen Rahmengebühr sind nach § 14 Abs. 1 RVG mehrere Kriterien heranzuziehen, insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer, die Bedeutung der Angelegenheit für die Antragstellerin und ggfs. auch deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie schließlich auch das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts in dieser Angelegenheit.

Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit

Der Senat geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass in Vergabesachen regelmäßig eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit anzuerkennen sein wird, weil das nationale Vergaberecht eine komplexe, vom Gemeinschaftsrecht überlagerte Rechtsmaterie ist, die z. Zt. einer sehr dynamischen Entwicklung unterliegt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 16.08.2005, 1 Verg 4/05). Dies macht die Prüfung der tatsächlichen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im jeweiligen Einzelfall jedoch nicht etwa entbehrlich. Ein überdurchschnittlicher Gebührenansatz ist schon jeder Gebührenansatz über der gesetzlich vorgegebenen Kappungsgrenze in Höhe einer 1,3-fachen Gebühr, wie der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1) zu Recht betonen.

Im vorliegenden Fall ist von einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit auszugehen, es sind allerdings noch weit schwierigere Fallgestaltungen vorstellbar.

Das Mandat der Antragstellerin an ihre Verfahrensbevollmächtigten bezog sich auf eine Nachprüfung der Angebotswertung eines komplexen Ausschreibungsverfahrens, betreffend die vollständige technische und kaufmännische Betriebsführung sowie die Geschäftsbesorgung der laufenden Verbandsgeschäfte eines Zweckverbandes zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Neben mehreren vergaberechtlichen Problemstellungen, insbesondere hinsichtlich der Pflichten der Vergabestelle bei der Verwahrung der Angebote und im Submissionstermin sowie im Zusammenhang mit der Bewertung der Konformität der eingereichten Angebote mit den Vorgaben der Verdingungsunterlagen, waren arbeitsrechtliche, mietrechtliche sowie auch strafrechtliche Aspekte der Verdingungsunterlagen zu beurteilen sowie allgemeine wirtschaftliche und spezielle betriebswirtschaftliche Fragestellungen zu durchdringen. Die vergaberechtlichen Fragen ließen sich jedoch unter ausschließlicher Betrachtung des nationalen Vergaberechts lösen; sie erreichten auch nicht den Schwierigkeitsgrad, wie er beispielsweise z.T. in Verhandlungsverfahren zu komplexen Baukonzessionen oder PPP-Projekten auftritt.

Umfang der anwaltlichen Tätigkeit

Auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist als überdurchschnittlich, aber nicht als an der Obergrenze liegend zu bewerten. Es waren, wie häufig in Vergabesachen, eine Vielzahl von Unterlagen unter nicht unerheblichem Zeitdruck zu sichten und auszuwerten. Die Tätigkeit erforderte mit Sicherheit mehrere Besprechungen mit dem Mandaten zur Klärung technischer und wirtschaftlicher Einzelheiten. Im Verfahren vor der Vergabekammer fand auch eine mündliche Verhandlung statt.

Bedeutung der Angelegenheit

Für die Bestimmung der Rahmengebühr ist, worauf sich die Antragstellerin zu Recht berufen hat, zu berücksichtigen, dass die Ausschreibung sich nicht nur auf einen Auftrag mit einem hohen Auftragswert bezog, was gebührenrechtlich bereits bei der Festsetzung des Gegenstandswertes Beachtung findet, sondern dass es um die Vergabe eines Auftrages u.U. für zwanzig Jahre ging, d.h. dass mit der Auftragsvergabe die Leistungserbringung im Einzugsbereich des Verbandes für einen sehr langen Zeitraum aus dem weiteren Wettbewerb genommen wird. Dies rechtfertigt es, die Angelegenheit aus Sicht der Antragstellerin als höchst bedeutsam einzustufen.

Vermögensverhältnisse und Haftungsrisiken

Die Vermögensverhältnisse stehen einer Bestimmung einer überdurchschnittlichen Rahmengebühr nicht entgegen. Angesichts des hohen wirtschaftlichen Werts des erstrebten Auftrages für zwanzig Jahre besteht ein weit überdurchschnittliches, ggfs. sogar gesondert abzusicherndes Haftungsrisiko des Bevollmächtigten, dem bei der Bestimmung der Gebühren der anwaltlichen Tätigkeit auch Rechnung zu tragen ist.

Zusammenfassend erscheint dem Senat hier der Ansatz einer 2,0-fachen Geschäftsgebühr angemessen. Der von den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ursprünglich vorgenommene und auch im Erinnerungsverfahren weiter verfolgte Ansatz einer 2,5-fachen Geschäftsgebühr überschreitet die einem Anwalt im Rahmen der Billigkeitskontrolle eingeräumte Toleranzgrenze von etwa 20 Prozent (vgl. nur Beschlüsse vom 23. August 2005, 1 Verg 4/05 - OLGR Naumburg 2006, 178, und v. 30. August 2005, 1 Verg 6/05, jeweils unter Hinweis auf Madert in: Gerold/ Schmidt/ v.Eicken/ Madert/ Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, § 14 Rn. 34 ff. m.w.N.).

Demnach waren die Kosten bei einem Gegenstandswert von 1.350.000 EUR, wie folgt, zu berechnen:

 2,0 Geschäftsgebühr (VV Nr. 2300) 11.092,00 EUR
Auslagenpauschale (VV Nr. 7002) 20,00 EUR
Reisekosten (VV Nr. 7003) 24,60 EUR
Erstattung des Kostenvorschusses 2.500,00 EUR
Summe: 13.636,60 EUR

Eine Verzinsung der festgesetzten Aufwendungen, wie von der Antragstellerin geltend gemacht, ist weder in den Vorschriften zur Kostenfestsetzung im Nachprüfungsverfahren noch in denjenigen zum Verwaltungsverfahren vorgesehen (vgl. Beschluss des Senats vom 30. Dezember 2002, 1 Verg 11/02 - NZBau 2003, 464 <nur Ls.>). Die von der Antragstellerin angeführte Entscheidung vom 16. Mai 2006 ist keine Entscheidung des Senats.

Die Entscheidung über die Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers desselben Gerichts ist nach § 11 Abs. 4 RPflG gerichtsgebührenfrei zu treffen. Eine Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Auslagen kam angesichts des allseitigen teilweisen Unterliegens im Erinnerungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht.

Die Festsetzung des Streitwerts für die Gebührenberechnung im Erinnerungsverfahren beruht auf § § 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO und erfolgt in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag der begehrten Kostenfestsetzung und dem Betrag der tatsächlich festgesetzten Kosten zu Gunsten der Antragstellerin.

Ende der Entscheidung

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